Auf- und Abstieg unterm Bayer-Kreuz

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EinsamerSam.:

Auf- und Abstieg unterm Bayer-Kreuz

 
12.12.05 17:46
Ein Konzern in der Geschichte

Auf- und Abstieg unterm Bayer-Kreuz

Im letzten Jahrhundert war in Leverkusen die Welt noch in Ordnung. Damals, im Frühjahr 1999, spielen die Fußballprofis von Bayer 04 ganz vorne mit um die deutsche Meisterschaft. Nebenan lässt die Bayer AG ihre Konzern-Zentrale als überdimensionale Arzneimittel-Schachtel dekorieren. Der Chemieriese feiert gerade Hundert Jahre Aspirin – und einen neuen Rekordgewinn.

FRANKFURT. Firmenchef Manfred Schneider predigt Kontinuität. In seiner trotzig trockenen Art verteidigt er die „Vier-Säulen-Strategie“ von Bayer gegen den Zeitgeist der Finanzwelt. Während ringsum die Konglomerate auseinander fallen, soll Bayer zum „führenden integrierten Chemie- und Pharmaunternehmen“ der Welt werden.

Dass es dann ganz anders kommen sollte, dass statt des Aufstiegs eine schwere Krise bevorstand, die größte Umstrukturierung in der 140jährigen Unternehmensgeschichte, der Verlust des wichtigsten Pharmaprodukts, Strukturmaßnahmen, Wertberichtigungen in Milliardenhöhe, rote Zahlen und schließlich doch die Ausgliederung von großen Teilen des Chemiegeschäfts – das alles war Ende der 90er Jahre bestenfalls zu erahnen.

Dabei hatte auch Bayer zu diesem Zeitpunkt die ersten Schritte in Richtung Transformation schon zurückgelegt. Immerhin beschloss das Management des Chemieriesen Ende 1998, die wichtige Tochter Agfa an die Börse zu bringen und damit eine fast achtzigjährige Tradition im Fotogeschäft zu beenden. Zugleich stärkten größere Akquisition wie der Kauf von Chiron Diagnostika und die Übernahme der Polyurethansparte von Lyondell die Bereiche Gesundheit und Polymere.

Entscheidend beschleunigt wurde der Umbau des Bayer-Konzerns aber erst zwei Jahre später durch eine handfeste Krise, den Ausfall von Lipobay. Anfang August 2001 musste Bayer den Cholesterinsenker mit damals mehr als 600 Mill. Euro Jahresumsatz vom Markt nehmen, nachdem sich Berichte über schwere Nebenwirkungen häuften. Mit Lipobay verlor der Konzern seinen wichtigsten Wachstumsträger im Pharmageschäft – und handelte sich im Gegenzug eine Flut von Schadensersatzklagen ein.

Das Lipobay-Fiasko wog umso schwerer, als der Konzern ohnehin bereits mit Schwächen im Pharmageschäft kämpfte, darunter Produktionsprobleme beim Blutermittel Kogenate, Flops in der Forschung und der nahende Patentablauf beim Bestseller Ciprobay. Mit dem Ausfall von Lipobay war der Niedergang der Sparte vorgezeichnet, die Suche nach einem Partner zum Scheitern verurteilt. Als Folge der Probleme büßte der Bereich Gesundheit in zwei Jahren mehr als eine Mrd. Euro Ertragskraft ein. Die wichtigste Säule des Konzerns verlor ihre Tragfähigkeit. Parallel zum Abstieg des Profikicker des Konzerns, geriet auch das Unternehmen selbst in Gefahr.

Dem neuen Firmenchef Werner Wenning, der im April 2002 das Ruder in Leverkusen übernahm, blieb in dieser Phase wenig anderes übrig als den bislang eher zaghaften Umbau zu forcieren. Dabei ist Wenning in vieler Hinsicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Vorgänger Schneider – beide sind altgediente Bayer-Manager, haben sich von der Pike auf nach oben gearbeitet hatten, sind bodenständig, traditionsbewusst, und – wie es sich für einen Bayer-Chef gehört – passionierte Fußball-Fans. Anders als Schneider, dem der Ruf eines „Analystenhassers“ vorauseilte, brachte Wenning aber Gespür und Sympathie für die neuen Wertmanagement-Konzepte aus der Finanzwelt mit. Die Worte „Kapitaleffizienz“ und „Cash-Flow-Initiativen“ spielten fortan bei Bayer eine wesentlich größere Rolle.

Etliche Veränderungen schon im Vorfeld des Wachwechsels trugen Wennings Handschrift. Dazu gehörte der Übergang auf eine Holding-Struktur mit vier operativen Teilbereichen und drei Service-Einheiten, zum anderen aber auch der beschleunigte Umbau des Portfolios. Nach dem Einbruch bei Pharma konnte der Konzern Verlustbringer nicht mehr mitschleppen, brauchte auf der anderen Seite neue Ertrags- und Cash-Quellen.

Bereits im Oktober 2001, drei Monate nach dem Lipobay-Rückzug, besiegelte der Bayer-Vorstand die Übernahme von Aventis Cropscience, den 7,2 Mrd. Euro größten Zukauf in der Firmengeschichte. Auf einen Schlag katapultierte sich Bayer damit in die Spitzengruppe der Pflanzenschutzbranche. Drei Jahre später gelang mit der Übernahme der OTC-Sparte von Roche ein ähnlicher Schachzug im Bereich rezeptfreie Medikamente, wo Bayer nun ebenfalls eine Führungsposition anstrebt.

Das schwierigste Manöver indessen musste Wenning im Chemiebereich bewältigen, wo die Margen ab 2002 zusehends unter Druck gerieten. Beschränkte sich Bayer zunächst noch auf die Trennung von kleineren Randaktivitäten, setzte Wenning im Herbst 2003 schließlich einen radikaleren, wenn auch in vielen Augen noch immer halbherzigen Schnitt durch, die Abspaltung des Chemikaliengeschäfts und von Teilen des Kunststoffsparte.

Der Löwenanteil des Chemikalien-Geschäfts sowie die schwächeren Sparten der Kunststoff-Aktivitäten, insgesamt rund sechs Mrd. Euro Umsatz, gut eine Mrd. Finanzschulden und 20 000 Bayer-Mitarbeiter wandern in die neue eigenständige Chemiefirma mit dem neuen Namen Lanxess. Die ging dann Anfang 2005 über einen Spin-off an die Börse. Bayer stützt sich seither nur noch auf drei Säulen: Gesundheit, Cropscience (Pflanzenschutz/Saatgut) sowie die neu formierte Sparte „Material Science“, hinter der sich im wesentlichen das Geschäft mit den Kunststoffen Polyurethan und Polycarbonat verbirgt.

Nur mit umfangreichen Beschäftigungsgarantien konnte Wenning die Arbeitnehmervertreter für die Zellteilung bei Bayer gewinnen. Aufsichtsratschef Schneider trug das Konzept zwar mit. „Aber als Vorstandschef wäre er selbst nie so weit gegangen“, sagt ein Aufsichtsrat.

Alles in allem hat Bayer seit den späten 90er Jahren etwa 13 Mrd. Euro Umsatz verkauft oder abgespalten und im Gegenzug mehr als sieben Mrd. Euro zugekauft. Einnahmen von etwa zehn Mrd. Euro aus Desinvestments standen dabei rund 17 Mrd. Euro für Akquisitionen gegenüber. Im Vergleich zu anderen

Auf jeden Fall erscheint Bayer heute in einer deutlich stärkeren Verfassung, um die verbliebenen Hausaufgaben anzugehen, als noch vor zwei Jahren. Immerhin dürfte der operative Gewinn im laufenden Jahr erstmals wieder auf mehr als drei Mrd. Euro steigen. Und den vor Jahren geplanten Personalabbau konnte man jüngst um 1000 Stellen entschärfen. Insofern ist die Welt in Leverkusen also wieder halbwegs in Ordnung. Bayer spielt wieder solide im Mittelfeld – das gilt für den Fußball wie für das Geschäft. Aber um weiter nach oben zu gelangen, wird der Konzernvorstand Strategie und Aufstellung wohl noch das ein oder andere mal überdenken müssen.
Großchemie-Vertretern ging Bayer einen Mittelweg zwischen der BASF, die ihre alte Struktur weitgehend beibehalten hat, und dem Hoechst-Konzern, der sich komplett auflöste.

Durchgängiges Kennzeichen für den Umbau in Leverkusen ist dabei nicht nur der Versuch, Schwachstellen auszumerzen, sondern auch eine Verschiebung in der Risikostruktur des Konzerns. Mit der (nicht ganz freiwilligen) Schrumpfkur im innovativen Arzneimittelgeschäft hat Bayer die Abhängigkeit von der Pharmaforschung reduziert, mit der Trennung von Lanxess die Anfälligkeit für Zyklen in der Chemieindustrie. Im Gegenzug wurden mit Agrochemie und OTC Arbeitsgebiete erweitert, die sich durch relativ hohe Stetigkeit auszeichnen. Bayer ist berechenbarer geworden, hat dafür aber auch ein Stück Phantasie geopfert.

Die Erfolgsbilanz dieser Transformation aus Sicht der Aktionäre hängt dabei stark vom Blickwinkel ab. Gemessen am Tiefpunkt des Jahres 2003, als hohe Wertberichtigungen Bayer den höchsten Fehlbetrag in der Konzerngeschichte bescherten, hat Wenning mit dem Umbau der letzten Jahre einen beeindruckenden Turn-around vollzogen. Immerhin wurde das Ergebnis seither um mehr als drei Mrd. Euro verbessert. Und auch Lanxess entwickelt sich bislang deutlich besser als erwartet, ein Indiz dafür, dass die neue Beweglichkeit tatsächlich Vorteile für die Restrukturierung der Chemieaktivitäten bringt.

Ein Blick auf die längerfristige Entwicklung zeigt indessen, dass Bayer in punkto Ertragskraft gerade erst wieder auf ein Niveau zurückkehrt, auf dem man sich Ende der 90er Jahre schon einmal bewegte. Zudem haben Lipobay und der Umbau durchaus Spuren in der Bilanz hinterlassen. Die Nettoverschuldung ist heute doppelt so hoch wie vor sieben Jahren, die Eigenkapitalquote ein Drittel niedriger. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Wertentwicklung. Seit 2003 hat sich die Bayer-Aktie mehr als verdreifacht. Investoren dagegen, die sich schon Anfang 1998 in der deutschen Großchemie engagierten, sind mit BASF und Hoechst deutlich besser gefahren.

Offen ist, ob der Bayer-Umbau in den kommenden Jahren noch Eigendynamik entfalten wird. Je eigenständiger die drei Teilbereiche agieren, erwarten Experten, desto schwieriger dürfte es auf Dauer werden, die Holding-Struktur zu rechtfertigen. Hinzu kommt: Die großen Service-Einheiten müssen sich erst einmal im Wettbewerb beweisen.

Von fünf Sparten zu drei Säulen
1999
Abschied von Agfa: Bayer bringt die Tochter Agfa an die Börse und zieht sich damit aus dem lange Jahre betriebenen Geschäft mit Fotomaterialien zurück. Den Erlös nutzt der Konzern unter anderem zu Akquisitionen im Bereich Kunststoffe. Inzwischen ist das traditionsreiche Unternehmen Agfa insolvent.

2001
Das Lipobay-Debakel:Bayer muss den Cholesterinsenker Lipobay vom Markt nehmen und verliert damit seinen Wachstumsträger im Pharmageschäft. Der Ausfall zwingt zu harten Sparmaßnahmen und löst eine Flut von Schadensersatzklagen aus. Das Agrogeschäft wird durch den Kauf von Aventis Cropscience verstärkt.

2002
Neuer Chef und neue Struktur: Der Vorstand um Manfred Schneider beschließt eine neue Konzernstruktur mit einer Holding und vier operativen Teilbereichen sowie drei Service-Gesellschaften darunter. Finanzchef Werner Wenning folgt Schneider als Vorstandschef (Foto) und forciert die Ausrichtung auf den Shareholder-Value.

2003
Zell-Teilung: Angesichts wachsender Ertragsprobleme in den Chemiesparten beschließt Bayer, den Bereich Chemikalien und Teile des Kunststoff-Geschäfts in eine neue Gesellschaft auszugliedern. Im Zuge eines Spin-offs geht diese Anfang 2005 unter dem Namen Lanxess als selbständiges Unternehmen an die Börse.

2004
Hoffnung auf Selbstmedikation: Bayer erwirbt für 2,4 Mrd. Euro das OTC- Geschäft des Baseler Roche-Konzerns und baut damit die Position im Bereich rezeptfreie Medikamente kräftig aus. Der Vertrieb von Originalmedikamenten in den Vereinigten Staaten wird überwiegend an den amerikanischen Pharmakonzern Schering-Plough abgegeben.

Quelle: HANDELSBLATT, Montag, 12. Dezember 2005, 17:25 Uhr

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