ftd.de, Mi, 14.8.2002, 2:00
Geldanlage: Auf den Spuren der nächsten Enrons
Von Alexandra Harney
Bilanzskandale im Voraus zu erkennen, wäre für Anleger eine ungeheure Erleichterung. "Forensic Accounting" könnte es möglich machen.
Wie können Anleger die nächsten Enrons oder Worldcoms rechtzeitig erkennen? Unmöglich? Vielleicht doch möglich - mit Hilfe der Techniken der "Forensic Accountants". Diese Prüfer werden bei Betrugsfällen oder Ehestreitigkeiten gerufen, um herauszufinden, was tatsächlich los ist.
Ihr Vorteil: Im Gegensatz zu den Erbsenzählern der größeren Wirtschaftsprüfer sind forensische Prüfer vor Interessenkonflikten gefeit. Denn sie haben keinen riesigen und kostenintensiven Beratungsbereich hinter sich stehen, der nach der Testierung am Geschäft der zu prüfenden Firma interessiert ist. Raj Bairoliya, Geschäftsführer bei Forensic Accounting - einem Unternehmen, das er vor zwei Jahren gründete, nachdem er wegen Interessenkonflikten bei PricewaterhouseCoopers gekündigt hatte - bietet vier Spähhinweise:
1. Informationen über die Firma einholen. Analysten-Reports sind ein Muss. Doch auch mit Web-Suchmaschinen wie Google lassen sich Nachrichten und Artikel über die Firma und deren Chefs finden. Auch kostenpflichtige Dienste wie Lexis-Nexis bieten einen reichhaltigen Fundus - ebenso wie Portale von Finanzzeitungen, die meist günstiger sind. Für an US-Börsen notierte Firmen bietet die amerikanische Börsenaufsicht SEC einen kostenlosen Onlinedienst, mit dem die Firmenaktivitäten seit 1993 zurückverfolgt werden können.
2. Geschäftsbericht und Erläuterungen zu Bilanz und Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV) sorgfältig lesen. Auch misstraut Bairoliya bestimmten Mustern. Ähnliche Umsatz- und Gewinnentwicklungen in jedem Jahr sind in Wirklichkeit die Ausnahme. Rapides Umsatzwachstum wiederum könnte heißen, dass die Produkte "verramscht" werden.
Insgesamt gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten, die Bücher zu fälschen: Gewinne künstlich erhöhen, Ausgaben kaschieren, Zahlungsverpflichtungen nicht in den Büchern ausweisen oder eine Kombination aller Methoden. Wer etwas verstecken will, wird tendenziell größere Posten wählen. Kleinere Beträge können also vernachlässigt werden.
Ein Blick auf die Länge der Erläuterungsabschnitte zu Bilanz und GuV zeigt, wie ernst eine Firma ihre Offenlegungspflicht nimmt. Je kürzer, desto suspekter. Umsichtig zu bilanzieren heißt, präzise zu erklären, wie etwa Umsätze und Einkünfte zustande kommen oder wie Vermögenswerte abgeschrieben werden. Der Erläuterungsabschnitt sollte Wort für Wort mit denen der Mitbewerber verglichen werden. Nachfragen muss die Investor-Relations-Abteilung schlüssig beantworten können.
3. Zahlenmaterial sorgfältig durchgehen. Ist zwar mühselig, aber oft sehr lohnend. Zum Forensic Accounting gehört es auch, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Was ist das wichtigste Geschäft der Firma? Was kostet sie die Erbringung einer Dienstleistung oder die Herstellung eines Produkts? Was bekommt sie dafür? Kann sie - näher betrachtet - bei der Kosten- und Kundenstruktur so viel Geld erwirtschaften wie angegeben? Vergleiche mit Mitbewerbern sind hier dienlich. Wie konnte etwa eine Fluglinie mit dem gleichen Flug viel mehr erwirtschaften als die Konkurrenz?
4. Versuchen, mit dem Management ins Gespräch zu kommen. Obwohl es dem einzelnen Anleger nicht leicht fallen dürfte, einen Termin mit den Unternehmenschefs zu vereinbaren, sollten deren öffentlichen Aussagen mit aller Sorgfalt geprüft werden. Nur wenige Forschungstechniken sind dem menschlichen Instinkt überlegen. Wer aalglatt erscheint, ist es oftmals auch.
Geldanlage: Auf den Spuren der nächsten Enrons
Von Alexandra Harney
Bilanzskandale im Voraus zu erkennen, wäre für Anleger eine ungeheure Erleichterung. "Forensic Accounting" könnte es möglich machen.
Wie können Anleger die nächsten Enrons oder Worldcoms rechtzeitig erkennen? Unmöglich? Vielleicht doch möglich - mit Hilfe der Techniken der "Forensic Accountants". Diese Prüfer werden bei Betrugsfällen oder Ehestreitigkeiten gerufen, um herauszufinden, was tatsächlich los ist.
Ihr Vorteil: Im Gegensatz zu den Erbsenzählern der größeren Wirtschaftsprüfer sind forensische Prüfer vor Interessenkonflikten gefeit. Denn sie haben keinen riesigen und kostenintensiven Beratungsbereich hinter sich stehen, der nach der Testierung am Geschäft der zu prüfenden Firma interessiert ist. Raj Bairoliya, Geschäftsführer bei Forensic Accounting - einem Unternehmen, das er vor zwei Jahren gründete, nachdem er wegen Interessenkonflikten bei PricewaterhouseCoopers gekündigt hatte - bietet vier Spähhinweise:
1. Informationen über die Firma einholen. Analysten-Reports sind ein Muss. Doch auch mit Web-Suchmaschinen wie Google lassen sich Nachrichten und Artikel über die Firma und deren Chefs finden. Auch kostenpflichtige Dienste wie Lexis-Nexis bieten einen reichhaltigen Fundus - ebenso wie Portale von Finanzzeitungen, die meist günstiger sind. Für an US-Börsen notierte Firmen bietet die amerikanische Börsenaufsicht SEC einen kostenlosen Onlinedienst, mit dem die Firmenaktivitäten seit 1993 zurückverfolgt werden können.
2. Geschäftsbericht und Erläuterungen zu Bilanz und Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV) sorgfältig lesen. Auch misstraut Bairoliya bestimmten Mustern. Ähnliche Umsatz- und Gewinnentwicklungen in jedem Jahr sind in Wirklichkeit die Ausnahme. Rapides Umsatzwachstum wiederum könnte heißen, dass die Produkte "verramscht" werden.
Insgesamt gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten, die Bücher zu fälschen: Gewinne künstlich erhöhen, Ausgaben kaschieren, Zahlungsverpflichtungen nicht in den Büchern ausweisen oder eine Kombination aller Methoden. Wer etwas verstecken will, wird tendenziell größere Posten wählen. Kleinere Beträge können also vernachlässigt werden.
Ein Blick auf die Länge der Erläuterungsabschnitte zu Bilanz und GuV zeigt, wie ernst eine Firma ihre Offenlegungspflicht nimmt. Je kürzer, desto suspekter. Umsichtig zu bilanzieren heißt, präzise zu erklären, wie etwa Umsätze und Einkünfte zustande kommen oder wie Vermögenswerte abgeschrieben werden. Der Erläuterungsabschnitt sollte Wort für Wort mit denen der Mitbewerber verglichen werden. Nachfragen muss die Investor-Relations-Abteilung schlüssig beantworten können.
3. Zahlenmaterial sorgfältig durchgehen. Ist zwar mühselig, aber oft sehr lohnend. Zum Forensic Accounting gehört es auch, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Was ist das wichtigste Geschäft der Firma? Was kostet sie die Erbringung einer Dienstleistung oder die Herstellung eines Produkts? Was bekommt sie dafür? Kann sie - näher betrachtet - bei der Kosten- und Kundenstruktur so viel Geld erwirtschaften wie angegeben? Vergleiche mit Mitbewerbern sind hier dienlich. Wie konnte etwa eine Fluglinie mit dem gleichen Flug viel mehr erwirtschaften als die Konkurrenz?
4. Versuchen, mit dem Management ins Gespräch zu kommen. Obwohl es dem einzelnen Anleger nicht leicht fallen dürfte, einen Termin mit den Unternehmenschefs zu vereinbaren, sollten deren öffentlichen Aussagen mit aller Sorgfalt geprüft werden. Nur wenige Forschungstechniken sind dem menschlichen Instinkt überlegen. Wer aalglatt erscheint, ist es oftmals auch.