Von Karl-Heinz Möller
Hamburg - Jahresend-Rally, Wende, Strohfeuer? Nachdem Alan Greenspan als Hüter des Dollars und heimlicher Hirte des US-Wachstumswunders am vergangenen Dienstag die Botschaft einer möglichen Zinssenkung überbrachte, reagierten die Börsen euphorisch. Der Herr des Geldes zündete damit - nach langer Dunkelheit auf dem Parkett - ein erstes Licht an. Auch wenn dessen Intensität zum Wochenschluss wieder nachließ, war die Vorfreude himmlisch groß.
Für Michael Heise, Chefvolkswirt der DG Bank, wäre eine Wende in Frankfurt keine Überraschung: "Die Skepsis an den Börsen passt zurzeit einfach nicht zu der gesamtwirtschaftlichen Situation und schon gar nicht zur Performance vieler großer Unternehmen, die eine hervorragende Geschäftsentwicklung haben", beschreibt er die Lage und hält eine Jahresend-Rally für möglich.
Für die Zurückhaltung der Anleger macht der Ökonom vor allem den bis Anfang des Jahres herrschenden Hype verantwortlich, der prompt ins Gegenteil umgeschlagen sei. Externe unvorhersehbare Einflüsse wie der Ölpreisschock hätten diese Situation extrem verschärft und zum Crash auf Raten geführt.
Die Phase der Skepsis hält Heise spätestens Anfang nächsten Jahres für abgehakt. "Wenn die Konsensus-Prognosen stimmen, die etwa drei Prozent Wirtschaftswachstum für die Indus trieländer voraussagen, wird 2001 ein gutes Jahr für die Aktie", ist der Genossenschaftsbanker überzeugt. Die Frage, ob die privaten Investoren nach den brutalen Abstürzen - vor allem am einstmals viel umjubelten Wachstumssegment Neuer Markt - einen Bogen um die Aktie machen werden, stelle sich nicht. Jüngste Erfahrungen hätten gezeigt, dass Anleger mit einer erstaunlichen Gelassenheit agierten. Natürlich habe es Umschichtungen, zum Beispiel in festverzinsliche Papiere gegeben. Das sei aber nur zu begrüßen, da nun wieder eine realistische Balance in den Depots entstünde.
Generelle Ressentiments gegenüber den Aktien des Neuen Marktes kann sich Heise kaum vorstellen, da die Chancen vieler Werte überzeugten: "Für Anleger, die eine mittelfristige Perspektive haben, muss man optimistisch sein. Es mag in den nächs ten Wochen noch einzelne Rückschläge geben, weil die Stimmung noch nicht vollends gedreht hat. Aber langfristig hat der Neue Markt eine große Zukunft. Und er ist ein Glücksfall für die deutsche Ökonomie. Den Blick weiter nach vorne gerichtet, werden dort viele Unternehmen notiert, die eine gigantische Zukunft vor sich haben. Der Internetboom wird sich zweifellos fortsetzen und gewaltige Rationalisierungseffekte auch in traditionellen Unternehmen erzeugen", sagt Heise.
In den Fokus der Anleger könnten auch wieder die Neuemissionen rücken. Aber sicher nicht nach dem Motto: "The same procedure as last year". Die DG Bank, die bisher zu den fleißigsten Emittenten am Neuen Markt zählt und dabei nicht immer eine glückliche Hand hatte, habe jedenfalls die Messlatte für Börsenkandidaten signifikant höher gelegt. Vorwürfe, es hätte oft zu gierige Unternehmer gegeben, die möglichst viel Geld einsammeln wollten oder Banken, die nur an ihr Geschäft dächten, weist Heise zurück: "Es wäre sehr kurzsichtig, wenn eine Bank um der schnellen Einnahmen Willen gezielt falsche Einstiegskurse ansetze. Dies hätte einen gewaltigen Imageschaden zur Folge. Eine bewusst hoch gerechnete Bookbuildingspanne zu unterstellen, ist einfach abwegig. Unser Fehler war, dass wir aus einer sehr, sehr guten Marktsituation heraus möglicherweise zu optimistisch operierten. Wir hatten zwar im Frühjahr eine Marktkorrektur von bis zu 50 Prozent vorausgesagt, aber der Crash schlug noch stärker durch, als wir es befürchtet hatten."
Erstaunlich sei dabei im Nachhinein, wie schnell sich in Deutschland eine hohe Bereitschaft zum Risiko gebildet habe. Die Sorgen, dass mit den Vermögensverlusten auch die frisch gewachsene Aktienkultur in Deutschland und Europa wieder zerstört werden könnte, seien wenig begründet. Anleger hätten die Zuwächse im Depot zum Teil als Buchgewinne identifiziert und ihre Konsumpläne in den seltens ten Fällen darauf ausgerichtet.
Die scharfe Korrektur an der Börse habe im Übrigen auch Spuren bei den Start-ups und deren Bereitschaft zum Going-Public hinterlassen. Nach dem Ergebnis einer von der DG Bank durchgeführten Umfrage unter potenziellen Parkettneulingen ist die Euphorie, den Gang an die Börse bald zu wagen, einer realistischeren Einschätzung gewichen. Was nicht bedeute, dass gar kein Interesse mehr bestünde.
Ein gewichtige Rolle im Anlegerverhalten wird im kommenden Jahr die bevorstehende Einführung des Euro spielen. Sorgen bereitet dem Nationalökonomen dabei vor allem der Außenwert des Euro, dessen Niedergang die Menschen sehr verunsichere. Darunter habe - wie jüngste Umfragen zeigten - nicht nur die Währungsunion gelitten. Heise: "Viele Bürger stellen inzwischen das ganze europäische Modell in Frage. Es muss etwas für den Euro getan werden. Das ist nicht nur eine Botschaft, die sich an die Notenbank richtet. Auch die europäische Wirtschaftspolitik muss sich umorientieren und die Belange des internationalen Kapitalmarkts stärker berücksichtigen. Diese Erkenntnis ist auch in der Politik inzwischen vorhanden, aber geschehen ist bislang noch recht wenig."
Zu Irritationen hatte auch die totale Fehleinschätzung der Experten geführt. Wie konnte sich ein ganzer Berufsstand so irren? Heise: "Eine Gemeinschaftswährung wie den Euro hat es vorher noch nie gegeben, das war für alle absolutes Neuland. Hinzu kommt, dass die Performance der amerikanischen Wirtschaft uns immer wieder überrascht hat. Die falschen Konjunkturprognosen haben sich dann als Prognosefehler beim Euro niedergeschlagen. Immer wieder wurde eine Verringerung des Zins- und Wachstumsdifferenzials im Vergleich zu den USA prognostiziert, die dann doch nicht eintraf. Das sicherte dem Dollar seine Position. Vielleicht hat sich bei der einen oder anderen Prognose auch ein wenig Wunschdenken eingeschlichen." Eine Parität des Euro gegenüber dem US-Dollar hält Heise für eine langfristig faire Bewertung, zur Mark könnte ein Euro zwischen 1,90 und 1,95 liegen.
Sollte die europäische Gemeinschaftswährung dieses Ziel erreichen, und auch die Börse den Analysen des DG-Volkswirten folgen - Heise schätzt den Dax für Ende nächsten Jahres 1500 Punkte höher ein als jetzt - können die Anleger auf bessere Zeiten hoffen. Den Nemax sieht das DG-Aktien-Research in Richtung 6000 Punkte aufbrechen - möglicherweise schon in der ersten Jahreshälfte.
Aber bei Prognosen ist Vorsicht geboten. Und die DG-Bank gehörte meistens zu den Optimisten; zum Beispiel Ende September, als sie für das Jahresende einen Nemax-Stand von 7000 Punkten erwartete. Wie sagte Kurt Tucholsky: "Prognosen sind besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen."
Hamburg - Jahresend-Rally, Wende, Strohfeuer? Nachdem Alan Greenspan als Hüter des Dollars und heimlicher Hirte des US-Wachstumswunders am vergangenen Dienstag die Botschaft einer möglichen Zinssenkung überbrachte, reagierten die Börsen euphorisch. Der Herr des Geldes zündete damit - nach langer Dunkelheit auf dem Parkett - ein erstes Licht an. Auch wenn dessen Intensität zum Wochenschluss wieder nachließ, war die Vorfreude himmlisch groß.
Für Michael Heise, Chefvolkswirt der DG Bank, wäre eine Wende in Frankfurt keine Überraschung: "Die Skepsis an den Börsen passt zurzeit einfach nicht zu der gesamtwirtschaftlichen Situation und schon gar nicht zur Performance vieler großer Unternehmen, die eine hervorragende Geschäftsentwicklung haben", beschreibt er die Lage und hält eine Jahresend-Rally für möglich.
Für die Zurückhaltung der Anleger macht der Ökonom vor allem den bis Anfang des Jahres herrschenden Hype verantwortlich, der prompt ins Gegenteil umgeschlagen sei. Externe unvorhersehbare Einflüsse wie der Ölpreisschock hätten diese Situation extrem verschärft und zum Crash auf Raten geführt.
Die Phase der Skepsis hält Heise spätestens Anfang nächsten Jahres für abgehakt. "Wenn die Konsensus-Prognosen stimmen, die etwa drei Prozent Wirtschaftswachstum für die Indus trieländer voraussagen, wird 2001 ein gutes Jahr für die Aktie", ist der Genossenschaftsbanker überzeugt. Die Frage, ob die privaten Investoren nach den brutalen Abstürzen - vor allem am einstmals viel umjubelten Wachstumssegment Neuer Markt - einen Bogen um die Aktie machen werden, stelle sich nicht. Jüngste Erfahrungen hätten gezeigt, dass Anleger mit einer erstaunlichen Gelassenheit agierten. Natürlich habe es Umschichtungen, zum Beispiel in festverzinsliche Papiere gegeben. Das sei aber nur zu begrüßen, da nun wieder eine realistische Balance in den Depots entstünde.
Generelle Ressentiments gegenüber den Aktien des Neuen Marktes kann sich Heise kaum vorstellen, da die Chancen vieler Werte überzeugten: "Für Anleger, die eine mittelfristige Perspektive haben, muss man optimistisch sein. Es mag in den nächs ten Wochen noch einzelne Rückschläge geben, weil die Stimmung noch nicht vollends gedreht hat. Aber langfristig hat der Neue Markt eine große Zukunft. Und er ist ein Glücksfall für die deutsche Ökonomie. Den Blick weiter nach vorne gerichtet, werden dort viele Unternehmen notiert, die eine gigantische Zukunft vor sich haben. Der Internetboom wird sich zweifellos fortsetzen und gewaltige Rationalisierungseffekte auch in traditionellen Unternehmen erzeugen", sagt Heise.
In den Fokus der Anleger könnten auch wieder die Neuemissionen rücken. Aber sicher nicht nach dem Motto: "The same procedure as last year". Die DG Bank, die bisher zu den fleißigsten Emittenten am Neuen Markt zählt und dabei nicht immer eine glückliche Hand hatte, habe jedenfalls die Messlatte für Börsenkandidaten signifikant höher gelegt. Vorwürfe, es hätte oft zu gierige Unternehmer gegeben, die möglichst viel Geld einsammeln wollten oder Banken, die nur an ihr Geschäft dächten, weist Heise zurück: "Es wäre sehr kurzsichtig, wenn eine Bank um der schnellen Einnahmen Willen gezielt falsche Einstiegskurse ansetze. Dies hätte einen gewaltigen Imageschaden zur Folge. Eine bewusst hoch gerechnete Bookbuildingspanne zu unterstellen, ist einfach abwegig. Unser Fehler war, dass wir aus einer sehr, sehr guten Marktsituation heraus möglicherweise zu optimistisch operierten. Wir hatten zwar im Frühjahr eine Marktkorrektur von bis zu 50 Prozent vorausgesagt, aber der Crash schlug noch stärker durch, als wir es befürchtet hatten."
Erstaunlich sei dabei im Nachhinein, wie schnell sich in Deutschland eine hohe Bereitschaft zum Risiko gebildet habe. Die Sorgen, dass mit den Vermögensverlusten auch die frisch gewachsene Aktienkultur in Deutschland und Europa wieder zerstört werden könnte, seien wenig begründet. Anleger hätten die Zuwächse im Depot zum Teil als Buchgewinne identifiziert und ihre Konsumpläne in den seltens ten Fällen darauf ausgerichtet.
Die scharfe Korrektur an der Börse habe im Übrigen auch Spuren bei den Start-ups und deren Bereitschaft zum Going-Public hinterlassen. Nach dem Ergebnis einer von der DG Bank durchgeführten Umfrage unter potenziellen Parkettneulingen ist die Euphorie, den Gang an die Börse bald zu wagen, einer realistischeren Einschätzung gewichen. Was nicht bedeute, dass gar kein Interesse mehr bestünde.
Ein gewichtige Rolle im Anlegerverhalten wird im kommenden Jahr die bevorstehende Einführung des Euro spielen. Sorgen bereitet dem Nationalökonomen dabei vor allem der Außenwert des Euro, dessen Niedergang die Menschen sehr verunsichere. Darunter habe - wie jüngste Umfragen zeigten - nicht nur die Währungsunion gelitten. Heise: "Viele Bürger stellen inzwischen das ganze europäische Modell in Frage. Es muss etwas für den Euro getan werden. Das ist nicht nur eine Botschaft, die sich an die Notenbank richtet. Auch die europäische Wirtschaftspolitik muss sich umorientieren und die Belange des internationalen Kapitalmarkts stärker berücksichtigen. Diese Erkenntnis ist auch in der Politik inzwischen vorhanden, aber geschehen ist bislang noch recht wenig."
Zu Irritationen hatte auch die totale Fehleinschätzung der Experten geführt. Wie konnte sich ein ganzer Berufsstand so irren? Heise: "Eine Gemeinschaftswährung wie den Euro hat es vorher noch nie gegeben, das war für alle absolutes Neuland. Hinzu kommt, dass die Performance der amerikanischen Wirtschaft uns immer wieder überrascht hat. Die falschen Konjunkturprognosen haben sich dann als Prognosefehler beim Euro niedergeschlagen. Immer wieder wurde eine Verringerung des Zins- und Wachstumsdifferenzials im Vergleich zu den USA prognostiziert, die dann doch nicht eintraf. Das sicherte dem Dollar seine Position. Vielleicht hat sich bei der einen oder anderen Prognose auch ein wenig Wunschdenken eingeschlichen." Eine Parität des Euro gegenüber dem US-Dollar hält Heise für eine langfristig faire Bewertung, zur Mark könnte ein Euro zwischen 1,90 und 1,95 liegen.
Sollte die europäische Gemeinschaftswährung dieses Ziel erreichen, und auch die Börse den Analysen des DG-Volkswirten folgen - Heise schätzt den Dax für Ende nächsten Jahres 1500 Punkte höher ein als jetzt - können die Anleger auf bessere Zeiten hoffen. Den Nemax sieht das DG-Aktien-Research in Richtung 6000 Punkte aufbrechen - möglicherweise schon in der ersten Jahreshälfte.
Aber bei Prognosen ist Vorsicht geboten. Und die DG-Bank gehörte meistens zu den Optimisten; zum Beispiel Ende September, als sie für das Jahresende einen Nemax-Stand von 7000 Punkten erwartete. Wie sagte Kurt Tucholsky: "Prognosen sind besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen."