Angriff aufs Steuerparadies

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Angriff aufs Steuerparadies

 
15.06.03 13:07
Die OECD will die Schweiz für ausländische Holdings weniger attraktiv machen und setzt Bern massiv unter Druck - schlechte Nachricht für Kantone wie Zug oder Schwyz
Die OECD charakterisiert die Schweizer Steuerprivilegien für Holdinggesellschaften als schädlichen Steuerwettbewerb. Bundesrat Villiger spricht von einem «Affront», klärt aber bei den Kantonen die Bereitschaft zu Konzessionen ab.
 

Erich Aschwanden

Nach der Einigung mit der EU über die Zinsbesteuerung gehen - entgegen den Erwartungen des Bundesrates - die Angriffe auf den Finanzplatz Schweiz weiter. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hat unter dem Schlagwort des «schädlichen Steuerwettbewerbes» den Holdings den Kampf angesagt, die aus Steuergründen ihren Sitz in die Schweiz verlegen.

Wie die NZZ am 7. Mai berichtete, hat das «Forum on Harmful Tax Practices» für den OECD-Fiskalausschuss den Entwurf einer schwarzen Liste all jener Staaten erstellt, die solche angeblich schädlichen Praktiken anwenden. Grosses Erstaunen hat es in Bern ausgelöst, dass die Schweiz als einziges Land auf dieser Liste figuriert; bekannte Steuerparadiese wie die britischen Kanalinseln oder die niederländischen Antillen sucht man vergebens. Kaspar Villiger bezeichnete dieses Vorgehen an der letzten Sitzung der Finanzdirektorenkonferenz (FDK) gemäss FDK- Sekretär Kurt Stalder als «Affront».

Das Finanzdepartement sondiert derzeit intensiv, wie die Schweiz ein definitives OECD-Verdikt verhindern kann. Wie Robert Waldburger, Vizedirektor der Eidgenössischen Steuerverwaltung, erklärte, ist die Sünderliste vom massgeblichen Fiskalkomitee noch nicht abgesegnet worden. Wenn sich ab dem 19. Juni das Komitee damit befasst, wird die Schweiz ihre Bedenken vorbringen. Sollte unser Land trotzdem auf der Liste verbleiben, könnte es die Publikation mit einem Veto verhindern. Zu diesem Mittel möchte man in Bern aber nicht greifen, da dies dem Image des Finanzplatzes Schweiz schaden würde. Zu den Adressaten der Sondierungen des Finanzdepartements gehören auch die Kantone. Vom Ertrag der Vorzugsbesteuerung profitieren sie in Form von 30% der direkten Bundessteuern. In den Genuss von Steuerprivilegien kommen gemäss dem Steuerharmonisierungsgesetz Holding-, Verwaltungs- und Domizilgesellschaften, die ihren Hauptsitz zwar in der Schweiz haben, hier aber keine oder eine nur geringe Geschäftstätigkeit ausüben. Sie sind von den kantonalen Gewinnsteuern ganz befreit, oder ihre Gewinne werden «nur nach Massgabe der Bedeutung der Verwaltungstätigkeit in der Schweiz» besteuert. Gegenwärtig sind Schaffhausen, Zug, Appenzell Ausserrhoden, Graubünden und Schwyz mit niedrigen Steuersätzen besonders attraktiv. In Zug gibt es gemäss Finanzdirektor Peter Hegglin 3500 solche Domizilgesellschaften.

Vergangene Woche orientierte Robert Waldburger, der die Verhandlungen mit der OECD leitet, die Konferenz der Finanzdirektoren über den Stand der Dinge. Wie FDK-Sekretär Stalder erklärt, warf er dabei die Frage auf, ob es nicht klüger wäre, wenn gewisse Kantone Einschränkungen ihrer speziellen Steuerregime in Kauf nähmen, um OECD-Retorsionsmassnahmen zu vermeiden. Im Klartext heisst das, dass diese Kantone ihre bisher grosszügige Praxis einschränken oder allenfalls die Steuerprivilegien ganz zur Disposition stellen müssten. Diskutiert wird auch, ob die Schweiz Informationen über Holdinggesellschaften erteilen soll, wenn konkrete Anfragen aus OECD- Staaten vorliegen. Bisher hat man sich geweigert, dies zu tun.

Das Finanzdepartement sähe es offenbar nicht ungern, wenn die Kantone ihre Praxis vereinheitlichten, so dass nicht mehr einzelne Kantone wegen ihres lockeren Umgangs mit Steuerprivilegien und Ausnahmeregelungen spezielle Angriffsflächen böten. Gemäss Stalder wurden die Finanzdirektoren aufgefordert, bis im September eine Lagebeurteilung vorzunehmen und zuhanden des Bundes «eine gefestigte Stellungnahme» abzugeben.

Kuno Hämisegger, Delegierter für Public Affairs der Schweizerischen Bankiervereinigung, begegnet diesen Bemühungen mit Misstrauen. Er rät, sich von den Druckversuchen nicht beeindrucken zu lassen: «Unter dem Deckmantel der OECD betreibt vor allem Grossbritannien reine Wettbewerbspolitik. Wir dürfen uns nun nicht präventiv Asche aufs Haupt streuen.» Auch CVP-Präsident Philipp Stähelin, der früher Thurgauer Finanzdirektor war, warnt vor einer zu nachgiebigen Haltung: «Ich befürchte, dass OECD und EU letztlich das Prinzip der Steuerprivilegien im Visier haben.» Dies hätte negative Folgen für das Steueraufkommen und den Wirtschaftsstandort Schweiz allgemein.

Begrüsst werden die Bemühungen von Bund und Kantonen dagegen von Peter Baumgartner, dem stellvertretenden Direktor der Industrie-Holding. In dieser Vereinigung sind 35 Schweizer Grossunternehmen von ABB über Nestlé bis zur Swisscom zusammengeschlossen. «Wir sind froh, dass nun gewisse kantonale Praktiken überprüft werden, wie wir es seit langem fordern. Die Schweiz kann sich dadurch viel Goodwill schaffen», erklärt Baumgartner. Sollte dies nicht geschehen, befürchtet er Retorsionsmassnahmen. Dazu übergegangen ist bereits Italien. Seit 2002 können italienische Firmen Zahlungen, die über Länder mit speziellen Steuerprivilegien fliessen, steuerlich nicht mehr absetzen, ausser sie liefern umfassende Informationen über die Zahlungen ab. Gemäss Baumgartner könnte die OECD andern Staaten ähnliche Massnahmen empfehlen.

Ob und inwieweit die Schweiz der OECD bis zum formellen Entscheid über die schwarze Liste am 1. Juli entgegenkommen wird, bezeichnet Waldburger als «Verhandlungssache». Mehr als eine Absichtserklärung, gewisse Praktiken unter die Lupe zu nehmen, dürfte bis dahin kaum möglich sein. Doch damit gewinnt man nur eine Atempause bis zum Herbst. Dann wird sich der Bundesrat entscheiden müssen, ob er eine harte Haltung einnehmen und ein Veto riskieren will oder ob er den neusten Angriff auf den Finanzplatz Schweiz mit Konzessionen abzuwehren versucht.
 

NZZ
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