Niemand gibt soviel Geld für Rüstung aus wie die USA. Doch Europas Waffenschmieden sind chancenlos - die US-Militärs trauen ihnen nicht
Auf Coasters Harbour Island tobt der Krieg der Zukunft - unsichtbar. Die amerikanische Navy unterhält auf der idyllischen Insel drei Zugstunden nördlich von New York ihr Zentrum für Kriegssimulationen. Im Eingang hat jemand ein Foto des World Trade Center aufgestellt, im Schaukasten an der Wand hängt ein Buch mit dem Titel Taliban, an der Tür zum "War Games Room" steht "Multi-Krisen-Szenario". Vorbereitungen für einen Weltkrieg. Hinein darf man nicht. "Alles geheim", sagt der Sprecher, Leutnant David Ausiello.
Doch auch so ist klar, dass der Krieg der Zukunft teuer wird. George W. Bush will im kommenden Jahr seinen Verteidigungetat um 13 Prozent erhöhen - ein Plus von 46 Milliarden Dollar. Das ist mehr Geld, als Großbritannien und Italien zusammen für Waffen ausgeben können. Vor Kadetten in South Carolina geriet der US-Präsident beinahe ins Schwärmen, als er über den "American Way of War" sprach: über "vernetzte Kriege", von denen Afghanistan einen ersten Eindruck bekam. B2-Stealth-Bomber, die aus großer Höhe ihre Präzisionswaffen fallen lassen. Unbemannte Drohnen, die Informationen vom Schlachtfeld ins Weiße Haus beamen und als ferngelenkte Kriegsroboter Waffen abfeuern. Bodentruppen, die per Laserstift und Satellitenfunk die Raketen anfordern.
Mögliches erstes Opfer der amerikanischen High-Tech-Aufrüstung: die Waffenschmieden in Europa. US-Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin, United Technologies, Boeing und Raytheon stellen sich in diesen Tagen auf eine Flut von Aufträgen ein. Bei europäischen Branchenkollegen bricht hingegen Alarmstimmung aus. "Die europäische Industrie kann großen Schaden nehmen", glaubt Alexandra Ashbourne von Ashbourne Beaver Associates aus London. Sie berät Rüstungsunternehmen wie British Aerospace Systems (BAES) und EADS. Die Europäer rüsten seit Jahrzehnten langsamer als die Amerikaner, seit dem Ende des Kalten Krieges mussten sich die europäischen Verteidigungskonzerne mit immer kleineren Aufträgen abfinden. Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) sanken die Verteidigungsausgaben in Westeuropa während der neunziger Jahre um 15 Prozent. Jetzt geht die Angst um, völlig den Anschluss zu verlieren. "Es ist höchste Zeit für Europa, sich den amerikanischen Ausgaben im Rüstungsbereich anzupassen", forderte BAES-Chef Sir Richard Evans die europäischen Regierungen auf.
In Deutschland musste Rudolf Scharping einen politischen Großkampf führen, um das dringend benötigte Transportflugzeug A400M anzuschaffen; eine nennenswerte Erhöhung der jährlichen Verteidigungsausgaben von gegenwärtig 24,4 Milliarden Euro ist allerdings nicht in Sicht. Nicht mal die streitbaren Briten halten mit den Amerikanern mit. Ihr Rüstungshaushalt ist zwar mit 24 Milliarden Pfund der größte in Europa - aber die zahlreichen Einsätze an der Seite der USA haben viel davon verschlungen. Britische Militärexperten zweifeln, ob die Generäle in den kommenden Jahren ihre lange Wunschliste für Neuanschaffungen (zwei Flugzeugträger, ein neues Transportflugzeug, ein Kampfjet, ein Radarsystem) erfüllt bekommen - auf der Prioritätenskala von Schatzkanzler Gordon Brown stehen Verteidigungsausgaben weit hinter Gesundheit und Transport.
US-Waffen sind billiger
Geldmangel ist nur ein Teil des Problems. Obwohl die Europäer seit Jahrzehnten von einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik reden und eines Tages Waffen kostensparend gemeinsam anschaffen wollen, handeln sie vorerst weiter national. "Der europäische Rüstungsmarkt hat eine durchaus respektable Größe", sagt Michael O'Hanlon, Rüstungsexperte bei der Brookings Institution in Washington "aber er ist zu fragmentiert." Fusionen in der Rüstungsbranche hat es gegeben, aber überzeugende paneuropäische Konzerne sind dabei nicht entstanden: British Aerospace und Marconi schlossen sich zu einer rein britischen Gruppe zusammen, das Konglomerat EADS mit deutscher, französischer und spanischer Beteiligung ist innerlich zerrissen. Von einer gemeinsamen Beschaffungspolitik ist nichts zu sehen: Bei Flugzeugen etwa schicken die Franzosen gegen das EADS-Paradeprojekt Eurofighter ihren eigenen Rafale-Jet an den Start, gebaut von der teilstaatlichen Thales-Gruppe und natürlich von den französischen Militärs eingekauft. Die Schweden bauen ebenfalls ein eigenes Flugzeug, den Gripen. "Bis sich das ändert, werden noch Zeitalter vergehen", sagt Jordi Molas-Gallart, Rüstungsexperte an der Universität Sussex.
Der amerikanische Botschafter bei der Nato, Nicholas Burns, sprach kürzlich vom Risiko einer "Allianz, die so unbalanciert ist, dass wir vielleicht nicht mehr effektiv zusammen kämpfen können". Branchenlobbyisten warnen, dass an der Verteidigungsindustrie in Europa 1,26 Millionen Arbeitsplätze hängen. Das Know-how zum Bau moderner Waffen steht auf dem Spiel. Rainer Hertrich, der deutsche Kochef bei EADS, sieht die Europäer bislang noch "technologisch zu 90 Prozent gleichauf mit den Amerikanern". Doch in Schlüsselbereichen wie Flugzeugbau, intelligenter Munition und Schlachtkommunikation hinkt die Alte Welt bereits hinterher. Heute seien die amerikanischen Forschungsbudgets gut viermal so groß wie die in Europa, sagt Joachim Rohde, Rüstungsexperte beim Wissenschaftszentrum Berlin.
Um neue Generationen von Waffen entwickeln und herstellen zu können, sind die Konzerne auf Gedeih und Verderb von den Aufträgen ihrer überwiegend heimischen Kundschaft angewiesen - Generäle und Minister. Die Entwicklungsrisiken sind hoch: Wenn man moderne Waffen mit zivilen Produkten wie Autos oder Spülmaschinen vergleicht, sind ihre Stückzahlen enorm gering, aber die Produktionskosten pro Stück extrem hoch.
Einen traditionellen Vorteil am Waffenmarkt konnten die Europäer bislang behalten: Sie machen Geschäfte in Ländern, die ihren US-Konkurrenten versperrt sind. Länderboykotte gehören für die US-Regierung zu den bevorzugten Instrumenten der Außenpolitik, doch Franzosen und Briten unterhalten viele enge Beziehungen in ihre ehemaligen Kolonialreiche. British Aerospace lebte jahrzehntelang von seinen lukrativen Liefer- und Wartungsverträgen mit den Prinzen Saudi-Arabiens und scheute kürzlich nicht einmal davor zurück, für 40 Millionen Dollar ein Luftüberwachungssystem an Tansania zu verkaufen. Nun hoffen die Briten auf ein Flugzeuggeschäft mit Indien.
Diese Art der Exportorientierung passt allerdings schlecht zu einer anderen Strategie der europäischen Konzerne: dem Sprung über den Atlantik. "Zugang zum US-Markt ist die einzige Chance für die europäischen Konzerne", glaubt Jay Farrar, Rüstungsexperte am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington. Und auch Phillipe Camus, Mitchef von EADS, sieht "die Zukunft in den USA".
Das Problem ist nur: Europäische Waffenproduzenten treffen in den USA regelmäßig auf eine geschlossene Gesellschaft - und seit dem 11. September ist alles noch schlimmer geworden. Schon bisher konnten europäische Hersteller Pentagon-Aufträge nur ergattern, wenn sie weitreichende Auflagen erfüllten. In der Regel gehörte dazu, eine US-Tochtergesellschaft mit rein amerikanischem Management zu gründen und große Teile der Produktion in die Neue Welt zu verlegen. "Unsere Exportrichtlinien sind immer noch im Geist des Kalten Krieges formuliert", glaubt John Hamre, Chef des CSIS, der sich als Vizeverteidigungsminister Bill Clintons erfolglos für eine Ausweitung der transatlantischen Rüstungskooperation stark gemacht hatte. Heute geht mehr denn je die Angst um, dass das US-Know-how durch internationale Partnerschaften irgendwann im Irak, in Syrien oder im Iran landet. Und erst letzte Woche forderte das amerikanische Verteidigungsministerium, bei sämtlichen Überseefusionen amerikanischer Unternehmen - nicht in der Verteidigungsbranche - ein Wörtchen mitreden zu dürfen.
Im Pentagon und auf dem Capitol traut man allenfalls den Briten über den Weg: BAES ist es gelungen, sich durch fleißigen Einkauf kleinerer US-Unternehmen und einer Lockheed-Tochter zum fünftgrößten Lieferanten der US-Streitkräfte aufzuschwingen. Doch bei den Franzosen hört für viele US-Militärs der Spaß schon auf. In Washington herrsche "bei vielen einfach ein großes Misstrauen", sagt Catherine Kelleher, Rüstungsexpertin am Center for Naval Warfare Studies in Newport.
Amerikas Militärkomplex hat weniger Grund denn je, freundlich zu sein. Weil der Präsident so ausgabenfreudig ist, fehlt der Druck, Kosten auf Partner umzulegen. Dafür gewinnen, wie immer in Krisenzeiten, geopolitische Argumente an Gewicht: dass es sicherer sei, wesentliche Militärgüter auf eigenem Boden zu fertigen. Obendrein verstärkt die wirtschaftliche Flaute "Buy American"-Tendenzen. Gerade erst entschied George W. Bush, mehr Geld für das teure amerikanische Artilleriesystem Crusader auszugeben - obwohl Militärexperten die billigere deutsche Panzerhaubitze für sinnvoller halten. "Die Europäer sagen oft, dass der Rüstungshandel mit den Amerikanern eine Einbahnstraße sei", erzählt ein ehemaliger Beschaffungsberater im Pentagon. "Da haben sie Recht."
So drohen europäische Waffenschmieden zu Lieferanten der zweiten Reihe zu verkommen, die Nischengüter und Bauteile für andernorts entwickelte Waffensysteme herstellen - was die Europäer dann militärisch und technologisch noch stärker von den USA abhängig machen würde. Selbst dieser Geschäftszweig könnte an Bedeutung verlieren, wenn die Europäer eines Tages keine innovative Technik mehr zu liefern haben. Manchmal, wenn europäische Firmen zu großen Ausschreibungen des Pentagon gebeten werden, ist das heute schon bloße Taktik: Die US-Rüstungskonzerne haben sich in den neunziger Jahren zu so wenigen Produzenten zusammengeschlossen, dass sich für den Geschmack des Pentagon zu wenige Konkurrenten an Ausschreibungen beteiligen. Dann sind Gebote aus Europa oder von gemeinsamen US-europäischen Konsortien willkommen, um den heimischen Lieferanten Beine zu machen.
Wenn die Amerikaner ihre Verbündeten nicht am langen Arm vertrocknen lassen werden, könnte das vor allem politische Gründe haben. "Die USA werden internationale Rüstungskooperationen weiterhin als eine Schlüsselkomponente ihrer Sicherheitsstrategie nutzen", glaubt der Verteidigungsexperte Peter Dombrowski vom Center for Naval Warfare Studies in Newport. Wenn die ganze westliche Welt die gleichen, amerikanisch entworfenen Waffen benutze, ließe sich besser Seite an Seite kämpfen. Und die Europäer könnten sich in diesem Szenario sogar mehr Waffen leisten - denn im Zweifel sind die US-Produkte wegen der hohen Stückzahlen günstiger.
Ein Paradebeispiel für diese Art ungleicher Zusammenarbeit ist der Joint Strike Fighter, ein bei Lockheed entwickeltes, kleines und wendiges Kampfflugzeug. Es soll in der Rekordzahl von 3000 bis 6000 Stück produziert werden (zum Vergleich: EADS plant derzeit den Bau von 620 Eurofightern), und europäische Länder werden in Teile der Entwicklung und Fertigung eingebunden, allen voran die Briten. Trotzdem: "Der Joint Strike Fighter ist ein amerikanisches Flugzeug", so der britische Verteidigungsexperte Christopher Wrigley. "Das Projekt ist voll und ganz vom US-Kongress abhängig, der jederzeit die Mittel streichen könnte." Doch wozu sollte er das tun? Die Europäer bezahlen für das künftige "Hauptinstrument der globalen militärischen Hegemonie der USA" (Wrigley) ja kräftig mit - nach Schätzungen etwa ein Drittel.
zeit.de
Auf Coasters Harbour Island tobt der Krieg der Zukunft - unsichtbar. Die amerikanische Navy unterhält auf der idyllischen Insel drei Zugstunden nördlich von New York ihr Zentrum für Kriegssimulationen. Im Eingang hat jemand ein Foto des World Trade Center aufgestellt, im Schaukasten an der Wand hängt ein Buch mit dem Titel Taliban, an der Tür zum "War Games Room" steht "Multi-Krisen-Szenario". Vorbereitungen für einen Weltkrieg. Hinein darf man nicht. "Alles geheim", sagt der Sprecher, Leutnant David Ausiello.
Doch auch so ist klar, dass der Krieg der Zukunft teuer wird. George W. Bush will im kommenden Jahr seinen Verteidigungetat um 13 Prozent erhöhen - ein Plus von 46 Milliarden Dollar. Das ist mehr Geld, als Großbritannien und Italien zusammen für Waffen ausgeben können. Vor Kadetten in South Carolina geriet der US-Präsident beinahe ins Schwärmen, als er über den "American Way of War" sprach: über "vernetzte Kriege", von denen Afghanistan einen ersten Eindruck bekam. B2-Stealth-Bomber, die aus großer Höhe ihre Präzisionswaffen fallen lassen. Unbemannte Drohnen, die Informationen vom Schlachtfeld ins Weiße Haus beamen und als ferngelenkte Kriegsroboter Waffen abfeuern. Bodentruppen, die per Laserstift und Satellitenfunk die Raketen anfordern.
Mögliches erstes Opfer der amerikanischen High-Tech-Aufrüstung: die Waffenschmieden in Europa. US-Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin, United Technologies, Boeing und Raytheon stellen sich in diesen Tagen auf eine Flut von Aufträgen ein. Bei europäischen Branchenkollegen bricht hingegen Alarmstimmung aus. "Die europäische Industrie kann großen Schaden nehmen", glaubt Alexandra Ashbourne von Ashbourne Beaver Associates aus London. Sie berät Rüstungsunternehmen wie British Aerospace Systems (BAES) und EADS. Die Europäer rüsten seit Jahrzehnten langsamer als die Amerikaner, seit dem Ende des Kalten Krieges mussten sich die europäischen Verteidigungskonzerne mit immer kleineren Aufträgen abfinden. Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) sanken die Verteidigungsausgaben in Westeuropa während der neunziger Jahre um 15 Prozent. Jetzt geht die Angst um, völlig den Anschluss zu verlieren. "Es ist höchste Zeit für Europa, sich den amerikanischen Ausgaben im Rüstungsbereich anzupassen", forderte BAES-Chef Sir Richard Evans die europäischen Regierungen auf.
In Deutschland musste Rudolf Scharping einen politischen Großkampf führen, um das dringend benötigte Transportflugzeug A400M anzuschaffen; eine nennenswerte Erhöhung der jährlichen Verteidigungsausgaben von gegenwärtig 24,4 Milliarden Euro ist allerdings nicht in Sicht. Nicht mal die streitbaren Briten halten mit den Amerikanern mit. Ihr Rüstungshaushalt ist zwar mit 24 Milliarden Pfund der größte in Europa - aber die zahlreichen Einsätze an der Seite der USA haben viel davon verschlungen. Britische Militärexperten zweifeln, ob die Generäle in den kommenden Jahren ihre lange Wunschliste für Neuanschaffungen (zwei Flugzeugträger, ein neues Transportflugzeug, ein Kampfjet, ein Radarsystem) erfüllt bekommen - auf der Prioritätenskala von Schatzkanzler Gordon Brown stehen Verteidigungsausgaben weit hinter Gesundheit und Transport.
US-Waffen sind billiger
Geldmangel ist nur ein Teil des Problems. Obwohl die Europäer seit Jahrzehnten von einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik reden und eines Tages Waffen kostensparend gemeinsam anschaffen wollen, handeln sie vorerst weiter national. "Der europäische Rüstungsmarkt hat eine durchaus respektable Größe", sagt Michael O'Hanlon, Rüstungsexperte bei der Brookings Institution in Washington "aber er ist zu fragmentiert." Fusionen in der Rüstungsbranche hat es gegeben, aber überzeugende paneuropäische Konzerne sind dabei nicht entstanden: British Aerospace und Marconi schlossen sich zu einer rein britischen Gruppe zusammen, das Konglomerat EADS mit deutscher, französischer und spanischer Beteiligung ist innerlich zerrissen. Von einer gemeinsamen Beschaffungspolitik ist nichts zu sehen: Bei Flugzeugen etwa schicken die Franzosen gegen das EADS-Paradeprojekt Eurofighter ihren eigenen Rafale-Jet an den Start, gebaut von der teilstaatlichen Thales-Gruppe und natürlich von den französischen Militärs eingekauft. Die Schweden bauen ebenfalls ein eigenes Flugzeug, den Gripen. "Bis sich das ändert, werden noch Zeitalter vergehen", sagt Jordi Molas-Gallart, Rüstungsexperte an der Universität Sussex.
Der amerikanische Botschafter bei der Nato, Nicholas Burns, sprach kürzlich vom Risiko einer "Allianz, die so unbalanciert ist, dass wir vielleicht nicht mehr effektiv zusammen kämpfen können". Branchenlobbyisten warnen, dass an der Verteidigungsindustrie in Europa 1,26 Millionen Arbeitsplätze hängen. Das Know-how zum Bau moderner Waffen steht auf dem Spiel. Rainer Hertrich, der deutsche Kochef bei EADS, sieht die Europäer bislang noch "technologisch zu 90 Prozent gleichauf mit den Amerikanern". Doch in Schlüsselbereichen wie Flugzeugbau, intelligenter Munition und Schlachtkommunikation hinkt die Alte Welt bereits hinterher. Heute seien die amerikanischen Forschungsbudgets gut viermal so groß wie die in Europa, sagt Joachim Rohde, Rüstungsexperte beim Wissenschaftszentrum Berlin.
Um neue Generationen von Waffen entwickeln und herstellen zu können, sind die Konzerne auf Gedeih und Verderb von den Aufträgen ihrer überwiegend heimischen Kundschaft angewiesen - Generäle und Minister. Die Entwicklungsrisiken sind hoch: Wenn man moderne Waffen mit zivilen Produkten wie Autos oder Spülmaschinen vergleicht, sind ihre Stückzahlen enorm gering, aber die Produktionskosten pro Stück extrem hoch.
Einen traditionellen Vorteil am Waffenmarkt konnten die Europäer bislang behalten: Sie machen Geschäfte in Ländern, die ihren US-Konkurrenten versperrt sind. Länderboykotte gehören für die US-Regierung zu den bevorzugten Instrumenten der Außenpolitik, doch Franzosen und Briten unterhalten viele enge Beziehungen in ihre ehemaligen Kolonialreiche. British Aerospace lebte jahrzehntelang von seinen lukrativen Liefer- und Wartungsverträgen mit den Prinzen Saudi-Arabiens und scheute kürzlich nicht einmal davor zurück, für 40 Millionen Dollar ein Luftüberwachungssystem an Tansania zu verkaufen. Nun hoffen die Briten auf ein Flugzeuggeschäft mit Indien.
Diese Art der Exportorientierung passt allerdings schlecht zu einer anderen Strategie der europäischen Konzerne: dem Sprung über den Atlantik. "Zugang zum US-Markt ist die einzige Chance für die europäischen Konzerne", glaubt Jay Farrar, Rüstungsexperte am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington. Und auch Phillipe Camus, Mitchef von EADS, sieht "die Zukunft in den USA".
Das Problem ist nur: Europäische Waffenproduzenten treffen in den USA regelmäßig auf eine geschlossene Gesellschaft - und seit dem 11. September ist alles noch schlimmer geworden. Schon bisher konnten europäische Hersteller Pentagon-Aufträge nur ergattern, wenn sie weitreichende Auflagen erfüllten. In der Regel gehörte dazu, eine US-Tochtergesellschaft mit rein amerikanischem Management zu gründen und große Teile der Produktion in die Neue Welt zu verlegen. "Unsere Exportrichtlinien sind immer noch im Geist des Kalten Krieges formuliert", glaubt John Hamre, Chef des CSIS, der sich als Vizeverteidigungsminister Bill Clintons erfolglos für eine Ausweitung der transatlantischen Rüstungskooperation stark gemacht hatte. Heute geht mehr denn je die Angst um, dass das US-Know-how durch internationale Partnerschaften irgendwann im Irak, in Syrien oder im Iran landet. Und erst letzte Woche forderte das amerikanische Verteidigungsministerium, bei sämtlichen Überseefusionen amerikanischer Unternehmen - nicht in der Verteidigungsbranche - ein Wörtchen mitreden zu dürfen.
Im Pentagon und auf dem Capitol traut man allenfalls den Briten über den Weg: BAES ist es gelungen, sich durch fleißigen Einkauf kleinerer US-Unternehmen und einer Lockheed-Tochter zum fünftgrößten Lieferanten der US-Streitkräfte aufzuschwingen. Doch bei den Franzosen hört für viele US-Militärs der Spaß schon auf. In Washington herrsche "bei vielen einfach ein großes Misstrauen", sagt Catherine Kelleher, Rüstungsexpertin am Center for Naval Warfare Studies in Newport.
Amerikas Militärkomplex hat weniger Grund denn je, freundlich zu sein. Weil der Präsident so ausgabenfreudig ist, fehlt der Druck, Kosten auf Partner umzulegen. Dafür gewinnen, wie immer in Krisenzeiten, geopolitische Argumente an Gewicht: dass es sicherer sei, wesentliche Militärgüter auf eigenem Boden zu fertigen. Obendrein verstärkt die wirtschaftliche Flaute "Buy American"-Tendenzen. Gerade erst entschied George W. Bush, mehr Geld für das teure amerikanische Artilleriesystem Crusader auszugeben - obwohl Militärexperten die billigere deutsche Panzerhaubitze für sinnvoller halten. "Die Europäer sagen oft, dass der Rüstungshandel mit den Amerikanern eine Einbahnstraße sei", erzählt ein ehemaliger Beschaffungsberater im Pentagon. "Da haben sie Recht."
So drohen europäische Waffenschmieden zu Lieferanten der zweiten Reihe zu verkommen, die Nischengüter und Bauteile für andernorts entwickelte Waffensysteme herstellen - was die Europäer dann militärisch und technologisch noch stärker von den USA abhängig machen würde. Selbst dieser Geschäftszweig könnte an Bedeutung verlieren, wenn die Europäer eines Tages keine innovative Technik mehr zu liefern haben. Manchmal, wenn europäische Firmen zu großen Ausschreibungen des Pentagon gebeten werden, ist das heute schon bloße Taktik: Die US-Rüstungskonzerne haben sich in den neunziger Jahren zu so wenigen Produzenten zusammengeschlossen, dass sich für den Geschmack des Pentagon zu wenige Konkurrenten an Ausschreibungen beteiligen. Dann sind Gebote aus Europa oder von gemeinsamen US-europäischen Konsortien willkommen, um den heimischen Lieferanten Beine zu machen.
Wenn die Amerikaner ihre Verbündeten nicht am langen Arm vertrocknen lassen werden, könnte das vor allem politische Gründe haben. "Die USA werden internationale Rüstungskooperationen weiterhin als eine Schlüsselkomponente ihrer Sicherheitsstrategie nutzen", glaubt der Verteidigungsexperte Peter Dombrowski vom Center for Naval Warfare Studies in Newport. Wenn die ganze westliche Welt die gleichen, amerikanisch entworfenen Waffen benutze, ließe sich besser Seite an Seite kämpfen. Und die Europäer könnten sich in diesem Szenario sogar mehr Waffen leisten - denn im Zweifel sind die US-Produkte wegen der hohen Stückzahlen günstiger.
Ein Paradebeispiel für diese Art ungleicher Zusammenarbeit ist der Joint Strike Fighter, ein bei Lockheed entwickeltes, kleines und wendiges Kampfflugzeug. Es soll in der Rekordzahl von 3000 bis 6000 Stück produziert werden (zum Vergleich: EADS plant derzeit den Bau von 620 Eurofightern), und europäische Länder werden in Teile der Entwicklung und Fertigung eingebunden, allen voran die Briten. Trotzdem: "Der Joint Strike Fighter ist ein amerikanisches Flugzeug", so der britische Verteidigungsexperte Christopher Wrigley. "Das Projekt ist voll und ganz vom US-Kongress abhängig, der jederzeit die Mittel streichen könnte." Doch wozu sollte er das tun? Die Europäer bezahlen für das künftige "Hauptinstrument der globalen militärischen Hegemonie der USA" (Wrigley) ja kräftig mit - nach Schätzungen etwa ein Drittel.
zeit.de