Auch nach drei Jahren Baisse gilt: Geht es ums Internet, werfen Investoren gerne altbewährte Tugenden über Bord und träumen von immerwährenden Wachstum in den unendlichen Weiten des elektronischen Computernetzes. Zumindest muss man bei Bewertungen, wie sie zum Beispiel Amazon zugebilligt werden, zwangsläufig auf solche Gedanken kommen.
48 Cent Gewinn je Aktie schätzen Analysten für 2003, 67 Cent für 2004. Das KGV, basierend auf dem gestrigen Schlusskurs des offiziellen Nasdaq-Handels und den Schätzungen für die Proforma-Ergebnisse, liegt für 2003 bei 73 und für 2004 bei 52. Das PEG für diesen Betrachtungszeitraum liegt bei 1,3 und signalisiert alles andere als eine niedrige Bewertung. Deutlicher wird dies, wenn man den Langfristausblick in Betracht zieht. In den kommenden fünf Jahren sollen die Gewinne von Amazon um 25 Prozent im Schnitt jährlich steigen. Eine respektable Leistung, keine Frage. Mit einem Langfrist-PEG von 2 aber auch gut im Kurs berücksichtigt.
Dennoch zieht der Name Amazon weiter die Investoren in seinen Bann. Im Internet dürfte die Marke zu den wertvollsten der Welt gehören. Jede noch so kleine Überraschung wird mit deutlich steigenden Kursen gefeiert. So auch die gestern nach Börsenschluss bekannt gegebenen Quartalszahlen. Auf Basis der Proforma-Gewinne hat Amazon die Analystenschätzungen mit einem Gewinn von 10 Cent je Aktie um 4 Cent geschlagen.
Dass die Proforma-Ergebnisse freilich nicht die wahre Lage des Konzerns zeigen, wird gerne übersehen. Tatsächlich schreibt Amazon weiter rote Zahlen: Im zweiten Quartal wurde ein Verlust von 11 Cent je Aktie eingefahren – immerhin nicht einmal die Hälfte des Vorjahresverlustes. „Geschönt“ wurden die Zahlen aber auch dadurch, dass in diesem Jahr das Ostergeschäft – in den christlichen Ländern ein wichtiges Geschäft für Online- wie andere Einzelhändler, ins zweite Quartal fiel. Die Umsätze sind deutlich gestiegen: von 0,8 auf 1,1 Mrd. Dollar ging es leicht stärker als erwartet nach oben. Amazon führt dies vor allem auf den Billigsektor zurück.
Den nachbörslich deutlichen Kursgewinn der Aktie kann man daher getrost auch auf die Anhebung der Umsatzschätzung von Amazon zurückführen. Das Wachstum soll zwischen 25 und 30 Prozent betragen und damit einen Umsatz zwischen 4,9 und 5,1 Mrd. Dollar bringen. Noch sind die Aufwärtstrends intakt. Der langfristige Trend geht auf den Oktober 2001 zurück und hat mittlerweile das Platzen der Internet-Blase zum Teil vergessen gemacht. Der langfristige Trend liegt zurzeit im Bereich um 30 Dollar, der kürzerfristige und steilere Aufwärtstrend bei knapp 34 Dollar. Fundamental bewertet ist die Aktie jedoch immer noch, als hätte es den langen und schmerzvollen Weg der vergangenen drei Jahre nicht gegeben.
Zweifels ohne gehört Amazon zur Creme de la Creme der Internet-Werte, doch auch dies setzt die Gesetze der Schwerkraft nicht außer Kraft. Die Warnung gilt: Solange die Aufwärtstrends intakt sind, scheint die Sonne. Doch wehe, die Trends brechen einmal. Anleger begegnen dem, indem sie ihre Stoploss-Marken stetig nachziehen.