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Aktionärsrechte: Zum Abnicken verurteilt
von Ulric Papendick
Montag 6. Juni 2005, 09:59 Uhr
Wenn es um ihre Pflichten gegenüber den Aktionären geht, erweisen sich deutsche Vorstände als sture Bremser. Die Anteilseigner werden auf Hauptversammlungen zu Zuschauern degradiert - zum Schaden des Kapitalmarkts.
Dass ein deutscher Topmanager zum Taufpaten eines neuen Gesetzes wird, ist eine seltene Ehre. Einer der wenigen Konzernlenker, dem sie - wenn auch inoffiziell - zuteil werden könnte, ist Porsche-Chef Wendelin Wiedeking (52).
Unter Fachleuten zumindest wird der Gesetzentwurf von Justizministerin Brigitte Zypries (51) zur individuellen Offenlegung von Managergehältern längst "Lex Wiedeking" genannt. Denn nur dem guten Verhältnis des Porsche-Chefs zu Bundeskanzler Gerhard Schröder (61) ist es zu verdanken, dass börsennotierte Konzerne, deren überwiegende Aktienmehrheit in festen Händen liegt, die Gehaltsdaten ihrer Vorstände nicht veröffentlichen müssen.
Stimmen drei Viertel der Anleger auf der Hauptversammlung gegen eine Offenlegung, dann, so wollen es der Kanzler und seine Ministerin, bleiben die sensiblen Daten geheim.
Die Familien Porsche und Piëch werden als allein stimmberechtigte Großaktionäre von Porsche daher wohl weiterhin die einzigen Anteilseigner sein, die wissen, was Wiedeking verdient. "Der ursprüngliche Grundgedanke eines solchen Gesetzes, jedem Aktionär offen zu legen, wie die monetären Anreizstrukturen des Managements aussehen, bleibt auf der Strecke", empört sich der Frankfurter Aktienrechtler Theodor Baums.
Die Entmündigung der Anleger hat System, nicht nur beim Thema Gehälter. Zwar geben sich Deutschlands Manager gern weltoffen und fortschrittlich, sind stets die Ersten, die Reformen des verkrusteten Standorts einfordern. Doch sobald es ihre eigenen Pfründen betrifft, erweisen sich die Vorstände oft genug als Bremser.
Nichts demonstriert die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit besser als der Umgang, den deutsche Manager mit ihren Aktionären - sprich: den Mitinhabern ihrer Firmen - pflegen. Während die Konzernlenker offiziell mehr Transparenz und Anlegerschutz einfordern, um die Attraktivität des deutschen Kapitalmarkts zu befördern, blockieren sie vielfach entsprechende Maßnahmen. Und bisweilen scheint ihnen dafür fast jedes Mittel recht:
* Firmenchefs gründen Schweigekartelle, um den Aktionären Angaben über ihre Entlohnung zu verweigern - obwohl Transparenz in puncto Vorstandsvergütung längst internationaler Standard ist.
* Letztlich zum eigenen Vorteil bieten Manager den Berliner Ministerien Hilfe bei der Formulierung heikler Gesetzesnovellen an, was die personell eher mager ausgestatteten Behörden dankbar annehmen.
* Kritische Gutachter bringen Unternehmenslenker und ihnen nahe stehende Verbände mit gut dotierten Aufträgen auf die gewünschte Linie.
* Bisweilen scheuen manche Konzernchefs auch vor einem Anruf im Kanzleramt nicht zurück, um ein Gesetz zu ändern oder ganz zu kippen.
Mit geschicktem Taktieren und viel persönlichem Einsatz haben es Deutschlands Manager bis dato geschafft, dass sich ihre Gehälter dem weltweiten Spitzenniveau nähern. Ihre Pflichten gegenüber den Aktionären sind im internationalen Vergleich ausgesprochen bescheiden geblieben.
Für die deutsche Wirtschaft hat die aus Sicht etlicher Manager beste aller Welten einen fatalen Nebeneffekt: Die Defizite im Anlegerschutz bezahlen die Firmen selbst - in Form höherer Kapitalbeschaffungskosten und niedrigerer Aktienkurse. Internationale Investoren überlegen zweimal, ob sie ihr Geld wirklich hier zu Lande anlegen sollen.
Managern wie Wiedeking dürfte das egal sein. Solange der Porsche-Chef mit seinem Sportwagenbauer einen Rekordgewinn nach dem nächsten einfährt, verzeihen ihm seine Aktionäre kapitalmarktfeindlichen Aktionismus. Den gibt es reichlich und stets auf Kosten der Eigentümer.
Selbst ein von Fachleuten belächeltes Gutachten, das die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte als Argument gegen Transparenz bei den Vorstandsgehältern bemüht, kann sich Wiedeking leisten.
Für den deutschen Kapitalmarkt ist die Geheimniskrämerei des Automanagers und seiner zahlreichen Mitverweigerer ein ausgewachsener Standortnachteil geworden. "Internationale Untersuchungen belegen, dass die Offenlegung der Managervergütung zu höheren Börsenkursen führt", sagt der Schweizer Finanzprofessor Eric Nowak.
Die bessere Informationslage der Aktionäre führe dazu, dass sie ihr Kapital zielgerichteter investieren könnten. Außerdem, so Nowak, würden Abzocker unter den Managern unmittelbar enttarnt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auf die hiesige Anleger jedoch jahrelang warten mussten. Wiedeking & Co. gelang es nämlich durchaus geschickt, das missliebige Gehaltsthema unter der Decke zu halten.
Einerseits verpflichteten sich Deutschlands Manager in ihrem "Corporate Governance"-Kodex zur Preisgabe der Gehälter - aber nur auf freiwilliger Basis. Zugleich gründeten die Manager unter der Federführung des Deutschen Aktieninstituts (DAI) ein regelrechtes Schweigekartell. Bei Treffen im "Emittentenausschuss" des DAI, berichten Insider, vereinbarten zahlreiche Dax-Vorstände, die Kodex-Empfehlung zur Gehaltsveröffentlichung kurzerhand zu ignorieren.
Immerhin hat Justizministerin Zypries, die der Hinhaltetaktik der Topmanager jahrelang tatenlos zusah, mittlerweile mit einem Gesetzentwurf reagiert. Doch auch diese Initiative lässt viele Fragen offen. So bleibt weiterhin unklar, welche finanziellen Anreize Unternehmen ihren Managern setzen, welche Kursziele die Vorstände zum Beispiel erfüllen müssen, um ihre Optionspakete zu vereinnahmen.
Vor allem aber wird es für Unternehmen wie Porsche, die von wenigen Großaktionären beherrscht werden, ein Leichtes bleiben, die geforderte Transparenz zu umgehen. Die entsprechende Klausel, berichten Insider, soll unter anderem auf Wiedekings gute Beziehungen zum Kanzler zurückzuführen sein.
So lückenhaft der Entwurf bleibt, wenigstens gelang es der Regierung, das umstrittene Thema Gehaltstransparenz gegen zahlreiche Widerstände durchzuboxen. Bei der wesentlich heikleren Frage der Managerhaftung hingegen zeigten sich die Berliner Politiker und Ministerialbeamten weniger willensstark.
Den Entwurf eines "Kapitalmarktinformationshaftungsgesetzes", das die direkte Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten gegenüber ihren Aktionären (die so genannte "Außenhaftung") regeln sollte, zog das zuständige Finanzministerium im vergangenen Herbst kurzerhand zurück.
Vorausgegangen war ein gewaltiger Proteststurm der deutschen Managerriege. Vom Industrieverband BDI über die Arbeitgebervereinigung BDA und den Zusammenschluss der Wirtschaftsanwälte DAV bis hin zum Aktieninstitut DAI empörte sich die Lobby über die "Haftung im Übermaß" (DAI-Chef Rüdiger von Rosen). Dass Deutschlands Manager künftig für selbst verschuldete Falschaussagen auf Hauptversammlungen oder in Wertpapierprospekten mit ihrem privaten Vermögen einstehen sollten, ging den Betroffenen zu weit.
Parallel zum öffentlichen Druck griffen die Konzernlenker auf ein bewährtes Mittel zurück. Letztlich gestoppt worden sei der Gesetzentwurf vom Kanzler höchstselbst, berichten Insider - nach persönlichen Interventionen mehrerer Topmanager, unter ihnen DAI-Präsident Max-Dietrich Kley.
Beliebtes Argument der Reformbremser: Das deutsche Kapitalmarktrecht werde zurzeit doch sowieso umgestaltet. Und mit dem "Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts", kurz Umag, werde bereits die Haftung der Manager gegenüber dem eigenen Unternehmen (die so genannte "Innenhaftung") erheblich verschärft.
Ein Trugschluss. Gerade das Umag zeigt eindrucksvoll, wie ungeniert Konzernlenker und ihre Anwälte eine ursprünglich geplante Regelverschärfung in ihr Gegenteil ummünzen. Sie schreiben sich ihre Gesetze kurzerhand selbst.
Entscheidende Passagen des Umag-Entwurfs stammen nämlich nicht aus der Feder des für Gesellschaftsrecht zuständigen Ministerialrats Ulrich Seibert, sondern vom Berliner Juristen Carsten Schütz.
Die Anwaltskanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz - in Fachkreisen als ausgesprochen industriefreundlich bekannt - hatte ihren damaligen Experten für Gesellschaftsrecht im Sommer 2003 für drei Monate unentgeltlich ins Justizministerium entsandt. Und Schütz wusste, was er zu tun hatte.
So kommt das Gesetz, das in diesem Herbst in Kraft treten soll, zwar oberflächlich seinem Auftrag nach, den Anlegerschutz zu verbessern. Der Schwellenwert, ab dem Kleinanleger stellvertretend für das Unternehmen gegen Vorstände klagen können, wird auf einen Aktienbesitz im Wert von 100.000 Euro gesenkt. Bisher stand dies nur einem Aktionär zu, dem mindestens 10 Prozent des Firmenkapitals gehörten.
Parallel dazu werden aber derart viele Hürden aufgebaut, dass die Möglichkeit, Nieten in Nadelstreifen vor den Kadi zu ziehen, nach Ansicht vieler Kapitalmarktrechtler verpufft. Geklagt werden darf überhaupt nur bei Unredlichkeit oder grober Rechtsverletzung eines Vorstands.
Die Beweispflicht für die Zulassung des Verfahrens tragen die Kleinaktionäre - obwohl sie keinen finanziellen Vorteil haben, wenn sie gewinnen. Etwaige Schadensersatzzahlungen krimineller Vorstände kassiert der Konzern und nicht etwa der klagende Aktionär. Nebenbei entschärft der Gesetzentwurf auch noch elegant die wirksamste Waffe der Kleinaktionäre: Anfechtungsklagen, mit denen Anleger bisher die Beschlüsse von Hauptversammlungen blockieren konnten, werden nahezu wirkungslos. Künftig behalten die auf den Anlegertreffen gefällten Entscheidungen ihre Gültigkeit, egal ob der Kläger am Ende Recht hat oder nicht.
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Viele Manager haben sehnsüchtig auf diesen Eingriff gewartet. Seit Jahren gelingt es einer Reihe von Berufsopponenten immer wieder, Börsenfirmen mit Anfechtungsklagen regelrecht zu erpressen. Doch dieses "wichtige Kontrollinstrument jedes einzelnen Aktionärs", wie es sogar in der Begründung zum Umag heißt, komplett auszuhebeln geht vielen Juristen eindeutig zu weit.
Justizministerin Zypries ist der Einsatz des Konzernlobbyisten Schütz mittlerweile offenbar peinlich. Der 41-jährige Anwalt mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung sei "im Rahmen eines Praktikums" im Ministerium gewesen, ließ Zypries ausrichten. Damit wollte man "jüngeren Anwälten die Gelegenheit geben, die Arbeitsweise der anderen Stelle kennen zu lernen". Auch habe Schütz dem Referatsleiter Seibert nur zugearbeitet.
Aus der Sicht von Anlegerschützern ist das Ergebnis der Gesetzesarbeit dennoch bedenklich. "Neben Diplomaten sind die deutschen Manager bis heute die einzige Berufsgruppe, die in einem nahezu haftungsfreien Reservat lebt", stellt der Münchener Anlegeranwalt Klaus Rotter fest.
Wenig Transparenz bei den Gehältern, kaum Durchgriffsmöglichkeiten bei Managementversagen - kein Wunder, dass internationale Anleger bei deutschen Aktien vorsichtig sind.
Fälle wie die Übernahme des Kosmetikherstellers Wella durch den US-Konzern Procter & Gamble, bei der die freien Aktionäre gegenüber den Wella-Eigentümerfamilien massiv benachteiligt wurden, haben vor allem angelsächsische Investoren aufhorchen lassen.
"Was die Anlegerrechte angeht, vergleichen etliche Ausländer Deutschland eher mit einer Bananenrepublik als mit einem modernen Kapitalmarkt", sagt der Frankfurter Anwalt Josef Broich, dessen Kanzlei internationale Fonds berät. "Das wird der Realität zwar auch nicht ganz gerecht", meint Broich, "macht es aber für die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland nicht unproblematischer."
Die Einschätzung ist nicht mal sonderlich übertrieben. Wenn es etwa darum geht, Kleinaktionäre nach einer Fusion oder beim Rückzug von der Börse aus der Firma zu werfen, tricksen Deutschlands Manager nach Kräften. Bei solchen "Squeeze-outs", wie das Herausdrängen der Anleger im Finanzjargon genannt wird, steht den Aktionären ein Ausgleich zu, der den wahren Wert ihrer Papiere widerspiegelt. Wie diese Abfindungen berechnet werden, bestimmt hier zu Lande seit Jahren das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Die Bilanzkontrolleure ermitteln den "Ertragswert" des Unternehmens, bestimmen also, welche Firmengewinne Anleger in der Zukunft erwarten könnten. Aus diesen Profiten, abgezinst und versteuert, errechnen KPMG, PwC & Co. den Wert eines Konzerns.
Diese Kennziffer lag in den vergangenen Jahren meist weit über dem Preis, der den Aktionären bei einer Übernahme angeboten wurde. Kein Wunder: Der Aufkäufer einer Börsenfirma zahlt in der Regel nur den Aktienkurs plus eine kleine Prämie - dank niedriger Notierungen zu Anfang des neuen Jahrtausends oft genug ein echtes Schnäppchen.
Erst die Begutachtung durch die Wirtschaftsprüfer deckte den inneren Wert der Firmen auf. Wer als Aktionär also abwartete und seine Papiere nicht beim ersten öffentlichen Angebot abgab, konnte oft ein gutes Geschäft machen.
Beispiel Stinnes: Als die Deutsche Bahn die Logistikfirma im Sommer 2002 kaufen wollte, bot der Staatskonzern allen Stinnes-Aktionären knapp 33 Euro. Wenige Monate später lag der für den Squeeze-out errechnete Firmenwert mit einem Mal bei fast 40 Euro - ein Plus von 20 Prozent. Ähnliche Diskrepanzen ergaben sich bei der Übernahme des Chemiekonzerns Celanese durch den US-Finanzinvestor Blackstone.
Für die Aufkäufer und ihre Berater ein gewaltiges Ärgernis. Zumal nicht nur clevere einheimische Kleinaktionäre, sondern auch internationale Hedgefonds erkannten, dass bei Squeeze-outs in Deutschland etwas zu holen ist. Dem Wirtschaftsprüferverein IDW - naturgemäß eher auf Seiten seiner Großkunden, der Konzerne - wurden die attraktiven Abfindungen daher regelrecht unangenehm. Nachdem sich die Diskussion insbesondere am Fall Celanese entzündete, zogen die Prüfer die Notbremse.
Als Argument für neue Regeln, die bei künftigen Squeeze-outs niedrigere Firmenwerte zu Tage fördern sollten, diente dem
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IDW das Halbeinkünfteverfahren im deutschen Steuerrecht. Die niedrigere Besteuerung von Dividenden existiert zwar schon einige Jahre und wurde im bisherigen Bewertungsverfahren des IDW explizit berücksichtigt.
Dennoch müsse nachgebessert werden, entschieden die Gutachter. Und da sie bereits einmal am Werk waren, erhöhten die Bilanzprüfer gleich noch die Risikoprämie, mit der die künftigen Gewinne abdiskontiert werden.
Der Effekt: Die Firmenwerte werden durch die an verschiedenen Stellen angezogenen Stellschrauben in Zukunft wohl um rund 20 Prozent niedriger ausfallen.
Für die Änderung des Abzinsungsfaktors fanden die IDW-Prüfer eine besonders zugkräftige Begründung. Der Berliner Professor Richard Stehle, Guru des Bewertungswesens, bescheinigte der Branche, dass der Risikozuschlag künftig bei 5,5 Prozent liegen sollte.
Ein erstaunlicher Sinneswandel, war doch Stehle zuvor von einer Prämie von 2,6 Prozent ausgegangen. Nun aber verfügte der Wirtschaftsforscher plötzlich, für Unternehmensbewertungen müsse er seine Berechnungsmethode ändern. Zufall oder nicht: Das Gutachten, in dem Stehle zu diesem Ergebnis kam, wurde von PwC in Auftrag gegeben und mit 30.000 Euro honoriert.
Die Erkenntnisse, auf die sich Stehle in dieser Forschungsarbeit beruft, sind zwar allesamt bereits Jahre alt. Er habe die Quellen aber erst jetzt systematisch auswerten können, verteidigt sich der geschmeidige Wissenschaftler.
Mag sein, dass etliche deutsche Konzernlenker den neuerlichen Erfolg über die ihrer Ansicht nach "räuberischen" Kleinaktionäre bejubeln werden. Doch ob sie sich langfristig einen Gefallen tun, bleibt fraglich. Denn auch im Ausland wird die Aushöhlung von Aktionärsrechten genauestens beobachtet.
Zurzeit formiert sich in Brüssel eine "European Group for Investor Protection" (Egip). Ziel des Verbandes, hinter dem große internationale Investoren stehen, ist die europaweite Verbesserung der Anlegerrechte. "Deutschland steht auf der Egip-Liste ganz oben", sagt der Frankfurter Aktienrechtler Ferdinand von Rom, dessen Kanzlei Broich, Bayer, von Rom die Interessen einiger Egip-Mitglieder vertritt. Die beste aller Welten für Deutschlands Vorstände könnte bald vorbei sein. Erstaunlicher Sinneswandel
Wie der Berliner Wirtschaftsprofessor Stehle zum Helfershelfer der Konzerne mutierte
Die Hauptversammlung im vergangenen Juli dauerte 26 Stunden. Dutzende von Anwälten standen im "Back Office" bereit, um dem Management bei der Beantwortung heikler Anlegerfragen beizustehen. Einige Aktionäre konnten nur per Polizeieinsatz aus der Oberhausener Luise-Albertz-Halle entfernt werden.
So heftig wie auf der letztjährigen Jahresversammlung des Chemiekonzerns Celanese haben Aktionäre und Vorstände in Deutschland selten gestritten. Dabei war der Auslöser der Kontroverse eine simple Frage: Welche Abfindung erhalten Anleger, deren Unternehmen übernommen oder von der Börse zurückgezogen werden?
Der deutsche Gesetzgeber sieht vor, dass diese Aktionäre eine Ausgleichszahlung erhalten, die dem wahren Wert ihrer Aktien entspricht. Um den zu ermitteln, hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) ein Regelwerk zur Unternehmensbewertung erstellt.
Seit Jahren tobt zwischen Kleinanlegern und Konzernanwälten eine erbitterte Debatte um die korrekte Höhe dieser Abfindung. Strittig ist vor allem, mit welcher Risikoprämie künftige Firmengewinne abdiskontiert werden. Schließlich hängt von dieser Maßzahl eine Menge ab - je höher der Abzinsungssatz gewählt wird, umso niedriger fällt der errechnete Firmenwert aus.
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Bisher hielt das IDW einen Risikozuschlag von 5 Prozent für angemessen. Kleinaktionäre hingegen beriefen sich oft auf die Meinung des Berliner Wirtschaftsforschers Richard Stehle, der einen Risikoaufschlag von 2,6 Prozent für vernünftig hielt.
Dieser entspreche dem langfristigen Renditevorsprung von Aktien gegenüber Anleihen und könne daher für Unternehmensbewertungen verwendet werden, schrieb Stehle noch Ende 2002 einem Münchener Richter.
Bald darauf änderte der Professor, der in Deutschland als eine der Koryphäen für das Thema Aktienrenditen gilt, seine Meinung. Seit Anfang 2004 vertritt Stehle die Ansicht, dass die Risikoprämie bei rund 5,5 Prozent liegen sollte. Vorausgegangen waren intensive Kontakte zwischen dem IDW und Stehle. Im Juni und Oktober 2003 hatten die Prüfer den Professor zu Vorträgen vor dem "Arbeitskreis Unternehmensbewertung" des IDW eingeladen und dafür insgesamt 5000 Euro gezahlt.
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Im Dezember 2003 erhielt Stehles Lehrstuhl schließlich einen mit 30.000 Euro dotierten Forschungsauftrag des Wirtschaftsprüfers PwC, "eine wissenschaftlich fundierte Schätzung der Risikoprämie" durchzuführen. Was der Forscher im Rahmen dieser Studie entdeckte, ist bemerkenswert.
Seine bisherige Berechnungsmethode, fand Stehle heraus, tauge zu Zwecken der Unternehmensbewertung nicht. Er müsse ein anderes Verfahren anwenden - mit dem Effekt, dass sich die Risikoprämie glatt verdoppelte.
Dass ihm dies erst jetzt bewusst wurde, obwohl die wissenschaftlichen Quellen sämtlich bereits mehrere Jahre alt sind, hält der Berliner Professor nicht für ungewöhnlich. Er habe sich schließlich durch Berge von Literatur hindurcharbeiten müssen.
In der Tatsache, dass seine Meinungsänderung "sponsored by PwC" zu Stande kam, sieht Stehle ebenfalls kein Problem. Aus wissenschaftlicher Sicht sei seine neue Sichtweise einwandfrei.
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Auch habe er persönlich kein Geld erhalten und zudem darauf geachtet, die Ergebnisse seines Gutachtens umgehend zu publizieren. Der Forschungsauftrag hatte PwC allerdings die Möglichkeit gegeben, gegen die Veröffentlichung ein "Veto" einzulegen.
Als Gutachter in einem Gerichtsstreit um die korrekte Höhe einer Squeeze-out-Abfindung ist der geschmeidige Forscher aber mittlerweile zurückgetreten; in einem anderen Verfahren lehnte ihn der zuständige Richter ab. In die neuen IDW-Regeln zur Ermittlung von Abfindungen fanden Stehles wirtschaftsfreundliche Berechnungen allerdings sofort Eingang.
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von Ulric Papendick
Montag 6. Juni 2005, 09:59 Uhr
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Dass ein deutscher Topmanager zum Taufpaten eines neuen Gesetzes wird, ist eine seltene Ehre. Einer der wenigen Konzernlenker, dem sie - wenn auch inoffiziell - zuteil werden könnte, ist Porsche-Chef Wendelin Wiedeking (52).
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Die Entmündigung der Anleger hat System, nicht nur beim Thema Gehälter. Zwar geben sich Deutschlands Manager gern weltoffen und fortschrittlich, sind stets die Ersten, die Reformen des verkrusteten Standorts einfordern. Doch sobald es ihre eigenen Pfründen betrifft, erweisen sich die Vorstände oft genug als Bremser.
Nichts demonstriert die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit besser als der Umgang, den deutsche Manager mit ihren Aktionären - sprich: den Mitinhabern ihrer Firmen - pflegen. Während die Konzernlenker offiziell mehr Transparenz und Anlegerschutz einfordern, um die Attraktivität des deutschen Kapitalmarkts zu befördern, blockieren sie vielfach entsprechende Maßnahmen. Und bisweilen scheint ihnen dafür fast jedes Mittel recht:
* Firmenchefs gründen Schweigekartelle, um den Aktionären Angaben über ihre Entlohnung zu verweigern - obwohl Transparenz in puncto Vorstandsvergütung längst internationaler Standard ist.
* Letztlich zum eigenen Vorteil bieten Manager den Berliner Ministerien Hilfe bei der Formulierung heikler Gesetzesnovellen an, was die personell eher mager ausgestatteten Behörden dankbar annehmen.
* Kritische Gutachter bringen Unternehmenslenker und ihnen nahe stehende Verbände mit gut dotierten Aufträgen auf die gewünschte Linie.
* Bisweilen scheuen manche Konzernchefs auch vor einem Anruf im Kanzleramt nicht zurück, um ein Gesetz zu ändern oder ganz zu kippen.
Mit geschicktem Taktieren und viel persönlichem Einsatz haben es Deutschlands Manager bis dato geschafft, dass sich ihre Gehälter dem weltweiten Spitzenniveau nähern. Ihre Pflichten gegenüber den Aktionären sind im internationalen Vergleich ausgesprochen bescheiden geblieben.
Für die deutsche Wirtschaft hat die aus Sicht etlicher Manager beste aller Welten einen fatalen Nebeneffekt: Die Defizite im Anlegerschutz bezahlen die Firmen selbst - in Form höherer Kapitalbeschaffungskosten und niedrigerer Aktienkurse. Internationale Investoren überlegen zweimal, ob sie ihr Geld wirklich hier zu Lande anlegen sollen.
Managern wie Wiedeking dürfte das egal sein. Solange der Porsche-Chef mit seinem Sportwagenbauer einen Rekordgewinn nach dem nächsten einfährt, verzeihen ihm seine Aktionäre kapitalmarktfeindlichen Aktionismus. Den gibt es reichlich und stets auf Kosten der Eigentümer.
Selbst ein von Fachleuten belächeltes Gutachten, das die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte als Argument gegen Transparenz bei den Vorstandsgehältern bemüht, kann sich Wiedeking leisten.
Für den deutschen Kapitalmarkt ist die Geheimniskrämerei des Automanagers und seiner zahlreichen Mitverweigerer ein ausgewachsener Standortnachteil geworden. "Internationale Untersuchungen belegen, dass die Offenlegung der Managervergütung zu höheren Börsenkursen führt", sagt der Schweizer Finanzprofessor Eric Nowak.
Die bessere Informationslage der Aktionäre führe dazu, dass sie ihr Kapital zielgerichteter investieren könnten. Außerdem, so Nowak, würden Abzocker unter den Managern unmittelbar enttarnt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auf die hiesige Anleger jedoch jahrelang warten mussten. Wiedeking & Co. gelang es nämlich durchaus geschickt, das missliebige Gehaltsthema unter der Decke zu halten.
Einerseits verpflichteten sich Deutschlands Manager in ihrem "Corporate Governance"-Kodex zur Preisgabe der Gehälter - aber nur auf freiwilliger Basis. Zugleich gründeten die Manager unter der Federführung des Deutschen Aktieninstituts (DAI) ein regelrechtes Schweigekartell. Bei Treffen im "Emittentenausschuss" des DAI, berichten Insider, vereinbarten zahlreiche Dax-Vorstände, die Kodex-Empfehlung zur Gehaltsveröffentlichung kurzerhand zu ignorieren.
Immerhin hat Justizministerin Zypries, die der Hinhaltetaktik der Topmanager jahrelang tatenlos zusah, mittlerweile mit einem Gesetzentwurf reagiert. Doch auch diese Initiative lässt viele Fragen offen. So bleibt weiterhin unklar, welche finanziellen Anreize Unternehmen ihren Managern setzen, welche Kursziele die Vorstände zum Beispiel erfüllen müssen, um ihre Optionspakete zu vereinnahmen.
Vor allem aber wird es für Unternehmen wie Porsche, die von wenigen Großaktionären beherrscht werden, ein Leichtes bleiben, die geforderte Transparenz zu umgehen. Die entsprechende Klausel, berichten Insider, soll unter anderem auf Wiedekings gute Beziehungen zum Kanzler zurückzuführen sein.
So lückenhaft der Entwurf bleibt, wenigstens gelang es der Regierung, das umstrittene Thema Gehaltstransparenz gegen zahlreiche Widerstände durchzuboxen. Bei der wesentlich heikleren Frage der Managerhaftung hingegen zeigten sich die Berliner Politiker und Ministerialbeamten weniger willensstark.
Den Entwurf eines "Kapitalmarktinformationshaftungsgesetzes", das die direkte Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten gegenüber ihren Aktionären (die so genannte "Außenhaftung") regeln sollte, zog das zuständige Finanzministerium im vergangenen Herbst kurzerhand zurück.
Vorausgegangen war ein gewaltiger Proteststurm der deutschen Managerriege. Vom Industrieverband BDI über die Arbeitgebervereinigung BDA und den Zusammenschluss der Wirtschaftsanwälte DAV bis hin zum Aktieninstitut DAI empörte sich die Lobby über die "Haftung im Übermaß" (DAI-Chef Rüdiger von Rosen). Dass Deutschlands Manager künftig für selbst verschuldete Falschaussagen auf Hauptversammlungen oder in Wertpapierprospekten mit ihrem privaten Vermögen einstehen sollten, ging den Betroffenen zu weit.
Parallel zum öffentlichen Druck griffen die Konzernlenker auf ein bewährtes Mittel zurück. Letztlich gestoppt worden sei der Gesetzentwurf vom Kanzler höchstselbst, berichten Insider - nach persönlichen Interventionen mehrerer Topmanager, unter ihnen DAI-Präsident Max-Dietrich Kley.
Beliebtes Argument der Reformbremser: Das deutsche Kapitalmarktrecht werde zurzeit doch sowieso umgestaltet. Und mit dem "Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts", kurz Umag, werde bereits die Haftung der Manager gegenüber dem eigenen Unternehmen (die so genannte "Innenhaftung") erheblich verschärft.
Ein Trugschluss. Gerade das Umag zeigt eindrucksvoll, wie ungeniert Konzernlenker und ihre Anwälte eine ursprünglich geplante Regelverschärfung in ihr Gegenteil ummünzen. Sie schreiben sich ihre Gesetze kurzerhand selbst.
Entscheidende Passagen des Umag-Entwurfs stammen nämlich nicht aus der Feder des für Gesellschaftsrecht zuständigen Ministerialrats Ulrich Seibert, sondern vom Berliner Juristen Carsten Schütz.
Die Anwaltskanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz - in Fachkreisen als ausgesprochen industriefreundlich bekannt - hatte ihren damaligen Experten für Gesellschaftsrecht im Sommer 2003 für drei Monate unentgeltlich ins Justizministerium entsandt. Und Schütz wusste, was er zu tun hatte.
So kommt das Gesetz, das in diesem Herbst in Kraft treten soll, zwar oberflächlich seinem Auftrag nach, den Anlegerschutz zu verbessern. Der Schwellenwert, ab dem Kleinanleger stellvertretend für das Unternehmen gegen Vorstände klagen können, wird auf einen Aktienbesitz im Wert von 100.000 Euro gesenkt. Bisher stand dies nur einem Aktionär zu, dem mindestens 10 Prozent des Firmenkapitals gehörten.
Parallel dazu werden aber derart viele Hürden aufgebaut, dass die Möglichkeit, Nieten in Nadelstreifen vor den Kadi zu ziehen, nach Ansicht vieler Kapitalmarktrechtler verpufft. Geklagt werden darf überhaupt nur bei Unredlichkeit oder grober Rechtsverletzung eines Vorstands.
Die Beweispflicht für die Zulassung des Verfahrens tragen die Kleinaktionäre - obwohl sie keinen finanziellen Vorteil haben, wenn sie gewinnen. Etwaige Schadensersatzzahlungen krimineller Vorstände kassiert der Konzern und nicht etwa der klagende Aktionär. Nebenbei entschärft der Gesetzentwurf auch noch elegant die wirksamste Waffe der Kleinaktionäre: Anfechtungsklagen, mit denen Anleger bisher die Beschlüsse von Hauptversammlungen blockieren konnten, werden nahezu wirkungslos. Künftig behalten die auf den Anlegertreffen gefällten Entscheidungen ihre Gültigkeit, egal ob der Kläger am Ende Recht hat oder nicht.
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Viele Manager haben sehnsüchtig auf diesen Eingriff gewartet. Seit Jahren gelingt es einer Reihe von Berufsopponenten immer wieder, Börsenfirmen mit Anfechtungsklagen regelrecht zu erpressen. Doch dieses "wichtige Kontrollinstrument jedes einzelnen Aktionärs", wie es sogar in der Begründung zum Umag heißt, komplett auszuhebeln geht vielen Juristen eindeutig zu weit.
Justizministerin Zypries ist der Einsatz des Konzernlobbyisten Schütz mittlerweile offenbar peinlich. Der 41-jährige Anwalt mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung sei "im Rahmen eines Praktikums" im Ministerium gewesen, ließ Zypries ausrichten. Damit wollte man "jüngeren Anwälten die Gelegenheit geben, die Arbeitsweise der anderen Stelle kennen zu lernen". Auch habe Schütz dem Referatsleiter Seibert nur zugearbeitet.
Aus der Sicht von Anlegerschützern ist das Ergebnis der Gesetzesarbeit dennoch bedenklich. "Neben Diplomaten sind die deutschen Manager bis heute die einzige Berufsgruppe, die in einem nahezu haftungsfreien Reservat lebt", stellt der Münchener Anlegeranwalt Klaus Rotter fest.
Wenig Transparenz bei den Gehältern, kaum Durchgriffsmöglichkeiten bei Managementversagen - kein Wunder, dass internationale Anleger bei deutschen Aktien vorsichtig sind.
Fälle wie die Übernahme des Kosmetikherstellers Wella durch den US-Konzern Procter & Gamble, bei der die freien Aktionäre gegenüber den Wella-Eigentümerfamilien massiv benachteiligt wurden, haben vor allem angelsächsische Investoren aufhorchen lassen.
"Was die Anlegerrechte angeht, vergleichen etliche Ausländer Deutschland eher mit einer Bananenrepublik als mit einem modernen Kapitalmarkt", sagt der Frankfurter Anwalt Josef Broich, dessen Kanzlei internationale Fonds berät. "Das wird der Realität zwar auch nicht ganz gerecht", meint Broich, "macht es aber für die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland nicht unproblematischer."
Die Einschätzung ist nicht mal sonderlich übertrieben. Wenn es etwa darum geht, Kleinaktionäre nach einer Fusion oder beim Rückzug von der Börse aus der Firma zu werfen, tricksen Deutschlands Manager nach Kräften. Bei solchen "Squeeze-outs", wie das Herausdrängen der Anleger im Finanzjargon genannt wird, steht den Aktionären ein Ausgleich zu, der den wahren Wert ihrer Papiere widerspiegelt. Wie diese Abfindungen berechnet werden, bestimmt hier zu Lande seit Jahren das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Die Bilanzkontrolleure ermitteln den "Ertragswert" des Unternehmens, bestimmen also, welche Firmengewinne Anleger in der Zukunft erwarten könnten. Aus diesen Profiten, abgezinst und versteuert, errechnen KPMG, PwC & Co. den Wert eines Konzerns.
Diese Kennziffer lag in den vergangenen Jahren meist weit über dem Preis, der den Aktionären bei einer Übernahme angeboten wurde. Kein Wunder: Der Aufkäufer einer Börsenfirma zahlt in der Regel nur den Aktienkurs plus eine kleine Prämie - dank niedriger Notierungen zu Anfang des neuen Jahrtausends oft genug ein echtes Schnäppchen.
Erst die Begutachtung durch die Wirtschaftsprüfer deckte den inneren Wert der Firmen auf. Wer als Aktionär also abwartete und seine Papiere nicht beim ersten öffentlichen Angebot abgab, konnte oft ein gutes Geschäft machen.
Beispiel Stinnes: Als die Deutsche Bahn die Logistikfirma im Sommer 2002 kaufen wollte, bot der Staatskonzern allen Stinnes-Aktionären knapp 33 Euro. Wenige Monate später lag der für den Squeeze-out errechnete Firmenwert mit einem Mal bei fast 40 Euro - ein Plus von 20 Prozent. Ähnliche Diskrepanzen ergaben sich bei der Übernahme des Chemiekonzerns Celanese durch den US-Finanzinvestor Blackstone.
Für die Aufkäufer und ihre Berater ein gewaltiges Ärgernis. Zumal nicht nur clevere einheimische Kleinaktionäre, sondern auch internationale Hedgefonds erkannten, dass bei Squeeze-outs in Deutschland etwas zu holen ist. Dem Wirtschaftsprüferverein IDW - naturgemäß eher auf Seiten seiner Großkunden, der Konzerne - wurden die attraktiven Abfindungen daher regelrecht unangenehm. Nachdem sich die Diskussion insbesondere am Fall Celanese entzündete, zogen die Prüfer die Notbremse.
Als Argument für neue Regeln, die bei künftigen Squeeze-outs niedrigere Firmenwerte zu Tage fördern sollten, diente dem
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IDW das Halbeinkünfteverfahren im deutschen Steuerrecht. Die niedrigere Besteuerung von Dividenden existiert zwar schon einige Jahre und wurde im bisherigen Bewertungsverfahren des IDW explizit berücksichtigt.
Dennoch müsse nachgebessert werden, entschieden die Gutachter. Und da sie bereits einmal am Werk waren, erhöhten die Bilanzprüfer gleich noch die Risikoprämie, mit der die künftigen Gewinne abdiskontiert werden.
Der Effekt: Die Firmenwerte werden durch die an verschiedenen Stellen angezogenen Stellschrauben in Zukunft wohl um rund 20 Prozent niedriger ausfallen.
Für die Änderung des Abzinsungsfaktors fanden die IDW-Prüfer eine besonders zugkräftige Begründung. Der Berliner Professor Richard Stehle, Guru des Bewertungswesens, bescheinigte der Branche, dass der Risikozuschlag künftig bei 5,5 Prozent liegen sollte.
Ein erstaunlicher Sinneswandel, war doch Stehle zuvor von einer Prämie von 2,6 Prozent ausgegangen. Nun aber verfügte der Wirtschaftsforscher plötzlich, für Unternehmensbewertungen müsse er seine Berechnungsmethode ändern. Zufall oder nicht: Das Gutachten, in dem Stehle zu diesem Ergebnis kam, wurde von PwC in Auftrag gegeben und mit 30.000 Euro honoriert.
Die Erkenntnisse, auf die sich Stehle in dieser Forschungsarbeit beruft, sind zwar allesamt bereits Jahre alt. Er habe die Quellen aber erst jetzt systematisch auswerten können, verteidigt sich der geschmeidige Wissenschaftler.
Mag sein, dass etliche deutsche Konzernlenker den neuerlichen Erfolg über die ihrer Ansicht nach "räuberischen" Kleinaktionäre bejubeln werden. Doch ob sie sich langfristig einen Gefallen tun, bleibt fraglich. Denn auch im Ausland wird die Aushöhlung von Aktionärsrechten genauestens beobachtet.
Zurzeit formiert sich in Brüssel eine "European Group for Investor Protection" (Egip). Ziel des Verbandes, hinter dem große internationale Investoren stehen, ist die europaweite Verbesserung der Anlegerrechte. "Deutschland steht auf der Egip-Liste ganz oben", sagt der Frankfurter Aktienrechtler Ferdinand von Rom, dessen Kanzlei Broich, Bayer, von Rom die Interessen einiger Egip-Mitglieder vertritt. Die beste aller Welten für Deutschlands Vorstände könnte bald vorbei sein. Erstaunlicher Sinneswandel
Wie der Berliner Wirtschaftsprofessor Stehle zum Helfershelfer der Konzerne mutierte
Die Hauptversammlung im vergangenen Juli dauerte 26 Stunden. Dutzende von Anwälten standen im "Back Office" bereit, um dem Management bei der Beantwortung heikler Anlegerfragen beizustehen. Einige Aktionäre konnten nur per Polizeieinsatz aus der Oberhausener Luise-Albertz-Halle entfernt werden.
So heftig wie auf der letztjährigen Jahresversammlung des Chemiekonzerns Celanese haben Aktionäre und Vorstände in Deutschland selten gestritten. Dabei war der Auslöser der Kontroverse eine simple Frage: Welche Abfindung erhalten Anleger, deren Unternehmen übernommen oder von der Börse zurückgezogen werden?
Der deutsche Gesetzgeber sieht vor, dass diese Aktionäre eine Ausgleichszahlung erhalten, die dem wahren Wert ihrer Aktien entspricht. Um den zu ermitteln, hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) ein Regelwerk zur Unternehmensbewertung erstellt.
Seit Jahren tobt zwischen Kleinanlegern und Konzernanwälten eine erbitterte Debatte um die korrekte Höhe dieser Abfindung. Strittig ist vor allem, mit welcher Risikoprämie künftige Firmengewinne abdiskontiert werden. Schließlich hängt von dieser Maßzahl eine Menge ab - je höher der Abzinsungssatz gewählt wird, umso niedriger fällt der errechnete Firmenwert aus.
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Bisher hielt das IDW einen Risikozuschlag von 5 Prozent für angemessen. Kleinaktionäre hingegen beriefen sich oft auf die Meinung des Berliner Wirtschaftsforschers Richard Stehle, der einen Risikoaufschlag von 2,6 Prozent für vernünftig hielt.
Dieser entspreche dem langfristigen Renditevorsprung von Aktien gegenüber Anleihen und könne daher für Unternehmensbewertungen verwendet werden, schrieb Stehle noch Ende 2002 einem Münchener Richter.
Bald darauf änderte der Professor, der in Deutschland als eine der Koryphäen für das Thema Aktienrenditen gilt, seine Meinung. Seit Anfang 2004 vertritt Stehle die Ansicht, dass die Risikoprämie bei rund 5,5 Prozent liegen sollte. Vorausgegangen waren intensive Kontakte zwischen dem IDW und Stehle. Im Juni und Oktober 2003 hatten die Prüfer den Professor zu Vorträgen vor dem "Arbeitskreis Unternehmensbewertung" des IDW eingeladen und dafür insgesamt 5000 Euro gezahlt.
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Im Dezember 2003 erhielt Stehles Lehrstuhl schließlich einen mit 30.000 Euro dotierten Forschungsauftrag des Wirtschaftsprüfers PwC, "eine wissenschaftlich fundierte Schätzung der Risikoprämie" durchzuführen. Was der Forscher im Rahmen dieser Studie entdeckte, ist bemerkenswert.
Seine bisherige Berechnungsmethode, fand Stehle heraus, tauge zu Zwecken der Unternehmensbewertung nicht. Er müsse ein anderes Verfahren anwenden - mit dem Effekt, dass sich die Risikoprämie glatt verdoppelte.
Dass ihm dies erst jetzt bewusst wurde, obwohl die wissenschaftlichen Quellen sämtlich bereits mehrere Jahre alt sind, hält der Berliner Professor nicht für ungewöhnlich. Er habe sich schließlich durch Berge von Literatur hindurcharbeiten müssen.
In der Tatsache, dass seine Meinungsänderung "sponsored by PwC" zu Stande kam, sieht Stehle ebenfalls kein Problem. Aus wissenschaftlicher Sicht sei seine neue Sichtweise einwandfrei.
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Auch habe er persönlich kein Geld erhalten und zudem darauf geachtet, die Ergebnisse seines Gutachtens umgehend zu publizieren. Der Forschungsauftrag hatte PwC allerdings die Möglichkeit gegeben, gegen die Veröffentlichung ein "Veto" einzulegen.
Als Gutachter in einem Gerichtsstreit um die korrekte Höhe einer Squeeze-out-Abfindung ist der geschmeidige Forscher aber mittlerweile zurückgetreten; in einem anderen Verfahren lehnte ihn der zuständige Richter ab. In die neuen IDW-Regeln zur Ermittlung von Abfindungen fanden Stehles wirtschaftsfreundliche Berechnungen allerdings sofort Eingang.
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