Ärzte-Zeitung vom 10.10.01
Eine Milzbrand-Epidemie auszulösen, wäre für Terroristen schwierig - dies könnten wohl nur Staaten
Von Thomas Müller
Das Szenario war für die Terroristen offenbar verlockend: Mit einem Kilogramm
Milzbranderreger lassen sich rein rechnerisch mehrere Hunderttausende Menschen töten. Es
schien ebenfalls kein Problem, die Bakterien billig und massenhaft zu produzieren. In großen
Tonnen im Keller ihres Hauptquartiers haben die Attentäter Milzbranderreger gezüchtet und
anschließend vom Dach des Gebäudes über der Millionenstadt versprüht, bis sich die
Nachbarn wegen Geruchsbelästigung beschwerten.
Doch niemand wurde krank. Insgesamt neunmal versprühten Mitglieder der Aum-Sekte
Anthrax-Bakterien und Botulinum-Toxin in Tokyo, ohne Schaden anzurichten. Schließlich gaben
sie dann auf und verwendeten Nervengas: Bei dem Anschlag mit Sarin in der U-Bahn von
Tokyo starben 1995 zwölf Menschen, 200 wurden verletzt.
Die Versuche der Aum-Sekte haben deutlich gemacht, daß es Terroristen gibt, die auch vor
einem Angriff mit Biowaffen nicht zurückschrecken. Aber offenbar ist es doch nicht einfach,
solche Waffen herzustellen. Nach Angaben der "Zeit" verfügte der Sektenführer Shoko Ashara
zeitweise über 300 Wissenschaftler und eine Milliarde Dollar, dennoch scheiterte sein
Anthrax-Angriff, unter anderem, weil der Erregerstamm nicht pathogen war.
Sind nun aber andere Terroristen schon einen Schritt weiter, wenn es zutreffen sollte, daß in
Florida mehrere Milzbrandkranke Opfer eines Anschlages sind?
Der Zellbiologe und Biowaffenkritiker Dr. Jan van Aken aus Hamburg sieht noch kein
Horrorszenario: "Wenn man nur einzelne Menschen mit Anthrax infizieren will, ist das sehr
einfach, etwa wenn jemand getrocknete Milzbrandsporen in einen Briefumschlag tut. Wenn der
Empfänger ganz viel Pech hat, atmet er beim Aufmachen eine tödliche Menge ein", sagte van
Aken zur "Ärzte Zeitung". "Sobald es aber darum geht, die Erreger großflächig einzusetzen,
braucht man ein sehr komplexes Know-how." Notwendig dazu sei es, getrocknete Milzbrandsporen in einem Aerosol mit einer Partikelgröße
von genau fünf Mikrometer zu versprühen. "Alles, was darunter liegt, wird wieder ausgeatmet,
was darüber liegt kommt erst gar nicht in die Lunge", so van Aken. Zwar gebe es
Aerosol-Generatoren, die das leisten, zu kaufen, aber einfach sei dies nicht: Bestimmte
Generatoren sowie bestimmte Fermenter zum Züchten der Erreger fallen unter das
Kriegswaffenkontrollgesetz.
Auch wer entsprechende Geräte habe, müsse die Sporen in großen Mengen so produzieren
können, daß die Erreger am Leben bleiben. "Eine Terrorgruppe, egal wie gut sie ist, kann das
nicht machen. So etwas kann nur in staatlichen Programmen geschehen, weil dazu jahrelang
Experten aus verschiedenen Gebieten zusammenarbeiten müssen."
Van Aken nennt als Beispiel das Biowaffenprogramm im Irak. Im Sommer 1995 fand dort eine
UN-Kommission unter anderem 8500 Liter mit Milzbrand-Sporen und 50 Bomben, gefüllt mit
Milzbrand-Sporen. Aber: "Der Irak hat sechs Jahre daran gearbeitet, und war noch nicht einmal
soweit, getrocknete Anthraxsporen herzustellen. Die haben nur Anthrax-Schlamm in die
Mittelstreckensprengköpfe gesteckt. Das hätte im Ernstfall nur wenige Menschen betroffen",
sagte van Aken. Auch das Versprühen von Aerosolen per Flugzeug sei nicht einfach: "Woher weiß man, ob
Auftriebe über eine Großstadt, die viel Wärme erzeugt, nicht die ganze Aerosol-Wolke in den
Himmel blasen?"
Wesentlich gefährlicher als mit Anthraxerregern könnte ein Angriff mit Pockenviren sein. "Wenn
jemand Pockenviren einsetzt, dann infiziert er sich selbst und reist zwölf Tage durch die Welt",
so van Aken. Eine Gruppe von Menschen könnte damit während der 12tägigen Inkubationszeit
eine globale Epidemie auslösen. Das Problem: Es gibt kaum noch Impfstoff gegen Pocken.
Allerdings gibt es auch kaum noch Pockenerreger. Offiziell werden Variola-Viren nur noch in
zwei Labors in den USA und Rußland gehalten.
Aber auch wenn weitere Staaten in Verdacht stehen, über Pockenviren zu verfügen, sei es
sehr unwahrscheinlich, daß Terroristen an die Erreger gelangen und eine Epidemie auslösen.
"Eher werden wir von einem Asteroiden erschlagen", schätzt van Aken.
Quelle:
Consors-Realtimeboard "Neuer Markt"
von der User-ID winnerin am 13/10/200 um 12:45 Uhr gepostet.