ARD.de:
"08.05.2006 11:04
Gute Chancen für Jenoptik
Vielleicht entgeht der Technologiekonzern millionenschweren Abfindungszahlungen. Zumindest hat ein BGH-Richter in einer mündlichen Verhandlung ein entsprechendes früheres Urteil als falsch bezeichnet. Die Jenoptik-Aktie springt in die Höhe.
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"Es ist unrichtig entschieden worden", sagte der Vorsitzende Richter Wulf Goette am Montag in Karlsruhe bei der mündlichen .Verhandlung im Bundesgerichtshof (BGH). Der Senat habe erhebliche Zweifel an den vom Kläger vorgetragenen Argumenten. Der Kläger hatte als Altaktionär der Jenoptik-Tochter Deutsche Effecten- und Wechselbank (DEWB) einen Abfindungsanspruch von etwa 27 Euro je Aktie geltend gemacht.
Da Jenoptik eine millionenschwere Abfindung gedroht hätte, bekam die Aktie nach dieser Aussage des Richters Auftrieb. Die im Technologieindex TecDax notierten Papiere, die zuvor im Minus gedümpelt hatten, sprangen ins Plus. Der Kurs kletterte auf 7,81 Euro und damit rund fünf Prozent über dem Freitagsschluss.
Entsprechend trennten sich die DEWB-Aktionäre, die auf eine Abfindung spekuliert hatten, von ihren Papieren. Der Kurs brach kräftig ein um rund zwölf Prozent auf 3,36 Euro.
Das alte Abfindungsangebot
Die Hintergründe sind etwas verzwickt. Ein Rückblick: 1997 kaufte Jenoptik von der Heidenheimer Industriellenfamilie Voith 99,2 Prozent der DEWB, einst eine alte Frankfurter Bank mit ebenso altem Kundenstamm.
Voith hatte mit der DEWB 1993 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Wegen dieses Vertrages machte Voith den freien Aktionären ein Abfindungsangebot für ihre DEWB-Anteile. Das waren damals umgerechnet 26,51 Euro. Doch einigen Aktionären war das zu wenig, sie klagten auf Nachbesserung.
Zwar ging mit der Übernahme des DEWB-Aktienpakets von der Familie Voith auch diese Abfindungs-Verpflichtungen auf Jenoptik über. Doch war das eine überschaubere Summe. Denn die wenigen freien Aktionären hielten nur ein knappes Prozent an der DEWB.
Der Späthe Fehler
Zunächst schien der Coup des damaligen Vorstandschefs Lothar Späth für Jenoptik ein Glücksfall zu sein. Die DEWB florierte und machte der Mutter Freude. Um noch mehr Gewinn machen zu können, wandelten Späth und der damalige Finanzvorstand und heutige Unternehmensboss Alexander von Witzleben die DEWB in eine Risikokapitalgesellschaft um.
Der Kurs explodierte förmlich, kletterte auf knapp 65 Euro. Jenoptik verdiente prächtig: Der Konzern verkaufte einen Teil der Aktien und führte drei Kapitalerhöhungen. Der Streubesitz der DEWB weitete sich auf rund 35 Prozent bzw. mehr als fünf Millionen Aktien aus.
Zwar kündigte Jenoptik den Beherrschungsvertrag und schloss damit bei den neuen Aktien die alten Verpflichtungen aus. Doch machten Späth und sein Nachfolger Alexander von Witzleben, der zu dieser Zeit als Finanzvorstand bei Jenoptik war, einen folgenreichen Fehler: Statt die neuen Aktien auch mit einer neuen Wertpapierkennnummer auszugeben, behielten sie die alte bei. Alle DEWB Aktien haben daher die WKN
804100: Die alten, abfindungsberechtigten Papiere – laut Jenoptik sind das nur rund 70.000 Stück – sind also von den mehr als fünf Millionen neuen Aktien nicht zu unterscheiden.
Die Umkehr der Beweislast
Findige Anleger bemerkten den Fehler mit der Kennnummer. Ihrer Meinung nach war das Abfindungsangebot immer noch gültig. Da der Kurs inzwischen kräftig eingebrochen und sogar zeitweise unter zwei Euro gefallen war, verlangten sie die Abfindung, die Jenoptik aber ablehnte.
Im Dezember 2004 bekamen die Anleger vor dem Oberlandesgericht Thüringen Recht. Jenoptik müsse zahlen, so das Urteil. Das Fatale: Das Gericht drehte die Beweispflicht um, so dass nicht der Aktionär durch Kontoauszüge oder Kaufverträge nachweisen musse, dass er zu dem einen Prozent der freien DEWB-Aktionäre gehöre. Vielmehr sollte Jenoptik belegen, dass dies nicht so ist. Und gegen dieses Urteil hat Jenoptik Revision vor dem BGH eingelegt.
Ein Risiko von 140 Milllonen Euro
Bestätigt der BGH das Urteil des OLG, wäre Jenoptik verpflichtet, jedem Aktionär aus dem Streubesitz die Abfindung zu zahlen. Also auch den Anteilseigner, die sich erst viel später mit DEWB-Aktien eingedeckt haben.
„Das könnte richtig hart für Jenoptik werden“, meint Lars Labryga von der Schutzgemeinschaft für Kleinanleger. Zwar wird vor dem BGH nur ein Einzelfall verhandelt, bei dem es um gut 11.000 Aktien und damit eine Summe von etwa 300.000 Euro geht.
Doch fast 3.000 DEWB-Anteilsscheinbesitzer blicken gespannt nach Karlsruhe, die rechtzeitig vor Ablauf der Abfindungsansprüche für insgesamt rund 5,9 Millionen Aktien bei dem Jenaer Technologiekonzern angemeldet haben. Späths Fehler hätte Jenoptik also teuer zu stehen kommen können. Insgesamt könnte sich beim derzeitigen Aktienkurs der DEWB ein Risiko von mehr als 140 Millionen Euro ergeben.
bs
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Quelle:
boerse.ard.de/content.jsp?key=dokument_162418