Sarah Nazari
Sarah Nazari
Die deutsche Sparkassen-Finanzgruppe, lange bekannt für konservatives Geschäftsgebaren und hohe Kundennähe, vollzieht eine bemerkenswerte Kehrtwende. Nachdem der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) 2022 noch ein kategorisches Nein zu Kryptowährungen wie Bitcoin kommuniziert hatte, will man nun in ausgewählten Sparkassen künftig den Handel mit Krypto-Assets ermöglichen – direkt in der Sparkassen-App.
Diese Entscheidung gilt als Signal an den gesamten Finanzsektor: Ein bislang als krypto-skeptisch geltender Player öffnet sich dem Digitalwährungsmarkt – getrieben durch Kundeninteresse, regulatorische Klarheit und intensiven Wettbewerb.
Ulrich Reuter, Präsident des DSGV, hatte sich lange gegen Kryptowährungen ausgesprochen. Sein Hauptargument: der Schutz der Kunden vor „unkalkulierbaren Risiken“. Im Interview mit dem Handelsblatt gesteht er nun ein, dass dieser Schutzgedanke zwar weiter gelte, aber neu bewertet werden müsse.
„Unsere Kunden wollen Kryptowährungen handeln – sicher, nachvollziehbar und innerhalb eines etablierten Bankensystems“, so Reuter. Umfragen hätten gezeigt, dass ein signifikanter Teil der Sparkassenkundschaft bereits Krypto-Assets über Drittanbieter kaufe – ein potenzielles Sicherheits- und Vertrauensrisiko. Die neue europäische Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCA), die verbindliche Regeln für Kryptoanbieter vorsieht, habe nun die Voraussetzung geschaffen, diesen Service auch innerhalb der Sparkassenstruktur anbieten zu können.
Die Umsetzung des Kryptoangebots soll effizient und risikokontrolliert erfolgen:
Handelspartner wird die Börse Stuttgart, die bereits seit 2019 Erfahrungen im Kryptogeschäft für Privatanleger gesammelt hat.
Verwahrstelle ist das Sparkassen-eigene Wertpapierhaus Deka, das mit entsprechender Infrastruktur aufwartet.
Diese Aufteilung entspricht dem in Deutschland etablierten Modell, regulatorische und operative Risiken gezielt auf spezialisierte Partner zu verteilen.
Die deutsche Finanzaufsicht Bafin sieht den Schritt der Sparkassen als Beleg für die zunehmende Integration digitaler Assets in das traditionelle Bankensystem. „Wenn selbst eine so konservative Institution wie die Sparkassen ein Kryptoangebot entwickelt, ist das ein Meilenstein“, sagte Bafin-Präsident Mark Branson bei der BafinTech-Konferenz.
Auch auf europäischer Ebene wächst die Bedeutung von Kryptowährungen im Bankensektor. Laut Daten der EU-Finanzaufsicht Esma haben die größten Banken der Eurozone im Jahr 2024 Krypto-Vermögenswerte im Wert von 4,7 Milliarden Euro verwahrt – ein massiver Anstieg im Vergleich zu 400 Millionen Euro im Jahr zuvor.
Das neue Kryptoangebot der Sparkassen fällt zeitlich zusammen mit einem erneuten Höhenflug des Bitcoin. Die älteste und bekannteste Kryptowährung erreichte am 10. Juli 2025 ein neues Allzeithoch von 112.052 US-Dollar, gestützt durch eine Tech-Rallye an den US-Börsen, angeführt von Nvidia (Nvidia Aktie). Seit der US-Wahl im November 2024, bei der Donald Trump erneut gewann, ist der Bitcoin-Kurs um rund 60 Prozent gestiegen.
Wesentliche Treiber des Anstiegs:
ETF-Zuflüsse in Milliardenhöhe
Käufe durch börsennotierte Unternehmen
Erwartete Krypto-Gesetzgebung in den USA
Technologische Euphorie rund um Künstliche Intelligenz und Blockchain
Trotz dieser Entwicklungen mahnt DSGV-Präsident Reuter zur Vorsicht. Er betrachtet Kryptowährungen weiterhin nicht als geeignete Anlage für die Altersvorsorge. Kundenberatung im klassischen Sinne soll es bei den Sparkassen zu Bitcoin nicht geben – stattdessen werde man gezielt auf Risiken hinweisen.
Hinter dem Strategiewechsel steckt jedoch mehr als nur Kundeninteresse oder regulatorische Entwicklungen. Seit Jahren verlieren die Sparkassen Marktanteile – besonders im Bereich Wertpapierdepots und bei jüngeren Kundengruppen.
Marktentwicklung 2004–2024:
Einlagenmarktanteil Sparkassen: von 27 % auf 25 %
Wertpapierdepot-Marktanteil (Sparkassen, Landesbanken, Deka): von 26 % auf 21 %
Insbesondere Fintechs wie N26 und Trade Republic gewinnen kontinuierlich junge Kunden. DSGV-intern wird dieser Trend als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen. In einem internen Schreiben warnte Reuter jüngst vor weiterem Mittelabfluss bei jüngeren Zielgruppen – einem Segment, das zunehmend durch innovative Krypto- und Aktienangebote bedient wird.
Die Sparkassen arbeiten an mehreren Fronten gleichzeitig:
Modernisierung der App: Bis Ende 2025 soll der Aktien- und ETF-Handel für alle Kunden möglich sein.
Produktoptimierung: Mehr Individualisierung und schnellere Prozesse.
Messung der Kundenzufriedenheit: Differenzierte Feedbacksysteme sollen Optimierungspotenziale aufdecken.
Trotz aller Digitaloffensiven bleibt das Filialnetz für Reuter ein Alleinstellungsmerkmal. Während junge Menschen seltener physisch in die Filiale kämen, zeigten Umfragen, dass die Möglichkeit zur persönlichen Beratung weiterhin geschätzt werde – ein Wettbewerbsvorteil gegenüber reinen Neobanken.
Die Geschäftsstrategie der Sparkassen basiert auf drei Leitplanken:
Robustheit des Geschäftsmodells
Steigerung der Kundenzufriedenheit
Wachstum durch neue Angebote
Doch diese Ziele stehen teils in Konkurrenz zueinander. „Ein zehnprozentiger Zins auf Einlagen wäre zwar gut für die Kundenzufriedenheit, aber schlecht für die Bilanz“, erklärt Reuter. Es gelte daher, wirtschaftliche Nachhaltigkeit mit Innovation und Kundenorientierung klug auszubalancieren.
Die Entscheidung der Sparkassen, sich für Krypto-Assets zu öffnen, markiert nicht nur einen strategischen Wandel, sondern auch einen Kulturbruch. Jahrzehntelang galt das System Sparkasse als Bollwerk gegen spekulative Trends. Nun wird – kontrolliert, reguliert und technologiegestützt – ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Dabei bleibt die Dezentralität des Sparkassensystems erhalten: Jede der 342 Institute entscheidet eigenständig, ob und wann sie das Kryptoangebot in ihrer App freischaltet. Ein Ansatz, der Flexibilität erlaubt, ohne das System zu überfordern.
Für den Finanzplatz Deutschland bedeutet dieser Schritt ein weiteres Zeichen für die Integration von Blockchain-basierten Anlageklassen in den regulierten Finanzmarkt. Und für die Sparkassen die Chance, verloren gegangene Marktanteile bei jungen, digitalaffinen Kunden zurückzugewinnen – ohne dabei ihre Grundwerte über Bord zu werfen.
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