Standort Deutschland: Die Wüste lebt
Von Olaf Storbeck
Plötzlich diese Zuversicht. „Wir sind besser, als wir glauben“, verkündet der „Stern“ und präsentiert in einer ausführlichen Titelgeschichte das „erfolgreiche Deutschland“. „Das Land hat wieder Zukunft“, behauptet die Wochenzeitung „Die Zeit“, ebenfalls auf Seite 1. Und Bundespräsident Horst Köhler verkündet in seiner Antrittsrede: „Wir können in Deutschland vieles möglich machen. Ich glaube an dieses Land.“
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Ein Jahr nach dem Beginn der Konjunkturerholung geht es auch psychologisch langsam wieder aufwärts. Und diese Renaissance des Optimismus ist weit mehr als bloßes Wunschdenken: Trotz aller Struktur- und Konjunkturprobleme – der vermeintliche Stillstandort Deutschland ist besser als sein Ruf.
Den Beleg dafür liefert der Zukunftsatlas 2004 – eine umfassende Analyse der Stärken und Schwächen des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Studie, die die Prognos AG gemeinsam mit dem Handelsblatt erarbeitet hat, beleuchtet Leistungsfähigkeit und Perspektiven aller 439 Städte und Landkreise in Deutschland. Die Denkfabrik und Beratungsfirma Prognos gehört wie das Handelsblatt zur Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck.
Das Standort-Ranking basiert auf einem breiten Bündel von 29 makro- und sozioökonomischen Indikatoren – harte Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten, Kennzahlen zur demographischen Entwicklung, Innovationskraft, sozialen Lage, Infrastruktur und Lebensqualität. „Eine so flächendeckende und tief greifende Analyse der wirtschaftlichen Perspektiven auf der Ebene sämtlicher Gebietskörperschaften ist in Deutschland beispiellos“, betont Peter Kaiser, wissenschaftlicher Leiter des Projekts bei Prognos.
Das Kernergebnis der Mammutstudie lautet: 109 der 439 Städte und Kreise haben sehr gute, gute oder zumindest überwiegend positive Zukunftschancen, weitere 210 haben einen ausgewogenen Chancen-Risiko-Mix. „Deutschland ist deutlich besser als sein Ruf“, sagt Prognos-Direktor Mathias Bucksteeg.
Auch der renommierte Ökonom Bert Rürup betont: „Der tiefe Pessimismus, der bis vor kurzem wie Mehltau auf dem Land lastete, war einfach übertrieben.“ Das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage ist sich sicher: „Der Standort Deutschland erlebt derzeit, was die Autoindustrie schon vor zehn, zwölf Jahren durchgemacht hat – eine Phase des radikalen Re-Engineerings.“ Daraus gehe das Land gestärkt hervor. „Schon jetzt ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands deutlich gestiegen.“
Top-Regionen im Süden und Südwesten
Die drei Top-Positionen in Deutschland haben der Süden und Südwesten des Landes unter sich aufgeteilt – die mit Abstand attraktivsten Wirtschaftsräume der Republik befinden sich durch die Bank südlich der Main-Linie. Ganz vorne liegt der Großraum München, gefolgt von Stuttgart und Umgebung sowie der Rhein-Main-Region um das Städte-Dreieck Frankfurt, Darmstadt und Mainz. „Das sind die drei Regionen Deutschlands, die so stark sind, dass sie international wirklich mithalten können“, sagt Prognos-Direktor Bucksteeg.
Auch insgesamt liegen die Süd-Länder eindeutig vorne. Unter den zehn Besten des Rankings taucht mit Wolfsburg nur ein Standort auf, der nicht in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen liegt – unter den 25 Besten sind es nur sechs. „Das Süd-Nord-Gefälle hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft und wird in Zukunft weiter zunehmen“, sagt Bucksteeg.
Der Zukunftsatlas zeigt aber auch: keine Regel ohne Ausnahme. Überall im Land gibt es auf der Ebene der Gebietskörperschaften wirtschaftliche Erfolgsgeschichten – durchaus abseits der Top-Regionen im Süden und Südwesten und trotz der Diktatur des Mittelmaßes in vielen nordwestdeutschen Bundesländern. Weitgehend im Verborgenen sind in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Wachstumskerne der zweiten Reihe entstanden – Städte und Kreise, die entweder schon heute hervorragend dastehen oder aber signifikant bessere Zukunftsperspektiven als andere Regionen mit vergleichbaren Rahmenbedingungen haben.
„Diese überdurchschnittlich erfolgreichen Städte und Kreise machen vor, dass man trotz aller Strukturprobleme und der Konjunkturflaute in Deutschland viel bewegen kann“, sagt Mathias Bucksteeg. Fast zwei Dutzend solcher „hidden champions“ haben Prognos und Handelsblatt ausgemacht – nach intensiver Recherche wurden aus dieser Gruppe neun Regionen ausgewählt, von denen das Handelsblatt ab morgen bis zum 3. August tägliche eine porträtiert. Jeder einzelne Standort, der in der Serie vorgestellt wird, macht deutlich: Regionen können sich, wenn sie ihre Chancen nutzen, vom Mittelmaß abkoppeln.
„Viele Politiker und Wirtschaftsförderer glauben noch immer, dass die Weltkonjunktur, der Strukturwandel und die Demographie die Entwicklung so gut wie vorgeben und die regionale Politik dagegen nur wenig ausrichten kann“, sagt Bucksteeg. „Doch das ist vollkommener Unsinn.“ Die stillen Stars machen vor, dass es auch anders geht.
Zum Beispiel Teltow-Fläming: Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik ist das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1997 und 2001 so stark gewachsen wie in dem brandenburgischen Flächenkreis – obwohl der Osten insgesamt seit Mitte der 90er-Jahre langsamer expandiert als der Westen.
Zum Beispiel der Landkreis Altötting: Selbst in den Jahren der Konjunkturflaute hat die Industrie in dem ostbayerischen Landkreis massiv investiert – obwohl die deutschen Unternehmen insgesamt nach dem Ende der Hochkonjunktur im Jahr 2001 extrem zurückhaltend agiert haben.
Zum Beispiel Dortmund: Keine andere Metropole im krisengeschüttelten Ruhrgebiet hat laut Prognos so gute Zukunftschancen wie Dortmund. Die Stadt am östlichen Ende des Ruhrgebiets hat sich zu einem Eldorado für IT- und Mikrosystemtechnik entwickelt – schon heute wächst die Beschäftigung im Dienstleistungssektor dreimal so schnell wie im Bundesschnitt.
Zum Beispiel der Kreis Vechta: Nirgendwo sonst werden pro Frau so viele Kinder geboren wie in der landwirtschaftlich geprägten Region zwischen Osnabrück und Bremen – Bevölkerung und Wirtschaftsleistung wachsen im Bundesdurchschnitt überproportional stark.
So unterschiedlich die regionalen Rahmenbedingungen und lokalen Wachstumsmotoren der heimlichen Boomregionen im Detail auch sind – sie alle verbindet ein Kernfaktor, der der entscheidende Schlüssel zum Glück ist und eigentlich für jeden Wirtschaftsförderer der Republik eine Selbstverständlichkeit sein sollte: „Die Regionen haben ganz genau ihre jeweiligen Stärken analysiert und haben die Chancen, die sich daraus ergeben, konsequent genutzt“, erklärt Bucksteeg.
Ein Erfolgsfaktor ist, dass in den versteckten Wachstumsregionen die regionale Politik, die Wirtschaftsförderung und die Unternehmen an einem Strang ziehen. „Das behauptet zwar jede Region von sich, aber nur in den wenigsten Fällen ist das wirklich der Fall“, betont Bucksteeg und schildert ein Musterbeispiel: „Wenn Sie sich im Landkreis Teltow-Fläming bei einem Immobilienmakler nach Gewerbeflächen erkundigen, haben Sie spätestens zwei Tage später die Wirtschaftsförderer am Telefon, die vorsichtig nachfragen, ob sie zusätzlich etwas für Ihr Unternehmen tun können.“
HANDELSBLATT, Mittwoch, 21. Juli 2004, 07:08 Uhr
Von Olaf Storbeck
Plötzlich diese Zuversicht. „Wir sind besser, als wir glauben“, verkündet der „Stern“ und präsentiert in einer ausführlichen Titelgeschichte das „erfolgreiche Deutschland“. „Das Land hat wieder Zukunft“, behauptet die Wochenzeitung „Die Zeit“, ebenfalls auf Seite 1. Und Bundespräsident Horst Köhler verkündet in seiner Antrittsrede: „Wir können in Deutschland vieles möglich machen. Ich glaube an dieses Land.“
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Ein Jahr nach dem Beginn der Konjunkturerholung geht es auch psychologisch langsam wieder aufwärts. Und diese Renaissance des Optimismus ist weit mehr als bloßes Wunschdenken: Trotz aller Struktur- und Konjunkturprobleme – der vermeintliche Stillstandort Deutschland ist besser als sein Ruf.
Den Beleg dafür liefert der Zukunftsatlas 2004 – eine umfassende Analyse der Stärken und Schwächen des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Studie, die die Prognos AG gemeinsam mit dem Handelsblatt erarbeitet hat, beleuchtet Leistungsfähigkeit und Perspektiven aller 439 Städte und Landkreise in Deutschland. Die Denkfabrik und Beratungsfirma Prognos gehört wie das Handelsblatt zur Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck.
Das Standort-Ranking basiert auf einem breiten Bündel von 29 makro- und sozioökonomischen Indikatoren – harte Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten, Kennzahlen zur demographischen Entwicklung, Innovationskraft, sozialen Lage, Infrastruktur und Lebensqualität. „Eine so flächendeckende und tief greifende Analyse der wirtschaftlichen Perspektiven auf der Ebene sämtlicher Gebietskörperschaften ist in Deutschland beispiellos“, betont Peter Kaiser, wissenschaftlicher Leiter des Projekts bei Prognos.
Das Kernergebnis der Mammutstudie lautet: 109 der 439 Städte und Kreise haben sehr gute, gute oder zumindest überwiegend positive Zukunftschancen, weitere 210 haben einen ausgewogenen Chancen-Risiko-Mix. „Deutschland ist deutlich besser als sein Ruf“, sagt Prognos-Direktor Mathias Bucksteeg.
Auch der renommierte Ökonom Bert Rürup betont: „Der tiefe Pessimismus, der bis vor kurzem wie Mehltau auf dem Land lastete, war einfach übertrieben.“ Das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage ist sich sicher: „Der Standort Deutschland erlebt derzeit, was die Autoindustrie schon vor zehn, zwölf Jahren durchgemacht hat – eine Phase des radikalen Re-Engineerings.“ Daraus gehe das Land gestärkt hervor. „Schon jetzt ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands deutlich gestiegen.“
Top-Regionen im Süden und Südwesten
Die drei Top-Positionen in Deutschland haben der Süden und Südwesten des Landes unter sich aufgeteilt – die mit Abstand attraktivsten Wirtschaftsräume der Republik befinden sich durch die Bank südlich der Main-Linie. Ganz vorne liegt der Großraum München, gefolgt von Stuttgart und Umgebung sowie der Rhein-Main-Region um das Städte-Dreieck Frankfurt, Darmstadt und Mainz. „Das sind die drei Regionen Deutschlands, die so stark sind, dass sie international wirklich mithalten können“, sagt Prognos-Direktor Bucksteeg.
Auch insgesamt liegen die Süd-Länder eindeutig vorne. Unter den zehn Besten des Rankings taucht mit Wolfsburg nur ein Standort auf, der nicht in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen liegt – unter den 25 Besten sind es nur sechs. „Das Süd-Nord-Gefälle hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft und wird in Zukunft weiter zunehmen“, sagt Bucksteeg.
Der Zukunftsatlas zeigt aber auch: keine Regel ohne Ausnahme. Überall im Land gibt es auf der Ebene der Gebietskörperschaften wirtschaftliche Erfolgsgeschichten – durchaus abseits der Top-Regionen im Süden und Südwesten und trotz der Diktatur des Mittelmaßes in vielen nordwestdeutschen Bundesländern. Weitgehend im Verborgenen sind in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Wachstumskerne der zweiten Reihe entstanden – Städte und Kreise, die entweder schon heute hervorragend dastehen oder aber signifikant bessere Zukunftsperspektiven als andere Regionen mit vergleichbaren Rahmenbedingungen haben.
„Diese überdurchschnittlich erfolgreichen Städte und Kreise machen vor, dass man trotz aller Strukturprobleme und der Konjunkturflaute in Deutschland viel bewegen kann“, sagt Mathias Bucksteeg. Fast zwei Dutzend solcher „hidden champions“ haben Prognos und Handelsblatt ausgemacht – nach intensiver Recherche wurden aus dieser Gruppe neun Regionen ausgewählt, von denen das Handelsblatt ab morgen bis zum 3. August tägliche eine porträtiert. Jeder einzelne Standort, der in der Serie vorgestellt wird, macht deutlich: Regionen können sich, wenn sie ihre Chancen nutzen, vom Mittelmaß abkoppeln.
„Viele Politiker und Wirtschaftsförderer glauben noch immer, dass die Weltkonjunktur, der Strukturwandel und die Demographie die Entwicklung so gut wie vorgeben und die regionale Politik dagegen nur wenig ausrichten kann“, sagt Bucksteeg. „Doch das ist vollkommener Unsinn.“ Die stillen Stars machen vor, dass es auch anders geht.
Zum Beispiel Teltow-Fläming: Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik ist das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1997 und 2001 so stark gewachsen wie in dem brandenburgischen Flächenkreis – obwohl der Osten insgesamt seit Mitte der 90er-Jahre langsamer expandiert als der Westen.
Zum Beispiel der Landkreis Altötting: Selbst in den Jahren der Konjunkturflaute hat die Industrie in dem ostbayerischen Landkreis massiv investiert – obwohl die deutschen Unternehmen insgesamt nach dem Ende der Hochkonjunktur im Jahr 2001 extrem zurückhaltend agiert haben.
Zum Beispiel Dortmund: Keine andere Metropole im krisengeschüttelten Ruhrgebiet hat laut Prognos so gute Zukunftschancen wie Dortmund. Die Stadt am östlichen Ende des Ruhrgebiets hat sich zu einem Eldorado für IT- und Mikrosystemtechnik entwickelt – schon heute wächst die Beschäftigung im Dienstleistungssektor dreimal so schnell wie im Bundesschnitt.
Zum Beispiel der Kreis Vechta: Nirgendwo sonst werden pro Frau so viele Kinder geboren wie in der landwirtschaftlich geprägten Region zwischen Osnabrück und Bremen – Bevölkerung und Wirtschaftsleistung wachsen im Bundesdurchschnitt überproportional stark.
So unterschiedlich die regionalen Rahmenbedingungen und lokalen Wachstumsmotoren der heimlichen Boomregionen im Detail auch sind – sie alle verbindet ein Kernfaktor, der der entscheidende Schlüssel zum Glück ist und eigentlich für jeden Wirtschaftsförderer der Republik eine Selbstverständlichkeit sein sollte: „Die Regionen haben ganz genau ihre jeweiligen Stärken analysiert und haben die Chancen, die sich daraus ergeben, konsequent genutzt“, erklärt Bucksteeg.
Ein Erfolgsfaktor ist, dass in den versteckten Wachstumsregionen die regionale Politik, die Wirtschaftsförderung und die Unternehmen an einem Strang ziehen. „Das behauptet zwar jede Region von sich, aber nur in den wenigsten Fällen ist das wirklich der Fall“, betont Bucksteeg und schildert ein Musterbeispiel: „Wenn Sie sich im Landkreis Teltow-Fläming bei einem Immobilienmakler nach Gewerbeflächen erkundigen, haben Sie spätestens zwei Tage später die Wirtschaftsförderer am Telefon, die vorsichtig nachfragen, ob sie zusätzlich etwas für Ihr Unternehmen tun können.“
HANDELSBLATT, Mittwoch, 21. Juli 2004, 07:08 Uhr