für die Blumen bzw Sterne...
da ich daraus ein gewisses Interesse herauslese, möchte ich den Forumsmitgliedern auch die Antwort der Spiegel Redakteure auf mein Kündigungschreiben nicht vorenthalten, ebenso meine Antwort darauf, damit es nicht zu lang wird erst die Stimme des Spiegel:
zunächst einmal: Wir würden es sehr bedauern, wenn Sie aufgrund eines einzigen Artikels ihr Spiegel-Abo kündigen – das wäre eine Art Kollektivstrafe für alle Kollegen der Redaktion, nur weil der Text eines Autoren-Duos Ihnen nicht gefallen hat. Vielleicht überdenken Sie Ihre Entscheidung ja noch einmal.
Nur zu Ihren Vorwürfen: Wir haben uns einen Eindruck von Herrn Braun und Wirecard gemacht, indem wir in den vergangenen drei Jahren mehrfach mit ihm gesprochen haben. So, wie wir ihn beschreiben, wirkt er nun einmal auf uns.
Das ist selbstredend bis zu einem gewissen Maß subjektiv, so wie es immer der Fall ist bei Portraits. Allerdings haben wir auch zahlreiche Gespräche mit ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern des Unternehmens geführt, und keines davon hat ein grundlegend anderes Bild von Herrn Braun ergeben als jenes, das wir im persönlichen Augenschein gewonnen haben.
Sie werfen uns vor, Fakten zu unterschlagen bzw. fast ausschließlich mit Andeutungen zu operieren. Wir können dieses Argument nicht nachvollziehen. Herr Braun selbst kommt an zahlreichen Stellen zu Wort, ebenso seine Kritiker von der FT – mit Klarnamen. Es liegen uns Strafanzeigen gegen das Management unter Herrn Braun vor, ebenso schriftlich die Kündigung des Mandats durch die renommierte Kanzlei CMS wegen des Verhaltens von Braun und anderen. Auch das zitieren wir mit Klarnamen.
Und was die Kritiker der einstigen Wirecard-Manager angeht: Seien Sie versichert, dass auch wir deren Aussagen lieber im O-Ton verwendet hätten. Allerdings herrscht auf deren Seite auch nach so langer Zeit noch immer ein Klima der Angst. Das verhindert leider nicht nur, dass man sich „on the record“ äußern will, wie Journalisten sagen; sondern es belegt auch die ungewöhnliche Firmenkultur bei Wirecard.
Die Vorwürfe bezüglich der Jahresabschlüsse in Dubai sind dokumentiert in dem von Wirecard selbst herausgegebenen Anleiheprospekt. Den Verdacht, nicht nur die FT, sondern auch Wirecard selbst könnte den Markt manipuliert haben, hegen nicht wir, sondern die Finanzaufsicht. Die Boon-Download-Zahlen haben wir bei dem Anbieter AppAnnie verifiziert, bei Interesse können wir Ihnen ausführlichere Angaben dazu liefern.
Zuletzt noch etwas Grundsätzliches zu Wirecard: Seien Sie versichert, auch wir wären froh, wenn Deutschland einen digitalen Vorreiter hervorbringen würde, der die internationale Konkurrenz das Fürchten lehrt – allzu viele davon gibt es leider nicht in diesem Land. Könnte Wirecard zweifelsfrei nachweisen, dass alle Vorwürfe haltlos sind, würden wir das selbstverständlich berichten. Womöglich gibt es Gelegenheit dazu, wenn 2020 der KPMG-Bericht vorliegt.
Die Historie zeigt freilich auch, dass Vorsicht geboten ist bezüglich Wirecard. Das sieht schließlich nicht nur der Spiegel so, sondern das sehen auch zahlreiche andere Redaktionen so, zudem viele Kapitalmarktteilnehmer sowie Aufsichtsbehörden in Deutschland und anderswo. Natürlich ist Wirecard ein vergleichsweise junges Mitglied im Dax; gleichwohl ist das Ausmaß an Ungereimtheiten, insbesondere mit Bezug auf die Solidität der asiatischen Töchter, gewaltig.
Hinzu kommt die insbesondere für Dax-Verhältnisse mangelhaft wirkende Compliance/Corporate Governance – lediglich 4 Vorstandsmitglieder ist Minusrekord im Dax, auch der Aufsichtsrat macht einen unterentwickelten Eindruck. Das ist womöglich der Unerfahrenheit des Unternehmens zuzuschreiben; aber es macht eben auch, als sei das Interesse an Transparenz innerhalb des Konzerns nicht besonders ausgeprägt. Vorwürfe gegen Wirecard etwa wegen mangelnder Corporate Governance gibt es seit langem – eine Auffrischung von Vorstand und Aufsichtsrat dagegen nur in Spurenelementen.
Das alles macht stutzig, und wir glauben, dass es unsere Aufgabe ist, rechtzeitig darauf hinzuweisen. Was die Tonalität des Artikels angeht gibt es sicherlich sehr unterschiedliche Ansichten, und wir respektieren Ihre voll und ganz. Gleichwohl hoffen wir, Ihnen unsere Beweggründe nähergebracht zu haben, auch wenn ich fürchte, dass wir vermutlich bezüglich Wirecard nicht mehr auf einen Nenner kommen. Wir würden uns aber freuen, wenn Sie dem Spiegel insgesamt weiterhin gewogen bleiben und Ihre Entscheidung bezüglich des Abos noch einmal überdenken.