Das erinnert an alte Neuer-Markt-Zeiten: In einem Zeitungsinterview äußert sich WEB.DE-Chef Matthias Greve überaus optimistisch zum Geschäftsverlauf - und die Aktie schießt in nur zwei Handelstagen um mehr als 30 Prozent in die Höhe. Doch Anleger sollten vorsichtig sein: web.de glänzt bis dato eher durch großspurige Prognosen als mit durchschlagenden Erfolgen.
Dabei waren die Aussagen von Greve in der "Süddeutschen Zeitung" nicht einmal neu. Die Geschäftsprognose für 2004 beispielsweise ein Umsatzplus von 35 bis 40 Prozent sowie ein positives Ergebnis wurde bereits anlässlich der Vorlage der Neunmonatszahlen im Oktober vergangenen Jahres abgegeben. Auch die folgenden reißerischen Äußerungen Greves sind wohlbekannt.
Demnach gibt Greve an, binnen zehn Jahren "das größte Web-Telekommunikationsunternehmen der Welt" zu werden. Die Hoffnung des Vorstands gründet vor allem auf der Software Com.Win, eine Art Telefonvermittlung über das Internet. Das bereits im Oktober 2002 vorgestellte "revolutionäre" Produkt ist bislang jedoch nicht über das Entwicklungsstadium hinausgekommen.
Com.Win ist eine gigantische Geldvernichtungsmaschine: Allein in den ersten neun Monaten 2004 sind rund sieben Millionen Euro in das Projekt geflossen. Doch aus den Plänen, die Software an große Telekomunternehmen auszulizenzieren ist nichts geworden. Bislang wird Com.Win lediglich von wenigen Nutzern des web.de-Portals verwendet.
Die Erlöse in dem als Web-Telefonie bezeichneten Geschäftsfeld betrugen von Januar bis September 2004 gerade mal 0,6 Millionen Euro. Bezeichnend: Es handelt sich hierbei fast ausschließlich um Umsätze aus Call-by-Call-Telefonminuten. Diese entstehen, wenn die Software eine Verbindung zwischen zwei Teilnehmern aufbaut. Für 2005 ist das internationale Roll-Out von Com.Win geplant, ein Erfolg ist jedoch äußerst fraglich.
Des weiteren träumt Greve von hohen Wachstumsraten durch den Einstieg ins DSL-Geschäft. Jedoch erfolgte dieser erst im Oktober 2004 und damit viel zu spät. Gegen die etablierten Anbieter wie T-Online, United Internet und freenet.de dürften die Karlsruher so gut wie keine Chance haben. Das gilt auch für den Bereich Internettelefonie, der erst im August 2004 hochgezogen wurde.
Freilich hat das TecDAX-Mitglied auch gute Seiten. Mit seinen mehr als zehn Millionen Nutzern ist web.de eines der erfolgreichsten Internetportale in Deutschland. Das Unternehmen hat es verstanden, mit dem "web.de-Club" erfolgreich Bezahldienste rund um die E-Mail einzuführen. Per 30. September 2004 zählte die Gesellschaft 322 000 Club-Mitglieder, die Monat für Monat mindestens fünf Euro zahlen.
Gleichwohl rechtfertigt das nicht die immens hohe Bewertung der web.de-Aktie: Beim Kurs von 8,20 Euro beträgt das 2005er-KGV stolze 43. Das Verhältnis von Marktkapitalisierung zu erwartetem 2004er-Umsatz liegt bei sieben. Das ist im Wettbewerbsvergleich eindeutig zu teuer. Nach dem starken Kursanstieg der vergangenen Tage ist die Rückschlagsgefahr deutlich gestiegen. Lediglich der Cashbestand von rund 100 Millionen Euro oder etwa drei Euro je Aktie bietet der Notiz Absicherung.
Die hohen Barmittel zeigen, wie sehr die Gesellschaft überkapitalisiert ist. Wir gehen davon aus, dass WEB.DE früher oder später einen Großteil des Geldes an die Aktionäre in Form einer Sonderausschüttung abgeben wird insbesondere für den Fall, dass das Projekt Com.Win scheitert. Für eine solche Maßnahme spricht auch die Aktionärsstruktur: Hauptanteilseigner sind die beiden Greve-Brüder. Sie halten 56,5 Prozent an der von ihnen gegründeten Firma.
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Kurs am 12. Januar: 8,20 Euro
Rückschlagspotenzial: 30 Prozent
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