Hamburg (dpa) - Gewalt in der Wirklichkeit erregt Abscheu. Gewalt auf dem Fernsehschirm, der Kinoleinwand, in Büchern und anderen Printmedien ist höchst populär. Diese Popularität legt die Vermutung nahe, dass erstere Abscheu nicht echt ist, sondern ein möglicherweise vordergründiges Resultat von Moralpädagogik und Meinungskonformismus.
Psychoanalytiker verweisen mit Nachdruck auf die menschliche Aggressivität und machen damit deutlich, dass Gewalt konstitutiver Bestandteil menschlicher Zivilisation ist. Darauf macht der Psychoanalytiker und Soziologe Alf Gerlach (Saarbrücken) aufmerksam im Kontext der jüngsten Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT). Sie war dem Thema «Gewalt und Zivilisation» gewidmet. Gewalt kommt also nicht von außen, als das Fremde und überraschend Unerklärliche. Eher scheint sie interner, vielleicht sogar unverzichtbarer Bestandteil unserer so sehr auf Fortschritt ausgerichteten Zivilisation zu sein, sagt der DGPT-Vorsitzende.
Texte der Tagung bieten hierüber hinaus ein breites Spektrum von Erklärungsversuchen und Deutungen. Gerhard Armanski (Landwehr/Eyershausen) meint, dass individuelle und soziale Gewalt nicht begriffen werden kann, wenn sie als Phänomen ohne Vergangenheit gesehen wird. Er verweist auf die Geschichte Europas. «Nirgendwo hat die Menschheit eine derart destruktionsfähige und dennoch - oder gerade deswegen - erfolgreiche Zivilisation hervorgebracht». Eben deshalb stehe Gewalt auch nicht am Rand der europäischen Geschichte und Gegenwart, sondern bilde einen wesentlichen Bestandteil okzidentaler Kultur.
Gibt es also auch gesunde Gewalt? Reimer Hinrichs (Berlin) bemerkt hierzu: «Gewalt wird primär und entwicklungsgeschichtlich als Phänomen verstanden, das für das Überleben der menschlichen Rasse notwendig war. Es wäre unrealistisch, auf die Eliminierung von Gewalt zu hoffen, eine gewaltfreie menschliche Gemeinschaft kann es nicht geben». Als therapeutisches Ziel nennt er, destruktive Erscheinungsformen von Gewalt in Richtung auf Konstruktivität zu verändern, Gewaltbereitschaft zu Gunsten kollektiver Aggressionsformen zu sublimieren, also etwa im Sport.
Zur kriegerischen Gewalt macht Stavros Mentzos (Frankfurt am Main) darauf aufmerksam, dass konkurrierende, ökonomische und machtpolitische Interessen für sich allein nicht ausreichen, um den Krieg verständlich zu machen. Auch nicht die Annahme eines vorgegebenen destruktiven Aggressionstriebs. Vielmehr scheinen ihm hier andere, «zum Teil normale, zum Teil pathologische psychische Bedürfnisse und Abwehrmechanismen» zu überwiegen. Solche, die vorwiegend die Identität von Individuen und großen Gruppen, die Selbststabilisierung, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Aufrechterhaltung von Loyalitäts- und anderen Bindungen betreffen.
Zur individuellen Gewaltbereitschaft in unserer Zeit bemerkt Benno Winkler (Stuttgart), sie werde vor allem durch Überbetonung des Erfolges aktualisiert. «Erfolg in diesem Sinn umfasst die Bereiche Schönheit, Jugend, Sportlichkeit, Sexappeal, Reichtum, Bekanntheit, Anerkennung. Die narzisstische Zufriedenheit des Individuums hängt eng mit diesen Begriffen zusammen».
Werner Bohleber (Frankfurt am Main) findet speziell bei Jugendlichen im Fühlen eigener Defizite eine Erklärung des Gewaltphänomens. «So kann die jugendliche Gewalt dazu dienen, schwache, verachtete, hilflose und ängstliche Selbstanteile in dem angegriffenen Opfer zu zerstören, um selbst frei davon zu werden und in sich nur noch ein starkes Selbstbild zu dulden.»
Für Sieglinde Tömmel (Planegg) stellt die rechtsextreme Gewalt Jugendlicher in den neuen Bundesländern eine Möglichkeit dar, auf dem schnellsten Wege eine «deutsche» Identität zu erlangen. Dort dürfte sich, wie sie sagt, nach der Wende ein Vakuum gebildet haben, in das ein starkes Bedürfnis nach neuer Identitätsbildung eindrang, für das rechtsextremes Denken und Fühlen den idealen Nährboden biete. Tömmel merkt hierzu an, dass im Osten eine deutsche nationale Identität bis 1989 im wesentlichen eine «internationale» Identität meinte. Sie nennt als deren Merkmale Unterdrückung, Ideologisierung und «Nichtdazugehören» - weil nicht westdeutsch
Psychoanalytiker verweisen mit Nachdruck auf die menschliche Aggressivität und machen damit deutlich, dass Gewalt konstitutiver Bestandteil menschlicher Zivilisation ist. Darauf macht der Psychoanalytiker und Soziologe Alf Gerlach (Saarbrücken) aufmerksam im Kontext der jüngsten Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT). Sie war dem Thema «Gewalt und Zivilisation» gewidmet. Gewalt kommt also nicht von außen, als das Fremde und überraschend Unerklärliche. Eher scheint sie interner, vielleicht sogar unverzichtbarer Bestandteil unserer so sehr auf Fortschritt ausgerichteten Zivilisation zu sein, sagt der DGPT-Vorsitzende.
Texte der Tagung bieten hierüber hinaus ein breites Spektrum von Erklärungsversuchen und Deutungen. Gerhard Armanski (Landwehr/Eyershausen) meint, dass individuelle und soziale Gewalt nicht begriffen werden kann, wenn sie als Phänomen ohne Vergangenheit gesehen wird. Er verweist auf die Geschichte Europas. «Nirgendwo hat die Menschheit eine derart destruktionsfähige und dennoch - oder gerade deswegen - erfolgreiche Zivilisation hervorgebracht». Eben deshalb stehe Gewalt auch nicht am Rand der europäischen Geschichte und Gegenwart, sondern bilde einen wesentlichen Bestandteil okzidentaler Kultur.
Gibt es also auch gesunde Gewalt? Reimer Hinrichs (Berlin) bemerkt hierzu: «Gewalt wird primär und entwicklungsgeschichtlich als Phänomen verstanden, das für das Überleben der menschlichen Rasse notwendig war. Es wäre unrealistisch, auf die Eliminierung von Gewalt zu hoffen, eine gewaltfreie menschliche Gemeinschaft kann es nicht geben». Als therapeutisches Ziel nennt er, destruktive Erscheinungsformen von Gewalt in Richtung auf Konstruktivität zu verändern, Gewaltbereitschaft zu Gunsten kollektiver Aggressionsformen zu sublimieren, also etwa im Sport.
Zur kriegerischen Gewalt macht Stavros Mentzos (Frankfurt am Main) darauf aufmerksam, dass konkurrierende, ökonomische und machtpolitische Interessen für sich allein nicht ausreichen, um den Krieg verständlich zu machen. Auch nicht die Annahme eines vorgegebenen destruktiven Aggressionstriebs. Vielmehr scheinen ihm hier andere, «zum Teil normale, zum Teil pathologische psychische Bedürfnisse und Abwehrmechanismen» zu überwiegen. Solche, die vorwiegend die Identität von Individuen und großen Gruppen, die Selbststabilisierung, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Aufrechterhaltung von Loyalitäts- und anderen Bindungen betreffen.
Zur individuellen Gewaltbereitschaft in unserer Zeit bemerkt Benno Winkler (Stuttgart), sie werde vor allem durch Überbetonung des Erfolges aktualisiert. «Erfolg in diesem Sinn umfasst die Bereiche Schönheit, Jugend, Sportlichkeit, Sexappeal, Reichtum, Bekanntheit, Anerkennung. Die narzisstische Zufriedenheit des Individuums hängt eng mit diesen Begriffen zusammen».
Werner Bohleber (Frankfurt am Main) findet speziell bei Jugendlichen im Fühlen eigener Defizite eine Erklärung des Gewaltphänomens. «So kann die jugendliche Gewalt dazu dienen, schwache, verachtete, hilflose und ängstliche Selbstanteile in dem angegriffenen Opfer zu zerstören, um selbst frei davon zu werden und in sich nur noch ein starkes Selbstbild zu dulden.»
Für Sieglinde Tömmel (Planegg) stellt die rechtsextreme Gewalt Jugendlicher in den neuen Bundesländern eine Möglichkeit dar, auf dem schnellsten Wege eine «deutsche» Identität zu erlangen. Dort dürfte sich, wie sie sagt, nach der Wende ein Vakuum gebildet haben, in das ein starkes Bedürfnis nach neuer Identitätsbildung eindrang, für das rechtsextremes Denken und Fühlen den idealen Nährboden biete. Tömmel merkt hierzu an, dass im Osten eine deutsche nationale Identität bis 1989 im wesentlichen eine «internationale» Identität meinte. Sie nennt als deren Merkmale Unterdrückung, Ideologisierung und «Nichtdazugehören» - weil nicht westdeutsch