9.1.2000 Stiss-Weekly-Analyse
VerticalNet - Unternehmen und Geschäftsmodell
Das in Horsham, im Staat Pennsylvania, ansässige Unternehmen wurde im Jahr 1995 von Mike McNulty und Mike Hagan gegründet. McNulty war dabei der Visionär, der bei der Vermarktung von Werbeplatz für die Fachzeitschrift WaterWorld - ein an Ingenieure für Wasser- und Abwasseranlagen gerichtetes Magazin - auf die Idee kam, daß auch im professionellen Bereich Bedarf an einer Community im Internet bestehen könnte, in der dann Ingenieure, Entscheider und Einkaufsverantwortliche untereinander News austauschen und Probleme diskutieren oder in der man Projekte ausschreiben und Produkte anbieten würde. VerticalNet startete dann mit nur einer Internetseite - natürlich WaterOnline genannt. Im September 1997 trat mit Mark Walsh ein entscheidender Mann in das Unternehmen ein. Walsh verantwortet als chief executiv officer (CEO) die operative Führung des Unternehmens und hat das junge Internet-startup professionalisiert. Ähnlich wie bei Yahoo! haben sich die eigentlichen Gründer aus dem aktiven Geschäft recht weit zurückgezogen. Walsh ist seit 1986 im "interactiv-services business" in führenden Managementpositionen dabei - erst als Verantwortlicher für den Online-Service bei General Electric, dann als Projektleiter für America Onlines B2B-Sektion AOL-Enterprise. Seine Erfahrungen und Kontakte dürften wesentlich dafür verantwortlich sein, daß VerticalNet heute aus der Masse der B2B-Unternehmen (man schätzt ihre Zahl auf bis zu 1.000 - nur in den Vereinigten Staaten) so deutlich herausragt.
Das Geschäftsmodell des Unternehmens läßt sich in gewisser Weise mit den allgemein bekannten Internetportalen wie Yahoo!, Excite oder Lycos vergleichen. Allerdings steht hier nicht die Funktion als Suchmaschine im Vordergrund, sondern vielmehr die Community-Funktion, News, Auktionen, Jobbörsen und natürlich e-business.
VerticalNet bildet dafür branchenspezifische Webseiten. Momentan besteht die Einteilung aus 10 Sektoren bzw. Branchen, wie zum Beispiel Communications oder Manufacturing & Metals. Auf diese Branchen sind dann die inzwischen 53 einzelnen Communities verteilt. Im Sektor Communications finden sich zum Beispiel die folgenden Einzelseiten: Digital Broadcasting.com, EC Online, Fiber Optics Online, Photonics Online, Premises Networks.com, RF Globalnet und Wireless Design Online.
Jede dieser 53 Communities bietet ihren Mitgliedern im wesentlichen die folgenden Leistungsgruppen an:
Content: redaktionell bearbeitete Nachrichten und Kommentare, einfache News, Branchenverzeichnisse, Produktinformationen, Jobbörsen usw.
Community: Erfahrungsaustausch zwischen Fachleuten weltweit, Auswertung von Messen und anderen Produktpräsentationen
Commerce: Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen zwischen den Mitgliedern der Community
Wie generiert VerticalNet nun seine Umsätze?
Die Gesellschaft verfügt über drei Umsatzträger: Zum einen erzielt sie Einkünfte aus der Vermietung von Werbeflächen. Dies ist vollkommen mit dem Business-Modell von Yahoo! vergleichbar. Zwar ist die Zahl der "Klicks" auf den VerticalNet-Seiten sehr viel geringer als bei den großen Portalen im Consumer-Bereich, jedoch ist die Kundschaft auch unvergleichlich attraktiver. Immerhin werden die jeweiligen Seiten nur von an der konkreten Materie wirklich interessierten Personen überhaupt aufgerufen - es ergeben sich also so gut wie keine Streuverluste für Werbebotschaften. Außerdem ist das Publikum oft direkt mit Kaufabsichten unterwegs und handelt dann auch mit hohen Volumina. Im dritten Quartal 1999 resultierten 52% der Umsätze aus Werbung. Der Anteil der Werbeeinnahmen am Gesamtumsatz weist dabei eine leicht sinkende Tendenz auf.
Weitere Einnahmen ergeben sich durch die Einrichtung sogenannter storefronts. Innerhalb der einzelnen Communities können interessierte Firmen einen eigenen Handelsplatz für ihre Produkte einrichten lassen - eben ihren storefront. Bisher waren die storefronts allerdings eher Präsentationsflächen. Erst seit wenigen Monaten bietet VerticalNet ein technologisch aufwendigeres Modell an - das e-Commerce Center. Mit dem e-Commerce-Center lassen sich direkt Transaktionen abwickeln und elektronische Produktkataloge verwalten. VerticalNet erhält für jeden dieser virtuellen Läden, je nach Ausführung, zwischen 7.000 und 15.000 US $ Jahresmiete. Mit den e-Commerce-Centern möchte man zusätzlich auch Transaktionsgebühren bis zur Höhe von 5% der dort abgewickelten Umsätze realisieren. Am Ende des dritten Quartals waren 2.676 storefronts über VerticalNet verfügbar. Vorerst ist aber nur ein verschwindend kleiner Anteil auf die neue e-Commerce-Center Technik umgestellt worden, so daß Einnahmen aus Transaktionsgebühren noch keine große Rolle spielen (sie fallen systematisch ohnehin in die nächste Kategorie). Die bereits fällig werdenden Mietzahlungen sorgen gegenwärtig für 39% des Gesamtumsatzes.
Die restlichen 9% des Umsatzes im dritten Quartal resultierten aus dem Bereich e-business. Damit wird deutlich, wie wenig entwickelt dieses Geschäftsfeld bei VerticalNet noch ist. Die Tendenz ist aber eindeutig. Im Vorquartal betrugen die e-business-Umsätze erst 5% vom Gesamtumsatz. Damit hat sich deren Gewicht innerhalb dreier Monate und trotz - in absoluten Zahlen gerechnet - kräftig steigender Werbe- und storefront-Erlöse beinahe verdoppelt! Zu den e-business-Umsätzen gehören insbesondere alle Transaktionsgebühren, daneben auch Einnahmen aus dem Verkauf von Software-Lizenzen und Serviceleistungen. VerticalNet hat 1999 begonnen, B2B-Auktionen anzubieten. Auch dieser Bereich wird in Zukunft wohl recht erhebliche Umsätze aus Auktionsgebühren generieren können. In ca. zwei oder drei Jahren soll der Bereich e-business für 50% des Gesamtumsatzes der VerticalNet sorgen.
Risiken, Perspektiven, Bewertung
Ein Investment in VerticalNet ist mit erheblichen Risiken behaftet. Das Unternehmen erzielt bisher nur geringfügige Umsätze. Im dritten Quartal 1999 waren es gerademal 5,1 Millionen US $. Andererseits ist der Ausbau der Plattform mit enormen Kosten verbunden. Allein in den ersten neun Monaten 1999 verlor das Unternehmen ca. 22 Millionen US $ - und zwar cashwirksam! Die Verluste dürften auch in den nächsten Quartalen weiterhin schnell steigen, so daß für VerticalNet Finanzspritzen über den Kapitalmarkt von existentieller Bedeutung sind. Entsprechende Verwässerungseffekte für die Aktionäre sind vorprogrammiert. Im September 1999 gelang es dem Unternehmen Anleihen im Wert von 115 Millionen US $ bei privaten Investoren zu plazieren, die im Jahr 2004 in ca. 2,8 Millionen Aktien gewandelt werden können. Bei derzeit ca. 35,6 Millionen ausstehenden Papieren ist dies immerhin eine Verwässerung von 8%, nur um den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten zu können. Und mit Sicherheit wird in diesem Jahr eine weitere (größere) Finanzierungsrunde folgen müssen. Davon abgesehen ist der Markt, in dem sich VerticalNet bewegt, sehr hart umkämpft. Es ist nicht sicher, daß die einzelnen Communities des Unternehmens ausreichend viel Liquidität anziehen können, um langfristig attraktive Handelsplätze zu werden. Insbesondere ist es nicht sehr bedeutend, wieviele einzelne Communities von VerticalNet betreut werden. Wesentlich ist vielmehr, wie liquide jede einzelne Community - auch im Verhältnis zu Angeboten spezialisierter Konkurrenten - ist. Ein an seiner speziellen Branche interessierter Einkäufer wird nämlich der Tatsache, daß bei VerticalNet neben seiner Branche noch 50 oder 100 andere Branchen abgebildet sind wenig Beachtung schenken.
Auf der anderen Seite entwickelt sich VerticalNet momentan genau in die richtige Richtung. Zwar sind die Umsätze winzig, doch weisen sie eine stark steigende Tendenz auf. Das Wachstum beträgt zwischen 50% und 80% von einem Quartal zum anderen. Die Rohertragsmarge ist in 1999 von Null auf über 50% gestiegen, so daß langfristig von einem sehr profitablen Geschäft ausgegangen werden kann. Umsätze aus Transaktionsgebühren, mit ihren hohen Bruttomargen, werden erst 2000 wirklich beginnen, eine Rolle zu spielen. VerticalNet hat durch Akquisitionen und Partnerschaften (zum Beispiel mit PurchasePro oder IBM) seine technologische Basis sehr verbessert und ist mittlerweile in der Lage, ein funktionstüchtiges Transaktionssystem anzubieten. Weiterhin akquiriert man erfolgreiche Nischenanbieter, wie zum Beispiel im November 1999 den weltweit führenden Marktplatz für Elektronikprodukte NECX Exchange. Die Internationalisierung hat ebenfalls begonnen - schon heute kommen 40% der "Klicks" aus dem Ausland.
Die Bewertung des Unternehmens spiegelt die enormen Hoffnungen und Phantasien der Anleger wieder. Beim gegenwärtigen Kurs von 144 US $ wird VerticalNet mit ca. 5 Milliarden US $ bezahlt. Der Umsatz könnte in diesem Jahr auf 70 bis vielleicht sogar 100 Millionen US $ steigen. Das KUV stellt sich somit, optimistisch gerechnet, auf ca. 50 ein. Im Verhältnis zu den großen Consumer-Werten wie Yahoo! oder EBay mit ihren KUV´s jenseits der 100 erscheint das sicher als geradezu preiswert - zumal der B2B-Sektor wesentlich mehr Potential hat. Andererseits halten wir eben die Bewertungen von Yahoo! und EBay für deutlich überzogen. Eine Ertragswertrechnung zeigt, daß der jetzige Kurs von VerticalNet im Jahr 2007 einen Umsatz von ca. 3,8 Milliarden US $, weiteres moderates "ewiges" Wachstum, eine hohe Nettomarge von 15% und eine starke und gesicherte Marktposition erfordert. Da der Markt noch am Anfang steht und schwer überschaubar ist, ist es eher eine Glaubensfrage ob man diese Prämissen als erfüllbar ansehen möchte. Wir halten dies jedenfalls keineswegs für ausgeschlossen und würden die Situation etwa mit der im Consumer-Bereich in den Jahren 1995/1996 vergleichen. Erneut stehen großen Chancen (fairerweise...) hohe Risiken gegenüber.
Fazit
VerticalNet hat mit der Idee ein transaktionsorientiertes Business-Portal aufzubauen, ein schlüssiges und erfolgreiches Geschäftsmodell etabliert. Das Unternehmen agiert in einem der am schnellsten wachsenden Märkte, nämlich dem internetgestützten Business to Business-Geschäft. VerticalNet kann einen "first mover"-Vorteil verbuchen und verfügt über ein fähiges Management. Die Gesellschaft wächst schnell und erzielt bereits heute eine hohe Bruttomarge. Gleichzeitig bestehen erhebliche Risiken aufgrund der hohen und weiter wachsenden Nettoverluste, der harten Konkurrenzsituation, des noch nicht präzise evaluierbaren Marktpotentials und der bereits sehr ambitionierten Bewertung. Dem spekulativen Investor empfehlen wir die Aktie dennoch zum Kauf. Der Depotanteil sollte 3% nicht überschreiten und die Entwicklung des Gesamtmarktes wie des Unternehmens sollte beständig verfolgt werden.