Der Wirtschaft steht eine Konzentrationswelle bevor. Vor allem Einzelhandel und Geldgewerbe kommen in den Strudel
Viele deutsche Unternehmen sind zur Zeit deutlich unterbewertet
Montage: Wiese/WamS
Von Manfred Fischer
Berlin - Die Commerzbank ein Schnäppchen, die Ruhrgebiets- Ikone ThyssenKrupp ein Kauf im Vorbeigehen und selbst der große DaimlerChrysler-Konzern, mit einem Börsenwert von 50 Milliarden Euro eines der wertvollsten deutschen Unternehmen, leichte Beute für ausländische Raider? Die Aktienflaute des vergangenen Jahres hat die deutschen Unternehmen so billig gemacht, dass manche Unternehmen an der Börse kaum mehr oder sogar weniger Wert sind als die Summe ihrer Teile.
Das ist eine günstige Ausgangslage, um den notwendigen und bislang verschleppten Strukturwandel in Deutschland voranzutreiben. Wenn sich nur willige Verkäufer fänden - es gäbe reichlich Bedarf bei Firmenkäufern. Die zuletzt wieder steigenden Börsenkurse könnten als neues Startsignal gewertet werden, um den Zug in Bewegung zu setzten.
Nachhilfe erhalten die Unternehmensarchitekten und Strukturkünstler seit dieser Woche auch vom Gesetzgeber. Gewinne aus dem Verkauf von Kapitalbeteiligungen sind nun für Unternehmen einkommensteuerfrei. Die großen Industriebeteiligungen, die noch friedlich in den Bilanzen der Banken ruhen, könnten über Nacht für Bewegung in der Szene und neue Aufbruchstimmung in der Wirtschaft sorgen.
Vor allem bei Einzelhandel und Banken, bei Autozulieferern und Versicherungen, bei Pharma und Chemie sieht Fritz Kröger, Vice President der Unternehmensberatung ATKearney, noch gewaltigen Bereinigungsbedarf. "Wir sind in Deutschland zu fragmentiert", glaubt Kröger und sieht für viele Unternehmen nur die Alternaive: "Entweder kaufen oder gekauft werden". Keine Chance gäbe es für Deutschland, sich von dieser weltweiten Konzentrationsbewegung abzukoppeln. "Es gibt keine nationalen Entwicklungen mehr, alle Industrien sind global", so der Unternehmensberater. Bei Börsenwert und Umsatzwachstum sind die deutschen Unternehmen inzwischen von der Spitze ins Mittelfeld abgerutscht. Der neue Aufbruch sei deshalb besonders dringend.
Dabei finden sich Unternehmen in allen Branchen - mehr oder weniger - in Zugzwang. Nach den ATKearney-Beobachtungen verläuft der Konsolidierungs- und Konzentrationsprozess weltweit in vier Phasen: Nach der Startphase der Dekonsolidierung, einer Wachstumszeit, in der viele Unternehmen überhaupt erst entstehen, folgen die Perioden der Volumenbündelung, der Fokussierung der Unternehmen auf ihr Kerngeschäft und schließlich die Phase des Gleichgewichts, in der weitere Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen oft die Form von Allianzen annimmt. Gerade Rüstungs- und Verteidigungsunternehmen haben in weiten Teilen schon diese Friedenszeit erreicht.
Am anderen Ende der Geschichte finden sich Energieversorger, Eisenbahnen und Banken. Für Deutschland ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, gerade bei Energieunternehmen, bei Banken und Versicherungen, dass der Konsolidierungs- und Konzentrationsprozess noch gar nicht richtig angefangen hat. In der Tat sind zum Beispiel im Sparkassengewerbe in naher Zukunft große Zusammenschlüsse programmiert. Auch die großen Banken, allen voran die Deutsche Bank, müssen handeln. Das größte deutsche Geldhaus sieht sich deshalb ständig Gerüchten ausgesetzt, nach denen sich eine feindliche Übernahme anbahne, oder aber Vorstandschef Rolf E. Breuer und seine Kollegen rund um den Globus unterwegs seien, nach geeigneten Opfern Ausschau zu halten. Sicher ist wohl nur: Das eine oder das andere wird passieren, wahrscheinlich noch in diesem Jahr.
Klar auf der Straße zu höherer Unternehmenskonzentration ist auch der deutsche Einzelhändler. Die heimischen Krämer, notorisch renditeschwach, werden sich mit einem Ansturm ausländischer Einzelhandelskonzerne konfrontiert sehen. Zwar konnte der US-Gigant Wal Mart in Deutschland bislang nicht so recht Fuß fassen, doch das wird sich nach Auffassung von Unternehmensberater Kröger schnell ändern: Die Amerikaner haben doch "erst mal nur geübt", glaubt er. Der Nahrungsmittelindustrie, in Krögers Phasenplan nur wenig weiter als der Einzelhandel, stehen nicht minder große Veränderungen bevor. Der Nahrungsmittelgigant Nestlé etwa kauft im Schnitt alle drei Tage ein Unternehmen auf und integriert die Firmen dann erfolgreich in den eigenen Verbund.
Auch die immer noch stark von mittleren Unternehmen bestimmte Branche der Autozulieferer steht ganz oben auf der Liste der gefährdeten Exoten. Zusammen mit Maschinenbau und anderen Metall verarbeitenden Industrien hat die Branche zwar in der Vergangenheit gutes Umsatzwachstum gemacht, bei der Erhöhung der Unternehmenswerte aber, also, wo vorhanden, der Börsenkurse, ist der deutsche Mittelstand bislang einfach nicht weltmarktfähig.
Besser sieht es bei den deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen aus. Im Großen und Ganzen schneiden sie im internationalen Werte- und Wachstumsvergleich nicht schlecht ab. Dennoch wird auch in diesen Zweigen der deutschen Wirtschaft in den kommenden Monaten und Jahren kräftig umgebaut werden müssen. BASF-Chef Jürgen Strube geht entsprechend von einem bevorstehenden Konzentrationsprozess in seiner Branche aus. Der Spezialchemiehersteller Degussa wird auf den Markt kommen, sowie Mehrheitsaktionär Eon die Zeit reif erscheint und ein Käufer gefunden worden ist. Auch der Chemie- und Pharmakonzern Bayer steht hoch oben auf der Liste jener Unternehmen, die für eine Übernahme infrage kommen, selbst wenn der Börsenkurs das Unternehmen zuletzt wieder in etwas sichere Gefilde gebracht hat.
Vor dieser Ausgangslage der deutschen Unternehmen sieht Unternehmensberater Kröger eine "riesige Mergerwelle" auf Deutschland zukommen. Doch eine Fusion ist kein Allheilmittel für den Erfolg am Weltmarkt. Rund die Hälfte aller Fusionen geht am Ende schief. Das hat die ATKearney-Auswertung von elftausend Zusammenschlüssen in einem Zeitraum von zehn Jahren ergeben.
Gruß Kostolmoney