laudia Tödtmann, Mitarbeit: Constanze Hacke
Spätestens in drei Wochen sind Sie so fertig, dass Sie den Aufhebungsvertrag unterschreiben“, bedrohte der Abteilungsleiter seinem Mitarbeiter ganz offen. Eine Szene aus Absurdistan? Weit gefehlt, Deutschland war Ort des Geschehens.
Gekündigt - was nun? - ein Special von Handelsblatt.com (20.08.)
HB DÜSSELDORF. Im September 2002. In der Zentrale einer der weltweiten Top-Ten- Unternehmensberatungen. Der Mann (Jahresgehalt 100 000 Euro) habe nur noch zwei Möglichkeiten: entweder er unterschreibe einen Aufhebungsvertrag – ohne jede Abfindung. Oder man schicke ihn, den Familienvater mehrerer Kinder, jetzt laufend ins Ausland. Jede Woche werde man ihn Leistungskontrollen unterziehen und ständig beurteilen. Eine Kollegin des Bedrohten war dabei. Doch dass diese Frau wohl kaum als Zeugin zur Verfügung steht, ist klar. Schließlich will auch sie ihren Arbeitsplatz nicht riskieren.
Die Szene schildert Michael Kliemt, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Düsseldorf. Er beobachtet solche Fälle inzwischen tagtäglich. „Je länger die Rezession dauert, umso derber die Methoden, mit denen Mitarbeiter eingeschüchtert werden sollen“, urteilt er. „Die Unternehmen versuchen es halt mal.“ Weder vor – strafbaren – Nötigungen noch Erpressungen schrecken verbleibende Angestellte zurück, schildert Kliemt. Dasselbe gilt für strafrechtlich ebenso relevante Körperverletzung – falls der Mitarbeiter krank wird durch die Tyranneien. Kliemt: Selbst Kollegen als Zeugen können sich übrigens der unterlassenen Hilfeleistung strafbar machen, wenn sie tatenlos zusehen, wie der Kollege fertig gemacht wird. Wenn die Drohungen wirken, die Mitarbeiter freiwillig das Weite suchen und lieber schnell einen Aufhebungsvertrag unterschreiben, als ihren guten Ruf in der Branche, ihr Nervenkostüm oder mehr zu riskieren, war es für die Firma profitabel: Dann braucht sie nicht selbst die Kündigung auszusprechen. Sie erspart sich einen Kündigungsschutzprozess samt dem verbunden Zeit- und Personalaufwand plus Anwaltshonorar und kommt vielleicht mit einer relativ niedrigen oder sogar ganz ohne Abfindung davon.
Jetzt wird er in Ruhe gelassen
Im konkreten Fall war dem Berater bereits vor wenigen Monaten gekündigt worden. Betriebsbedingt, schrieb man ihm. Doch um kampflos aufzugeben, dazu weht gerade in der Beraterszene momentan ein rauer Wind. Neue Stellen sind rar, überall bauen Unternehmensberatungen Leute ab. Dem Familienvater blieb keine Wahl: Er ging vor Gericht, gewann die Kündigungsschutzklage und war an diesem Tag – an dem er bedroht wurde – zum ersten Mal wieder in der Firma angetreten. Anwalt Kliemt reagierte schnell: Er schickte dem Vorgesetzten eine E-Mail und „drohte Rechtsmittel an“. „Seitdem herrscht Schweigen im Walde“, der Berater arbeitet in der selben Stadt wie vorher und wird in Ruhe gelassen.
Auch Henno Groell, Anwalt bei Brobeck Hale & Door in München beobachtet: „Immer mehr Arbeitgeber bedrohen ihre Leute, damit sie Aufhebungsverträge akzeptieren.“ Zum Beispiel, indem sie Spesenrechnungen durchforsten. „Da wird man schnell fündig“, so Groells Erfahrung. Etwa in dem Fall, als man die Rechnung für eine Tonerkartusche für 100 Euro fand, die in keinen Firmendrucker passte. Der Mann wurde wegen Betruges gefeuert. „Hätte er unterschrieben, wäre ihm wenigstens die Abfindung geblieben.“
Auch IT-Riese IBM war schon in den Schlagzeilen
Auch in der IT-Branche sind diese Praktiken an der Tagesordnung: Ronald M. (Name der Redaktion bekannt) war bis vor kurzem Manager bei einem international tätigen Telekommunikationsdienstleister mit Personalverantwortung für 50 Mitarbeiter. Die Geschäfte liefen schlechter, der Personalabbau begann. Doch der Kehraus der Führungsriege drohte teuer zu werden. Denn die hatten befristete Verträge, und bis Vertragsablauf ist der Lohn fällig, ohne Wenn und Aber. Jedenfalls so lange sich der Mitarbeiter nichts zu schulden kommen lässt, was eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde. Ronald M. bekam es Ende Juli mit der Angst zu tun: „Gleich zwei Geschäftsführer drohten mir mit fristloser Kündigung, wenn ich nicht bereit wäre, auf mehr als 50 % des Lohns zu verzichten.“ Und: Man recherchiere schon gegen ihn. Als er sich immer noch weigerte, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, kam der Rauswurf: wegen Kompetenzüberschreitung, er habe bei einem Projekt eine Freigabe erteilt, ohne befugt gewesen zu sein. „Einwände wollte niemand hören.“ Jetzt steht der Gerichtstermin bevor.
Wegen seiner Aufhebungsverträge kam auch der IT- Riese IBM in die Schlagzeilen. Rund 1 000 IBMler hätten sie in der ersten Jahreshälfte schon akzeptiert – und etliche aus Angst. IBM-Konzernbetreuer bei der IG Metall, Gerd Nickel, kritisiert: Die IBM-Geschäftsleitung sucht nach Möglichkeiten, Jobs abzubauen und drängt Angestellte, auf Aufhebungsverträge einzugehen – auch mit Druck. Nickel: Die entsprechenden „Freiwilligen- Programme“ sind keineswegs freiwillig.
Quelle: Handelsblatt
HANDELSBLATT, Freitag, 27. September 2002, 11:42 Uhr
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gruß proxi
Spätestens in drei Wochen sind Sie so fertig, dass Sie den Aufhebungsvertrag unterschreiben“, bedrohte der Abteilungsleiter seinem Mitarbeiter ganz offen. Eine Szene aus Absurdistan? Weit gefehlt, Deutschland war Ort des Geschehens.
Gekündigt - was nun? - ein Special von Handelsblatt.com (20.08.)
HB DÜSSELDORF. Im September 2002. In der Zentrale einer der weltweiten Top-Ten- Unternehmensberatungen. Der Mann (Jahresgehalt 100 000 Euro) habe nur noch zwei Möglichkeiten: entweder er unterschreibe einen Aufhebungsvertrag – ohne jede Abfindung. Oder man schicke ihn, den Familienvater mehrerer Kinder, jetzt laufend ins Ausland. Jede Woche werde man ihn Leistungskontrollen unterziehen und ständig beurteilen. Eine Kollegin des Bedrohten war dabei. Doch dass diese Frau wohl kaum als Zeugin zur Verfügung steht, ist klar. Schließlich will auch sie ihren Arbeitsplatz nicht riskieren.
Die Szene schildert Michael Kliemt, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Düsseldorf. Er beobachtet solche Fälle inzwischen tagtäglich. „Je länger die Rezession dauert, umso derber die Methoden, mit denen Mitarbeiter eingeschüchtert werden sollen“, urteilt er. „Die Unternehmen versuchen es halt mal.“ Weder vor – strafbaren – Nötigungen noch Erpressungen schrecken verbleibende Angestellte zurück, schildert Kliemt. Dasselbe gilt für strafrechtlich ebenso relevante Körperverletzung – falls der Mitarbeiter krank wird durch die Tyranneien. Kliemt: Selbst Kollegen als Zeugen können sich übrigens der unterlassenen Hilfeleistung strafbar machen, wenn sie tatenlos zusehen, wie der Kollege fertig gemacht wird. Wenn die Drohungen wirken, die Mitarbeiter freiwillig das Weite suchen und lieber schnell einen Aufhebungsvertrag unterschreiben, als ihren guten Ruf in der Branche, ihr Nervenkostüm oder mehr zu riskieren, war es für die Firma profitabel: Dann braucht sie nicht selbst die Kündigung auszusprechen. Sie erspart sich einen Kündigungsschutzprozess samt dem verbunden Zeit- und Personalaufwand plus Anwaltshonorar und kommt vielleicht mit einer relativ niedrigen oder sogar ganz ohne Abfindung davon.
Jetzt wird er in Ruhe gelassen
Im konkreten Fall war dem Berater bereits vor wenigen Monaten gekündigt worden. Betriebsbedingt, schrieb man ihm. Doch um kampflos aufzugeben, dazu weht gerade in der Beraterszene momentan ein rauer Wind. Neue Stellen sind rar, überall bauen Unternehmensberatungen Leute ab. Dem Familienvater blieb keine Wahl: Er ging vor Gericht, gewann die Kündigungsschutzklage und war an diesem Tag – an dem er bedroht wurde – zum ersten Mal wieder in der Firma angetreten. Anwalt Kliemt reagierte schnell: Er schickte dem Vorgesetzten eine E-Mail und „drohte Rechtsmittel an“. „Seitdem herrscht Schweigen im Walde“, der Berater arbeitet in der selben Stadt wie vorher und wird in Ruhe gelassen.
Auch Henno Groell, Anwalt bei Brobeck Hale & Door in München beobachtet: „Immer mehr Arbeitgeber bedrohen ihre Leute, damit sie Aufhebungsverträge akzeptieren.“ Zum Beispiel, indem sie Spesenrechnungen durchforsten. „Da wird man schnell fündig“, so Groells Erfahrung. Etwa in dem Fall, als man die Rechnung für eine Tonerkartusche für 100 Euro fand, die in keinen Firmendrucker passte. Der Mann wurde wegen Betruges gefeuert. „Hätte er unterschrieben, wäre ihm wenigstens die Abfindung geblieben.“
Auch IT-Riese IBM war schon in den Schlagzeilen
Auch in der IT-Branche sind diese Praktiken an der Tagesordnung: Ronald M. (Name der Redaktion bekannt) war bis vor kurzem Manager bei einem international tätigen Telekommunikationsdienstleister mit Personalverantwortung für 50 Mitarbeiter. Die Geschäfte liefen schlechter, der Personalabbau begann. Doch der Kehraus der Führungsriege drohte teuer zu werden. Denn die hatten befristete Verträge, und bis Vertragsablauf ist der Lohn fällig, ohne Wenn und Aber. Jedenfalls so lange sich der Mitarbeiter nichts zu schulden kommen lässt, was eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde. Ronald M. bekam es Ende Juli mit der Angst zu tun: „Gleich zwei Geschäftsführer drohten mir mit fristloser Kündigung, wenn ich nicht bereit wäre, auf mehr als 50 % des Lohns zu verzichten.“ Und: Man recherchiere schon gegen ihn. Als er sich immer noch weigerte, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, kam der Rauswurf: wegen Kompetenzüberschreitung, er habe bei einem Projekt eine Freigabe erteilt, ohne befugt gewesen zu sein. „Einwände wollte niemand hören.“ Jetzt steht der Gerichtstermin bevor.
Wegen seiner Aufhebungsverträge kam auch der IT- Riese IBM in die Schlagzeilen. Rund 1 000 IBMler hätten sie in der ersten Jahreshälfte schon akzeptiert – und etliche aus Angst. IBM-Konzernbetreuer bei der IG Metall, Gerd Nickel, kritisiert: Die IBM-Geschäftsleitung sucht nach Möglichkeiten, Jobs abzubauen und drängt Angestellte, auf Aufhebungsverträge einzugehen – auch mit Druck. Nickel: Die entsprechenden „Freiwilligen- Programme“ sind keineswegs freiwillig.
Quelle: Handelsblatt
HANDELSBLATT, Freitag, 27. September 2002, 11:42 Uhr
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gruß proxi