--------------------------------------------------
Telekommunikation: Mörderisches Milliardenspiel
--------------------------------------------------
Krisenstimmung in der Telefonindustrie: Die teuren
UMTS-Lizenzen werden einigen Firmen womöglich nie Profite
bringen, der Netzaufbau dauert zudem länger als geplant.
Interne Kalkulationen bauen darauf, dass die Handy-Kunden
kräftig konsumieren und zahlen aber wofür eigentlich?
Der moderne Mensch lebt multimedial. Geweckt wird er mit
Lieblingssongs aus seiner Musik-Datenbank, abgespielt vom
Handy neben seinem Bett. Kaum aufgestanden, stöpselt er das
Gerät an einen Drucker, der ihm die Leitartikel einiger
Tageszeitungen ausspuckt.
Im Auto auf der Fahrt ins Büro dann liest ihm das
Wunderding aktuelle E-Mails vor und nimmt erste Diktate
entgegen. Und wenn dann noch Zeit bleibt, werden online die
ersten Aktien geordert.
Auf Knopfdruck geht es weiter im Tagesablauf. Mittags, auf
dem Weg zum Flughafen, treffen aktuelle Nachrichten ein,
der Mann am Steuer überweist schnell Geld an seinen
Weinlieferanten und bestellt den aktuellen Spielfilm mit
Madonna.
Abends auf dem Heimweg nach dem Rückflug macht das Handy
dreimal "Beep". Stau auf der Autobahn auf dem
Farbbildschirm erscheint die günstigste Ausweichstrecke.
Gleich danach wird angezeigt, dass es noch Restkarten für
das Gastspiel der Londoner Symphoniker gibt der
Klassikfan bucht ohne zu zögern. Per Knopfdruck natürlich.
Alles Utopie? Reine Spielerei von Technik-Versessenen?
Oder doch, wie die Konzerne glauben, ein Zukunftsmarkt für
Hunderttausende, am Ende sogar Millionen moderner Menschen?
Wo so viel Neues wartet, müssen neue Begriffe her. Der
Werbemanager Alexander Schmidt-Vogel, Chef der größten
deutsche Media-Agentur Mediacom, spricht vom Zeitalter der
"Body communication", weil der heutige Leser, Zuschauer,
Bankkunde alles aus der Westentasche regeln kann. Nicht das
Internet sei die Revolution, "sondern das mobile Netz".
Leistungsstarke Handys erfüllen jene Funktionen, die heute
noch auf Telefon, Computer, Fernseher und Zeitschrift
verteilt sind.
Erst mit neuen starken Frequenzen verlassen die
herkömmlichen Medien ihren alten Aggregatzustand,
verflüchtigen sich, werden mobil. Zum Fernsehgucken braucht
man dann kein TV-Gerät mehr, auch das Internet kommt
drahtlos aufs Handy. Musik und Videofilme sind ohne
Musikanlage und Videorecorder zu empfangen Wireless
Communication, die drahtlose Kommunikation von
Sendezentrale und Privathandy macht's möglich.
Noch transportieren Lastwagen täglich Berge von Zeitungen
zu den Lesern, noch flimmert eine "Tagesschau" für alle
über den Guckkasten in die Wohnzimmer. Doch in der Welt von
morgen, so die Vision, stellt sich jeder sein eigenes
Nachrichtenblatt, sein persönliches TV-Programm zusammen
Empfang jederzeit, an jedem Ort.
Völlig losgelöst und souverän sollen die Kunden dann per
Handy natürlich auch Waren bestellen, Bücher, Schuhe,
Konzerttickets. Euphorisch prognostiziert das
Forschungsunternehmen Forrester bereits über 120 Millionen
westeuropäischer Nutzer des mobilen Internets im Jahr 2005
ein mutmaßliches Milliardengeschäft.
Die Wirklichkeit heute sieht trister aus, die Hoffnungen
weichen allmählich der Skepsis, in einigen Telefonfirmen
macht sich Sorge breit. In den Finanzplänen zeigen sich
plötzlich hässliche Lücken.
Die Ausgaben für UMTS, jene grundlegende Technik für das
mobile Zeitalter, beunruhigt die Controller. Schon die
UMTS-Lizenzen, die Bundesfinanzminister Hans Eichel vor
acht Wochen versteigern ließ, kosten die sechs siegreichen
Firmenkonsortien jeweils rund 16,5 Milliarden Mark.
Seit der spektakulären Aktion in Mainz sind die
beteiligten Firmen an der Börse mit starken Kursverlusten
abgestraft worden was den Spielraum weiter verengt.
Zuletzt verkroch sich Maximilian Ardelt wochenlang in
seinem Büro. Doch egal, wie der Chef der Telefonfirma Viag
Interkom die langen Zahlenkolonnen durchrechnete, das
Ergebnis war immer wieder gleich: Ohne radikale Kürzungen
in fast allen anderen Bereichen des Unternehmens seien die
UMTS-Milliarden nicht aufzubringen.
Vergangenen Dienstag entschloss sich Ardelt zum
Befreiungsschlag: Ein Teil von Eichels Lizenz-Milliarden
müsse, umgehend "an die Unternehmen zurückfließen",
erklärte er öffentlich. Ansonsten drohe der Handy-Branche
schwerer Schaden. Schon einige Tage zuvor hatte Konkurrent
Gerhard Schmid, Vorstandschef der Mobilcom, eine Klage
gegen die staatliche Regulierungsbehörde eingereicht.
In den Chefetagen der meisten Mobilfunkfirmen herrscht
Katerstimmung. "Die Situation ist dramatisch", sagt ein
Viag-Interkom-Manager. Für die Lizenz haben sich die
meisten Konzerne extrem verschuldet, täglich werden
Millionenbeträge an Zinsen fällig.
Weitere Kredite von bis zu zehn Milliarden Mark pro
Unternehmen müssen in den nächsten Monaten aufgenommen
werden, um Netze aufzubauen. Die Lizenz ist schließlich nur
ein Stück Papier.
Hinzu kommen technische Probleme. Viele Versprechen der
Zulieferfirmen erweisen sich als Luftblasen, Liefertermine
werden schon jetzt nach hinten geschoben.
Der Aufbau des Netzes wird wohl länger dauern als geplant.
Die anvisierten Übertragungsgeschwindigkeiten von bis zu
zwei Megabit sind zumindest in den ersten Jahren wohl nicht
zu schaffen. "Um solche Raten zu erreichen", gesteht
Mattias Schröter, UMTS-Manager bei der
Telekom-Handy-Tochter T-Mobil, "müssten wir jedem
Handy-Kunden eine eigene Antenne samt Richtfunkstrecke aufs
Dach montieren".
Nun soll alles bescheidener werden die deutschen
Handy-Firmen planen ihr UMTS-Netz meist mit
Übertragungsraten von 144 Kilobits. Das wäre zwar immer
noch doppelt so schnell wie ISDN doch für die geplante
Übertragung von Spielfilmen oder langen Musikstücken zu
langsam.
Selbst wenn solche Schwierigkeiten in zwei Jahren zu
überwinden sind, bleibt die Frage, ob die horrenden
Investitionen jemals wieder eingespielt werden. Denn die
Technik allein fasziniert die Kunden nicht. Ein Produkt
muss her, für das die Konsumenten bereit sind zu zahlen.
Aber welches?
Alle Kalkulationen beruhen auf einer unbekannten Größe:
Wie viele Menschen werden sich tatsächlich eines der neuen
Geräte zulegen? Schmid und sein langjähriger Finanzchef
Carsten Meyer, der jetzt im Aufsichtsrat sitzt, rechnen für
ihre Firma mit elf Millionen Kunden im Jahre 2010. Doch
gibt es wirklich so viele Technikfans, die mit ihrem Handy
mehr machen wollen als telefonieren?
Will der Verbraucher wirklich Anzug und Schuhe über Handy
kaufen? Wird er tatsächlich von Mallorca aus das Licht in
seinem Hamburger Haus ein- und ausschalten? Will er
elektronische Postkarten verschicken? Auf dem winzigen
Bildschirm seines Handys einen Krimi sehen?
"Die Leute werden den Spaß daran entdecken", sagt der
Mobilcom-Chef. Er sieht seine These durch die Tatsache
untermauert, dass bis Jahresende schon über 40 Millionen
Deutsche ein Handy nutzen und jeder Dritte regelmäßig im
Internet surft. Ernüchternd wirkt dagegen die Zahl derer,
die auch über das Internet kaufen: Es sind nur zehn Prozent
aller Erwachsenen.
In den Wirtschaftsplänen sind dennoch gigantische Beträge
summiert. Rund 160 Mark müsste nach den Planungen von
Mobilcom jeder Handy-Nutzer im Monat einbringen, damit das
Unternehmen im Jahr 2007 in die schwarzen Zahlen kommt.
Die UMTS-Spezialisten von Telekom-Chef Ron Sommer haben in
Modellrechnungen herausgefunden, dass sogar rapide Anstiege
der Kommunikationsausgaben in allen Haushalten nicht
ausreichen werden, die UMTS-Investitionen von sechs
Anbietern zu refinanzieren.
Unter Hochdruck entwickeln die Konzerne derzeit eigene
Angebote, die ihnen eine starke Marktstellung verschaffen
sollen. Branchenführer Vodafone arbeitet an einem
speziellen elektronischen Kalender, der den Nutzer über den
ganzen Tag begleitet. Viag Interkom wiederum bastelt an
einem eigenen mobilen Internet-Portal, das den Kunden
maßgeschneiderte Nachrichten und Werbeaussagen
bereitstellen soll. Und die Telekom schließlich plant eine
Internet-Plattform, die für alle Anbieter von Inhalten zur
Verfügung steht.
Neben den Telefontarifen sollen zielgerichtete Werbung und
spezielle Einkaufsangebote das große Geld bringen. Dank des
ständigen Datenstroms, der bei der UMTS-Technik an das
Handy ausgesandt wird, wissen die Mobilfunkfirmen sehr
genau, wo sich ihre Kunden aufhalten. So könnten sie etwa
dem Manager, der gerade auf dem Flughafen gelandet ist, per
Handy einen Leihwagen und ein Hotel anbieten oder
Autofahrern bei plötzlichem Schneefall in einem
Werbebeitrag die fälligen Winterreifen offerierten.
Schmids Rechnung ist relativ einfach: Er erwartet, dass
künftig jeder Besitzer eines neuen UMTS-Gerätes pro Monat
100 Mark für Dienste zahlt. Weitere 60 Mark nimmt das
Unternehmen demnach durch Werbung, Provisionen und
Abrechnungen unter den verschiedenen Anbietern ein.
Doch außer Visionen und Ideen hat keine der Firmen etwas
Greifbares zu bieten. Prototypen? Fehlanzeige.
Marktforschung ist zurzeit daher unmöglich.
"Nach der Lizenzvergabe rätseln die meisten
Mobilfunkbetreiber noch, mit welchen Angeboten sie Kunden
an sich binden können. Der Wettbewerb wird über Service und
Inhalte entschieden, nur damit lässt sich Geld verdienen",
sagt Andreas Schmidt, Manager bei Bertelsmann: "Deshalb ist
derzeit die Bereitschaft für Partnerschaften sehr groß."
Medienkonzerne wie Bertelsmann verfügen über umfassende
Rechte, die den Telefongiganten weitgehend fehlen. Und sie
besitzen jenes kreative Potenzial Autoren, Filmemacher,
Journalisten das sich seit jeher mit den Gewohnheiten und
Interessen von Lesern und Zuschauern befasst. Die
Telefonfirmen dagegen sind Technikunternehmen, hier sind
Experten für Richtfunk und Kabelstränge zu Hause.
Schmidt organisiert derzeit als Chef der Bertelsmann
E-Commerce Group den Auftritt des Konzerns in dem
Zukunftsgeschäft. Fast 200 Leute sollen sich in der neuen
Abteilung BeMobile um attraktive Angebote fürs Handy
kümmern, alle Produkte des Konzerns von den Online-News
des Business Channel bis zum Whitney-Houston-Song werden
unter der Führung von Konzernvorstand Rolf Schmidt-Holtz
gebündelt. Es sollen Pakete entstehen, die für eine Nutzung
via Handy attraktiv sind.
Ein "Haupttreiber" für die neue Handy-Welt sei Musik,
glaubt Schmidt schon bald sollen die Kunden über ihr
Telefongerät Songs im MP3-Format anhören und später
speichern können. Verhandlungen über das Projekt seien weit
fortgeschritten, unter den Favoriten für ein Joint Venture
ist angeblich die Viag Interkom.
Nach einer Bertelsmann-Studie gehen in Zukunft im
Durchschnitt 52 Prozent der Handy-Minuten für
Entertainment-Angebote vom Horoskop bis zu Cartoons drauf.
21 Prozent entfällt auf Transaktionen wie Bankgeschäfte
oder Ticket-Bestellungen, 14 Prozent auf
Datenbank-Recherchen (etwa zum Auffinden von
Telefonnummern) und 13 Prozent für Nachrichten. Der reine
Telefonkonsum spielt in diesem Planspielen keine Rolle
der Preis hierfür tendiere, so die Bertelsmänner, gegen
Null.
Auf Fußball setzt dagegen der Münchner Medienunternehmer
Leo Kirch. So schwärmt Christian Faltin, Sprecher der Kirch
New Media, vom "HSV-Handy", mit dem die Fans des Hamburger
Bundesliga-Clubs stets auf Ballhöhe sein könnten. An
Spieltagen sollen sie informiert werden, wenn irgendwo ein
Tor fällt gegen Extrabezahlung gibt es auch die passenden
bewegten Bilder. Kleinere Medienunternehmen sehen auch
Chancen für Nischenangebote. Die Kölner Produktionsfirma
Brainpool, die Komiker wie Stefan Raab oder Ingo Appelt
unter Vertrag hat, entwickelt für das Handy eigens kurze
Comedys. Und der milliardenschwere Ölerbe Mark Getty, der
die Rechte an 70 Millionen Bildern hat, schwärmt vom
elektronischen Verschicken von Postkarten und
Schmuckmotiven via Handy das sei ein "Riesenmarkt".
Derzeit plagen sich die Telefonkonzerne noch mit den
Widrigkeiten des Netzaufbaus, jeder Monat zählt.
Argwöhnisch beobachtet jeder den Konkurrenten, denn wer als
erster ein Netz vorweisen kann, wird auch zuerst auf
Kundenfang gehen. Ein munteres Mobbing beginnt.
Mobilcom-Chef Schmid habe den Mund zu voll genommen,
meinen Mitbewerber, die den Selfmade-Milliardär seit jeher
skeptisch beobachten. "Mobilcom muss erst mal ein Netz
schaffen", sagt Telekom-Sprecher Jürgen Kindervater: "Wir
dagegen müssen nur an unseren Stationen neue Antennen
draufsetzen."
Schmid sieht das ganz anders. Seine größeren Wettbewerber
hätten zwar für ihr bisheriges Netz etwa 4000 Stationen,
die aber müssten sie umrüsten und das sei problematisch.
Für ein flächendeckendes UMTS-Netz brauche jeder Anbieter
10 000 Stationen, das heißt, auch die Telekom könne den
Vorteil ihres alten Netzes nur teilweise nutzen.
"Ohne France Télécom wäre das nicht zu machen", gibt
Schmid allerdings bereitwillig zu. Der Partner übernimmt
den Aufbau der Infrastruktur. Schmid hat 100 Franzosen,
alles Experten in Sachen Netzplanung, nach Büdelsdorf
geholt und in leer stehenden Ferienwohnungen einquartiert.
Geschäftssprache ist Englisch.
Derzeit sind so genannte Site-Acquisiteure unterwegs. Die
klingeln bei den Hausbesitzern, auf deren Dach oder auf
deren Grundstück das notwendige UMTS-Gerät installiert
werden soll. Dem Hausbesitzer bringt ein solcher Vertrag
oft mehr ein als die Vermietung einer Wohnung.
Danach kommen die Montagefirmen, die ebenfalls bereits
reichlich Erfahrungen im Netzbau besitzen. Als
Hauptlieferanten für die Hardware hat Schmid die
schwedische Firma Ericsson gewählt.
Einige der selbstbewusst angetretenen Handy-Firmen
freilich dürften das Ende der neuen Gründer-Epoche nicht
erleben. "Nur wer demnächst mit seinen Diensten Kunden in
ganz Europa erreicht", prophezeit ein Vodafone-Manager,
"gehört zu den drei oder vier Konzernen, die das
mörderische Milliardenspiel überleben."
Bertelsmann-Manager Schmidt jedenfalls stellt sich auf
darwinistische Verhältnisse ein: "Es kommt zu einem
brutalen Auslesekampf."
PETER BÖLKE, FRANK DOHMEN, HANS-JÜRGEN
JAKOBS
--------------------------------------------------
(C) DER SPIEGEL 43/2000
Den Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL
www.spiegel.de/spiegel/0,1518,99340,00.html