Barton M. Biggs, Morgan Stanley
Ich hatte bisher schlicht und einfach Unrecht damit, dass die Rally von den Juli-Tiefs als Ausgangspunkt weiter gehen und länger andauern würde. Stattdessen sind die Aktienmärkte ins Wanken geraten und testen jetzt erneut diese Tiefs.
Die meisten Marktexperten glauben, dass die Juli-Tiefs durchbrochen werden und dass es zu einem weiteren dramatischen Kursrückgang um 20 Prozent kommen könnte, der wiederum einen Teufelskreis an den Finanzmärkten auslösen könnte. Tatsächlich sind einige europäische Märkte in der letzten Woche unter ihre Indexstände von Ende Juli gefallen. Das ist alles sehr beängstigend - aber Tests müssen ja schließlich beängstigend sein, sonst wären sie keine Tests!
Unsicherheit und Pessimismus bestimmen das Marktgeschehen
Es gibt verschiedene Gründe für die Schwäche der Aktienmärkte: Die Konjunkturdaten aus den USA und Europa sind gleichermaßen schwach, die bisher veröffentlichten Unternehmensergebnisse für das dritte Quartal waren sehr enttäuschend, und Saddam scheint der Uno zunächst einmal den Zahn gezogen zu haben. Ein Sieg im Irak wäre gut für die Aktienmärkte; ein Patt dagegen ist eher schlecht, weil er die Unsicherheit nicht beseitigt, die wie eine dichte Nebelwand über den Märkten hängt.
Außerdem sind bekanntlich die Kurs-Gewinn-Verhältnisse hoch und die Dividendenrenditen niedrig; Aktien sind also nach wie vor verhältnismäßig teuer. Der neue Lieblings-Chart der Börsenpessimisten ist unten in Abbildung 1 dargestellt. Die Bären erwarten „nicht bloß eine Rückkehr zum Durchschnitt, sondern unter den Durchschnitt, vielleicht sogar weit unter den Durchschnitt.“
Elementarer Tiefpunkt lag im Juli
Ich glaube nicht daran. Ich denke, dass im Juli der elementare Tiefpunkt dieses Bärenmarktes erreicht wurde und dass diese Tiefs im Großen und Ganzen halten werden. Am Boden der Talsohle muss die Stimmung definitionsgemäß am schlechtesten sein. Ich habe eine instinktive Abneigung dagegen, zu verkaufen, wenn Aktien stark gefallen sind, und zu kaufen, wenn sie stark gestiegen sind. Im klassischen Sinn haben wir einen richtigen langfristigen Bärenmarkt erlebt. Die europäischen Aktien sind gegenüber ihren Hochs um mehr als 50 Prozent gefallen. Ist es jetzt Zeit zu verkaufen oder zu kaufen? Letzteres, wenn Sie mich fragen.
Alles steht und fällt mit der US-Konjunktur, weil sie so wichtig für den Rest der Welt ist und die entscheidende Antriebsfeder für die Unternehmensgewinne darstellt. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die US-Konjunktur im vierten Quartal zulegen wird. Letzte Woche habe ich über den massiven potenziellen Effekt der Refinanzierung auf die Verbraucherausgaben geschrieben, und die neuesten Daten weisen schon wieder ein neues Hoch aus - was kaum überraschend sein dürfte, da die Anleiherenditen für Treasuries auf einen neuen Tiefstand gefallen sind.
Die zeitliche Verzögerung zwischen der Antragstellung und der Genehmigung dürfte momentan bei etwa 60 Tagen liegen. Folglich wird sich die Refinanzierungswelle des dritten Quartals erst später in diesem Herbst auf die Verbraucherausgaben auswirken. Auch die Liquidität nimmt zu: Die Geldmenge M3 einschließlich Commercial Papers verzeichnete in acht der letzten neuen Wochen einen Zuwachs. Spätestens im Oktober sollte es erste Anzeichen dafür geben, dass sich die Wirtschaftstätigkeit auf dem Weg der Besserung befindet, und wenn das eintritt, dürften die Aktien beflügelt werden.
Technik sendet ermutigende Signale
Im Moment deuten alle Stimmungsindikatoren, die ich beobachte, vom Volatilitätsindex VIX bis hin zum Market-Vane-Indikator, auf eine sehr pessimistische Stimmungslage hin. Ein erneuter Test der im Juli markierten Tiefs sollte von einer abnehmenden Abwärtsdynamik gekennzeichnet sein, so dass weniger Aktien neue Tiefststände schreiben dürften. Am 24. Juli wurden an der NYSE 917 neue Tiefststände verzeichnet, vergangenen Donnerstag hingegen waren es nur 214. Auch die Marktbreite war nicht mehr so extrem.
Ermutigend ist zudem, dass eine regelrechte „Bubble-Mania“ eingesetzt hat. Man findet kaum noch eine Zeitung oder Zeitschrift, in der nicht irgendjemand seine Meinung zu der Spekulationsblase an den Börsen sowie deren Ursachen und Folgen zum Besten gibt. Viele stellen Vergleiche zwischen der US-Wirtschaft heute und Japan in den frühen 90er Jahren an. Hier bestehen jedoch einige wesentliche Unterschiede: Erstens war das japanische Bankensystem damals pleite; unseres ist davon weit entfernt. Zweitens stiegen in den letzten fünf Jahren der japanischen Spekulationsblase die Häuserpreise fünfmal so schnell wie zuletzt in den USA. Drittens machte die Bank of Japan Fehler und leitete zu spät eine geldpolitische Lockerung ein. Die Fed trug zwar zum Entstehen der Spekulationsblase bei, ging aber aggressiv gegen ihre Nachwirkungen vor.
Abbildung 2, die von Bank Credit Analyst entwickelt wurde, vergleicht den Einbruch der Nasdaq mit einem Index, der sich aus verschiedenen geplatzten Spekulationsblasen zusammensetzt: Gold und Silber von 1973 bis 1986, dem Nikkei von 1982 bis 1995 und dem Dow Jones von 1922 bis 1935. Der Verlauf von Spekulationsblasen hat bekanntlich sehr wenig mit Fundamentaldaten, dafür um so mehr mit Emotionen zu tun. Die Nasdaq ist stärker gestiegen und tiefer gefallen als der zusammengesetzte Index, und der Nasdaq 100 verzeichnete sogar eine noch extremere Entwicklung. Die Technologieaktien haben einen massiven Absturz hinter sich und könnten beim ersten Anflug von guten Nachrichten ein wahres Kursfeuerwerk erleben.
Ich hatte bisher schlicht und einfach Unrecht damit, dass die Rally von den Juli-Tiefs als Ausgangspunkt weiter gehen und länger andauern würde. Stattdessen sind die Aktienmärkte ins Wanken geraten und testen jetzt erneut diese Tiefs.
Die meisten Marktexperten glauben, dass die Juli-Tiefs durchbrochen werden und dass es zu einem weiteren dramatischen Kursrückgang um 20 Prozent kommen könnte, der wiederum einen Teufelskreis an den Finanzmärkten auslösen könnte. Tatsächlich sind einige europäische Märkte in der letzten Woche unter ihre Indexstände von Ende Juli gefallen. Das ist alles sehr beängstigend - aber Tests müssen ja schließlich beängstigend sein, sonst wären sie keine Tests!
Unsicherheit und Pessimismus bestimmen das Marktgeschehen
Es gibt verschiedene Gründe für die Schwäche der Aktienmärkte: Die Konjunkturdaten aus den USA und Europa sind gleichermaßen schwach, die bisher veröffentlichten Unternehmensergebnisse
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