Französische Firmen teilen sich das boomende Geschäft mit stillem Wasser. Der deutsche Angreifer Gerolsteiner muss jetzt lernen, wie man das feuchte Nichts verkauft.
Es werde nicht mehr lange dauern, versprach Peter Traumann vor einem Jahr, dann bekomme man "die Franzosen" zu fassen. Traumann war damals Chef des Sprudelproduzenten Gerolsteiner aus der Eifel. Und er meinte seine großen Konkurrenten Volvic, Vittel und Evian, die französischen Marktführer im Segment kohlensäurefreier Mineralwässer.
Für Fachleute klang Traumanns Kriegserklärung so glaubhaft wie Walter Ulbrichts Kampfansage an den Kapitalismus: "Überholen, ohne einzuholen". Seit Gerolsteiner 1997 mit der eigenen CO2-freien Kreation "Excelsis" an den Start ging, dümpelt sie bei einem Marktanteil von 1,2 Prozent. Das war noch stiller als das farb-, geschmack- und geruchlose Wasser selbst.
Seit vergangenem Mittwoch nun rollt die zweite Angriffswelle von Gerolsteiner an. Erstmals pumpt man "Naturell" in den Handel, das endlich die Wende bringen soll. Und Jörg Croseck, Traumanns Nachfolger, plustert sich ähnlich auf wie sein Vorgänger: In zwei Jahren wolle man zehn Prozent Marktanteil.
Genau besehen ist die neue Marke eine Bankrotterklärung für das eigene Marketing: Denn "Naturell" ist nichts anderes als das alte Wasser, neu verpackt.
Image ist alles, wenn man ein Nichts wie Wasser verkaufen muss. Das wissen die Werbestrategen spätestens, seit mit Yello sogar Strom eine Farbe bekam. Geschätzte zehn Millionen Euro lässt sich Gerolsteiner deshalb den selbst entfachten Sturm aufs Wasserglas kosten.
Unter dem Motto "So wichtig wie die Luft zum Atmen" wird im Frühjahr die teuerste Kampagne in der Unternehmensgeschichte gestartet. Viel zu lange hatte sich der Sprudel-Marktführer auf die alte Branchenweisheit verlassen, die Bundesrepublik sei eine "Kohlensäureinsel in einer kohlensäurefreien Welt".
Zwar dürfte niemand in Europa mehr Sprudel trinken als die Deutschen (rund 63 Liter pro Kopf und Jahr). Das boomende Segment der "platten" Wasser aber habe man "nicht mehr länger an sich vorbeiziehen lassen können", sagt Unternehmenssprecher Stefan Göbel.
Gerolsteiners Hauptproblem: "Excelsis" habe der Verbraucher "gar nicht als stilles Wasser erkannt". Beim einzigen Werbespot der Altmarke, in dem eine Frau potenzielle Wasserkunden mit Thai-Chi-Gymnastik zum Kauf animieren sollte, hätten die Leute geglaubt, "die trinkt Sprudel". Was die Verbraucher mit dem Namen assoziierten, war geradezu verheerend, gibt Göbel zu: "Das reichte von einem Programm zur Datenverarbeitung bis zum magischen Schwert Excalibur. Alles, nur nicht stilles Mineralwasser."
Während der Neuentwicklung von "Naturell" beauftragten die verunsicherten Gerolsteiner ein Marktforschungsinstitut, das 120 tiefenpsychologische Befragungen zu Form, Farbe, Geschmack und Wahrnehmung von stillem Wasser durchführte und schließlich eine erstaunliche Erkenntnis zu Tage förderte: dass stilles Wasser "nach nichts schmecken darf", so Gerolsteiner-Chef Croseck ganz ernst.
Nur, wie verkauft man Nichts? Am besten als Kopie der erfolgreichen Konkurrenz. Also musste das Wasser auch richtig, sprich: französisch, verpackt werden. Die Literflasche wurde durch das Standardmaß, die 1,5-Liter-Kunststoffflasche, ersetzt. Sie wurde dezent blau eingefärbt. Und sie wurde mit wellenförmigen Rillen versehen.
Neben dem Produktdesign wird sich Gerolsteiner auch in Sachen Markenpflege am Dreigestirn aus Vittel (Nestlé), Evian und Volvic (Danone) orientieren müssen. Drei Wasserhähne im örtlichen Tourismusbüro, aus denen spärliche Gerolsteiner-Rinnsale zum Probieren fließen, reichen auf Dauer nicht aus. Besucher von Volvic zum Beispiel sind aufwendige Diashows gewohnt, die von Vittel ein eigenes Wasserinstitut mit allerlei nasser Historie. Der Aufwand ist jedenfalls gewaltig, um wenigstens die Illusion des Besonderen zu nähren.
Dabei unterscheide sich stilles Wasser "nur marginal von unserem Leitungswasser, wenn überhaupt", sagt Birgit Rehlender, Lebensmittelchemikerin der Stiftung Warentest. Die Münchner Wasserwerke warben sogar damit, quasi Mineralwasser in die Leitungen zu speisen, was ihnen dann aus Wettbewerbsgründen untersagt wurde. Zwar seien die meisten Quellen gesund, aber wegen der unterschiedlichsten Mineralstoffzusammensetzung gebe es "kein Wasser, das jedem gut tut".
Von dem boomenden Markt der stillen Wässer profitieren in jüngster Zeit vor allem die billigen Handelsmarken. Während die Franzosen den Angriff mit immens teuren Werbeschlachten parieren, scheint Gerolsteiner diesbezüglich entspannter: Selbst den Namen "Naturell" kupferte man von fünf Billiganbietern ab - er klinge nun mal am ehesten nach Wald, Frische und Reinheit. Mit Prozessen sei nicht zu rechnen, weil der Name als Gattungsbegriff nicht geschützt werden könne.
Am Ende wäre selbst ein zweiter Fehlstart für Gerolsteiner noch kein Grund zur Depression. Die Marketingleute machen sich mit den eigenen Umfragen Mut: Zu Hause, sagte einer der Probanden, würde er seiner Frau zuliebe Evian trinken. Aber bei der Arbeit höre der labbrige Spaß auf. "Da muss es prickeln."
spiegel.de
Es werde nicht mehr lange dauern, versprach Peter Traumann vor einem Jahr, dann bekomme man "die Franzosen" zu fassen. Traumann war damals Chef des Sprudelproduzenten Gerolsteiner aus der Eifel. Und er meinte seine großen Konkurrenten Volvic, Vittel und Evian, die französischen Marktführer im Segment kohlensäurefreier Mineralwässer.
Für Fachleute klang Traumanns Kriegserklärung so glaubhaft wie Walter Ulbrichts Kampfansage an den Kapitalismus: "Überholen, ohne einzuholen". Seit Gerolsteiner 1997 mit der eigenen CO2-freien Kreation "Excelsis" an den Start ging, dümpelt sie bei einem Marktanteil von 1,2 Prozent. Das war noch stiller als das farb-, geschmack- und geruchlose Wasser selbst.
Seit vergangenem Mittwoch nun rollt die zweite Angriffswelle von Gerolsteiner an. Erstmals pumpt man "Naturell" in den Handel, das endlich die Wende bringen soll. Und Jörg Croseck, Traumanns Nachfolger, plustert sich ähnlich auf wie sein Vorgänger: In zwei Jahren wolle man zehn Prozent Marktanteil.
Genau besehen ist die neue Marke eine Bankrotterklärung für das eigene Marketing: Denn "Naturell" ist nichts anderes als das alte Wasser, neu verpackt.
Image ist alles, wenn man ein Nichts wie Wasser verkaufen muss. Das wissen die Werbestrategen spätestens, seit mit Yello sogar Strom eine Farbe bekam. Geschätzte zehn Millionen Euro lässt sich Gerolsteiner deshalb den selbst entfachten Sturm aufs Wasserglas kosten.
Unter dem Motto "So wichtig wie die Luft zum Atmen" wird im Frühjahr die teuerste Kampagne in der Unternehmensgeschichte gestartet. Viel zu lange hatte sich der Sprudel-Marktführer auf die alte Branchenweisheit verlassen, die Bundesrepublik sei eine "Kohlensäureinsel in einer kohlensäurefreien Welt".
Zwar dürfte niemand in Europa mehr Sprudel trinken als die Deutschen (rund 63 Liter pro Kopf und Jahr). Das boomende Segment der "platten" Wasser aber habe man "nicht mehr länger an sich vorbeiziehen lassen können", sagt Unternehmenssprecher Stefan Göbel.
Gerolsteiners Hauptproblem: "Excelsis" habe der Verbraucher "gar nicht als stilles Wasser erkannt". Beim einzigen Werbespot der Altmarke, in dem eine Frau potenzielle Wasserkunden mit Thai-Chi-Gymnastik zum Kauf animieren sollte, hätten die Leute geglaubt, "die trinkt Sprudel". Was die Verbraucher mit dem Namen assoziierten, war geradezu verheerend, gibt Göbel zu: "Das reichte von einem Programm zur Datenverarbeitung bis zum magischen Schwert Excalibur. Alles, nur nicht stilles Mineralwasser."
Während der Neuentwicklung von "Naturell" beauftragten die verunsicherten Gerolsteiner ein Marktforschungsinstitut, das 120 tiefenpsychologische Befragungen zu Form, Farbe, Geschmack und Wahrnehmung von stillem Wasser durchführte und schließlich eine erstaunliche Erkenntnis zu Tage förderte: dass stilles Wasser "nach nichts schmecken darf", so Gerolsteiner-Chef Croseck ganz ernst.
Nur, wie verkauft man Nichts? Am besten als Kopie der erfolgreichen Konkurrenz. Also musste das Wasser auch richtig, sprich: französisch, verpackt werden. Die Literflasche wurde durch das Standardmaß, die 1,5-Liter-Kunststoffflasche, ersetzt. Sie wurde dezent blau eingefärbt. Und sie wurde mit wellenförmigen Rillen versehen.
Neben dem Produktdesign wird sich Gerolsteiner auch in Sachen Markenpflege am Dreigestirn aus Vittel (Nestlé), Evian und Volvic (Danone) orientieren müssen. Drei Wasserhähne im örtlichen Tourismusbüro, aus denen spärliche Gerolsteiner-Rinnsale zum Probieren fließen, reichen auf Dauer nicht aus. Besucher von Volvic zum Beispiel sind aufwendige Diashows gewohnt, die von Vittel ein eigenes Wasserinstitut mit allerlei nasser Historie. Der Aufwand ist jedenfalls gewaltig, um wenigstens die Illusion des Besonderen zu nähren.
Dabei unterscheide sich stilles Wasser "nur marginal von unserem Leitungswasser, wenn überhaupt", sagt Birgit Rehlender, Lebensmittelchemikerin der Stiftung Warentest. Die Münchner Wasserwerke warben sogar damit, quasi Mineralwasser in die Leitungen zu speisen, was ihnen dann aus Wettbewerbsgründen untersagt wurde. Zwar seien die meisten Quellen gesund, aber wegen der unterschiedlichsten Mineralstoffzusammensetzung gebe es "kein Wasser, das jedem gut tut".
Von dem boomenden Markt der stillen Wässer profitieren in jüngster Zeit vor allem die billigen Handelsmarken. Während die Franzosen den Angriff mit immens teuren Werbeschlachten parieren, scheint Gerolsteiner diesbezüglich entspannter: Selbst den Namen "Naturell" kupferte man von fünf Billiganbietern ab - er klinge nun mal am ehesten nach Wald, Frische und Reinheit. Mit Prozessen sei nicht zu rechnen, weil der Name als Gattungsbegriff nicht geschützt werden könne.
Am Ende wäre selbst ein zweiter Fehlstart für Gerolsteiner noch kein Grund zur Depression. Die Marketingleute machen sich mit den eigenen Umfragen Mut: Zu Hause, sagte einer der Probanden, würde er seiner Frau zuliebe Evian trinken. Aber bei der Arbeit höre der labbrige Spaß auf. "Da muss es prickeln."
spiegel.de