in den Eurozonen-Südländern. Hauptthema des Artikel ist die sich hartnäckig haltende Inflation, und was dagegegen getan werden könnte.
Der Artikel stammt von Henrik Müller. Er ist sehr gut geschrieben, lässt aber mMn einige wichtige Aspekte außer Acht. Ich habe kritische Kommentare in eckigen Klammern ergänzt.
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Kolumne von Hendrik Müller
Die Inflation hält sich hartnäckig. Auch nach rapiden Zinserhöhungen durch die großen Notenbanken ist der Trend ungebrochen: Die Kerninflation (ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel) steigt immer noch weiter. Zuletzt lag sie in der Eurozone bei 5,6 Prozent, doppelt so hoch wie vor einem Jahr
Insgesamt steigen die Verbraucherpreise nach wie vor mit Raten von 8,5 Prozent.
Klar, es dauert bis eine straffere Geldpolitik in der Wirtschaft ankommt. Wirkungsverzögerungen von anderthalb bis zwei Jahren sind nichts Ungewöhnliches. Entsprechend wäre bestenfalls ab Herbst mit abflauenden Kerninflationsraten zu rechnen.
Dennoch: Viele Fachleute, darunter auch Notenbanker, sind überrascht, wie schwierig es ist, die Preisdynamik wieder einzufangen. Schließlich war Inflation jahrzehntelang kein Thema, egal, wie viel Geld die Notenbanker in die Wirtschaft kippten.
[A.L.: Das war die Zeit der Deflations-LÜGE. Wenn man jahrelang behauptet, es herrsche Deflation und deshalb pausenlos Geld druckt - die Bilanzsumme der EZB ist inzwischen auf fast 10 Billionen angeschwollen -, dann ist die Inflation oder gar Hyperinflation keine Frage des "Ob", sondern nur noch eine Frage des "Wann".
Überraschend ist für mich eher, wie lange es bis zum "Ausbruch" der Inflation gedauert hat. Dass diese nun mit Lehrbuchmethoden wieder "eingefangen" bzw kontrolliert werden könnte, ist ein feuchter Traum, vor allem von Lagarde und Co...]
Etwas Grundlegendes muss sich also verändert haben. Aber was genau? Mit dieser Frage beschäftigt sich diese Kolumne.
Sie kommt zu zwei Ergebnissen: dass es bei der Bekämpfung der Inflation nicht nur auf die Notenbanken ankommt –
und dass insbesondere die Eurozone vor fundamentalen Schwierigkeiten steht.
[A.L. Der letzte Satz zeugt schon mal von begrenzter Problemeinsicht...]
Inflation ist nicht immer eine Frage von Geld, aber dauerhafte Inflation lässt sich ohne übermäßige Geldzufuhr kaum am Laufen halten. Plötzlich steigende Energiekosten beispielsweise können das Preisniveau nach oben schieben, so wie voriges Jahr geschehen. Damit daraus aber ein länger anhaltender Trend wird, braucht es reichlich Schmiermittel: Auf breiter Front steigende Preise sind typischerweise Folge eines Missverhältnisses zwischen der Menge an Geld und der Menge an Produkten, die eine Volkswirtschaft zur Verfügung hat. Wächst die Geldmenge längere Zeit schneller als die Realwirtschaft, dann steigen die Preise – und somit die Inflationsraten.
Dieser Prozess kann sich verfestigen, wenn Bürger und Unternehmen mit immer weiter steigenden Preisen rechnen und entsprechend handeln.[A.L.... Das passiert u.a., wenn die Bürger/Sparer in Sorge leben, dass der Euro den Bach runtergeht und deshalb trotz überhöhter Preise weiterkaufen, eh das Geld bzw. die Ersparnisse wertlos werden. Die Geldumlaufgeschwindigkeit steigt dann, was inflationär wirkt. Aus den Panikkäufen resuliert eine nicht nachhaltige "Katastrophen-Hausse"...]
Es kommt also auf beides an: auf die monetäre und auf die realwirtschaftliche Seite der Wirtschaft. Für erstere ist primär die Zentralbank zuständig, die kurz- bis mittelfristig in die Versorgung mit flüssigen Mitteln eingreifen kann. Das geschieht derzeit: Da sich höhere Inflationserwartungen zu verfestigen drohen, achten die westlichen Notenbanken genau auf Preisforderungen der Unternehmen und die Lohnentwicklung, während sie gleichzeitig die Geldmenge bremsen oder sogar schrumpfen lassen, wie aktuell in den USA.
Die realwirtschaftlichen Angebotsbedingungen hingegen lassen sich nicht so leicht steuern. Dabei handelt es sich, grob gesagt, um die Summe der tätigen Wirtschaftsaktivitäten einer Gesellschaft: Serviceleistungen, die Menschen erbringen; Güter, die produziert oder importiert werden; Know-how, das entwickelt und genutzt wird. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle: die demografische Entwicklung, die Spielregeln des Arbeits- und des Kapitalmarkts sowie des internationalen Handels, der technologische Fortschritt, das Bildungs- und Wissenschaftssystem, das Management von Unternehmen und vieles mehr. An all diesen Größen lässt sich kurzfristig wenig ändern. Langfristig jedoch sind sie entscheidend für das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft.
Die Angebotsseite bestimmt auch, wie inflationsanfällig eine Volkswirtschaft ist. Ein großes und flexibles Angebot verhindert Preissteigerungen, weil selbst kräftige Nachfrageschübe stets gedeckt werden können. In einer Welt des Überflusses gibt es keine Knappheiten – und entsprechend auch keine starken Preissteigerungen.
Bei schwacher Entwicklung des Produktionspotentials hingegen gerät eine Volkswirtschaft eher an die Überhitzungsschwelle, sodass die Inflation in Wallung kommt.[A.L.: Dazu kommt es auch, wenn Lieferketten wegen
Krieg, Sanktionen und China-Lockdowns reißen...]
Damit kommen wir auf die Eingangsfrage zurück: Genau an dieser Stelle hat sich zuletzt einiges verschoben.
Inflation war in den zurückliegenden Jahrzehnten kein großes Thema, weil ein schier unerschöpfliches Angebot an Gütern und Dienstleistungen zur Verfügung stand – eine Folge des Zusammenspiels aus Globalisierung und günstiger Demografie.
[A.L.: Hinzu kam die "importierte Deflation" aus China (Billigprodukte), die aber bei Sanktionsgestänker gegen China künftig ebenfalls wegfällt = mehr Inflation!]
Dank offener Grenzen und einer immer weiter steigenden Zahl von Menschen, die an der weltweiten Wertschöpfung beteiligt waren, ließ sich nahezu jede Nachfrage bedienen. [A.L:: Ach ja? Auch nach Wohnraum in D.??] Selbst wenn die Notenbanken die Geldmenge rasch expandieren ließen, reagierten die Güterpreise kaum.
Inzwischen jedoch hat sich einiges verändert. Die beiden großen Schocks der vergangenen Jahre – die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg – haben zwei Langzeittrends beschleunigt:
Erstens zersplittern die Weltmärkte; in der derzeitigen Phase der Postglobalisierung entstehen wieder jede Menge Handelsbarrieren, gerade für Industrieprodukte. Zweitens macht sich die Demografie bemerkbar: In vielen Ländern sinkt die Zahl der werktätigen Menschen, absehbar auch in Deutschland, eine Tendenz, die die Pandemie verstärkt hat, weil sich in der Folge viele Leute aus dem Erwerbsleben zurückgezogen haben. Beides schmälert das gesamtwirtschaftliche Angebot – und macht das System insgesamt inflationsanfälliger. Die Hartnäckigkeit der Preisdynamik lässt sich auch durch Beschränkungen auf der Angebotsseite erklären.
Andersherum: Wenn es gelänge, die Produktivkräfte zu stärken, dann würde das auch gegen die Inflation helfen. Geht das?[Vorwegantwort A.L.: Nein, nicht bei Energie-Mondpreisen infolge der Sanktionen!]
"Productivity isn’t everything, but in the long run it is almost everything.” Der spätere Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman hat einst diesen Satz geschrieben. Soll heißen: Letztlich wird der Wohlstandszuwachs davon bestimmt, wie viel Wertschöpfung sich mit vorhandenen Mitteln erreichen lässt.
Schaffen Beschäftigte im Schnitt immer ein wenig mehr, kann man mit der gleichen Menge an Leuten immer mehr Produkte herstellen.[A.L.: Ohne billige Energie für die Maschinen läuft das mMn nicht! Jedenfalls nicht in Sanktions-Europa. Teure Energie SENKT die Produktivität. Der beschriebene Effekt greift nur, wenn Maschinen bei gleichem Energieverbrauch höhere Stückzahlen produzieren
oder gleiche Stückzahlen bei niedrigerem Energieverbrauch (oder eine Kombination).
Diesen Prozess technologischen Effizienzgewinns gibt es zwar, aber er läuft sehr langsam, und die Energieteuerung schlägt im Vergleich noch stärker durch. ]
Weil Wissen und Know-how zunehmen, weil Organisationsstrukturen und technische Hilfsmittel (Maschinen, Computer, Software) verbessert werden, entsteht Fortschritt – die Angebotsseite der Volkswirtschaft wächst,
ohne dass mehr Beschäftigte, Kapital oder natürliche Ressourcen eingesetzt werden müssten.
[A.L.: Stimmt nicht ganz! Für mehr Maschinen benötigt man auch mehr Energie, und die ist eine natürliche Ressource. Bei fossilem Öl/Gas, dass die Industrie massenweise benötigt, ist es zudem eine begrenzte Ressource, die über Sanktionen zusätzlich verknappt wird. Es funktioniert nur, wenn die Maschinen effizienter werden, s.o.]
Die Grafik illustriert [unten angehängt, A.L.], wie sich dieser Prozess der allmählich steigenden Produktivität niederschlägt. Milliarden von kleinen Fortschritten reihen sich über Jahrzehnte hinweg zu enormen Wohlstandszuwächsen aneinander, wie die Zahlen des US-Thinktanks Conference Board belegen. Zwischen 1950 und 2022 hat sich der Output pro Arbeitsstunde in Frankreich verachtfacht, in Deutschland fast verneunfacht, in Italien immerhin versiebenfacht. In Ländern wie den USA, den Niederlanden oder Schweden, die nach dem Zweiten Weltkrieg von einem höheren Niveau starteten, sind die Zuwächse nicht ganz so stark. Aber auch dort stieg die Wirtschaftsleistung pro Stunde um das Vier- bis Fünffache. Ziemlich spektakulär.
Mehr noch: Zwischen den hochproduktiven Ländern ist eine Konvergenz feststellbar. So erwirtschaften Beschäftigte in den USA, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden oder Schweden etwa gleich viel. Entsprechend sind auch die Wohlstandsniveaus dieser Länder vergleichbar. Doch es gibt ein ernstes Problem.
Wie die Grafik zeigt, geht die Schere zwischen den nördlichen und den südlichen Euro-Staaten immer weiter auseinander. Bereits in den 1990er Jahren ist der Produktivitätspfad im Süden abgeknickt. Der Effekt zeigt sich besonders deutlich in Italien und Spanien. Seit der Finanzkrise 2008 und der folgenden Euro-Krise stagniert dort die Produktivität – während sie im Norden weiter zulegt, wie die Conference-Board-Zahlen zeigen.
[A.L.: Die Südprobleme schildert Müller zutreffend, und deshalb dürften die Südländer auch am für sie zu starken Euro kaputtgehen (bzw. der Euro geht wegen der schwachen Südländer kaputt). Die EZB hält die PFIGS mit Staatsfinanzierung aus der Notenpresse mühsam am (Über-)Leben. Aber dieses Geldgedrucke ist leider auch ein wichtiger Inflationsmotor!]
Für die Eurozone insgesamt sind die zunehmenden Divergenzen schwierig, weil sie den Zusammenhalt Europas gefährden. Zudem schwächt die Entwicklung im Süden das Wachstumspotenzial des Wirtschaftsraums insgesamt – weshalb die Währungsunion absehbar inflationsanfälliger wird.
[A.L. Der Produktivitätsmangel in den EU-Südländern ist strukturell und historisch bedingt. Die EZB kann die Probleme lediglich kaschieren - mit verbotener Staatsfinanzierung und Schattentransfers wie dem Transmissionsprogramm. Sie kann die Produktivität in den PFIGS aber kaum anheben, die Politik- und Wirtschafts-Prämissen setzten die EU-Länder ja selber. Fazit: Der Euro ist eine Zeitbombe. Die ewige Gelddruckerei zur Problemverschleierung rächt sich nun: Das Inflationsgespenst ist in seiner ganzen Hässlichkeit aus der Flasche entwichen. Der Chart unten zeigt, dass in den EU-Südländern seit 2000 kaum noch Produktivitätsgewinne anfallen.]