Da Taube16 mich gefragt hat, hier meine aktuelle Einschätzung zur Steinhoff-Lage.
Ich habe mich in den letzten Tagen nicht zu Wort gemeldet, weil die Schimpfwort-Dichte meines Postings sonst wohl zu mehreren Monaten Sperre geführt hätte. Aber nicht den Kurs hätte ich beschimpft, sondern Steinhoffs größtes Problem. Und das sind weder Klagen noch PIK-Zinsen.
Steinhoffs größtes Problem ist sein CEO!
Ein paar Gedanken durch die Garion-Brille:
1.) Dass auf der Investoren-Konferenz eine Frage nach dem Aktienkurs kommen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Der CEO hatte tagelang(!) Zeit, sich eine Formulierung auf diese Frage zurechtzulegen. Das hat er ganz offensichtlich nicht getan! Er ist also entweder genuin dumm oder das Wohl der Aktionäre ist ihm egal oder er hat ein Interesse an einem niedrigen Aktienkurs. Andere Erklärungen als diese 3 gibt es nicht, und jede einzelne von ihnen ist schon einen fristlosen Rausschmiss wert!
2.) Der verehrte Herr CEO sieht es den Folien zufolge als nächste dringliche Aufgabe des Managements an, die Klagen aus dem Weg zu schaffen. Aha. Schon an dem Punkt wäre ich ja anderer Ansicht, aber dazu später mehr. Aber selbst wenn ich dem Gedanken des Herrn CEO folge, dann frage ich mich, was denn der Herr CEO und seine Vorstandskollegen eigentlich in den kommenden Monaten so viel jeden Tag mit der Lösung des Klagenproblems zu tun haben? Bezüglich der Ausderweltschaffung der Klagen gibt es nämlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man ficht sie vor Gericht bis zum bitteren Ende durch oder man einigt sich vorher auf einen Vergleich. Im ersteren Fall haben der Rechtsvorstand, die Hausjuristen und die angeheuerten Anwälte tagtäglich gut zu tun, aber nicht der CEO und auch nicht der CFO, der CTO, der C[irgendwas außer L]O! Bei der Geschwindigkeit, mit der juristische Mühlen mahlen, reicht dem Vorstand ein wöchentliches Briefing, um beim Klagethema auf dem Laufenden zu bleiben. Höchstens zu Gerichtsterminen wird es spannend, aber die stehen nur alle paar Wochen und Monate an. Wenn es also Priorität des Managements ist, die Klagen gerichtlich abzuwimmeln oder die Kläger durch langwierige Winkelzüge zu zermürben, dann hat fast der gesamte Vorstand damit während eines durchschnittlichen Arbeitstages fast nichts zu tun. Man hätte also genug Zeit, sich als CEO um viele andere wichtige Dinge zu kümmern. Welche das sind? Davon kein Wort! Nichts über Restrukturierungsprogramme, Straffung des Konzerns, Fokussierung, Stärkung des organischen Wachstums etc. - GAR NICHTS! Eher am Rande wird erwähnt, dass man sich vorstellen könne, weitere Beteiligungen zu verkaufen. Das scheint also auch nicht grade im Fokus des CEO zu stehen. Entschuldigung, was macht der Typ seit gestern eigentlich den ganzen Tag???
Die zweite Möglichkeit, mit Klagen umzugehen, wäre die Herbeiführung von Vergleichen. Hier gäbe es zwei Substrategien: Entweder ich zermürbe den Gegner vor Gericht einige Zeit und drücke so die Vergleichssumme, oder ich versuche, die ganze Sache so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, auch unter Inkaufnahme höherer Vergleichszahlungen. Im ersteren Fall hätte Herr CEO wieder erstmal wenig zu tun, weil zunächst die Anwälte vor Gericht mal das ein oder andere Jahr verstreichen lassen, um den Gegner zu ermüden. Im letzteren Fall müsste er sich hingegen seinen CFO ganztägig unter den Arm klemmen und mit ihm Geld auftreiben, das er dann den Kläger zügig anbieten kann. Nur in diesem Fall könnte man vielleicht sagen, dass der Fokus des Managements (CEO + CFO + CLO) auf der Beilegung der Rechtsstreitigkeiten läge (während sich das restliche Management um andere wichtige Dinge kümmert, wovon aber nichts zu hören war). Aber dieses Szenario kann man ausschließen. Denn wie man es auch dreht und wendet, ein höherer Aktienkurs wäre bei Verfolgung dieser Strategie immer hilfreich. Denn je höher der Aktienkurs, desto geringer der Schaden der Alt-Aktionäre, die noch Aktien halten, und desto größer ihre Bereitschaft, Steinhoff entgegen zu kommen. Und je höher der Aktienkurs, desto wertvoller die Aktien, die Steinhoff von sich selbst besitzt bzw. die es im Rahmen einer Kapitalerhöhung emittieren könnte, um damit die Kläger zufriedenzustellen. Das scheint aber alles nicht verfolgt zu werden. Und mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem sich ein Konzern mit >10 Mrd. Jahresumsatz jahrelang(!) arm gehalten hat und absichtlich jahrelang(!) an der Insolvenz entlang geschrammt ist, nur um in Gerichtsprozessen billigere Vergleichssummen zu realisieren. Sowas ist eine Gerichts-Taktik von Privatpersonen aber nicht von Konzernen! Man nenne mir nur ein Beispiel, wo das von einem Großkonzern erfolgreich so gemacht worden wäre!
3.) Aber es kommt ja noch schlimmer: Ich hatte vor etlichen Monaten schon einmal in einem Posting darauf hingewiesen, dass die im Zuge des CVA etablierte neue Holdingstruktur über Luxemburg und die Kanalinseln klassischerweise gemacht wird, um Erträge aus europäischen Geschäften steuermindernd in ein Land zu transferieren, wo sie wiederum wenig bis nicht versteuert werden. So eine Struktur baue ich folglich mit viel Mühe und juristischem Aufwand auf, wenn ich über einen längeren Zeitraum derlei Geldflüsse aufrechterhalten will. Diese Geldflüsse können operative Gewinne oder Veräußerungserlöse sein. Aber was will man in Europa eigentlich veräußern, was auf diesem Wege signifikant die europäischen Schulden drücken würde? Mattress Firm? Hängt holdingmäßig in einem anderen Strang. Automotive und afrikanische Beteiligungen? Dasselbe. Greenlight? Dasselbe. Conforama? Daran hat man nur noch 50% und erlöst für den Saftladen sicherlich keine Milliardensumme. Pepcor Europe? Um Himmels Willen behalten!!!
Die schönen üppigen Erträge von Pepcor Europe kann man über die CVA-Holdingstruktur aber steuerminimal nach Luxemburg schleusen, um dort brav die PIK-Zinsen zu zahlen. Das scheint mir der einzige Zweck dieser CVA-Holdingstruktur zu sein, denn wenn man schnell durch neue Geldgeber die alten ablösen wollen würde , hätte man den ganzen Luxemburg-Kanalinsel-Holding-Klimbim gar nicht betreiben müssen, weil man auf ausgezahlte Darlehen neuer Geldgeber nun mal gar keine Steuern zahlen muss! Man hat damit jetzt schon ein ganzes Jahr vertrödelt, während dem größtenteils die PIK-Zinsen bereits aufgelaufen sind (siehe Halbjahresbericht). Ein Schelm, wer Böses dabei denkt???
Ich glaube nicht, denn der Herr CEO stellt sich am Dienstag doch tatsächlich hin und erklärt, dass die Gesellschaft auf Jahre hinaus keinen Gewinn machen würde! ... BITTE WAS??? Schon heute, in schlechtester Verfassung, wird Steinhoff ein von Sondereffekten befreites EBIT von 800 MEUR erzielen. Mit dem nachweislichen organischen Wachstum der beiden Pepcors und einem guten Management wären da 10% Wachstum pro Jahr drin, also knapp 900 MEUR EBIT 2020 und 1.000 MEUR EBIT 2021. Und mit solchem Unterbau schafft man auf Konzernebene in den nächsten Jahren also keinen Gewinn? Warum eigentlich nicht? Achja, die PIK-Zinsen, die genau dieses EBIT Jahr für Jahr vollständig auffressen. Ja, blöd, was? Da müsste man wohl mal dringend an eine Umschuldung ran ... Achso ... die ist ja frühestens für nächstes Jahr geplant ... Achso, und die Tilgung der Altschulden soll auch durch Verkäufe von Unternehmensteilen voran kommen ... Achso ... Je welche eigentlich? Jeder CEO, der bei Trost ist, hätte sich schon vor Wochen mit seinem CFO in den Flieger gesetzt und wäre um die Welt gedüst. Es soll keine japanische Bank geben, die Afrikas größtem Einzelhändler ne Milliarde für 5% leiht, wobei man vorrechnen kann, dass die Zurverfügungstellung dieser Milliarde sofort die Zinslast eines Geschäftsjahres um 10%-5%=5% von 1.000 MEUR = 50 MEUR senkt? Es soll kein chinesisches Bankenkonsortium geben, das Steinhoff kurzfristig 3 Mrd. EUR zur Verfügung stellt für 6%? Es soll keine europäischen oder amerikanischen Banken geben, die Steinhoff kurzfristig 5 Mrd. EUR für 8% leihen, wobei man in den Kreditverträgen fest kodiert, dass bei Erreichen bestimmter Umsatz-Schwellen oder bei Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Zinssatz schrittweise bis auf 5% fällt? Es soll keinen Hedge Fonds, keinen Staatsfonds (Norwegen! Arabien!) und keine Vermögensverwaltung geben, die für 4,5% eine Milliarde an Steinhoff leihen und diese dabei doppelt und dreifach mit Sicherheiten versehen lassen würde? Klar gibt's die, aber ich gewinne den Eindruck, dass der Herr CEO all diese Finanzakteure überhaupt nicht fragt! Man verhandelt stattdessen immer nur mit den Altgläubigern, die KEIN INTERESSE daran haben, dass Steinhoff frisches Geld bekommt, und die in diesen Verhandlungen ALLE ZEIT DER PIK-ZINSEN-WELT haben!
Aber ich vergas: Die Beendigung dieses untragbaren Zustands steht ja gar nicht im Fokus des Managements. Die wollen sich jetzt erstmal um die Klagen kümmern. Der gesamte Vorstand. Jeden einzelnen Tag. Monate lang. Und dann irgendwann in einem Jahr mal was umfinanzieren. Oder auch noch später. Denn nur, wenn sie erst nach 2021 neu finanzieren, stimmt die Aussage, dass in den kommenden Jahren kein Gewinn gemacht wird. Wenn sie stattdessen 2020 zwei Milliarden tilgen (Verkauf von MF, Confo und Kleinkram) und den Rest zu 5% refinanzieren, dann sind wir schon nur noch bei einer Zinslast von 5%*7.000 MEUR = 350 MEUR und haben trotz aller noch auflaufenden Sonderkosten gute Chancen 2020 ne schwarze 0 zu schreiben. Zwischendurch dann noch ne Kapitalerhöhung, um mit den neu ausgegebenen Aktien die Kläger zu befriedigen und das Geschäftsjahr 2021 kann mit wenig bis keinen Altlasten beginnen. Von all dem nichts zu hören, kein kleinstes Indiz in diese Richtung. Stattdessen reihenweise Formulierungen und Indizien, die erwarten lassen, dass man tatsächlich bis Ende 2021 brav die PIK-Zinsen in voller Höhe zu zahlen gedenkt. Maximaler Profit für die Altgläubiger. Die können ihr Glück wahrscheinlich gar nicht fassen - Oder doch, weil sie dafür gesorgt haben, dass es genau so kommt?
Egal wie ich die vorhandenen Mosaiksteinchen zusammenlege, es kommt einfach kein Bild heraus, das ich kaufmännisch nachvollziehen kann. Irgendwas stinkt mir an der Sache ganz gewaltig.
Und Steinhoff hat bisher immer ganz genau das gemacht, was angekündigt war: LUA, CVA, PWC-Report, Bilanzen. Wenn Herr CEO diese Woche sagt, es gäbe die nächsten Jahre keinen Gewinn (also wohl dicke Verluste, die vom bilanziellen Eigenkapital aufgefangen werden müssten, das schon signifikant negativ ist!), dann erwarte ich genau das. Wenn der CEO den Eindruck erweckt, als würde gefühlt in einem Jahr mal damit begonnen, etwas umzuschulden, dann erwarte ich genau das. Wenn der CEO mit dem Charme einer viel benutzten Klobürste die absehbare Zukunft des Konzerns in düsteren Farben malt, dann erwarte ich genau das.
Nur wenn Madame Sonn sich hinstellt und sagt "restore shareholder value", dann erwarte ich genau das NICHT, denn dieser Satz wurde gesagt vor einem knappen Jahr. Bei doppelt so hohem Kurs. Und gestern meinte ja der Herr CEO, dass Shareholder Value überhaupt nicht im Fokus steht. Und alle sichtbaren Weichenstellungen für die nähere Zukunft bestätigen dieses Bild.
Abschließend noch einige Worte zum Kurs: Ich habe mir das am Dienstag genau angesehen. Der "Raketen"-Start war im Ansatz als Rohrkrepierer zu erkennen. Er war getragen von dünnsten Umsätzen. Schon nach ein paar Minuten war da ein Umsatz von ca. 300.000 Aktien abends auf TG, der nur noch zustande kam, weil der Kurs den Rückwärtsgang einlegte. Das ist eine atemberaubend hohe Summe von ca. 20.000 EUR. Das bedeutet: Es gibt einfach niemanden, der diese Aktie kaufen will. Keinen!
Wie auch, bei diesem CEO und seinem katastrophalen Auftritt! Wer will heute Geld investieren in ein Unternehmen, das die nächsten Jahre nur Verluste machen wird? Dessen EK heute bereits negativ ist? Dessen Management Shareholder Value erwiesenermaßen nicht interessiert? Das ein Jahr lang eine Struktur aufgebaut hat, die es in Richtung der Altgläubiger ausbluten lässt? Das mit milliardenschweren Klagen kämpft? Das entweder nicht willens oder nicht in der Lage ist, in negativem(!!!!) Zinsumfeld umzuschulden und stattdessen augenscheinlich bereit ist, 3 Jahre lang 10(!!!) Prozent Zinsen zu zahlen?
Ich hatte das lange anders gesehen, weil der operative Kern des Unternehmens gesund ist und man zielstrebig an der Aufklärung der Machenschaften, LUA und korrigierten Bilanzen gearbeitet hat.
Ein erster Zweifel kam auf, als die Hälfte an MF an Gläubiger abgegeben wurde im Gegenzug für eine Finanzierung von 400 MEUR, die allerdings mit 10(!) Prozent verzinst wird. Das habe ich mir noch mit dem Umstand erklärt, dass man einem amerikanischen Gericht nicht erklären kann, MF in CH11 zu schicken, wenn der Mutterkonzern in der Lage wäre, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen oder die MF-Verluste zu tragen. Aber schon damals habe ich mich gefragt, ob nicht auch unbeteiligte Dritte diese Finanzierung für 5% Zinsen und 25% Anteil an MF gegeben hätten. Denn MF ist im Kern ebenfalls gesund, wie die jüngsten Zahlen beweisen, und das müssen auch im vergangenen Herbst bereits Brancheninsider gewusst haben. Auch die enorme CH11-Geschwindigkeit ist für mich kein Indiz für die Genialität der Steinhoff-Sanierer, sondern ein Indiz dafür, dass MF ein einfacher Fall war. Denn einen richtig schlimmen Fall bekommt man nicht in Rekordzeit wieder flott! Also müsste es die Möglichkeit alternativer Geldgeber für MF gegeben haben, aber Steinhoff hat offenbar ohne zu zögern die absolut toxischen Bedingungen der Altgläubiger akzeptiert. Cui bono?
Ein zweiter Zweifel kam auf angesichts der grotesken Meldung am Abend der Veröffentlichung der 2017er-Bilanz. Ihr erinnert euch? Die nach dem Motto: "Wir versuchen weiterhin, die Bilanz heute zu veröffentlichen, aber wenn wir es nicht schaffen, sagen wir bescheid". Und kurze Zeit später war die Bilanz dann da. In dem Moment wurde eine große Unprofessionalität in Stellenbosch offensichtlich. Oder auch Debilität.
Der dritte Zweifel war der Auftritt von Herrn CEO am Dienstag. Mit so einem kaufmännischen Schwachsinn, mit so wenig Werbung in eigener Sache, mit so wenig Plan von der Zukunft (der nix mit Skandal, LUA und CVA zu tun hat) und mit so schlechten Nachrichten für die Aktionäre hatte ich selbst in meinem worst case nicht gerechnet. Das war Vergangenheitsbewältigung pur zu einem Termin, bei dem die Zukunft hätte aufgezeigt werden müssen.
Aber mit diesem Board und diesem Management geht das offensichtlich nicht. Die gehören allesamt gefeuert und durch neue Leute ersetzt. Vorher gibt es hier kaum Hoffnung auf Besserung!