Bill Gross wird in seinem Jahresausblick 2008 über die Bankenwelt noch deutlicher.
Er vergleicht das heutige Finanzsystem nur sechs Jahre später mit einem
Pyramidenspiel bzw. Kettenbriefsystem. Zugleich prangert er das inzwischen
installierte Schattenbanksystem an, in dem die gehandelten Kreditderivate dabei
jegliche Vorstellungskraft übersteigen.
THE NEW YORK TIMES veröffentlichte jüngst eine sehenswerte Grafik und zeigt das
unvorstellbare Ausmaß der alleinigen Spekulation mit CDS-Kreditderivaten in Höhe
von 45.500 Mrd. USD. So sollen auf den schwer angeschlagenen und mit 300 Mrd.
USD höchst verschuldeten Unternehmen der Welt, dem Autobauer General Motors,
insgesamt CDS-Wetten im Papierwert von 1.000 Mrd. USD auf ein erfolgreiches
Überleben oder dessen Konkurs laufen. Das Ausfallrisiko bei CDS wird inzwischen
selbst von der Citigroup bis Ende 2009 auf 5,5% geschätzt – ohne ein
Rezessionsszenario in den USA zu unterstellen! Dann steigen die Ausfallraten für
gewöhnlich auf 10-15%. Für den weltgrößten Versicherer AIG stellen sich mit
5,9 Mrd. USD Abschreibungsbedarf auf seine CDS-Engagements diese bereits heute
als schmerzvolle Realität dar. Wohlgemerkt – AIG ist der Erste, der Verluste im OTCZockerparadies
eingesteht.
Halbjährlich berichtet die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) über
neue Rekorde am Derivatemarkt und bezifferte zuletzt das ausstehende Volumen für
unregulierte OTC-Derivate im 2. Quartal 2007 auf 516.400 Mrd. USD – dem
10,75fachen des Welt-BIPs (48.000 Mrd. USD 2006). Auch der regulierte
Derivatemarkt vermeldet Spitzenergebnisse. In der jüngsten Statistik der
International Swaps and Derivatives Association ist ein Anstieg des Aktienderivatevolumens
bis Mitte 2007 auf nunmehr 10.000 Mrd. USD (+39% in nur sechs
Monaten) ausgewiesen!
No Risk? … Die größten fünf Player haben ein Volumen von zusammen 167.418 Mrd.
USD in den Bilanzen (172.175 Mrd. USD alle US-Banken insgesamt), während dabei
der kreditfinanzierte Derivateanteil das Eigenkapital dieser Banken um das
260,3fache übersteigt!
No fun! … Wer so aktiv ist, müsste doch wahnsinnig verdienen, oder? Nach Angaben
der Administrator of National Banks generierten alle US-Banken zusammen im
3. Quartal 2007 aus dem Derivatehandel stolze 2,3 Mrd. USD an Einnahmen.
„Das ist das heutige Bankgeschäft. Es ist wie ein Tag beim Pferderennen oder eine
Nacht im Kasino“ war kürzlich im DAILY TELEGRAPH in einem Kommentar zu dem
von innen-mit-Genehmigung-überfallenen Haus der Aktienderivate 2008 – Société
Générale – zu lesen. Treffender kann man es nicht formulieren.
Verluste? Bitte sozialisieren!
Hektik allerorten! Unzählige Rettungsprogramme der Regierungen und Aufsichtsbehörden
werden jetzt der nach unten rasenden Schuldenlawine noch schnell in den
Weg gestellt. Die erste bankrotte englische Bank Northern Rock wurde verstaatlicht!
In Deutschland (noch) undenkbar – hier werden die Milliardenverluste der IKB,
SachsenLB und diverser deutscher Landesbanken sofort dem Steuerzahler
aufgebrummt.
Alle bisherigen Abschreibungen und Hilfspakete für die Landesbanken und der
halbstaatlichen IKB summieren sich auf fast 20 Mrd. Euro, einen Betrag, der in etwa
den Einnahmen aus der 3%-Mehrwertsteuererhöhung des Jahres 2007 entspricht.
Besonders brisant sind die Verluste aber im Verhältnis zur Sicherungseinlage des
deutschen Bankensystems. Am 20.02.2008 berichtete Finanzminister Peer
Steinbrück vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dass das deutsche
Bankensystem von Privat-Banken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen
zusammengenommen nur über eine Sicherungseinlage von etwa 4,6 Mrd. Euro
verfügt! Wie war das noch mit dem deutschen Branchenprimus Deutsche Bank?
37 Mrd. Euro Eigenkapital per 31.12.2007, 2.027 Mrd. Euro Bilanzsumme und
38.300 Mrd. Euro (Stand Ende 2006) in Derivaten, wobei die offenen Positionen
bei den CDS mit 3.170 Mrd. Euro ausgewiesen wurde. Deutschlands
Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug 2007 2.423 Mrd. Euro, damit entsprechen die
Deutsche Bank-Derivatepositionen von 2006 dem 15,8fachen des deutschen BIPs!
In den USA kommen Hilfsprogramme für zahlungsunfähige Hausbesitzer,
Zweckgesellschaften oder Kreditversicherern fast genauso schnell auf die Agenda, wie
sie wieder verschwinden. Größte Erwartung hegen die Marktteilnehmer, dass Pläne
wie „Hope now“ bzw. „Project: Lifeline“ zur Rettung der wenig solventen
Kreditnehmer – inoffiziell: Finanzindustrie – beitragen oder ein jetzt wieder hastig
aufgelegtes kreditfinanziertes Konjunkturprogramm, begleitet von den schon
panikartigen Zinssenkungen der FED, eine Rezession in den USA verhindern
könnten. Das populäre Prinzip Hoffnung, wie schon zu Zeiten der dot.com-bubble, ist
– wie es scheint, mit offizieller Unterstützung – zurück!
There is no free lunch!
„Praktisch sah niemand die Depression der dreißiger Jahre oder die Krisen voraus,
die Japan und Südostasien in den frühen und späten neunziger Jahren heimsuchten.
Im Gegenteil, viele Kommentatoren, damals wie heute, waren der Meinung, dass
eine neue Ära angebrochen war.“ warnte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich
(BIZ) im Juni 2007 vor der „früher oder später“ platzenden Kreditblase.
William White, Chef der BIZ, brachte es jüngst in einem Interview mit dem
HANDELSBLATT auf den Punkt: „Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist das
Untragbare nicht mehr tragbar.“ Nach JP Morgan ist das „freundlichste
Kreditumfeld aller Zeiten nun definitiv vorbei.“
Der immense Abschreibungsbedarf der Banken führt jetzt zwangsläufig zu einer
steigenden Risikoaversion bei der Kreditvergabe, zumal der Verbriefungsmarkt für
neue Kredite nicht mehr angezapft werden kann. Ohnehin ist es kaum vorstellbar,
dass sich der über beide Ohren verschuldete USKonsument
noch tiefer in Schulden stürzen wird, selbst
wenn er Kredit bekäme. Aber wo soll das Wirtschaftswachstum
ohne neue Schulden herkommen?
Von 2000-2007 erhöhte sich die US-Verschuldung
insgesamt um unglaubliche 22.553 (!) Mrd. USD auf rund
48.000 Mrd. USD.
Allerdings stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesen Jahren nur noch um
4.447 Mrd. USD oder anders: 1 USD neuer Schulden brache nur noch 0,20 USD
Wirtschaftswachstum (Vergleich 50er Jahre: 0,74 USD!) (Quelle: Dr. J. Erhardt).
Ende der 70er Jahre konnte die Inflation nur auf Kosten einer Rezession beseitigt
werden. Nach unserer Einschätzung wird das seit einem Jahrzehnt betriebene
Finanzexperiment, eine Rezession über eine Beschleunigung der Verschuldung in die
Zukunft zu verschieben, die hässliche Kombination aus Rezession und Inflation zur
Folge haben – die Stagflation.
Der amtierende Notenbankchef Bernanke hat nie ein Geheimnis daraus gemacht,
dass er eine Schuldendeflation, in der sich die Ende der 20er Jahre aufgebauten
Ungleichgewichte auflösten, mit allen Mitteln zu verhindern suchen wird. An seinem
geldpolitischen Repertoire Verluste der Finanzindustrie zu sozialisieren hat der
jetzige Notenbankchef der USA nie ein Geheimnis gemacht:
„Unter einem Papiergeldsystem sollte eine Regierung (praktisch die Zentralbank in
Zusammenarbeit mit anderen Stellen) immer in der Lage sein, höhere nominelle
Ausgaben und Inflation zu erzeugen, selbst wenn der kurzfristige nominelle Zinssatz
bei Null liegt. Wie Gold haben US-Dollars nur in dem Maße Wert, in dem ihr
Angebot begrenzt ist. Aber die amerikanische Regierung verfügt über eine Technik
namens Druckerpresse (oder heute ihr elektronisches Äquivalent), die es ermöglicht,
so viele Dollars, wie sie wünscht, praktisch ohne Kosten zu produzieren" ließ Ben
Bernanke, heutiger Chef der Fed, schon am 21. November 2002 vor dem National
Economists Club alle wissen.
Der oberste „Währungshüter“ hat die Leitzinsen aktuell mit 3% wie sein Vorgänger
auf ein Niveau unterhalb der veröffentlichten Inflationsrate von 4,3% gesenkt, womit
wieder die ahnungslosen Sparer und Rentenbezieher für die von der Finanzindustrie
verursachten Verluste in die Haftung genommen werden. Angesichts dieser
Geldpolitik stellt sich jetzt die Frage, wo die nächste Finanzblase gezündet wird? Aber
die kann man, wie Alan Greenspan behauptet, ja erst dann erkennen, wenn sie
geplatzt ist! Andere Meinung: Mack & Weise.