Die Gläubiger des zusammengebrochenen Netzbetreibers Worldcom müssen die Hälfte ihrer Außenstände von insgesamt 41 Mrd. $ abschreiben. Versicherer und Pensionsfonds, die arglos Anleihen des Konzerns gekauft haben, wollen nun die Beraterbanken haftbar machen.
Es war eine der größten Industrieanleihen, die je begeben wurden. 11,9 Mrd. $ betrug der Wert des Jumbo-Bonds, den die amerikanischen Investmentbanken JP Morgan und Salomon Smith Barney vor 14 Monaten im Auftrag des Telefonkonzerns Worldcom zusammenschnürten und an Investoren in den USA, Japan und Asien verkauften. Emittent und Banken lockten mit sattem Zins bei begrenztem Kursrisiko - ein verführerisches Angebot.
Jetzt, nachdem der Schuldner Insolvenz nach Chapter 11 des amerikanischen Konkursrechtes anmelden musste, hat sich die Riesenanleihe weitgehend in Luft aufgelöst. Nur noch 15 Prozent des Nominalwertes bieten Vulture Capitalists, die Aasgeier der modernen Finanzwirtschaft, für den Worldcom-Bond.
Das ehemals gefeierte Unternehmen erweist sich als eine der verheerendsten Geldvernichtungsmaschinen der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. 41 Mrd. $ Schulden hat der Netzbetreiber im Laufe der Jahre aufgehäuft. Für die ungeheure Summe könnte man rund 400 Düsenverkehrsflugzeuge bestellen. Oder 10.000 Einfamilienhäuser bauen. Oder 200.000 Personenwagen der Mittelklasse kaufen.
Debakel für die Gläubiger
Mindestens die Hälfte der Summe, rund 21 Mrd. $, müssen die Gläubiger wohl in den Kamin schreiben, schätzt der Analyst einer Frankfurter Privatbank, der lieber nicht genannt werden möchte. Es können auch ein paar Milliarden mehr oder weniger sein - niemand weiß derzeit auch nur annähernd, wie viel die Reste des zusammengebrochenen Telekomkonzerns noch wert sind.
Das Debakel für die Gläubiger hat mit dem Fall des Riesen Worldcom erst begonnen. Rund ein halbes Dutzend Telefongesellschaften ächzen weltweit unter Schuldenlasten, die teils noch höher sind als die des gescheiterten US-Konzerns. So weist die Deutsche Telekom in ihrer jüngsten Bilanz langfristige Verbindlichkeiten in Höhe von rund 67 Mrd. Euro aus. Die Firmen sind zumeist wesentlich solider finanziert als Worldcom. Niemand rechnet daher ernsthaft damit, dass die ehemaligen Staatsmonopolisten in Europa ebenso lautstark zusammenbrechen wie der US-Pleitier.
Dennoch zählen die Banker in allen Finanzzentren auf dem Globus die ungeheuren Summen zusammen, die sie Telekomunternehmen geliehen haben. Rund 1000 Mrd. $ beträgt das Risiko der Gläubiger weltweit, hat die amerikanische Unternehmensberatung Ovum errechnet. Müssten die Geldgeber davon wie bei Worldcom die Hälfte dieser Summe abschreiben, wäre dies für die Finanzindustrie ein Armageddon.
Risiko für Versicherungen
Worldcom gibt einen Vorgeschmack, wen der Zusammenbruch weiterer Telekomanbieter am härtesten treffen könnte. Es sind keineswegs die Banken, sondern vor allem Versicherungen, Pensionsfonds und andere Kapitalsammelstellen, bei denen sich die immensen Risiken der Telekomfinanzierung ballen.
Die Banken kommen relativ glimpflich davon: Der weitaus größte Teil der Finanzmittel, die Worldcom erhielt, sind Anleihen, nicht Kredite. Bonds, die die Geldhäuser ausgegeben haben, wurden großenteils eilends an institutionelle und private Anleger weitergereicht.
So führt die penible Statistik, die Worldcom ihrem Konkursantrag beilegte, in die Irre. An der Spitze dieser Gläubigerliste stehen drei amerikanische Finanzinstitute: die JP Morgan Trust Company aus Pittsburgh mit 17,2 Mrd. $ an Worldcom-Anleihen, die Mellon Bank, ebenfalls aus Pittsburgh, mit 6,6 Mrd. $ und schließlich die New Yorker Citibank mit 3,3 Mrd. $ (siehe rechts). Die drei Banken agierten bei der Bond-Emission als Konsortialführer, die die Anleihen für die übrigen Mitglieder des Konsortiums jeweils vorübergehend treuhänderisch hielten. Ihre wirklichen Risiken waren von vornherein erheblich kleiner.
Deutsche Bank schweigt
Das gilt auch für die Deutsche Bank, die mit einem Volumen von 1,01 Mrd. $ das führende europäische Institut unter den Bond-Emittenten ist. Dazu kommen Anleihen der amerikanischen Tochter Alex Brown im Wert von 189 Mio. $. Die Deutsche Bank schweigt sich - wie die Konkurrenz - darüber aus, wie viele der Bonds sie noch im eigenen Portefeuille hält. Analysten vermuten, dass das Institut den größten Teil oder gar alle der übernommenen Anleihen längst abgestoßen hat. "Die sind ja nicht dumm", sagt der Bond-Experte einer rheinischen Privatbank.
Die Dummen sind die Käufer der Worldcom-Papiere. Der amerikanische Finanzdienstleister Capital Access prüfte den Verbleib von Bonds mit einem Nominalwert von 13 Mrd. $. Das ist knapp ein Drittel der gesamten Schulden des Konzerns. Das Ergebnis: Die vermeintlich sicheren Anleihen des Vorzeigeunternehmens wurden überwiegend von Versicherungen und Pensionsfonds gezeichnet. So übernahm die britische Prudential Anleihen über exakt 509,3 Mio. $. Calpers, die Alterskasse des Staates Kalifornien, war mit 387,5 Mio. $ dabei und die Lebensversicherung Metropolitan mit 361,5 Mio. $. Die US-Tochter des weltgrößten Versicherers, der niederländischen Aegon, zeichnete 327,0 Mio. $.
Zu ihrem Glück sind die Unternehmen bei der Übernahme von Worldcom-Anleihen offenbar keine Existenz bedrohenden Risiken eingegangen. Fast alle Zeichner gehören in ihrer Branche zu den nationalen oder gar internationalen Marktführern. Die Versicherer werden, wenn ihre Finanzen in Ordnung sind, den Ausfall dieser Beträge wohl verkraften.
Folgen der Giga-Pleite
Überdies sind die Anleihen zu einem Gutteil gegen einen Ausfall durch Konkurs des Schuldners versichert. Von den Bonds, die Worldcom emittiert hat, sind etwa 40 Prozent auf diese Weise geschützt. Das schätzt jedenfalls John McEvoy, Gründer einer Online-Agentur namens Creditex, über die Kreditderivate gehandelt werden. Creditex gehört den Worldcom-Gläubigern Deutsche Bank, JP Morgan Chase und Morgan Stanley. Es trifft also vor allem die Industrieversicherer.
Trotzdem sind die Folgen der amerikanischen Giga-Pleite für die Finanzbranche schmerzlich. Die Agentur Bloomberg hat ausgerechnet, dass Worldcom dieses Jahr auf seine Bonds 951 Mio. $ Zinsen hätte zahlen müssen, wenn das Unternehmen keinen Insolvenzantrag gestellt hätte. Nächstes Jahr wären 2,6 Mrd. $ Tilgung auf das Kapital hinzugekommen.
Die Lebensversicherer und Fonds sind nicht bereit, diesen Schaden klaglos hinzunehmen. Sie wollen jene Banken in Haftung nehmen, die ihnen die heute weitgehend wertlosen Bonds angedreht haben. So hat Calpers eine Klage gegen verschiedene Kreditinstitute aus den USA und Europa, darunter auch die Deutsche Bank, angekündigt. Die Banken hätten es, so Calpers, an der notwendigen Sorgfalt fehlen lassen, als sie die milliardenschweren Anleihen auf den Markt warfen. Bei so enormen Summen hätten die Kreditinstitute die Bücher von Worldcom genauestens unter die Lupe nehmen und prüfen müssen, ob das Unternehmen die aufgenommenen Anleihen mit Zins und Zinseszins zurückzahlen kann.
Versicherer unbeeindruckt
Die Beschuldigten verweisen darauf, sie hätten sich auf die von Wirtschaftsprüfern testierten Bilanzen von Worldcom verlassen. Darin sei kein fahrlässiges Handeln zu sehen. Die geprellten Versicherer lassen sich davon nicht beeindrucken. Der Klage von Calpers wollen sich andere Pensionsfonds amerikanischer Bundesstaaten anschließen. Sollten die Kläger vor Gericht obsiegen, müssen die Banken womöglich Hunderte von Millionen, vielleicht sogar Milliarden Dollar Schadensersatz und Geldbußen zahlen.
Das würde die Institute hart treffen, zumal viele unmittelbar zu den Geschädigten zählen. So gab die Deutsche Bank Worldcom Darlehen von insgesamt 241 Mio. $ und ist damit weltweit der größte Kreditgeber des Telekomkonzerns. Das Geld wird Deutschlands führendes Institut großenteils abschreiben müssen. Auf die Westdeutsche Landesbank und die BayernLB kommen voraussichtlich ebenfalls Wertberichtigungen in zweistelliger Millionenhöhe zu.
Kirch und Fairchild Dornier belasten
Ausfälle in diesen Dimensionen sind für Großbanken an sich kein fataler Schaden. Doch die Worldcom-Pleite fällt in das schlechteste Jahr, das die deutschen Banken seit langem hatten. Die Risikovorsorge, die die Deutsche Bank auf ihr Worldcom-Engagement bilden muss, wird ihre Fähigkeit, im laufenden Quartal einen operativen Gewinn auszuweisen, nachhaltig schwächen. Die BayernLB hat neben ihrem Risiko bei Worldcom das unverhältnismäßig hohe Engagement bei bayerischen Insolvenzfällen wie Kirch und Fairchild Dornier zu verkraften.
Die Banken sind großenteils sehenden Auges in das Risiko gegangen. Bewusst haben sie in Kauf genommen, mit ihren Krediten an Worldcom womöglich Verluste einzufahren, wenn sie nur im Gegenzug lukrative Geschäfte im Investmentbanking abschließen können. Die Institute wollten an der Beratung bei den zahllosen Akquisitionen verdienen, die Worldcom auf seinem unheilvollen Expansionskurs in den vergangenen Jahren unternommen hat. Überdies benötigte das Unternehmen auch bei der Emission der Jumbo-Bonds die - gut bezahlte - Unterstützung der Kreditinstitute. Die Rechnung der Banken scheint nicht aufgegangen zu sein. "Die Pleite von Worldcom zeigt, wie fragwürdig das Geschäftsmodell der Investmentbanken ist", sagt ein Frankfurter Analyst. Teures Lehrgeld.