Als BDI-Chef forderte Hans-Olaf Henkel von jedermann Flexibilität. Heute hat er selbst Mühe, das Dasein als Frührentner zu akzeptieren
Die Insignien der Macht sind noch vorhanden. Wer zu Hans-Olaf Henkel will, muss viel Zeit haben. Oder ziemlich wichtig sein. "Doktor Henkel ist bis Mitte nächsten Monats ausgebucht", bescheidet die Vorzimmerdame den Wunsch nach einem Gesprächstermin mit dem Ex-Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und heutigen Präsidenten der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz. "Aber vielleicht", macht die Sekretärin Mut, "lässt sich noch etwas machen."
Medien waren immer wichtig für Hans-Olaf Henkel. Mit ihrer Hilfe ist der frühere IBM-Spitzenmanager erst zu dem geworden, was ihn sichtbar ausfüllte: Die öffentlich-angefeindete Kodderschnauze der Nation, das enfant terrible der Wirtschaft. Geliebt für seine schneidende Offenheit gegenüber Politikern ("Herr Blüm ist ein Bonner Hofnarr"), gehasst für soziale Kälte ("Wir leisten uns fünf Millionen Sozialhilfeempfänger. Das muss aufhören!").
Also hat Henkel Zeit. Gleich morgen. Aber nur eine Stunde, warnt die Sekretärin. Es wurden dann zwei.
Affenforscher und Ökonomen
Wie früher sitzt Henkel am nächsten Tag in seinem neuen, geräumigen Büro an Berlins Friedrichstraße. Aufrecht, den Rücken durchgedrückt, vor sich einen blank gearbeiteten Schreibtisch. Auch sonst scheint er ganz der Alte: "Brrr", sagt er, als er aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Fassade guckt. Dort hat sich der Beamtenbund seine neue Zentrale eingerichtet. "Brrr", wiederholt Henkel.
Was treibt ausgerechnet einen wie ihn dazu, einer behördenähnlichen Koordinationsstelle für 78 staatlich finanzierte Institute vorzusitzen? Einem merkwürdigen Netzwerk, dem die Affenforscher des Göttinger Primatenzentrums genauso angehören wie die Henkel verhassten - weil den Sozialdemokraten traditionell nahe stehenden - Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin? Die Antwort darauf ist typisch Henkel: Er wolle "Wettbewerb" in das verkrustete Bildungssystem bringen. Schließlich habe er sich schon als BDI-Chef um "Bildung und Forschung gekümmert". Aus einem "Anwalt der Industrie" sei jetzt eben ein "Anwalt für Wissen" geworden. Der ist er nun seit vergangenem Jahr, kurz nachdem er beim BDI Ende 2000 abgedankt hatte.
Und er ist einer, der bekennt, mit seinen 61 Jahren noch dazuzulernen. Neulich, erzählt Henkel, war er in einem Hirnforschungszentrum in Magdeburg. "Fantastisch" sei das gewesen. Er habe erfahren, dass "80 Prozent unseres Wissens über das Hirn aus Experimenten mit Ratten" stamme. Und dass der Mensch 100 Milliarden Hirnzellen habe. "Das eröffnet doch Perspektiven", freut er sich. Oder sein Besuch im Institut für Deutsche Sprache: "Wissen Sie, wie man den Genitiv von Walter von der Vogelweide bildet? Heißt es Walters von der Vogelweide oder Walter von der Vogelweides?" Der sonst so schroffe Henkel mit den dünnen Lippen strahlt siegesgewiss. "Man kann nicht sagen, was stimmt", löst er das Rätsel auf.
Doch Henkel wäre nicht Henkel, wenn er sich mit solchen Wissenszuwächsen zufrieden gäbe. Er sagt zwar, dass er in seinem Ehrenamt bei der Wissenschaftsgemeinschaft "wieder zu 100 Prozent drin" sei. Aber mitmischen in Politik und Wirtschaft, davon kann er nicht ganz lassen. Henkel häuft deshalb Ehrenämter an. Er ist Aufsichtsrat der deutschen Abteilung des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, der Industriekreditbank IKB, des Reifenherstellers Continental, des Internet-Startups Econia.com ("Das erfordert viel Arbeit") und seit neuestem auch bei Orange, der "hochinteressanten" (Henkel) Mobilfunktochter der France Telecom.
Seine Hyperaktivität erklärt Henkel damit, dass er "oft nicht Nein sagen" könne. Der Schwäche verdanken auch die Ökonomie-Studenten der Universität Mannheim monatlich je drei Stunden und 15 Minuten Vorlesung des eigens dafür ernannten Professors Dr.-Ingenieur ehrenhalber Hans-Olaf Henkel. "Mitbestimmung oder Selbstbestimmung?", "Europa: Bremsklotz oder Motor für Reformen in Deutschland?" So lauten die Themen der Vorträge, bei denen Henkel in gewohnter Schwarzweiß-Malerei auf Gewerkschaften, Sozialromantiker und Sonntagsarbeitsverbot eindrischt.
Atemlos erzählt Henkel auch sein Leben in der im Jahr 2000 erschienenen Bestseller-Autobiografie "Die Macht der Freiheit". Seine Gedanken scheinen dieses Buch regelrecht als Ventil benötigt zu haben. Wie im Rausch hechelt Henkel sein Leben herunter. Von der Privatperson Hans-Olaf indes erfährt der Leser kaum mehr, als dass ihm seine Mutter den anzüglichen Kosenamen "Schniedel" verpasste, er seinen früh verstorbenen Papa vermisste und er gerne segelt.
Henkel sieht das selbstredend anders. Erst durch das Schreiben an seinem Buch habe er "sich richtig kennen gelernt". Der "rote Faden" in seinem Leben, das sei ihm so klar geworden, sei die "Suche nach Freiheit". Und zur Freiheit, so Henkel, gehöre "Wettbewerb". Schließlich sei Freiheit "eine Macht, die nur der entdeckt, der sie sich erarbeitet".
Klar, dass sich so ein Macher auch für die Erarbeitung höherer Staatsämter geradezu prädestiniert fühlt. Die FDP habe sich bei ihm erkundigt, erzählt Henkel betont beiläufig, ob er als Bürgermeisterkandidat für die Liberalen in Berlin zur Verfügung stünde. Und? Würde in Berlin der Oberbürgermeister genauso wie in Baden-Württemberg direkt gewählt, antwortet er, dann wäre er angetreten. Es kam anders.
Henkel bleibt nur, von seinen früheren Kontakten als Boss der Bosse zu zehren. Seit langem verbindet ihn beispielsweise eine ungewöhnliche Freundschaft mit Fidel Castro. Neulich, erzählt Henkel, habe ihn der Sohn des betagten kubanischen Diktators in Berlin besucht. "Mit Fidelito bin ich über die Oranienburger Straße flaniert. Die Leute haben gestaunt: Fidelito sieht schließlich aus wie sein Vater vor ein paar Jahrzehnten." Und Hans-Olaf stand daneben. Henkel im Rampenlicht. Endlich wieder einmal.
"Die Leute wissen nichts"
"30 bis 40 E-Mails pro Tag", schätzt er, kommen auch heute noch bei ihm an. Einige davon sind von "Bild"-Lesern, für die Henkel Kommentare schreibt. Viel hält er nicht von dieser Leserschaft. Das Boulevard-Blatt würde von "typischen SPD-Wählern" gekauft, sagt Henkel und verzieht dabei seinen Mund, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Einige der Zuschriften würden ihm zeigen, "dass die Leute nichts wissen". Wie gut doch, dass es Volksaufklärer Henkel gibt.
Trotz des nach wie vor voll gestopften Terminkalenders ("Ich habe schon Anfragen für das Jahr 2003") wirkt Henkel nicht ausgefüllt. Er leidet sichtlich darunter, nicht mehr täglich auf der Bühne der großen Politik zu stehen mit einem sicheren Sendeplatz in der "Tagesschau". Dennoch sei es gut gewesen, dass er nicht nochmals für den BDI-Vorsitz kandidieren durfte. "Ich", sagt er, "konnte mich selbst nicht mehr hören."
Die Insignien der Macht sind noch vorhanden. Wer zu Hans-Olaf Henkel will, muss viel Zeit haben. Oder ziemlich wichtig sein. "Doktor Henkel ist bis Mitte nächsten Monats ausgebucht", bescheidet die Vorzimmerdame den Wunsch nach einem Gesprächstermin mit dem Ex-Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und heutigen Präsidenten der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz. "Aber vielleicht", macht die Sekretärin Mut, "lässt sich noch etwas machen."
Medien waren immer wichtig für Hans-Olaf Henkel. Mit ihrer Hilfe ist der frühere IBM-Spitzenmanager erst zu dem geworden, was ihn sichtbar ausfüllte: Die öffentlich-angefeindete Kodderschnauze der Nation, das enfant terrible der Wirtschaft. Geliebt für seine schneidende Offenheit gegenüber Politikern ("Herr Blüm ist ein Bonner Hofnarr"), gehasst für soziale Kälte ("Wir leisten uns fünf Millionen Sozialhilfeempfänger. Das muss aufhören!").
Also hat Henkel Zeit. Gleich morgen. Aber nur eine Stunde, warnt die Sekretärin. Es wurden dann zwei.
Affenforscher und Ökonomen
Wie früher sitzt Henkel am nächsten Tag in seinem neuen, geräumigen Büro an Berlins Friedrichstraße. Aufrecht, den Rücken durchgedrückt, vor sich einen blank gearbeiteten Schreibtisch. Auch sonst scheint er ganz der Alte: "Brrr", sagt er, als er aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Fassade guckt. Dort hat sich der Beamtenbund seine neue Zentrale eingerichtet. "Brrr", wiederholt Henkel.
Was treibt ausgerechnet einen wie ihn dazu, einer behördenähnlichen Koordinationsstelle für 78 staatlich finanzierte Institute vorzusitzen? Einem merkwürdigen Netzwerk, dem die Affenforscher des Göttinger Primatenzentrums genauso angehören wie die Henkel verhassten - weil den Sozialdemokraten traditionell nahe stehenden - Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin? Die Antwort darauf ist typisch Henkel: Er wolle "Wettbewerb" in das verkrustete Bildungssystem bringen. Schließlich habe er sich schon als BDI-Chef um "Bildung und Forschung gekümmert". Aus einem "Anwalt der Industrie" sei jetzt eben ein "Anwalt für Wissen" geworden. Der ist er nun seit vergangenem Jahr, kurz nachdem er beim BDI Ende 2000 abgedankt hatte.
Und er ist einer, der bekennt, mit seinen 61 Jahren noch dazuzulernen. Neulich, erzählt Henkel, war er in einem Hirnforschungszentrum in Magdeburg. "Fantastisch" sei das gewesen. Er habe erfahren, dass "80 Prozent unseres Wissens über das Hirn aus Experimenten mit Ratten" stamme. Und dass der Mensch 100 Milliarden Hirnzellen habe. "Das eröffnet doch Perspektiven", freut er sich. Oder sein Besuch im Institut für Deutsche Sprache: "Wissen Sie, wie man den Genitiv von Walter von der Vogelweide bildet? Heißt es Walters von der Vogelweide oder Walter von der Vogelweides?" Der sonst so schroffe Henkel mit den dünnen Lippen strahlt siegesgewiss. "Man kann nicht sagen, was stimmt", löst er das Rätsel auf.
Doch Henkel wäre nicht Henkel, wenn er sich mit solchen Wissenszuwächsen zufrieden gäbe. Er sagt zwar, dass er in seinem Ehrenamt bei der Wissenschaftsgemeinschaft "wieder zu 100 Prozent drin" sei. Aber mitmischen in Politik und Wirtschaft, davon kann er nicht ganz lassen. Henkel häuft deshalb Ehrenämter an. Er ist Aufsichtsrat der deutschen Abteilung des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, der Industriekreditbank IKB, des Reifenherstellers Continental, des Internet-Startups Econia.com ("Das erfordert viel Arbeit") und seit neuestem auch bei Orange, der "hochinteressanten" (Henkel) Mobilfunktochter der France Telecom.
Seine Hyperaktivität erklärt Henkel damit, dass er "oft nicht Nein sagen" könne. Der Schwäche verdanken auch die Ökonomie-Studenten der Universität Mannheim monatlich je drei Stunden und 15 Minuten Vorlesung des eigens dafür ernannten Professors Dr.-Ingenieur ehrenhalber Hans-Olaf Henkel. "Mitbestimmung oder Selbstbestimmung?", "Europa: Bremsklotz oder Motor für Reformen in Deutschland?" So lauten die Themen der Vorträge, bei denen Henkel in gewohnter Schwarzweiß-Malerei auf Gewerkschaften, Sozialromantiker und Sonntagsarbeitsverbot eindrischt.
Atemlos erzählt Henkel auch sein Leben in der im Jahr 2000 erschienenen Bestseller-Autobiografie "Die Macht der Freiheit". Seine Gedanken scheinen dieses Buch regelrecht als Ventil benötigt zu haben. Wie im Rausch hechelt Henkel sein Leben herunter. Von der Privatperson Hans-Olaf indes erfährt der Leser kaum mehr, als dass ihm seine Mutter den anzüglichen Kosenamen "Schniedel" verpasste, er seinen früh verstorbenen Papa vermisste und er gerne segelt.
Henkel sieht das selbstredend anders. Erst durch das Schreiben an seinem Buch habe er "sich richtig kennen gelernt". Der "rote Faden" in seinem Leben, das sei ihm so klar geworden, sei die "Suche nach Freiheit". Und zur Freiheit, so Henkel, gehöre "Wettbewerb". Schließlich sei Freiheit "eine Macht, die nur der entdeckt, der sie sich erarbeitet".
Klar, dass sich so ein Macher auch für die Erarbeitung höherer Staatsämter geradezu prädestiniert fühlt. Die FDP habe sich bei ihm erkundigt, erzählt Henkel betont beiläufig, ob er als Bürgermeisterkandidat für die Liberalen in Berlin zur Verfügung stünde. Und? Würde in Berlin der Oberbürgermeister genauso wie in Baden-Württemberg direkt gewählt, antwortet er, dann wäre er angetreten. Es kam anders.
Henkel bleibt nur, von seinen früheren Kontakten als Boss der Bosse zu zehren. Seit langem verbindet ihn beispielsweise eine ungewöhnliche Freundschaft mit Fidel Castro. Neulich, erzählt Henkel, habe ihn der Sohn des betagten kubanischen Diktators in Berlin besucht. "Mit Fidelito bin ich über die Oranienburger Straße flaniert. Die Leute haben gestaunt: Fidelito sieht schließlich aus wie sein Vater vor ein paar Jahrzehnten." Und Hans-Olaf stand daneben. Henkel im Rampenlicht. Endlich wieder einmal.
"Die Leute wissen nichts"
"30 bis 40 E-Mails pro Tag", schätzt er, kommen auch heute noch bei ihm an. Einige davon sind von "Bild"-Lesern, für die Henkel Kommentare schreibt. Viel hält er nicht von dieser Leserschaft. Das Boulevard-Blatt würde von "typischen SPD-Wählern" gekauft, sagt Henkel und verzieht dabei seinen Mund, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Einige der Zuschriften würden ihm zeigen, "dass die Leute nichts wissen". Wie gut doch, dass es Volksaufklärer Henkel gibt.
Trotz des nach wie vor voll gestopften Terminkalenders ("Ich habe schon Anfragen für das Jahr 2003") wirkt Henkel nicht ausgefüllt. Er leidet sichtlich darunter, nicht mehr täglich auf der Bühne der großen Politik zu stehen mit einem sicheren Sendeplatz in der "Tagesschau". Dennoch sei es gut gewesen, dass er nicht nochmals für den BDI-Vorsitz kandidieren durfte. "Ich", sagt er, "konnte mich selbst nicht mehr hören."