Ich hole mal den Artikel hoch, damit ihr auch wisst, warum einige Firmen ihre Prognosen zur Zeit schlagen. Immer Achtsam beim Blasenreiten. :-)
dri. NEW YORK, 19. Dezember. Die Ergebnisprognosen amerikanischer Unternehmen für das kommende Jahr sind mit Vorsicht zu genießen. Die neu geregelte Bilanzierung von Firmenwerten (Goodwill) wird die ausgewiesenen Gewinne künstlich inflationieren, nach Schätzungen von Analysten um durchschnittlich nahezu 10 Prozent.
Die Gesellschaften müssen ihren Goodwill nicht mehr periodisch abschreiben, sondern nur mehr einem jährlichen Werthaltigkeitstest unterziehen. Zwar handelt es sich bei dem Wegfall der Goodwill-Abschreibungen um eine rein buchhalterische Veränderung, die auf den wirtschaftlichen Wert der Unternehmen keinen Einfluß hat. Die Gefahr ist aber groß, daß der Aktienhandel diese Anpassung, die die Kurs-Gewinn-Verhältnisse der Aktien rechnerisch erst einmal sinken läßt, nicht nur als Bilanzkosmetik abtun wird. Vielmehr dürften sich die Anleger bei der Aktienbewertung in der Zukunft an dem aufgeblasenen Gewinn je Aktie ausrichten und den Effekt der veränderten Goodwill-Bilanzierung nicht mehr herausrechnen.
[b]Die Wall Street würde sich damit - einmal mehr - reicher rechnen, als sie ist. ein schoener Satz
Zum Hintergrund: Der Firmenwert ist der Teil des Kaufpreises für ein Unternehmen, der den Wert der einzelnen Vermögensbestandteile (Substanzwert) überschreitet. Amerikanische Unternehmen mußten diesen Firmenwert bisher über einen Zeitraum von 40 Jahren abschreiben. Um die Abschreibungen zu umgehen, wichen gerade in den vergangenen Jahren immer mehr Unternehmen auf eine Sonderform der Fusionsbilanzierung, das "Pooling of Interests", aus. Hierbei wurden die Aktiva fusionierender Unternehmen einfach aufaddiert. Ein Goodwill wurde damit nicht aufgeworfen, was entsprechend die Gewinn-und-Verlust-Rechnung begünstigte. Dem amerikanischen Standardsetter im Bilanzwesen, dem Financial Accounting Standards Board (FASB), war diese Zweigleisigkeit in der Fusionsbilanzierung seit längerem ein Dorn im Auge, nicht zuletzt weil sie den Ertragsvergleich zwischen Unternehmen erschwerte. Der FASB schaffte deshalb in diesem Jahr die Pooling-Methode ab und änderte zur Besänftigung der Unternehmen zugleich auch die Goodwill-Bilanzierung. Die Firmen müssen in Zukunft nur mehr einmal pro Jahr die Werthaltigkeit des Firmenwertes prüfen, wobei das FASB die Kriterien für diesen sogenannten Impairment-Test vorgibt.
Der Wegfall der routinemäßigen Abschreibungen wird die Ertragsrechnungen zahlreicher Unternehmen deutlich aufhellen. Die einzelnen Branchen sind freilich in unterschiedlichem Maße betroffen. Als Nutznießer gelten vor allem die Bereiche Technologie, Telekommunikation, Medien und Transport. In einzelnen Bereichen des Technologiesektors wie etwa dem Internet fokussieren sich die Analysten allerdings schon seit längerem auf die um Goodwill-Abschreibungen bereinigten Gewinne, so daß der Effekt dort nur begrenzter Natur sein wird.
Fortsetzung auf Seite 30.
Bei einem Unternehmen wie AOL Time Warner, das in seiner Bilanz einen Firmenwert von mehr als 120 Milliarden Dollar vor sich her schiebt, wird der ausgewiesene Gewinn dagegen gleich um 6,8 Milliarden Dollar höher ausfallen. Bei Großbanken wie Bank of America oder J. P. Morgan Chase stellt sich der Effekt auf rund 600 Millionen Dollar, womit deren Gewinn im Jahr 2002 nach Analystenprognosen um 8 bis 9 Prozent über der Schätzung nach der alten Bilanzierungsmethode liegen würde.
Professionelle Anleger sind sich dieser künstlichen Gewinnsteigerung natürlich bewußt. Sie orientieren sich ohnehin oft mehr an Ertragsgrößen wie dem Cash-flow (Ebitda), bei denen die Rechnungslegungsvorschriften für Abschreibungen ohne Belang sind. Der Gewinn je Aktie ist gleichwohl nach wie vor die ausschlaggebende Größe für die Aktienbewertung. Und die Frage liegt nahe, ob sich die professionellen Investoren auch noch in zwei oder drei Jahren die Mühe machen werden, den Effekt der veränderten Goodwill-Bilanzierung herauszurechnen, ganz zu schweigen von den Privatanlegern. Und werden Analysten fortan jedes Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) mit der Fußnote kommentieren, daß ein Vergleich mit historischen KGVs wegen der alten Form der Goodwill-Bilanzierung wenig Sinn ergibt? Wohl kaum.
Schließlich kommt den Analysten und den Unternehmen die neue Bilanzierungsmethode entgegen, macht sie doch Aktien über das rechnerisch sinkende KGV vermeintlich billiger. Schon gibt es Beispiele dafür, daß die Unternehmen nicht mit offenen Karten spielen. Der Pharmariese Merck warnte unlängst, daß der Gewinn des Jahres 2002 mit 3,12 bis 3,15 Dollar je Aktie nur das Niveau von 2001 erreichen werde. Am Ende einer langen Pressemitteilung wird kurz angemerkt, daß die Schätzung für 2002 die neue Goodwill-Bilanzierung einschließt. Bei Merck stellt sich dieser Effekt zwar nur auf 6 Cent je Aktie. Ohne diese 6 Cent würde der Gewinn im nächsten Jahr jedoch fallen.
Doch selbst Unternehmen, die die Auswirkung der veränderten Bilanzierungsmethode auf ihr Zahlenwerk herausstellen, laufen Gefahr, daß die Botschaft nicht ankommt. General Electric, das größte Unternehmen der Welt, prognostizierte in dieser Woche für 2002 eine Gewinnsteigerung von 17 bis 18 Prozent auf 1,65 bis 1,67 Dollar je Aktie. Ohne den Effekt der Goodwill-Veränderung würde sich nur ein Plus von 13 bis 14 Prozent errechnen, wurde den Analysten vorgerechnet. Doch in den Agenturberichten und Zeitungen war fast nur von den 17 bis 18 Prozent die Rede. Dies sind zwar nur Nuancen. Solche Nuancen entscheiden oft, ob eine Prognose positiv oder negativ aufgenommen wird.
Der Effekt der veränderten Goodwill-Bilanzierung dürfte in naher Zukunft auch ein Urteil über die angemessene Bewertung des Gesamtmarktes erschweren. Edward Yardeni, der Investmentstratege der Deutschen Bank, schätzt, daß die 500 Unternehmen im Leitindex von Standard & Poor's im nächsten Jahr einen operativen Gewinn je Aktie von 52 (2001: 45) Dollar erwirtschaften. Auf dieser Basis errechnet sich derzeit ein Markt-KGV von 22. Addiert man aber laut Yardeni den Effekt der wegfallenden Firmenwertabschreibungen, den er auf 5 Dollar je Aktie schätzt, steigt der Gewinn je Aktie für den S&P 500 auf 57 Dollar. Das KGV läge damit nur mehr bei 20.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.12.2001, Nr. 296 / Seite 29 Hinw
dri. NEW YORK, 19. Dezember. Die Ergebnisprognosen amerikanischer Unternehmen für das kommende Jahr sind mit Vorsicht zu genießen. Die neu geregelte Bilanzierung von Firmenwerten (Goodwill) wird die ausgewiesenen Gewinne künstlich inflationieren, nach Schätzungen von Analysten um durchschnittlich nahezu 10 Prozent.
Die Gesellschaften müssen ihren Goodwill nicht mehr periodisch abschreiben, sondern nur mehr einem jährlichen Werthaltigkeitstest unterziehen. Zwar handelt es sich bei dem Wegfall der Goodwill-Abschreibungen um eine rein buchhalterische Veränderung, die auf den wirtschaftlichen Wert der Unternehmen keinen Einfluß hat. Die Gefahr ist aber groß, daß der Aktienhandel diese Anpassung, die die Kurs-Gewinn-Verhältnisse der Aktien rechnerisch erst einmal sinken läßt, nicht nur als Bilanzkosmetik abtun wird. Vielmehr dürften sich die Anleger bei der Aktienbewertung in der Zukunft an dem aufgeblasenen Gewinn je Aktie ausrichten und den Effekt der veränderten Goodwill-Bilanzierung nicht mehr herausrechnen.
[b]Die Wall Street würde sich damit - einmal mehr - reicher rechnen, als sie ist. ein schoener Satz
Zum Hintergrund: Der Firmenwert ist der Teil des Kaufpreises für ein Unternehmen, der den Wert der einzelnen Vermögensbestandteile (Substanzwert) überschreitet. Amerikanische Unternehmen mußten diesen Firmenwert bisher über einen Zeitraum von 40 Jahren abschreiben. Um die Abschreibungen zu umgehen, wichen gerade in den vergangenen Jahren immer mehr Unternehmen auf eine Sonderform der Fusionsbilanzierung, das "Pooling of Interests", aus. Hierbei wurden die Aktiva fusionierender Unternehmen einfach aufaddiert. Ein Goodwill wurde damit nicht aufgeworfen, was entsprechend die Gewinn-und-Verlust-Rechnung begünstigte. Dem amerikanischen Standardsetter im Bilanzwesen, dem Financial Accounting Standards Board (FASB), war diese Zweigleisigkeit in der Fusionsbilanzierung seit längerem ein Dorn im Auge, nicht zuletzt weil sie den Ertragsvergleich zwischen Unternehmen erschwerte. Der FASB schaffte deshalb in diesem Jahr die Pooling-Methode ab und änderte zur Besänftigung der Unternehmen zugleich auch die Goodwill-Bilanzierung. Die Firmen müssen in Zukunft nur mehr einmal pro Jahr die Werthaltigkeit des Firmenwertes prüfen, wobei das FASB die Kriterien für diesen sogenannten Impairment-Test vorgibt.
Der Wegfall der routinemäßigen Abschreibungen wird die Ertragsrechnungen zahlreicher Unternehmen deutlich aufhellen. Die einzelnen Branchen sind freilich in unterschiedlichem Maße betroffen. Als Nutznießer gelten vor allem die Bereiche Technologie, Telekommunikation, Medien und Transport. In einzelnen Bereichen des Technologiesektors wie etwa dem Internet fokussieren sich die Analysten allerdings schon seit längerem auf die um Goodwill-Abschreibungen bereinigten Gewinne, so daß der Effekt dort nur begrenzter Natur sein wird.
Fortsetzung auf Seite 30.
Bei einem Unternehmen wie AOL Time Warner, das in seiner Bilanz einen Firmenwert von mehr als 120 Milliarden Dollar vor sich her schiebt, wird der ausgewiesene Gewinn dagegen gleich um 6,8 Milliarden Dollar höher ausfallen. Bei Großbanken wie Bank of America oder J. P. Morgan Chase stellt sich der Effekt auf rund 600 Millionen Dollar, womit deren Gewinn im Jahr 2002 nach Analystenprognosen um 8 bis 9 Prozent über der Schätzung nach der alten Bilanzierungsmethode liegen würde.
Professionelle Anleger sind sich dieser künstlichen Gewinnsteigerung natürlich bewußt. Sie orientieren sich ohnehin oft mehr an Ertragsgrößen wie dem Cash-flow (Ebitda), bei denen die Rechnungslegungsvorschriften für Abschreibungen ohne Belang sind. Der Gewinn je Aktie ist gleichwohl nach wie vor die ausschlaggebende Größe für die Aktienbewertung. Und die Frage liegt nahe, ob sich die professionellen Investoren auch noch in zwei oder drei Jahren die Mühe machen werden, den Effekt der veränderten Goodwill-Bilanzierung herauszurechnen, ganz zu schweigen von den Privatanlegern. Und werden Analysten fortan jedes Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) mit der Fußnote kommentieren, daß ein Vergleich mit historischen KGVs wegen der alten Form der Goodwill-Bilanzierung wenig Sinn ergibt? Wohl kaum.
Schließlich kommt den Analysten und den Unternehmen die neue Bilanzierungsmethode entgegen, macht sie doch Aktien über das rechnerisch sinkende KGV vermeintlich billiger. Schon gibt es Beispiele dafür, daß die Unternehmen nicht mit offenen Karten spielen. Der Pharmariese Merck warnte unlängst, daß der Gewinn des Jahres 2002 mit 3,12 bis 3,15 Dollar je Aktie nur das Niveau von 2001 erreichen werde. Am Ende einer langen Pressemitteilung wird kurz angemerkt, daß die Schätzung für 2002 die neue Goodwill-Bilanzierung einschließt. Bei Merck stellt sich dieser Effekt zwar nur auf 6 Cent je Aktie. Ohne diese 6 Cent würde der Gewinn im nächsten Jahr jedoch fallen.
Doch selbst Unternehmen, die die Auswirkung der veränderten Bilanzierungsmethode auf ihr Zahlenwerk herausstellen, laufen Gefahr, daß die Botschaft nicht ankommt. General Electric, das größte Unternehmen der Welt, prognostizierte in dieser Woche für 2002 eine Gewinnsteigerung von 17 bis 18 Prozent auf 1,65 bis 1,67 Dollar je Aktie. Ohne den Effekt der Goodwill-Veränderung würde sich nur ein Plus von 13 bis 14 Prozent errechnen, wurde den Analysten vorgerechnet. Doch in den Agenturberichten und Zeitungen war fast nur von den 17 bis 18 Prozent die Rede. Dies sind zwar nur Nuancen. Solche Nuancen entscheiden oft, ob eine Prognose positiv oder negativ aufgenommen wird.
Der Effekt der veränderten Goodwill-Bilanzierung dürfte in naher Zukunft auch ein Urteil über die angemessene Bewertung des Gesamtmarktes erschweren. Edward Yardeni, der Investmentstratege der Deutschen Bank, schätzt, daß die 500 Unternehmen im Leitindex von Standard & Poor's im nächsten Jahr einen operativen Gewinn je Aktie von 52 (2001: 45) Dollar erwirtschaften. Auf dieser Basis errechnet sich derzeit ein Markt-KGV von 22. Addiert man aber laut Yardeni den Effekt der wegfallenden Firmenwertabschreibungen, den er auf 5 Dollar je Aktie schätzt, steigt der Gewinn je Aktie für den S&P 500 auf 57 Dollar. Das KGV läge damit nur mehr bei 20.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.12.2001, Nr. 296 / Seite 29 Hinw