2001 bauten vier Kreuzberger Solarenthusiasten in Sachsen-Anhalt eine Solarfabrik. 2007 war sie der weltweit größte Solarzellenproduzent und acht Milliarden Euro wert. Ihr Name: Q-Cells. Jetzt steht sie vor dem Ruin.
Bis vor wenigen Jahren hätte sich die Geschichte des Solarzellenherstellers Q-Cells als ein modernes Märchen erzählen lassen. Ein Märchen von drei Ingenieuren, die in ihrer kleinen Solarzellenfirma in Berlin-Kreuzberg an der Realisierung eines Menschheitstraumes arbeiteten - dem von einer nie zu Ende gehenden grünen Energie. Gut zwanzig Jahre später setzten sie mit sechzigtausend Euro Eigenkapital in Thalheim bei Bitterfeld eine Fabrik auf einen Acker. Vierzig Arbeiter stellten im ersten Jahr gerade einmal soviel Solarzellen her, dass sich mit ihnen ein Dorf versorgen ließ. Nur sechs Jahre später, 2007, beschäftigte Q-Cells 2.300 Mitarbeiter, galt als größter Solarzellenproduzent weltweit und wurde an der Börse mit acht Milliarden Euro gehandelt. Um die Produktionsstätten von Q-Cells herum, im ehemaligen Chemiedreieck der DDR, entstand das sogenannte "Solar Valley", das "Sonnental", eines der wirtschaftlichen "Leuchttürme" im Osten Deutschlands.
"Scheiß auf den Kommerz. Lass uns was Richtiges machen!"
Begonnen hatte alles 1978 in Westberlin, als Reiner Lemoine mit einigen Gleichgesinnten das "sozialistische Ingenieurskollektiv Wuseltronik" ins Leben rief. Lemoine, der ein bisschen wie John Lennon aussah, hatte Luft- und Raumfahrttechnik an der FU Berlin studiert; er war Marxist und entschiedener Atomkraftgegner. Aber nur dagegen zu sein, war ihm zu wenig. Im "Ingenieurskollektiv" beschäftigten sie sich mit der Gewinnung von Wind- und Sonnenenergie – wegweisende Arbeiten für die spätere Solarbranche.
1996 gründete Lemoine gemeinsam mit Holger Feist und Paul Grunow die Firma "Solon", in der sie Solarmodule herstellten. Doch Kapital fehlte, die gefertigten Stückzahlen blieben gering. Zwei Jahre später beschloss Lemoine, in größerem Stil Solarzellen zu produzieren, um seinem Traum von einer Welt, die ihre Energie aus der Sonne bezieht, näher zu kommen. Eine kleine Fabrik mit etwa vierzig Mitarbeitern stellte er sich vor. "Scheiß auf den Kommerz", sagte er damals, "lass uns was Richtiges machen!" Um "was Richtiges" in die Welt setzen zu können, brauchten er und seine beiden Mitstreiter allerdings Geld. Viel Geld. Zwölf Millionen Euro etwa. Sie holten sich Anton Milner, einen ehemaligen McKinsey-Manager ins Boot, und gerieten 1999 in das anhaltische Dorf Thalheim.
Keine Lust auf Bitterfeld
"Die wollten gar nicht hierher", erinnert sich Manfred Kressin, der Bürgermeister Thalheims, an den ersten Kontakt mit den Berliner Unternehmensgründern. "Am liebsten hätten sie ihre Solarzellenfabrik in Kreuzberg gebaut." Doch das Land Berlin hatte eine finanzielle Unterstützung abgelehnt. Das Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt stellte hingegen eine üppige Förderung in Aussicht. Einzige Bedingung: Die Fabrik muss im Raum Bitterfeld entstehen. Und Kressin konnte weitere Angebote machen: Ein unschlagbar niedriger Steuerhebesatz, Tausende arbeitslose Arbeiter, die einst bei ORWO Techniken erlernt hatten, wie sie ähnlich auch in der Solarzellenfertigung gefragt sind. Und auch Schicht- und Sonntagsarbeit seien hier kein Problem. Kressins Angebote wogen die Abneigung der Unternehmensgründer gegen das in ihren Augen triste Dorf auf. Sie blieben. Am 6. Januar 2001 begannen die Bauarbeiten und bereits ein halbes Jahr später wurde die erste Solarzelle produziert. Er wünsche Q-Cells einen ähnlichen Erfolg wie ihn die Fotofabrik Agfa hier in Bitterfeld-Wolfen einst hatte, sagte Manfred Kressin in seiner Rede bei der Einweihung des Werkes. Damals haben alle gelacht, erinnert sich Kressin.
Größter Solarzellenhersteller der Welt
Nur einige Jahre später lachte niemand mehr. Vom ersten Jahr an konnte Q-Cells die Produktionskapazitäten alle zwölf Monate verdoppeln, auch dank eines Gesetzes, dass die rot-grüne Bundesregierung 2000 erließ: dem "Erneuerbare Energie-Gesetz", das die Förderung grünen Stroms vorsah. Jeder, der sich seither eine Photovoltaikanlage aufs Dach stellt, bekommt eine sogenannte Einspeisevergütung. Milliarden flossen über die Jahre somit in die Förderung der Solarenergie. Q-Cells stieg 2007 zum größten Solarzellenhersteller der Welt auf und wurde zum Aushängeschild der deutschen Öko-Wirtschaft.
Nachdem sich Q-Cells in Thalheim angesiedelt hatte, zogen auch weitere Solarzellenhersteller in das kleine anhaltische Dorf. Thalheim wurde zum Zentrum des "Solar Valley". Es waren Jahre eines geradezu märchenhaften Booms. Dank der Q-Cells-Steuermillionen war Thalheim ab 2005 seine Schulden los und Bürgermeister Kressin konnte nach Lust und Laune Geld für die Verschönerung seiner Gemeinde ausgeben: Straßen, Gehwege, die Schule und die Feuerwache wurden aufwendig saniert. Der Sportplatz wurde mit Kunstrasen, Tribüne und Flutlichtanlage ausgestattet und der Fußballverein Rot-Weiß Thalheim großzügig vom Solarzellenhersteller gesponsert. Und selbst 300.000 Euro für die Restaurierung des baufälligen Kirchturms waren dank Q-Cells kein Problem.
2009 waren die fetten Jahre plötzlich vorbei. Q-Cells zahlte keine Steuern mehr an die Gemeinde, und die Fußballmannschaft von Rot-Weiß Thalheim wurde auch nicht mehr unterstützt. Der Weltkonzern war in der Krise. Er schrieb nun Jahr für Jahr beträchtliche Verluste. 35 Millionen Euro waren es allein 2011. Und so wie Q-Cells erging es auch einem Dutzend anderer deutscher Solarfirmen – sie gingen Pleite oder meldeten Insolvenz an. Der Grund: Solarzellen können in Asien weitaus kostengünstiger hergestellt werden.
Kein Boden mehr unter den Füßen
Ironie der Geschichte: Gerade die großzügigen staatlichen Förderungen wurden den deutschen Solarzellenherstellern zum Verhängnis: Die große Nachfrage nach Solarzellen trieb die Massenproduktion vor allem in China an und führte zu einem rapiden Preisverfall. Es war ein Prozess, der sich seit 2008 abzeichnete. Aufgrund der großen Nachfrage konnten aber auch Firmen, die bereits keine Chance auf dem Weltmarkt mehr hatten, noch immer ihre Zellen produzieren. "Bildlich gesprochen waren Firmen wie Q-Cells" in den vergangenen Jahren "in einem Zustand, wie er oft in Zeichentrickfilmen dargestellt wird", schrieb der SPIEGEL (04.04.2012) anschaulich: "Eine Figur läuft über den Abgrund und schwebt für eine Weile in der Luft – bis sie merkt, dass der Boden unter ihr verschwunden ist. Dann stürzt sie krachend ab."
"Es wird hier ganz, ganz bitter"
Und genau das ist nun passiert. Im deutschen Solar Valley dürften nach Einschätzung der meisten Experten schon bald die Lichter ausgehen. "Die Tage der Zellproduktion in westlichen Ländern sind gezählt", prophezeite Michael Schmela, Chefredakteur der Branchenzeitschrift "Photon International", unlängst im "SPIEGEL". Für die Gemeinde Thalheim werden schwere Zeiten anbrechen. Wenn Q-Cells tatsächlich Pleite macht, sagt Bürgermeister Kressin, "wird es hier ganz, ganz bitter".
Enttäuschte Solarpioniere
Die Solarpioniere Reiner Lemoine, Holger Feist und Paul Grunow hatten ihrem Unternehmen, das von Anfang an vom Manager Anton Milner geleitet wurde, bereits nach einigen Jahren nichts mehr abgewinnen können.
Sie hatten sich keine Weltfirma, sondern eine Denkfabrik mit vielleicht einhundert Mitarbeitern erträumt, die wie in einer Art Familie zusammen leben, arbeiten und forschen - ein "sozialistisches Ingenieurskollektiv", in dem alle mit Leidenschaft dabei sind und das Gleiche verdienen. 2007 stiegen Feist und Grunow aus dem Unternehmen aus, in dem sie zuletzt nur noch als einfache Ingenieure gearbeitet hatten. Reiner Lemoine , der Visionär und Kapitalismuskritiker, gründete 2006 eine Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Forschung. Er starb im selben Jahr, 57-jährig, an den Folgen eines Hirntumors.
Bildergalerie:www.mdr.de/damals/q-cells154.html
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