Neuer Markt - Neue Chance

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Neuer Markt - Neue Chance

 
04.11.01 11:21




Euro am Sonntag berichtet


Totgesagte leben länger: Der Neue Markt ist wieder in den Fokus der Anleger gerückt. Der Durchbruch zubesseren Zeiten scheint geschafft. Mit welchen Aktien Sie einen Neuanfang wagen können  
von von Joachim Spiering, Tobias Meister und Andreas Wolf

NEUER MARKT Die Wachstumsbörse probt das Comeback, doch noch steht sie auf wackeligen Beinen
Ring frei für die
zweite Runde

Nach einer Serie von Tiefschlägen schien der Neue Markt am Ende zu sein, doch die vergangenen Wochen brachten das Comeback.
EURO sagt, wie Anleger von der zweiten Nemax-Chance
profitieren können

Platt wie ein Kirmes-Boxer lag der Neue Markt am Boden. Schwer angezählt, nahe am K.o. Doch jetzt hat er sich wieder aufgerappelt. Nach einer Performance von 43 Prozent innerhalb von sechs Wochen ist klar: Die Wachstumsbörse ist wieder da, sie steht wieder - wenn auch auf wackeligen Füßen und mit einem dicken blauen Auge.
Im Zuge der Mini-Hausse und nach dem Überspringen der 1000-Punkte-Marke rückte das vor kurzem noch verpönte Segment plötzlich wieder in den Blickpunkt des Anleger-Interesses.
Ist dies das lang ersehnte Comeback der Wachstumsbörse? Eine Umfrage von EURO unter Fondsmanagern, Analysten und Portfolio-Strategen ergab: Die meisten Experten entdecken am Neuen Markt wieder neue Chancen. "Bis Ende 2002 sehe ich den Neuen Markt bei 1500 bis 1600 Punkten", sagt beispielsweise Karl Fickel, Manager bei der Fondsgesellschaft Lupus Alpha.

Auch Thomas Effler, Leiter des Neuer-Markt-Research bei der Commerzbank, sieht wieder Potenzial am deutschen Wachstumssegment: "Ich bin verhalten positiv gestimmt." Allerdings: Mit einer rasanten Rally in den kommenden Wochen rechnen die Experten dennoch nicht. Grund: die Unsicherheit über die Entwicklung der Weltwirtschaft und die Sorge vor weiteren schlechten Unternehmenszahlen. "Ich gehe davon aus, dass sich der Markt bis mindestens zum Jahresende unter starken Schwankungen seitwärts bewegt", sagt Fickel.
Jetzt gute Chancen
für neuen Einstieg
Doch genau diese Entwicklung bietet für Privatanleger die Chance, sich gute Titel zu günstigen Preisen ins Depot zu legen. So rät Karl Fickel allen Anlegern, die sich am Neuen Markt engagieren wollen, "sich in den nächsten Wochen langsam wieder im Markt zu positionieren". Das heißt: Vorsichtiges, geduldiges Stock-Picking ist jetzt angesagt. Auch die Profis schauen sich am Neuen Markt wieder intensiv nach interessanten Investments um. Zumal den Fonds offenbar wieder Geld zufließt. "Wir haben bislang immer Zuflüsse gehabt", betont Rolf Drees von der Fondsgesellschaft Union Investment. "Derzeit sind es zwischen 500000 und einer Million Euro pro Tag."
Wachstumswerte mit Substanz gesucht
Die Strategie der Anlageprofis ist eindeutig. In ihre Portfolios kommen vor allem Firmen mit Substanz und profitablem Geschäft. "Früher galt nur Wachstum, Wachstum, Wachstum", sagt Drees, "dabei kommt es vor allem darauf an, ob eine Firma Gewinne macht." Die Zeiten, in denen Internet- und anderen Unternehmen der Wachstumsbranchen hohe Anlaufverluste zugestanden wurden, sind also vorbei.
Dabei schauen sich die Fondsmanager vor allem zwei Bereiche an. "Interessant sind die ersten zehn bis 20 Firmen des Nemax 50", so Commerzbank-Analyst Effler. Neben dem zumeist soliden Geschäftsmodell haben diese Unternehmen noch einen anderen Vorteil: Die Umsätze der gehandelten Aktien sind hoch, so dass die entsprechenden Aktien problemlos ge- oder verkauft werden können. Zum anderen durchleuchten die Fondsmanager jene Branchen, die zwar unter der Börsen-Baisse und der schwachen Konjunktur stark gelitten haben, trotzdem aber in zukunfts-
trächtigen Märkten positioniert sind. Dazu gehören zum Beispiel die Halbleiter-, Mobilfunk- und Smartcard-Branchen. "Es gibt hier einige kleinere Werte, bei denen die Substanz stimmt und die gut aufgestellt sind", sagt etwa Heiko Veit, Fondsmanager bei der Baden-Württembergischen Kapitalanlagegesellschaft.
Die Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Koblenz hat eine Liste substanzstarker Neuer-Markt-Firmen erstellt. Unternehmen also, die die aktuelle Wirtschaftskrise verhältnismäßig unbeschadet überstehen sollten. Dazu gehören derzeit nach Ansicht der WHU-Ökonomen: Aixtron, Comroad, Medion, Pandatel, Pfeiffer Vacuum, Primacom, Qiagen, SAP-SI und Singulus.
Reinigungsprozess
hält weiter an
Es wird noch Monate dauern, bis sich die Spreu endgültig vom Weizen getrennt hat. 14 Firmen sind bereits Pleite gegangen, weitere werden folgen. Erst vergangene Woche hat das Technologie-Unternehmen Biodata bekannt gegeben, dass es spätestens zum 20. November einen Finanzinvestor benötige, um seine Zahlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Ähnlich schlecht geht es anderen.
Die WHU hat sieben Kandidaten ausgemacht, die ebenfalls in schweren finanziellen Schwiergkeiten stecken: Adva, Trintech, Fantastic, Pixelpark, Heyde, Brokat und Ixos. Allerdings sind solche "Todeslisten" mit Vorsicht zu genießen. In den beiden Negativlisten, die im vergangenen Jahr von zwei Börsenbriefen in Umlauf gebracht wurden, findet sich nur eine der aktuellen Pleitefirmen: Gigabell. Trotzdem: Fondsmanager Fickel rechnet damit, dass in den kommenden Monaten "bis zu 75 Unternehmen aus dem Wachstumssegment verschwinden werden". Sei es durch Insolvenzen, sei es durch Übernahmen oder Fusionen.
Hoher Cash-Bestand, niedriger Börsenwert
Neben dem Investment in substanziell gut positionierte Firmen bietet der Neue Markt derzeit noch andere Anlagestrategien. So sind einige Firmen in den vergangenen Wochen übermäßig abgestraft worden, so dass sich aus rein charttechnischen Aspekten (siehe Kasten Seite 15) ein Investment lohnen dürfte. Zudem kann auf Übernahmen spekuliert werden. Hintergrund: Auf dem aktuellen Bewertungsniveau ist bei vielen Firmen allein der Cash-Bestand mehr wert als der aktuelle Börsenwert des gesamten Unternehmens - ein Paradies für finanzkräftige Konzerne, die sich so billig interessante Technologien inklusive Vertriebsmannschaft zulegen können. "Man kauft praktisch für 50 Mark einen 100-Mark-Schein", erklärt Fickel.
In den vergangenen Wochen hat der Aktieninformationsdienst aus Hannover, ein unabhängiger Dienstleister rund um das Thema Finanzen (www.aktieninformationsdienst.de), exklusiv für EURO die Kassenlage am Neuen Markt untersucht. Bei der Ermittlung der Liquidität (Stichtag: 30. Juni) von knapp 200 Firmen des Neuen Marktes kam zu Tage: Bei rund 40 Firmen ist das vorhandene Cash mehr wert als die gesamte Marktkapitalisierung. (siehe auch Kasten Seite 15).
Aktionäre, die an einem eventuellen Übernahme-Deal mitverdienen wollen, müssen sich des Risikos allerdings bewusst sein. "Das Spekulieren auf Übernahmen ist kein strategisches Investment", warnt denn auch Fondsmanager Fickel, "das hat mit Portfolio-Management im engeren Sinn nichts zu tun."
Auch der Gedanke, dass eine hohe Liquidität automatisch eine Art Sicherheitsnetz für die Aktie darstellt, trifft nur bedingt zu. "Es kommt ja nicht nur auf den Cash-Bestand an, sondern auch darauf, wie viel Geld pro Monat verbrannt wird", betont Sascha Fiene vom Aktieninformationsdienst. So weist das Internet-Portal Fortunecity zum 30. Juni einen Cash-Bestand von 15,7 Millionen Euro aus. An der Börse ist das Unternehmen aktuell aber gerade mal gut fünf Millionen Euro wert. Eine profitable Konstellation, sollte man meinen. Doch der Schein trügt. Denn zum Börsengang im März 1999 hatte das Unternehmen fast 100 Millionen Euro eingenommen.
Das bedeutet: Pro Monat hat Fortunecity über fünf Millionen Euro verbrannt. Wird dieses Tempo beibehalten, dann dürfte dem Pennystock allmählich das Geld ausgehen.
Wie können Privatanleger derartige Gefahren erkennen? "Es ist inzwischen unerlässlich", so Sascha Fiene, "dass man in die Quartalsberichte reinschaut und sich über Verbindlichkeiten, Forderungen und andere wichtige Unternehmenszahlen schlau macht."
Neben der Investition in einzelne Titel des Neuen Marktes bietet sich Anlegern natürlich auch die Möglichkeit, den Gesamtmarkt abzudecken. Entweder durch den Kauf eines Index-Zertifikats oder durch spezielle Neue-Markt-Fonds. Dabei sollten Anleger aber auch hier genau hinschauen, denn die Kostenstrukturen sind sehr unterschiedlich. Während etwa der Adig Neuer Markt P nur 2,5 Prozent Ausgabeaufschlag kostet, sind es beim Postbank Dynamik gleich 3,75 Prozent, beim DWS Euroland Neue Märkte und beim EuroAction N.M. sogar vier Prozent. Andere Anbieter verlangen sogar fünf Prozent.
Eines haben die rund 20 Neue-Markt-Fonds jedoch gemeinsam. Momentan liegen alle heftig in den Miesen. Nimmt man die Wertentwicklung seit Jahresanfang zum Maßstab, schneiden der Meridio Nemax, der VMR Neuer Markt Europe und der Lupus Alpha Neuer Markt mit einem Minus von knapp 50 Prozent noch am besten ab. Im gleichen Zeitraum hat der Neue Markt selbst über 60 Prozent eingebüßt.
Immerhin, die Zeiten, da es im Wachstumssegment zuging wie in einer Box-Bude auf dem Jahrmarkt sollten ausgestanden sein. Die Anleger haben genug Tiefschläge hinnehmen müssen. «
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