Samstag 9. Februar 2002, 15:17 Uhr
HINTERGRUND - Neue Ad-hoc-Regelungen setzen Firmen unter Druck
- Von Klaus Wille -
Frankfurt, 09. Feb (Reuters) - Mit der gesetzlichen Neuregelung der Ad-hoc-Publizität werden nach Auffassung von Experten vielen Unternehmen die Daumenschrauben angelegt. Vor allem am Neuen Markt dürften irreführende Praktiken bei der Mitteilung kursrelevanter Unternehmensnachrichten der Vergangenheit angehören. Denn die Bundesregierung will durch Verbote und die Einführung von Haftungsregelungen den Missbrauch der Ad-hoc-Publizität unterbinden. Während die allgemeinen Neuregelungen ANZEIGE
überwiegend auf Zustimmung stoßen, sehen Rechtsexperten kaum einen Fortschritt für den Anlegerschutz.
Eigentlich ist die bisherige Rechtslage klar. Gemäß Paragraph 15 des Wertpapierhandelsgesetzes (WphG) muss ein Unternehmen so schnell wie möglich alle neuen Tatsachen bekannt geben, die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten sind und dabei entweder erheblich kursrelevant sind oder Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf haben.
BISLANG OFT NUR POSITIVES WORTGEKLINGEL
"Diese Regelung wurde aber oft unterlaufen", sagt Rechtsanwalt Klaus Nieding, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Entweder veröffentlichten die Unternehmen ihre Ad-hocs zu spät. Oder schlechte Meldungen wurden hinter positivem Wortgeklingel versteckt. Oder es wurden überhaupt nur Marketing-Meldungen ohne kursrelevante Nachrichten herausgegeben."
Nach einer Untersuchung von Dresdner Kleinwort Wasserstein neigen am Neuen Markt vor allem Unternehmen mit einer schlechten Kursentwicklung zur häufigen und fehlerhaften Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen. Die Experten fanden heraus, dass in dem Zeitraum von Juli 2000 bis Juli 2001 die 20 Unternehmen mit der besten Kursentwicklung im Schnitt 7,7 Ad-hocs herausgaben, die 20 Unternehmen mit der schlechtesten Entwicklung hingegen fast doppelt so viele, nämlich 13,2. Zudem sei bei diesen die Fehlerquote der Ad-hocs mit zwei Prozent fast doppelt so hoch wie bei der Gruppe der guten Kursperformer.
ERGÄNZUNGEN IM GESETZ SOLLEN RIEGEL VORSCHIEBEN
Den Missständen soll durch die Ergänzungen im WphG, die wahrscheinlich Mitte 2002 in Kraft treten werden, ein Riegel vorgeschoben werden. So sollen keine Fantasiekennzahlen mehr veröffentlicht werden. Vielmehr sollen die Kennzahlen gebräuchlich sein und einen Vergleich mit den zuletzt genutzten Kennzahlen ermöglichen.
Unwichtige und nicht kursrelevante Meldungen unterliegen demnach einem expliziten Verbot. Unwahre Tatsachen müssen sofort per Ad-hoc-Mitteilung korrigiert werden. Zudem werden neue Haftungsregeln in das Gesetz eingefügt. Danach soll ein Anleger Anspruch auf Schadensersatz gegenüber einem Unternehmen haben, wenn dieses eine Ad-hoc-Mitteilung unterlässt (obwohl sie notwendig wäre) oder eine falsche Meldung herausgibt und dem Anleger dadurch ein Schaden entsteht.
Die neuen Regelungen stoßen in der Fachwelt fast einhellig auf Zustimmung. Von einem "überfälligen Schritt" spricht Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Nürnberg. Bereits vor knapp zwei Jahren hatte das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) in einem mahnenden Rundschreiben mitgeteilt, dass einige Unternehmen die Ad-hoc-Mitteilungen "primär für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit einsetzten", was aus Sicht des Amtes einen Missbrauch darstelle.
Eines von vielen Beispielen der Vergangenheit, die nach neuem Recht nicht mehr möglich sein dürften, nennt Guido Hobert, Jurist und Portfoliomanager bei Invesco Asset Management. So kaufte das Neue-Markt-Softwareunternehmen Valor Computerized Systems im April und Mai vergangenen Jahres Aktien zurück. Dies Rückkaufprogramm wurde im Januar per Ad-hoc angekündigt. Der tatsächliche Beginn des Programms wurde im März zweimal per Ad-hoc bekannt gegeben. Und über den Fortgang berichtete das Unternehmen in der Folge insgesamt sechsmal - jedes Mal per Ad-hoc. "Diese Wiederholungen sind unnötig und würden nach neuem Recht nicht gestattet", sagt Hobert.
RECHTSAUSSICHTEN FÜR ANLEGER BLEIBEN ABER MÄßIG
Heftig umstritten sind dagegen die neuen Haftungsregelungen bei falscher Ad-hoc. Bislang ergaben sich Ansprüche auf Schadensersatz nur aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Nun können sich die Anleger auch auf zwei neue Paragraphen im WphG berufen, wenn sie vor Gericht ziehen wollen.
"Aber die wesentlichen Probleme, die sich bei den Urteilen zu Infomatec und EM.TV ergaben, werden nicht gelöst", sagt Wolf von Buttlar von der Rechtsanwaltskanzlei Tilp & Kälberer. Denn der Anleger müsse weiterhin beweisen, dass wirklich die Ad-hoc-Mitteilung und nicht eine Beratung oder Presseinformation ausschlaggebend für den Aktienkauf gewesen sei. Dieser Nachweis sei meist äußerst schwierig.
Zudem müsse dem Kläger der Nachweis gelingen, dass die Ad-hoc falsch oder unvollständig sei. Dieser Nachweis sei meist aber nur möglich, wenn auch die Staatsanwaltschaft ermittle. Dies geschehe aber regelmäßig spät - so spät, dass die im neuen Gesetz vorgesehene Verjährungsfrist von einem Jahr bereits abgelaufen sei. Fazit von Buttlars und anderen Rechtsexperten: "Anleger, die nach bisherigem Recht keinen Schadensersatz erhielten, werden es auch nach neuem Recht nicht erhalten. Aus Anlegersicht sind die Neuregelungen nicht der große Wurf."
wil/ban/zap
Schmuggler
HINTERGRUND - Neue Ad-hoc-Regelungen setzen Firmen unter Druck
- Von Klaus Wille -
Frankfurt, 09. Feb (Reuters) - Mit der gesetzlichen Neuregelung der Ad-hoc-Publizität werden nach Auffassung von Experten vielen Unternehmen die Daumenschrauben angelegt. Vor allem am Neuen Markt dürften irreführende Praktiken bei der Mitteilung kursrelevanter Unternehmensnachrichten der Vergangenheit angehören. Denn die Bundesregierung will durch Verbote und die Einführung von Haftungsregelungen den Missbrauch der Ad-hoc-Publizität unterbinden. Während die allgemeinen Neuregelungen ANZEIGE
überwiegend auf Zustimmung stoßen, sehen Rechtsexperten kaum einen Fortschritt für den Anlegerschutz.
Eigentlich ist die bisherige Rechtslage klar. Gemäß Paragraph 15 des Wertpapierhandelsgesetzes (WphG) muss ein Unternehmen so schnell wie möglich alle neuen Tatsachen bekannt geben, die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten sind und dabei entweder erheblich kursrelevant sind oder Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf haben.
BISLANG OFT NUR POSITIVES WORTGEKLINGEL
"Diese Regelung wurde aber oft unterlaufen", sagt Rechtsanwalt Klaus Nieding, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Entweder veröffentlichten die Unternehmen ihre Ad-hocs zu spät. Oder schlechte Meldungen wurden hinter positivem Wortgeklingel versteckt. Oder es wurden überhaupt nur Marketing-Meldungen ohne kursrelevante Nachrichten herausgegeben."
Nach einer Untersuchung von Dresdner Kleinwort Wasserstein neigen am Neuen Markt vor allem Unternehmen mit einer schlechten Kursentwicklung zur häufigen und fehlerhaften Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen. Die Experten fanden heraus, dass in dem Zeitraum von Juli 2000 bis Juli 2001 die 20 Unternehmen mit der besten Kursentwicklung im Schnitt 7,7 Ad-hocs herausgaben, die 20 Unternehmen mit der schlechtesten Entwicklung hingegen fast doppelt so viele, nämlich 13,2. Zudem sei bei diesen die Fehlerquote der Ad-hocs mit zwei Prozent fast doppelt so hoch wie bei der Gruppe der guten Kursperformer.
ERGÄNZUNGEN IM GESETZ SOLLEN RIEGEL VORSCHIEBEN
Den Missständen soll durch die Ergänzungen im WphG, die wahrscheinlich Mitte 2002 in Kraft treten werden, ein Riegel vorgeschoben werden. So sollen keine Fantasiekennzahlen mehr veröffentlicht werden. Vielmehr sollen die Kennzahlen gebräuchlich sein und einen Vergleich mit den zuletzt genutzten Kennzahlen ermöglichen.
Unwichtige und nicht kursrelevante Meldungen unterliegen demnach einem expliziten Verbot. Unwahre Tatsachen müssen sofort per Ad-hoc-Mitteilung korrigiert werden. Zudem werden neue Haftungsregeln in das Gesetz eingefügt. Danach soll ein Anleger Anspruch auf Schadensersatz gegenüber einem Unternehmen haben, wenn dieses eine Ad-hoc-Mitteilung unterlässt (obwohl sie notwendig wäre) oder eine falsche Meldung herausgibt und dem Anleger dadurch ein Schaden entsteht.
Die neuen Regelungen stoßen in der Fachwelt fast einhellig auf Zustimmung. Von einem "überfälligen Schritt" spricht Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Nürnberg. Bereits vor knapp zwei Jahren hatte das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe) in einem mahnenden Rundschreiben mitgeteilt, dass einige Unternehmen die Ad-hoc-Mitteilungen "primär für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit einsetzten", was aus Sicht des Amtes einen Missbrauch darstelle.
Eines von vielen Beispielen der Vergangenheit, die nach neuem Recht nicht mehr möglich sein dürften, nennt Guido Hobert, Jurist und Portfoliomanager bei Invesco Asset Management. So kaufte das Neue-Markt-Softwareunternehmen Valor Computerized Systems im April und Mai vergangenen Jahres Aktien zurück. Dies Rückkaufprogramm wurde im Januar per Ad-hoc angekündigt. Der tatsächliche Beginn des Programms wurde im März zweimal per Ad-hoc bekannt gegeben. Und über den Fortgang berichtete das Unternehmen in der Folge insgesamt sechsmal - jedes Mal per Ad-hoc. "Diese Wiederholungen sind unnötig und würden nach neuem Recht nicht gestattet", sagt Hobert.
RECHTSAUSSICHTEN FÜR ANLEGER BLEIBEN ABER MÄßIG
Heftig umstritten sind dagegen die neuen Haftungsregelungen bei falscher Ad-hoc. Bislang ergaben sich Ansprüche auf Schadensersatz nur aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Nun können sich die Anleger auch auf zwei neue Paragraphen im WphG berufen, wenn sie vor Gericht ziehen wollen.
"Aber die wesentlichen Probleme, die sich bei den Urteilen zu Infomatec und EM.TV ergaben, werden nicht gelöst", sagt Wolf von Buttlar von der Rechtsanwaltskanzlei Tilp & Kälberer. Denn der Anleger müsse weiterhin beweisen, dass wirklich die Ad-hoc-Mitteilung und nicht eine Beratung oder Presseinformation ausschlaggebend für den Aktienkauf gewesen sei. Dieser Nachweis sei meist äußerst schwierig.
Zudem müsse dem Kläger der Nachweis gelingen, dass die Ad-hoc falsch oder unvollständig sei. Dieser Nachweis sei meist aber nur möglich, wenn auch die Staatsanwaltschaft ermittle. Dies geschehe aber regelmäßig spät - so spät, dass die im neuen Gesetz vorgesehene Verjährungsfrist von einem Jahr bereits abgelaufen sei. Fazit von Buttlars und anderen Rechtsexperten: "Anleger, die nach bisherigem Recht keinen Schadensersatz erhielten, werden es auch nach neuem Recht nicht erhalten. Aus Anlegersicht sind die Neuregelungen nicht der große Wurf."
wil/ban/zap
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