Das hatten sich alle Beteiligten gewiss anders vorgestelllt. Auf der Hauptversammlung des ehemaligen Internet-Unternehmens Adori am vergangenen Dienstag gab es zwei Beschlussanträge des Adori-Vorstands: Auflösung der Gesellschaft oder Umwandlung in eine Vermögensverwaltung. Beide Alternativen hätten den Aktionären einen ordentlichen Profit beschert. Bei einer Liquidation wäre die 27 Millionen Euro schwere Kasse unter den Aktionären aufgeteilt worden. 2,70 Euro pro Aktie hätte jeder Anteilseigner kassiert, im Vorfeld der HV notierte die Aktie bei 1,90 Euro - ein schönes Geschäft. Im Falle der Umwandlung in eine Vermögensverwaltung wäre der Weg frei gewesen für eine Fusion mit einem anderen Unternehmen. Dazu auserkoren war der nicht börsennotierte Nürnberger Telekom-Dienstleister PDN. Der Lohn für die Adori- Aktionäre wären neue PDN-Aktien inklusiver einer Barabfindung gewesen. Doch daraus wurde nichts: Beide Anträge verfehlten mit Zustimmungsraten von 66 bzw. 68 Prozent die notwendige Dreiviertelmehrheit.
Nach diesem Rückschlag müssen sich die verbliebenen zehn Mitarbeiter von Adori nun aufs Neue überlegen, wie es weitergeht. Vorstand Martin Kagerer gab sich gegenüber TELEBÖRSE-Online zugeknöpft, Aussagen über die Zukunft waren ihm nicht zu entlocken. Nur soviel: "Wir werden die HV nun erst einmal gründlich aufarbeiten." Das Ergebnis dieser Analyse dürfte ein neuer Anlauf sein - eine andere Alternative haben die Regensburger, die ihr operatives Geschäft weitgehend eingestellt haben, freilich nicht. Problem: Der designierte Partner PDN hat sich bereits im Vorfeld der HV überraschend zurückgezogen und seine Vorstände aus dem Adori-Aufsichtsrat abberufen. Nun sitzen dort die Aktionärsvertreter von Brainpool, der KdV und der Stadtsparkasse Köln. Getreu der Devise "Andere Mütter haben auch schöne Töchter" dürfte es das Hauptansinnen dieser Großaktionäre sein, Adori möglichst schnell unter die Haube zu bringen.
Aller Voraussicht nach dürften Kagerer&Co. bei ihrer Suche schon bald Erfolg haben, ist Adori doch noch immer der attraktivste Börsenmantel am Neuen Markt. Dem Fusionskandidaten winken 27 Millionen Euro Cash und eine Börsennotierung ohne IPO-Kosten. Die gescheiterte Liaison PDN/Adori könnte zum Vorbild für andere Unternehmen werden, die es trotz Börsenflaute an den Kapitalmarkt zieht. Damit ist die Story, auf der sich unsere Kaufempfehlungen der vergangenen Monate stützten, nach wie vor intakt. Allerdings hat sich das Zeitfenster nach hinten verschoben. Findet Kagerer einen neuen Partner, müsste zunächst erst einmal wieder ein Verschmelzungsgutachten erstellt werden. Das dauert etwa ein halbes Jahr. Ferner wäre die Einberufung einer außerordentlichen HV notwendig, um im zweiten Anlauf die Umwandlung in eine Vermögensverwaltung genehmigt zu bekommen. Mit einem Partner, der - im Gegensatz zu PDN - nicht kurz vor der HV einen Rückzieher macht, könnte die notwendige Dreiviertelmehrheit erreicht werden. Verläuft die Partnersuche erfolglos, könnte Kagerer einen erneuten Liquidationsanlauf wagen (ebenfalls HV-pflichtig).
Fazit: Während Adori auf Brautschau ist, werden sich die Millionen auf einem Festgeldkonto weiter vermehren. Damit bleibt die Unterbewertung der Aktie nach wie vor bestehen. Nur die Aussicht auf kurzfristige Gewinne ist seit der Hauptversammlung verflogen. Wer Geduld hat, sollte die Aktie behalten beziehungsweise bei Kursen um 1,70 Euro einsteigen. Zu unwahrscheinlich ist es, dass eine so attraktive Braut wie Adori noch lange Single bleibt.
Michael Hedtstück; 4.3.02