Nach dem Deutschland-Rückzug bleibt Wal-Mart ein angeschlagener Problemfall ohne große Wachstums-Perspektive, die Aktie ist mMn kein Kauf - A.L.
Agenda
Wal-Marts Flopping Tourvon Christiane Ronke, Horst von Buttlar (Hamburg) und Heike Buchter (New York)
Acht Jahre hat Wal-Mart im deutschen Einzelhandel vergeblich um Marktanteile gekämpft. Der US-Handelsriese hat dabei nicht nur alles falsch gemacht und Milliarden verloren. Der Abzug ist ein schwerer Rückschlag für die Expansionspläne in EuropaImmer wieder haben sie diesen einen Satz gesagt. Was heißt Satz, eine Fanfare war es, ein strategischer Superlativ, so schön wie das Wal-Mart-Lächeln, das Tausende Mitarbeiter jeden Tag rund um den Globus im Gesicht tragen: "Wir wollen die Besten sein!" Ron Tiarks, der erste Deutschlandchef der Supermarktkette, trug diesen Satz vor sich her. Wal-Mart solle einmal "die bekannteste und beliebteste Einzelhandelskette in Deutschland" sein.
Auch sein Nachfolger, Allan Leighton, der mit dem Personal Champagnerwetten über den Fischabsatz im Weihnachtsgeschäft abschloss und gerne über seine Rückenverletzungen vom Sandsackboxen plauderte, war nicht weniger bescheiden. "Wir wollen in Europa eine starke Position einnehmen, wollen der beste Einzelhändler werden."
Groß waren die Pläne, die Wal-Mart, dieser 312-Mrd.-$-Umsatz-Gigant, für den deutschen Markt hatte. Mit einem Lächeln wollten er seit Ende 1997 den deutschen Markt erobern, mit Dauerniedrigpreisen und besserem Service, mit breiteren Gängen und Schnellkassen, mit Öffnungszeiten ab 7 Uhr und Verkäufern, die nicht Verkäufer sind, sondern "Associates", Verbündete des Kunden.
Kleinlauter Rückzug
So groß die Pläne waren, so kleinlaut ist nun der Rückzug. Es sei zunehmend deutlich geworden, "dass es unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland schwierig ist, die von uns angestrebte Größe und angestrebten Ergebnisse zu erzielen", teilte am Wochenende das Management in der US-Zentrale in Bentonville mit.
Hinter dem Satzungetüm verbirgt sich ein unternehmerisches Fiasko. Nach Südkorea zieht sich Wal-Mart innerhalb von wenigen Monaten zum zweiten Mal komplett aus einem Markt zurück. Doch diesmal gibt der Handelsriese einen wichtigen Markt in Europa auf. Der Düsseldorfer Metro-Konzern übernimmt das bisherige Geschäft.
Dabei dürfte Wal-Mart weniger der Umsatz schmerzen, der mit 2 Mrd. Euro ohnehin unter ferner liefen dümpelte. Auch die versenkten Milliarden wird man verkraften. Für den US-Konzern geht es um die Wachstumsstrategie für Europa. Deutschland, so lautete vor acht Jahren der Plan, sollte der Brückenkopf sein, das Sprungbrett für die Eroberung der europäischen Märkte. Nach dem Rückzug ist Wal-Mart nur noch in Großbritannien vertreten.
Die weitere Expansion in Europa wird nun extrem erschwert: "Ohne Basis in Deutschland rückt der Gedanke an eine Expansion nach Ost- und Südeuropa sowie Skandinavien in weite Ferne", urteilt das Marktforschungsinstitut Planet Retail. "Wenn sich Wal-Mart aus der größten Volkswirtschaft zurückziehen muss, ist das kein gutes Zeichen", sagt auch David Dietze, Präsident des Investmentberaters Point View Financial.
Erst Ende Juni hatte Wal-Mart-Chef Lee Scott angekündigt, das größte Einzelhandelsunternehmen der Welt prüfe den Einstieg in zehn mittel- und osteuropäischen Staaten, unter anderem in Polen, Ungarn und Russland. "Es ist uns egal, welches dieser zehn Länder das erste sein wird. Irgendwann wollen wir in alle zehn", tönte Scott. Mit einem weißen Fleck im Herzen Europas dürfte das schwierig werden.
Dabei hatte alles recht vielversprechend angefangen. Als Wal-Mart Ende 1997 zunächst 21 Wertkauf-Warenhäuser und im Jahr drauf 74 Interspar-Filialen übernahm, zitterte der deutsche Einzelhandel. "Supermarkt-Krieg! US-Riese kommt! Täglich neue Niedrig-Preise", jubelte die "Bild"-Zeitung. Dem Handel drohe "ein verheerender Preiskrieg", warnte das Fachblatt "Lebensmittel Zeitung". Der bayerische Einzelhandelsverband organisierte sogar Symposien, die sich mit Abwehrstrategien befassten. Auch der damalige Rewe-Chef Hans Reischl sah Wal-Mart als "große Bedrohung", prophezeite aber bald: "Die werden sich schon ihre blutige Nase holen."
Die Ernüchterung kam bereits ein Jahr später. Die Serviceoffensive stockte, weil das Personal nicht mitzog. Die Logistik, für die Wal-Mart berüchtigt ist, funktionierte nicht und verschlang Geld. Und der Umbau der heruntergewirtschafteten Filialen ließ auf sich warten. Auch mit den deutschen Wettbewerbshütern musste sich Wal-Mart bald herumschlagen: Der Preisnachlass für Kunden, die einen billigeren Artikel bei der Konkurrenz sehen, sei unzulässig.
Schlagzeilen und Prozesse
Bei Lieferanten versuchte Wal-Mart vergeblich US-Standards durchzudrücken, "in völliger Fehleinschätzung seiner tatsächlichen Marktmacht", wie die "Lebensmittel Zeitung" schrieb. Die Amerikaner verstanden den hart umkämpften und margenschwachen deutschen Markt nicht - womit sie nicht die Ersten waren. Zuvor hatten sich bereits der französische Intermarché und die britische Warenhauskette Marks & Spencer erfolglos aus Deutschland zurückgezogen.
Konkurrenten wie Lidl und Aldi, die Immobilien und Einkaufsmacht auf sich vereinen, zogen beim Preiskrieg einfach mit. "Wal-Mart hat es nicht geschafft, die richtige Note zu treffen, um den Markt zu knacken", sagt der US-Einzelhandelsexperte Mike Duff, "die Mittelklasse schämt sich nicht mehr, beim Discounter gesehen zu werden. Es ist sogar in."
Ob beim Kunde oder beim Personal: Der Mensch, der bei Wal-Mart im Mittelpunkt steht, durfte offenbar nicht Deutscher sein. Mit Mitarbeitern gab es Streit, als Marktleiter eine züchtigere Kleiderordnung vorschreiben wollten, weil manche Röcke zu kurz und Dekolletés zu tief waren. Das morgendliche Motivationsritual, an dem die Angestellten die Buchstaben ihres Arbeitgebers brüllen, behagte den Deutschen überhaupt nicht. Bald gab es Gerüchte, dass sich Mitarbeiter lieber auf der Toilette verkrochen. Und der Streit um eine "Ethik-Richtlinie", die Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz verbot, sorgte für Schlagzeilen und langwierige Gerichtsprozesse.
Ähnlich der "Clash of Cultures" bei den Kunden: Die amerikanischen Tütenpacker an der Kasse etwa wussten sie nicht zu schätzen. "Die lächelnden Angestellten weckten eher Misstrauen", sagt Experte Dietze. Die Kunden kauften lieber von der Palette bei Aldi, Hauptsache es war billig.
"Das Management von Wal-Mart fuhr in Deutschland eine komplett falsche Strategie", sagt Jürgen Elfers, Analyst bei der Commerzbank. Es habe nichts anderes gemacht, als die Märkte nach dem Wal-Mart-Konzept auszurichten - das nach Deutschland nicht passte.
Überhaupt, das Management: Nach dem glücklosen Ron Tiarks, der kein Deutsch sprach, und Europachef Allan Leighton kamen die Amerikaner erst 2001 auf die Idee, mit Kay Hafner einen Deutschen mit dem Geschäft zu betrauen. Hafner war allerdings ein Spezialist für Kioske und Tankstellen. Insgesamt fünf Chefs hat Wal-Mart verschlissen.
Gewinne wurden nie gemacht. Nach dem teuren Einstieg in den deutschen Markt lagen die geschätzten Verluste in den ersten Jahren im dreistelligen Millionenbereich. Die Zentrale in den USA musste das deutsche Sorgenkind ständig päppeln. Der Ausstieg kostet eine weitere Milliarde.
Für Wal-Mart - das auch in der Heimat mit einem schlechten Image und einer Flut von Beschwerden und Prozessen zu kämpfen hat - stellt sich nun die Frage, wie es in Europa wachsen kann. "Sie werden sich künftig sehr genau überlegen, ob ihr Geschäftsmodell sich in dem jeweiligen Land umsetzen lässt", prophezeit Patricia Edwards, Fondsmanagerin bei Wentworth, Hauser & Violich. Der Mythos jedenfalls ist angekratzt: "Der Rückzug zeigt, dass sie nicht unbesiegbar sind", sagt Insider Mike Duff.
In Deutschland war die Expansion schon lange zum Erliegen gekommen. 500 Märkte, so hatte Wal-Mart einst großspurig verkündet, wolle man haben. Zuletzt wurden vor allem Filialen geschlossen, von den einst 95 Standorten blieben 85. Nach der Übernahme von Wertkauf und Interspar wollte niemand mehr an die Amerikaner verkaufen.
Masse nie erreicht
Wal-Mart habe es in Deutschland versäumt, "die besten Straßen im Monopoly-Spiel zu besetzen", sagt Analyst Elfers. Das renditeschwache deutsche Geschäft läuft nämlich über die Masse - die Wal-Mart nie erreichte. Geschätzte 10 Mrd. Euro Umsatz wären nötig gewesen.
Experten vermuten, dass sich der Konzern nun vor allem auf die Wachstumsmärkte Indien und China konzentrieren wird. "In China hat Wal-Mart bessere Karten", sagt Analystin Edwards. In Ländern wie Brasilien und Mexico ist man bereits erfolgreich.
In Europa bleibt vielleicht Frankreich. Laut Informationen von Planet Retail hat Wal-Mart den Eigentümern des Handelskonzerns Auchan ein Angebot gemacht. Auch gibt es Gerüchte, dass der Konkurrent Casino einen Käufer sucht. Als sich Casino allerdings vor ein paar Wochen aus Polen zurückzog, schlugen Metro und der britische Marktführer Tesco zu - Wal-Mart blieb außen vor.
Die deutsche Konkurrenz, denen die "Wir machen den Unterschied"-Parolen der Amerikaner arg auf die Nerven gingen, verbirgt derweil jede Genugtuung. "Ich bin frei von Emotionen", sagt Metro-Chef Hans-Joachim Körber. "Der Deal ergibt für uns Sinn."
Apropos Emotionen: Mit dem Abgang der Amerikaner ist auch die strenge Ethik-Richtlinie, die zuletzt beim Bundesarbeitsgericht lag, endgültig passé. Und wenn das Wal-Mart-Lächeln nun aus den Filialen verschwindet. Alles andere ist wieder erlaubt.
Mitarbeit: Claus Gorgs, Nicola de Paoli, André Tauber