Magere Aussichten ....

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Magere Aussichten ....

 
24.06.01 10:05


Für Kanzler Schröder wird es eng: Die Wirtschaftsprognosen verschlechtern sich rapide. Eine Erholung ist nicht in Sicht - auch nicht im Wahljahr 2002

 
Von Cornelia Schmergal
und Matthias Wulff

Berlin/Hamburg - Die deutsche Wirtschaft gerät immer stärker in den Abschwung. Nachdem in dieser Woche Forschungsinstitute zum wiederholten Mal ihre Wachstumsprognose für 2001 nach unten geschraubt haben, steigt die Gefahr, dass 2002 keine Besserung in Sicht ist. Das ergab eine Umfrage von WELT am SONNTAG unter Politikern, Wirtschaftsverbänden und Ökonomen.
Mit diesen immer düsterer werdenden Aussichten steigen die Zweifel an der Wirtschaftskompetenz der SPD und insbesondere von Bundeskanzler Gerhard Schröder und verschlechtern seine Chancen im bevorstehenden Wahljahr. Insbesondere sein nachlassender Reformeifer gerät zunehmend in die Kritik.

So vermisst Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt (BDA) bei der Regierungspartei "den Mut, jetzt noch kostensenkende Reformen in den Sozialversicherungssystemen anzugehen". Es räche sich nun "bitterlich, dass die Bundesregierung die Weichen falsch gestellt" habe und "reformunwillig" sei. Auch laut Professor Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA), hätte die Regierung "im vergangenen Jahr den Schwung nutzen und den Arbeitsmarkt reformieren sollen".

Dabei zählt Straubhaar noch zu den Optimisten, da er für 2001 mit einem Wachstum von 1,7 Prozent und 2002 mit einem 2,3-Prozent-Anstieg rechnet. Sein Kollege vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, hatte in dieser Woche erstmals auf eine Rezessionsgefahr hingewiesen. Seine Befürchtungen erhielten am Freitag zusätzliche Nahrung, nachdem das Münchener Ifo-Institut von einer unerwarteten Eintrübung des Konjunk-turklimas in der westdeutschen Wirtschaft im Mai berichtete. Auch die Geschäftserwartungen gingen zurück. Der Ifo-Index signalisiert nach Ansicht der Deutschen Bank Research keine Wende zum Besseren in den kommenden Monaten. Weitere Zeichen dafür, dass der Abschwung länger andauern könnte als erwartet, waren die Gewinnwarnungen in dieser Woche durch BASF, Europas größten Chemiekonzern, und den Halbleiterhersteller Infineon.

Die trüben Aussichten der Unternehmen und die schlechten Konjunkturdaten will die CDU zum Anlass nehmen, in der letzten Sitzungswoche des Parlaments vor der Sommerpause Anfang Juli eine große Wirtschaftsdebatte zu beantragen.
CDU-Fraktionschef Friedrich Merz wird dort die Regierungspartei für ihre Wirtschaftspolitik scharf kritisieren. Seiner Ansicht nach "kommt der Pessimismus der Wirtschaft und der Verbraucher ja nicht von ungefähr: Sie sind schlichtweg desillusioniert. Der selbsternannte Wirtschaftskanzler beschert ihnen eine Inflationsrate von 3,5 Prozent, ein einbrechendes Wirtschaftswachstum und einen Stillstand am Arbeitsmarkt". Gleichzeitig ziehe die SPD, so Merz, "die Planwirtschafts-Fachleute der PDS in ihr Boot". In einem solchen Klima könne kein Optimismus gedeihen, "von konkreten Investitionsentscheidungen ganz zu schweigen". Ohne "harten Kurswechsel", glaubt Merz, "wird die Konjunkturkurve auch 2002 zwangsläufig weiter abwärts zeigen."

Einen Schritt weiter geht der FDP-Chef Guido Westerwelle, der sogar personelle Konsequenzen fordert: "Bundeswirtschaftsminister Werner Müller sollte zurücktreten, denn er beweist, dass er mit der veränderten Weltwirtschaftslage nicht zurechtkommt." Müller sei "nicht im Stande, die Rahmenbedingungen zu setzen, die für Wachstum und Beschäftigung unerlässlich sind". Er habe "jede Wirtschaftsschikane von der Ökosteuer bis zur Ausweitung der funktionärischen Fremdbestimmung in den Betrieben zugelassen und zum Teil aktiv betrieben".

Westerwelle begründet seine Rücktrittsforderung auch damit, dass der Wirtschaftsminister nicht in der Lage sei, "die Wirtschaft psychologisch zu befördern. Stattdessen zerstört er das verbliebene Restvertrauen durch seine Warnungen vor einem ‚Null-Wachstum'". Müller hatte in dieser Woche ein "Nullwachstum" im zweiten Quartal für möglich gehalten und damit in der Bundesregierung für Verärgerung gesorgt. Offiziell geht die Bundesregierung noch von einem Wachstum von zwei Prozent aus.

SPD und Grüne hoffen dabei für das zweite Halbjahr auf einen neu erwachten Optimismus in der Wirtschaft. Nach Ansicht von Oswald Metzger, Haushaltsexperte der Grünen, sei "die Stimmung schlechter als die Lage, weil sowohl die veröffentlichte Meinung als auch die Finanzmärkte eher die schlechte Meinung in den Fokus nehmen". Er erwartet, "dass in diesem Jahr die Dynamik noch zunimmt und wir ein Wachstum Richtung zwei Prozent bekommen", räumt aber ein, dass "allerdings auch eine eins vor dem Komma stehen könnte".

Dieser Optimismus wird von Wirtschaftsvertretern nicht geteilt. Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), der bis vor kurzem noch Zuversicht ausstrahlte, hat seine Wachstumsprognose inzwischen revidiert. Rechnete Börner im Frühjahr noch mit einem Wachstum von 1,9 Prozent für das laufende Jahr, so glaubt er jetzt nur noch an ein Plus von 1,6 Prozent - "im besten Fall".

Diese düstere Aussicht entspricht den Erwartungen der Volkswirte von Deutsche Bank Research und Goldman Sachs. In beiden Häusern sehen die Experten die Gefahr, ihre Jahresprognose von 1,5 respektive 1,3 Prozent Wachstum nach unten korrigieren zu müssen. Besorgnis erregend ist für BGA-Präsident Börner, dass "die positiven Signale dafür fehlen, dass es in der zweiten Jahreshälfte und auch im Jahr 2002 wirtschaftlich besser wird".

Angesichts der schwachen Konjunkturdaten nimmt der Druck auf die Bundesregierung zu, den Arbeitsmarkt zu deregulieren. Geschieht das nicht, ist die von Schröder nach der Bundestagswahl 1998 ausgegebene Zielmarke von 3,5 Millionen Arbeitslosen für 2002 nur schwer zu erreichen. Dabei war die "eigentlich eine ziemlich kleine Nummer", meint Gunnar Uldall, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU. Durch die demographische Entwicklung, statistische Tricks oder Beschäftigungsmaßnahmen sei die Marke leicht zu erreichen und eigentlich eher ein Zeichen für Stagnation denn für eine wirkliche Besserung am Arbeitsmarkt. "Für eine schlechte Leistung darf Schröder sich nicht feiern lassen", meint Uldall.

Nach Ansicht des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, müssen jetzt "Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt" korrigiert werden - Kündigungsschutz, Teilzeitgesetz, Scheinselbstständigkeit und die Reform der Betriebsverfassung: "Das würde Vertrauen bei den Unternehmen schaffen." Wenn neue Arbeitsplätze entstünden, werde auch der private Konsum und damit das Wachstum anspringen, so Rogowski.

Die Arbeitsmarktpolitik ist auch aus Sicht der Volkswirte das größte Manko der Regierung: "Unternehmer freuen sich noch über eine hohe Auslastung, scheuen sich aber, neue Leute einzustellen, weil sie die Fixkosten in schlechteren Phasen nicht mehr reduzieren können", sagt Kurt Demmer, Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank. "Wenn Unternehmer keine Anreize haben, neue Arbeitsplätze zu schaffen, wird es nicht zu einem Wachstumssprung kommen."

Eine zusätzliche Belastung für den Arbeitsmarkt droht dabei die Tarifrunde im kommenden Jahr zu werden. Die 2000 ausgehandelten Lohnsteigerungen sind durch die unerwartet hohe Inflationsrate zum größten Teil wieder aufgezehrt. Zudem will die neu formierte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bei ihren ersten großen Verhandlungen Stärke beweisen: "Wir brauchen spürbare Lohnerhöhungen", hatte deren Vorsitzender Frank Bsirske vor drei Wochen gegenüber WELT am SONNTAG angekündigt. Auch CDU-Wirtschaftsexperte Uldall erwartet kampfbereite Gewerkschaften: "Sie werden wieder einen Schluck aus der Pulle fordern, denn sie sind ja auch Getriebene, denen die Mitglieder weglaufen."

Aus Sicht der Volkswirte sind die Tarifgespräche eine der größten Gefahren für die Konjunktur 2002: "Starke Lohnsteigerungen in einer Phase von unsicheren Wachstumsaussichten würden jeden Aufschwung bremsen", sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt von Goldman Sachs. "Hohe Lohnforderungen könnten wie ein Bumerang auf die deutsche Wirtschaft zurückschlagen", ergänzt sein Kollege Demmer von der IKB.

Zudem wachsen die Zweifel, ob die Bundesregierung ihre Zusage einlöst, die Sozialversicherungsbeiträge in dieser Legislaturperiode auf unter 40 Prozent zu senken. Bei den Krankenkassenbeiträgen, fürchtet Arbeitgeberpräsident Hundt, "stehen wir erst am Anfang einer Welle von Erhöhungen".

Dieses Problem hat auch der kleinere Koalitionspartner erkannt. "Frau Schmidt hat als Gesundheitsministerin mit ihrer Konsenspolitik nach kurzer Zeit Schiffbruch erlitten", sagt Oswald Metzger von den Grünen. Ohne eine echte Strukturreform würden die Beitragssätze noch weiter nach oben klettern. Wie bei der Rentenreform müsse auch in der Krankenversicherung die private Eigenverantwortung eingeführt werden, fordert Metzger. Seine Fraktion will die Gefolgschaft bei der Reform des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen, dessen Herzstück ein Mindestbeitragssatz für die bisher günstigen Betriebskrankenkassen ist, verweigern. "Wir Grünen werden unter keinen Umständen mittragen, dass die Krankenversicherung wirkt wie eine Steuererhöhung für die kleinen Leute", sagt Metzger.

Mehr Reformeifer fordert die Bauindustrie von Kurt Bodewig, dem Bundesminister für Verkehr und Bauwesen. Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie, Michael Knipper, verlangt von der öffentlichen Hand, dass sie entscheiden müsse, "ob sie ihre Bauinvestitionen verstetigen will oder die Aufgaben privatisieren". Aber es ginge nicht, dass "im Bau gespart wird und gleichzeitig die Auftragsvergabe zum Beispiel im Straßenbau und Hochbau weiter beim Staat bleibt". Die Aussichten für die Bauindustrie, seit sechs Jahren in der Rezession und mit elf Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt noch immer eine Konjunktursäule, bleiben düster. Knipper: "Wir sehen einfach kein Licht am Ende des Tunnels."

 
Sonntag, 24.Juni 2001
Berlin, 09:59 Uhr
Quelle : www.weltamsonntag.de/daten/2001/06/24/0624wi262906.htx
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