Aus der FTD vom 8.1.2002
Kaum Verkehr durch Online-Shopping
Von Jörn Paterak, Hamburg
Der Versandhandel und die Paketbranche versprechen sich nach wie vor deutliche Zuwachsraten von Bestellungen via Mausklick. Nicht zuletzt das Weihnachtsgeschäft hat vielen Online-Händlern tatsächlich Rekordumsätze beschert - auch wenn die Zuwachsprognosen sich längst nicht mehr so optimistisch anhören wie zur Boomzeit der Interneteuphorie.
Allein die deutsche Niederlassung des Internethändlers Amazon hat in Spitzenzeiten bis zu 100.000 Sendungen pro Tag auf den Weg gebracht. Das Management geht von einer Umsatzsteigerung von mehr als 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum aus. Marktforscher rechnen vor, dass deutsche Online-Shops während der Weihnachtszeit ihre Erlöse insgesamt sogar um rund 50 Prozent auf knapp 740 Mio. Euro hochgeschraubt haben.
Verkehrspolitiker und -wissenschaftler sehen den Trend zum Online-Shopping jedoch mit gemischten Gefühlen. Ihre Sorge: Der durch Internetbestellungen ausgelöste Zustellverkehr könnte mittelfristig zum Kollaps der ohnehin schon überlasteten Straßen beitragen.
Eine Studie des Bundesverkehrsministeriums ("Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechniken auf Verkehrsaufkommen und innovative Arbeitsplätze im Verkehrsbereich") gibt jetzt Entwarnung. Das Fazit des Papiers, dass in Kooperation mit Industrie, Verkehrswirtschaft, Verbänden und Gewerkschaften entstand: "Auf der Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse kann angenommen werden, dass E-Commerce nur geringe Verkehrszuwächse verursacht." Gleichzeitig weist Unternehmensberater und Studienleiter Peter Zimmermann darauf hin: "E-Commerce stellt aber neue Qualitätsanforderungen an Verkehr und Logistik."
Für das Internetgeschäft mit Endverbrauchern (Business to Consumer) etwa gehen die Experten davon aus, dass die Online-Umsätze im Vergleich zum klassischen Geschäft bisher kaum ins Gewicht fallen. So erzielt der Versandhandel derzeit laut Studie lediglich 0,6 Prozent des Gesamtumsatzes mit dem Online-Geschäft. Zwar soll der Anteil bis 2006 auf 10 bis 19 Prozent steigen, allerdings stellen die Experten fest: "Der Wechsel von der Katalog- zur Internetbestellung verursacht keine zusätzlichen Verkehre." Zum Kunden nach Hause gebracht werden muss das Paket ja so oder so.
Anders dagegen das Bild beim gesamten Einzelhandel: Für diesen Bereich geht die Erhebung von einem derzeitigen Online-Umsatzanteil von 0,3 Prozent aus. Bis 2006 soll sich die Zahl auf acht bis zwölf Prozent erhöhen. Hier drohen zusätzliche Verkehrsbelastungen, da der klassische Vertriebsweg über die Ladentheke führt. Vor allem in den Abendstunden, wenn die Besteller zu Hause sind, könne es bei Online-Bestellungen zu erhöhtem Verkehrsaufkommen in Wohngebieten kommen. Schließlich müssen die Bestellungen kundenindividuell ausgeliefert werden. Zudem werden viele Waren umgetauscht und dazu von den Kurierdiensten wieder abgeholt. Dies kann erneut die Verkehrsbelastung steigern.
Allerdings macht die Studie auch verkehrsentlastende Effekte aus. So können Verbraucher etwa digitalisierbare Produkte, wie etwa Eintrittskarten, Software, Musik oder Briefmarken direkt aus dem Netz beziehen. Zudem entstehe beim Einkaufen via Netz häufig kein zusätzlicher Verkehr, sondern lediglich Ersatzverkehr. Statt des Konsumenten, der in die Stadt fährt, fährt der Paketdienst vom Lager zum Kunden.
Auch aus Sicht der Transporteure führe der E-Commerce nicht zu einer nennenswert steigenden Verkehrsnachfrage, prophezeit die Untersuchung. Dabei gehen die Verkehrsexperten davon aus, dass die vom E-Commerce ausgelösten Paketsendungen durch erhöhte Packdichten in den Auslieferungswagen sowie effizientere Routenplanung aufgefangen werden können: "Grundsätzlich wird die mögliche Verkehrszunahme durch E-Commerce gegenüber der allgemeinen Verkehrszunahme nicht ins Gewicht fallen."
© 2002 Financial Times Deutschland