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EXPRO
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Der FC St. Pauli ist das Freuden- und Armenhaus der Liga
Grünes Geld für die rote Meile
Die Überraschungself der vergangenen Saison kam von der Reeperbahn: Der FC St. Pauli war der Klub mit dem geringstem Budget im Profifußball – und stieg auf. Auch in Liga eins soll es keinen Rückfall in alte Chaostage geben und die wirtschaftliche Konsolidierung fortgeführt werden.
MARC THYLMANN, Hamburg
HANDELSBLATT, 27.6.2001
Die Besucher des Stadions am Millerntor erhalten nächste Saison Nachhilfe in Fußballgeschichte: „1954: Das Wunder von Bern. 1966: Das Tor von Wembley. 2001: Der Aufstieg von St. Pauli“, prangt in großen Lettern über der gesamten Breite der altehrwürdigen Tribüne. So viel zur historischen Einordnung.
Eigentlich galt der Klub 2000 mit seinem Mini-Etat von 6,5 Millionen Mark als sicherer Absteiger. Doch es kam ganz anders: War die No-Name-Truppe bislang für unansehnlichen Rumpel-Fußball in unansehnlichen braun-weißen Trikots berüchtigt, so wurden sie in der vergangenen Saison berühmt für schnörkellosen Angriffsfußball und 70 geschossene Treffer – so viele wie sonst keine Mannschaft im bezahlten deutschen Fußball. Damit stieg der FC St. Pauli zum vierten Mal, nach 1977, 1988 und 1995, in die höchste Liga auf.
Viertklassig ist allerdings noch immer die Geschäftsstelle: ein zweigeschossiger Baucontainer am Stadion, mit Eingang über den Hof. Die Sekretärin fertigt mit herbem hanseatischen Charme die Anrufer ab, auf dem Empfangstresen liegt ein Sparschwein im Fußball-Look. Darauf steht: „Bitte eine Spende für meine 2. D-Jugend. Jutta.“ Manager und Vizepräsident Stephan Beutel weiß, dass St. Pauli nicht der Prototyp der modernen Fußballfirma ist: „Seit ich vor drei Jahren von Rostock nach Hamburg kam, hausen wir hier. Aber: Man wird jeden Tag daran erinnert, woher man kommt.“
Ungewöhnlicher Verein, ungewöhnlicher Trikotsponsor: Drei Jahre lang überweist der neue Werbepartner Securvita je 4,8 Millionen Mark. „Die teuerste Brust vom Kiez“, kommentierte die Bild-Zeitung fachkundig. Die Securvita bietet ökologische Aktienfonds und Krankenversicherungen an, die auch naturheilkundliche Behandlungen bezahlen. „In dem Sinne, in dem die Allianz zu Bayern München passt, passt St. Pauli zu uns“, meint Securvita-Sprecher Norbert Schnorbach. „Der Verein hat ein kämpferisches Image, kommt wie wir aus der alternativen Ecke und hat sich im kommerziellen Fußball durchgesetzt.“ Insgesamt nehmen die Braun-Weißen 7,5 Millionen Mark pro Jahr an Werbeerlösen ein. Weitere Pläne: eine eigene Tankstelle, eine St. Pauli-Bar auf der Reeperbahn, Events wie Snowboarden oder eine Sommerparty, die unter den Namen „Kiezbühel“ und „Kibiza“ laufen sollen. Auch das auf der roten Meile.
An der Spitze des Kultklubs steht seit Oktober 2000 Reenald Koch. Der Ex-Unternehmer trat die Nachfolge von Heinz Weisener an, unter dessen Regie der Verein jahrelang Miese machte, die er selbst durch Darlehen ausglich. 5,2 Millionen Mark, so Beutel, mussten Verein und die Vermarktungsagentur Upsolut an „Papa Heinz“ zurückzahlen, unter anderem, um die Marketingrechte wieder zu bekommen. Von den künftigen Werbeeinnahmen gehen 20 Prozent an die Agentur. Organisatorisch soll sich noch einiges verändern: Der Klub will im Herbst den Leistungssportbereich in eine Kapitalgesellschaft ausgliedern.
Einzigartig in der Fußballrepublik Deutschland dürfte die Fangemeinde der Sankt Paulianer sein: Bei den Auswärtsspielen erwartet der Manager bis zu 9 000 Anhänger. Die Fans sind generell sehr stark eingebunden. So haben sie zum Beispiel mitentschieden, wie viele Sitz- und Stehplätze im neuen Stadion entstehen. Beutel ist stolz auf die Anhänger: „Bei uns gab es immer Vollbier, und die Fans waren nie aggressiv.“
Damit das Jahr 2001 nicht zur sportlichen Odyssee im „Geldraum“ Bundesliga wird, hat der Klub für seine Verhältnisse tief in den Brustbeutel gegriffen. 2,75 Millionen Mark gab St. Pauli für den 20-jährigen türkischen U21-Nationalspieler Ugur Inceman (Alemannia Aachen) aus, der erste Millionentransfer der Vereinsgeschichte. Das Gehaltsniveau beim Aufsteiger bleibt gleichwohl bescheiden. „Unsere Leistungsträger verdienen rund ein halbe Million Mark“, verkündet Beutel. Im Jahr, wohlgemerkt.
Kommende Saison spielen die Freudenhaus-Fußballer weiter in der Bruchbude Millerntor, obwohl die nur 20 551 Plätze aufweist. Da aber auch beim etwas anderen Verein die Gleichung „Erlös ist gleich Preis mal Menge“ gilt, musste eben an der Preisschraube gedreht werden. Die Eintrittskarten kosten mehr als beim Hamburger SV im exklusiven Volksparkstadion: „Unsere Fans meinten, sie zahlen jeden Preis, um nicht dort spielen zu müssen“, sagt Beutel. 18 000 verkaufte Dauerkarten geben ihm Recht.
Ab Frühjahr 2002 soll das Stadion für 75 Millionen Mark saniert werden; die neue, alte Arena fasst dann 28 000 Zuschauer. Die Stadt Hamburg hat das Grundstück für eine Mark überlassen. Finanziert werden soll der Umbau durch Business-Seats und Logen, Beleihung des Grundstücks und Veranstaltungen. So spielen die Footballer der Hamburger Blue Devils dann am Millerntor. „Die Kredite werden wir in 15 Jahren getilgt haben, die Finanzierung steht, sofern wir mindestens Zweite Liga spielen“, blickt Beutel zuversichtlich in die Zukunft.
Zumindest in Sachen Geschäftsstelle ist durch den Neubau ein Aufstieg sicher – und das Ende der Baucontainer.