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Kundengeld aufs Spiel gesetzt
Viele Lebensversicherer haben sich an der Börse verzockt, ein Drittel der Branche gilt als angeschlagen. Welche Assekuranzen haben solide gewirtschaftet, welche gingen hohe Risiken ein? Ein Überblick über die Sicheren und die Wackelkandidaten.
Kunden der Hannoverschen Lebensversicherung erhielten am 25. Oktober einen Brief des Vorstandsvorsitzenden Eckart Freiherr von Uckermann. Der pries darin vollmundig Produkte wie die Rentenversicherung "PrivatPlus" an, die "in einmaliger Weise Sicherheit, Flexibilität und Renditechance miteinander verbindet".
Der Mann hat Chuzpe. Zehn Tage vor dem Werbebrief hatte der Lebensversicherer mitgeteilt, dass der Freiherr und sein Finanzvorstand zum 31. Oktober zurücktreten würden. Wegen groben Missmanagements hatte die staatliche Finanzaufsicht die Absetzung der beiden Vorstände verlangt.
Uckermann und Co. haben mit teilweise hanebüchenen Investitionsentscheidungen das Geld von 600 000 Kunden aufs Spiel gesetzt, die mit ihren Lebensversicherungen für das Alter vorsorgen wollten. Erst verzockten sie sich an der Börse. Dann stopften sie die Löcher in der Bilanz, indem sie Reserven auflösten und die gesamten Immobilien auf einen Schlag verkauften.
Zuletzt konterkarierten die beiden Vorstände in Hannover die harten Auflagen des Aufsichtsamts, die Aktienquote zurückzufahren, indem sie mit hoch spekulativen Finanzprodukten auf steigende Kurse setzten. Nun versucht ein neuer Vorstand zu retten, was zu retten ist.
Ein Vorstand, der sich verzockt, ein Unternehmen, das in Bedrängnis gerät - so was kommt in den seriösesten Branchen vor und wäre kaum der Rede wert, wäre der Fall nicht symptomatisch für die Schieflage einer ganzen Branche: Die deutschen Lebensversicherer stecken in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Nicht alle werden sie überleben.
Ab Ende November werden nahezu alle knapp 120 deutschen Versicherer deutlich sinkende Überschussbeteiligungen für nächstes Jahr bekannt geben. Im Jahr 2001 wurden den Kunden im Durchschnitt noch rund sieben Prozent gutgeschrieben, für 2003 erwartet die Investmentbank Goldman Sachs nur noch durchschnittlich fünf Prozent.
Schlimmer noch: "Rund 30 Lebensversicherer haben aktuell Schwierigkeiten, die Solvenzkriterien zu erfüllen", sagt Dirk Popielas, der Frankfurter Versicherungsexperte der amerikanischen Investmentbank. Viele dieser Versicherer müssen frische Gelder auftreiben, sonst können sie nicht mehr den gesetzlich garantierten Zins von mindestens 3,25 Prozent auf den Sparanteil der Prämie zahlen.
Der Börsencrash hat die Bewertungsreserven bei den Aktienbeständen vernichtet, auf die die Versicherer immer so stolz waren. Schon in den Bilanzen des Jahres 2001 verbargen sich statt stiller Reserven bei vielen Versicherern stille Lasten. Die meisten Versicherer schrieben ihren Kunden mehr Gewinnanteile gut, als sie selbst mit ihren Kapitalanlagen erwirtschaftet hatten.
Als in diesem Jahr die Aktienkurse weiter fielen, wurde die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) nervös. Im Spätsommer verdonnerte sie die Versicherer zu so genannten Stresstests. Die Unternehmen müssen beispielsweise ermitteln, wie hoch ihre Reserven sind, wenn die Aktien um 35 Prozent fallen und gleichzeitig die festverzinslichen Wertpapiere 10 Prozent weniger wert sind, weil die Zinsen um 2 Prozent steigen.
Wer außer der Hannoverschen Leben beim Stresstest durchfiel, will das BAFin nicht verraten. Doch eine bisher unveröffentlichte Studie der Rating-Agentur FitchRatings, die eine ähnliche Analyse anhand der Bilanzzahlen für 2001 bei 75 Lebensversicherern durchgeführt hat, gibt gute Hinweise auf die Problemkandidaten.
Bei 18 Versicherern, so das Urteil des Londoner Analysten Marco Metzler, waren schon Ende 2001 die Reserven so stark abgeschmolzen, dass sie einen weiteren Crash an den Kapitalmärkten ohne Zufuhr frischen Kapitals von außen kaum bestehen können. Das Rating-Urteil "schwach" wurde vergeben, wenn die Sicherungsmittel nur mehr ausreichen, die aktuelle Gewinnbeteiligung maximal 18 Monate lang an die Kunden zu zahlen. Zusätzliche Annahme: Die Nettoverzinsung der Anlagen liegt seit Anfang dieses Jahres bei null. Mittlerweile haben sich die Annahmen des Krisenszenarios zumindest auf dem Aktienmarkt erfüllt. Seit Jahresanfang ist der Deutsche Aktienindex um fast 40 Prozent gefallen. Da gleichzeitig auch die Durchschnittsverzinsung festverzinslicher Wertpapiere im Bestand der Versicherer weiter sinkt, wird eine Nettoverzinsung der Kapitalanlagen von null für dieses Jahr bei manchen Versicherern bittere Realität.
Bei der Mannheimer Lebensversicherung, dem schwächsten Anbieter in der Rating-Tabelle, reichten die Sicherungsmittel, so errechnete FitchRatings, Anfang des Jahres nur mehr für vier Monate Mindestverzinsung. Hans Schreiber, der Vorstandsvorsitzende der Mannheimer Versicherungsholding, musste seinen Lebensversicherer retten, indem er mit Hilfe von zwei Kapitalerhöhungen frische Gelder zuführte. Die Versicherten der Mannheimer werden wahrscheinlich vom kommenden Jahr an nur noch den Mindestzins bekommen. Aus dem Neugeschäft mit Kapitallebensversicherungen muss sich die Gesellschaft wohl zurückziehen, weil sie die Vertriebskosten nicht mehr aufbringen kann.
Der zweitschwächste Versicherer, die Familienfürsorge, wurde von der BAFin unter Kuratel gestellt. Das Unternehmen, das vor allem Kirchenleute versichert, hatte sich an der Börse verspekuliert. Mittlerweile übernahm die HUK-Coburg das Unternehmen. Die Kunden können davon ausgehen, dass ihnen wenigstens der gesetzliche Mindestzins auf ihre Einlagen gezahlt wird.
Auch die Öffentliche Versicherung Braunschweig braucht dringend Geld, noch im Jahr 2001 hatte sie mit einer Gewinnbeteiligung von sieben Prozent neue Kunden gelockt. Hier wird wohl der öffentlich-rechtliche Haupteigentümer zur Kasse gebeten.
Unter den Gesellschaften, die bei FitchRatings als "schwach" bezeichnet werden, befinden sich auch etliche Anbieter, die bei Vergleichen in Wirtschaftsmagazinen glänzend abschnitten. Wieder fällt die Hannoversche Leben auf, die dank hoher Ausschüttungen in der Vergangenheit in der Ende Oktober publizierten Analyse der "Wirtschaftswoche" noch auf Platz sechs und bei "Focus Money" auf Platz neun unter den Versicherern lag.
Die Unternehmensberater von McKinsey, die solche Ratings analysierten, stießen auf "große Lücken im Bereich der Sicherheitskennzahlen". Die darauf basierenden Hit-Listen in den Medien hätten ein deutlich aggressiveres Anlageverhalten der Lebensversicherer gefördert.
Manche, so die Autoren, seien der Verlockung erlegen, "um günstigerer Beurteilungen willen Renditemaximierung nach dem Motto 'Komme, was wolle' zu betreiben - ohne ausreichende Berücksichtigung von Risiken".
Für die Zukunft sagt der für die Assekuranz zuständige McKinsey-Partner Oliver Bäte "eine Flucht in die Qualität" voraus. Die Versicherer müssten sich wieder auf ihre traditionellen Wettbewerbsvorteile besinnen, eine möglichst sichere Anlage anzubieten.
Solide Anbieter wie die Hamburg-Mannheimer gehen neuerdings mit guten Einordnungen von sicherheitsorientierten Rating-Agenturen auf Kundenfang. Marktführer Allianz hat in den ersten acht Monaten 30 Prozent mehr Policen verkauft, obwohl auch hier die stillen Reserven auf den Aktienbesitz weggeschmolzen sind, aber immer noch hohe Reserven bei den anderen Kapitalanlagen existieren.
Weniger solvente Anbieter müssen dagegen schleunigst neue Finanzquellen erschließen - oder sie landen beim Protector. So heißt der Sicherungspool, den die Versicherungskonzerne auf Druck des Aufsichtsamts gegründet haben, um Krisenfälle in der Branche aufzufangen. Rating-Spezialist Metzler rechnet damit, dass demnächst der erste Kandidat aufgefangen werden muss.
Rund fünf Milliarden Euro Kapital wollen die Versicherer in den Protector einzahlen. Die Versicherungspolicen der Pleitefirmen werden auf den Pool übertragen, deren Kunden soll mindestens die gesetzlich garantierte Verzinsung ihrer Kapitalanlagen gezahlt werden.
Die Milliarden können im Ernstfall schnell zusammenschmelzen. Völlig ungeklärt ist beispielsweise, ob der Pool auch Schadensersatz zahlt, wenn enttäuschte Anleger ihre Altgesellschaft verklagen.
Über Jahre haben manche Versicherer ihre Kunden mit unrealistischen Beispielrechnungen über die Renditen der Zukunft geködert. Regelmäßig stiegen in den Werbeprospekten die Überschüsse mit über sieben Prozent im Jahr. Die Versprechen können sich nun als teure Altlast erweisen.
Bereits zweimal hatten Kunden vor Oberlandesgerichten Erfolg, die sich gegen Kürzungen bei den Überschussbeteiligungen ihrer Rentenversicherung wehrten. Ihre Gesellschaften hatten Mitte der neunziger Jahre mit hohen Überschüssen geworben, obwohl feststand, dass die mathematischen Grundlagen ihrer Kalkulation nicht mehr aktuell waren.
Viele Versicherer müssen wegen falscher Versprechungen mit einer Klagewelle rechnen.
Das BAFin weist die Lebensversicherer unterdessen darauf hin, dass sie ihre zahlreichen Immobilienkunden schleunigst über sinkende Überschussbeteiligungen informieren müssen. Hunderttausende Deutsche haben eine Lebensversicherung abgeschlossen, um damit später die Hypothek für ihr Haus abzulösen. Versicherungsvertreter verkauften das Kombi-Produkt besonders gern, weil sie Provisionen für den Kreditvertrag wie für die Police erhielten.
Wenn die Überschussbeteiligungen sinken, gerät das Finanzierungsmodell ins Wanken: Bei vielen Kunden sind die Kredite nicht mehr hinlänglich gedeckt. Die Versicherer sollten "Handlungsalternativen wie beispielsweise Summenerhöhungen, Sondertilgungen oder Vertragsverlängerungen" aufzeigen, rät die Aufsicht.
Rating-Spezialist Metzler rechnet mit einer Klagewelle, die das Versicherungsgewerbe noch stärker in die Bredouille bringen würde. Auch Vermittler könnten Haftungsprobleme bekommen, wenn nachweisbar ist, dass sie mit falschen Versprechen hausieren gingen.
Einige Versicherer sind schon dabei, die letzten Reserven zu mobilisieren. Sie wollen ihren gesamten Immobilienbestand verkaufen. Auch die eigenen Versicherungszentralen sind dabei kein Tabu mehr.
CHRISTOPH PAULY
Quelle: Spiegel
Der Mann hat Chuzpe. Zehn Tage vor dem Werbebrief hatte der Lebensversicherer mitgeteilt, dass der Freiherr und sein Finanzvorstand zum 31. Oktober zurücktreten würden. Wegen groben Missmanagements hatte die staatliche Finanzaufsicht die Absetzung der beiden Vorstände verlangt.
Uckermann und Co. haben mit teilweise hanebüchenen Investitionsentscheidungen das Geld von 600 000 Kunden aufs Spiel gesetzt, die mit ihren Lebensversicherungen für das Alter vorsorgen wollten. Erst verzockten sie sich an der Börse. Dann stopften sie die Löcher in der Bilanz, indem sie Reserven auflösten und die gesamten Immobilien auf einen Schlag verkauften.
Zuletzt konterkarierten die beiden Vorstände in Hannover die harten Auflagen des Aufsichtsamts, die Aktienquote zurückzufahren, indem sie mit hoch spekulativen Finanzprodukten auf steigende Kurse setzten. Nun versucht ein neuer Vorstand zu retten, was zu retten ist.
Ein Vorstand, der sich verzockt, ein Unternehmen, das in Bedrängnis gerät - so was kommt in den seriösesten Branchen vor und wäre kaum der Rede wert, wäre der Fall nicht symptomatisch für die Schieflage einer ganzen Branche: Die deutschen Lebensversicherer stecken in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Nicht alle werden sie überleben.
Ab Ende November werden nahezu alle knapp 120 deutschen Versicherer deutlich sinkende Überschussbeteiligungen für nächstes Jahr bekannt geben. Im Jahr 2001 wurden den Kunden im Durchschnitt noch rund sieben Prozent gutgeschrieben, für 2003 erwartet die Investmentbank Goldman Sachs nur noch durchschnittlich fünf Prozent.
Schlimmer noch: "Rund 30 Lebensversicherer haben aktuell Schwierigkeiten, die Solvenzkriterien zu erfüllen", sagt Dirk Popielas, der Frankfurter Versicherungsexperte der amerikanischen Investmentbank. Viele dieser Versicherer müssen frische Gelder auftreiben, sonst können sie nicht mehr den gesetzlich garantierten Zins von mindestens 3,25 Prozent auf den Sparanteil der Prämie zahlen.
Der Börsencrash hat die Bewertungsreserven bei den Aktienbeständen vernichtet, auf die die Versicherer immer so stolz waren. Schon in den Bilanzen des Jahres 2001 verbargen sich statt stiller Reserven bei vielen Versicherern stille Lasten. Die meisten Versicherer schrieben ihren Kunden mehr Gewinnanteile gut, als sie selbst mit ihren Kapitalanlagen erwirtschaftet hatten.
Als in diesem Jahr die Aktienkurse weiter fielen, wurde die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) nervös. Im Spätsommer verdonnerte sie die Versicherer zu so genannten Stresstests. Die Unternehmen müssen beispielsweise ermitteln, wie hoch ihre Reserven sind, wenn die Aktien um 35 Prozent fallen und gleichzeitig die festverzinslichen Wertpapiere 10 Prozent weniger wert sind, weil die Zinsen um 2 Prozent steigen.
Wer außer der Hannoverschen Leben beim Stresstest durchfiel, will das BAFin nicht verraten. Doch eine bisher unveröffentlichte Studie der Rating-Agentur FitchRatings, die eine ähnliche Analyse anhand der Bilanzzahlen für 2001 bei 75 Lebensversicherern durchgeführt hat, gibt gute Hinweise auf die Problemkandidaten.
Bei 18 Versicherern, so das Urteil des Londoner Analysten Marco Metzler, waren schon Ende 2001 die Reserven so stark abgeschmolzen, dass sie einen weiteren Crash an den Kapitalmärkten ohne Zufuhr frischen Kapitals von außen kaum bestehen können. Das Rating-Urteil "schwach" wurde vergeben, wenn die Sicherungsmittel nur mehr ausreichen, die aktuelle Gewinnbeteiligung maximal 18 Monate lang an die Kunden zu zahlen. Zusätzliche Annahme: Die Nettoverzinsung der Anlagen liegt seit Anfang dieses Jahres bei null. Mittlerweile haben sich die Annahmen des Krisenszenarios zumindest auf dem Aktienmarkt erfüllt. Seit Jahresanfang ist der Deutsche Aktienindex um fast 40 Prozent gefallen. Da gleichzeitig auch die Durchschnittsverzinsung festverzinslicher Wertpapiere im Bestand der Versicherer weiter sinkt, wird eine Nettoverzinsung der Kapitalanlagen von null für dieses Jahr bei manchen Versicherern bittere Realität.
Bei der Mannheimer Lebensversicherung, dem schwächsten Anbieter in der Rating-Tabelle, reichten die Sicherungsmittel, so errechnete FitchRatings, Anfang des Jahres nur mehr für vier Monate Mindestverzinsung. Hans Schreiber, der Vorstandsvorsitzende der Mannheimer Versicherungsholding, musste seinen Lebensversicherer retten, indem er mit Hilfe von zwei Kapitalerhöhungen frische Gelder zuführte. Die Versicherten der Mannheimer werden wahrscheinlich vom kommenden Jahr an nur noch den Mindestzins bekommen. Aus dem Neugeschäft mit Kapitallebensversicherungen muss sich die Gesellschaft wohl zurückziehen, weil sie die Vertriebskosten nicht mehr aufbringen kann.
Der zweitschwächste Versicherer, die Familienfürsorge, wurde von der BAFin unter Kuratel gestellt. Das Unternehmen, das vor allem Kirchenleute versichert, hatte sich an der Börse verspekuliert. Mittlerweile übernahm die HUK-Coburg das Unternehmen. Die Kunden können davon ausgehen, dass ihnen wenigstens der gesetzliche Mindestzins auf ihre Einlagen gezahlt wird.
Auch die Öffentliche Versicherung Braunschweig braucht dringend Geld, noch im Jahr 2001 hatte sie mit einer Gewinnbeteiligung von sieben Prozent neue Kunden gelockt. Hier wird wohl der öffentlich-rechtliche Haupteigentümer zur Kasse gebeten.
Unter den Gesellschaften, die bei FitchRatings als "schwach" bezeichnet werden, befinden sich auch etliche Anbieter, die bei Vergleichen in Wirtschaftsmagazinen glänzend abschnitten. Wieder fällt die Hannoversche Leben auf, die dank hoher Ausschüttungen in der Vergangenheit in der Ende Oktober publizierten Analyse der "Wirtschaftswoche" noch auf Platz sechs und bei "Focus Money" auf Platz neun unter den Versicherern lag.
Die Unternehmensberater von McKinsey, die solche Ratings analysierten, stießen auf "große Lücken im Bereich der Sicherheitskennzahlen". Die darauf basierenden Hit-Listen in den Medien hätten ein deutlich aggressiveres Anlageverhalten der Lebensversicherer gefördert.
Manche, so die Autoren, seien der Verlockung erlegen, "um günstigerer Beurteilungen willen Renditemaximierung nach dem Motto 'Komme, was wolle' zu betreiben - ohne ausreichende Berücksichtigung von Risiken".
Für die Zukunft sagt der für die Assekuranz zuständige McKinsey-Partner Oliver Bäte "eine Flucht in die Qualität" voraus. Die Versicherer müssten sich wieder auf ihre traditionellen Wettbewerbsvorteile besinnen, eine möglichst sichere Anlage anzubieten.
Solide Anbieter wie die Hamburg-Mannheimer gehen neuerdings mit guten Einordnungen von sicherheitsorientierten Rating-Agenturen auf Kundenfang. Marktführer Allianz hat in den ersten acht Monaten 30 Prozent mehr Policen verkauft, obwohl auch hier die stillen Reserven auf den Aktienbesitz weggeschmolzen sind, aber immer noch hohe Reserven bei den anderen Kapitalanlagen existieren.
Weniger solvente Anbieter müssen dagegen schleunigst neue Finanzquellen erschließen - oder sie landen beim Protector. So heißt der Sicherungspool, den die Versicherungskonzerne auf Druck des Aufsichtsamts gegründet haben, um Krisenfälle in der Branche aufzufangen. Rating-Spezialist Metzler rechnet damit, dass demnächst der erste Kandidat aufgefangen werden muss.
Rund fünf Milliarden Euro Kapital wollen die Versicherer in den Protector einzahlen. Die Versicherungspolicen der Pleitefirmen werden auf den Pool übertragen, deren Kunden soll mindestens die gesetzlich garantierte Verzinsung ihrer Kapitalanlagen gezahlt werden.
Die Milliarden können im Ernstfall schnell zusammenschmelzen. Völlig ungeklärt ist beispielsweise, ob der Pool auch Schadensersatz zahlt, wenn enttäuschte Anleger ihre Altgesellschaft verklagen.
Über Jahre haben manche Versicherer ihre Kunden mit unrealistischen Beispielrechnungen über die Renditen der Zukunft geködert. Regelmäßig stiegen in den Werbeprospekten die Überschüsse mit über sieben Prozent im Jahr. Die Versprechen können sich nun als teure Altlast erweisen.
Bereits zweimal hatten Kunden vor Oberlandesgerichten Erfolg, die sich gegen Kürzungen bei den Überschussbeteiligungen ihrer Rentenversicherung wehrten. Ihre Gesellschaften hatten Mitte der neunziger Jahre mit hohen Überschüssen geworben, obwohl feststand, dass die mathematischen Grundlagen ihrer Kalkulation nicht mehr aktuell waren.
Viele Versicherer müssen wegen falscher Versprechungen mit einer Klagewelle rechnen.
Das BAFin weist die Lebensversicherer unterdessen darauf hin, dass sie ihre zahlreichen Immobilienkunden schleunigst über sinkende Überschussbeteiligungen informieren müssen. Hunderttausende Deutsche haben eine Lebensversicherung abgeschlossen, um damit später die Hypothek für ihr Haus abzulösen. Versicherungsvertreter verkauften das Kombi-Produkt besonders gern, weil sie Provisionen für den Kreditvertrag wie für die Police erhielten.
Wenn die Überschussbeteiligungen sinken, gerät das Finanzierungsmodell ins Wanken: Bei vielen Kunden sind die Kredite nicht mehr hinlänglich gedeckt. Die Versicherer sollten "Handlungsalternativen wie beispielsweise Summenerhöhungen, Sondertilgungen oder Vertragsverlängerungen" aufzeigen, rät die Aufsicht.
Rating-Spezialist Metzler rechnet mit einer Klagewelle, die das Versicherungsgewerbe noch stärker in die Bredouille bringen würde. Auch Vermittler könnten Haftungsprobleme bekommen, wenn nachweisbar ist, dass sie mit falschen Versprechen hausieren gingen.
Einige Versicherer sind schon dabei, die letzten Reserven zu mobilisieren. Sie wollen ihren gesamten Immobilienbestand verkaufen. Auch die eigenen Versicherungszentralen sind dabei kein Tabu mehr.
CHRISTOPH PAULY
Quelle: Der Spiegel www.spiegel.de/spiegel/0,1518,222229,00.html
Kapitalstärke deutscher Lebensversicherer
Platz Name der Versicherung Urteil
1 Asstel "außerordentlich stark"
2 Lebensversicherung v. 1871 "außerordentlich stark"
3 BHW "außerordentlich stark"
4 WWK "außerordentlich stark"
5 Hamburg-Mannheimer "außerordentlich stark"
6 Europa "außerordentlich stark"
7 Allianz "sehr stark"
8 Basler "sehr stark"
9 DEVK Eisenbahn "sehr stark"
10 Vereinte "sehr stark"
11 Volksfürsorge Deutsche "sehr stark"
12 Volkswohl-Bund "sehr stark"
13 Provinzial Rheinland "stark"
14 Victoria "stark"
15 HanseMerkur "stark"
16 Karlsruher "stark"
17 Gerneral Lloyd "stark"
18 Ideal "stark"
19 R+V Leben AG "stark"
20 Württembergische "stark"
21 Altei Leipziger "stark"
22 Cosmos "stark"
23 Condor "stark"
24 Gerling Konzern L "stark"
25 Rheinland "gut"
26 Axa "gut"
27 Zürich Agrippina "gut"
28 Mecklenburgische "gut"
29 CIV "gut"
30 Iduna "gut"
31 Aachener u. Münchener "gut"
32 Gerling E&L "gut"
33 Bayerische Beamten "gut"
34 LVM "gut"
35 Continentale "gut"
36 Westfälische Provinzial "gut"
37 Stuttgarter "gut"
38 Provinzial Leben Hannover "mittelmäßig schwach"
39 Concordia "mittelmäßig schwach"
40 Öffentliche L Berlin-Brandenburg "mittelmäßig schwach"
41 SV Lebensversicherung B-W "mittelmäßig schwach"
42 Berlinische "mittelmäßig schwach"
43 DBV Winterthur "mittelmäßig schwach"
44 Schweizerische "mittelmäßig schwach"
45 VPV Loben "mittelmäßig schwach"
46 Deutscher Ring "mittelmäßig schwach"
47 Dialog "mittelmäßig schwach"
48 Barmenia "mittelmäßig schwach"
49 Arag "mittelmäßig schwach"
50 Securitas G "mittelmäßig schwach"
51 Deutscher Herold "mittelmäßig schwach"
52 HDI "mittelmäßig schwach"
53 Gothaer "mittelmäßig schwach"
54 Nürnberger "mittelmäßig schwach"
55 Münchener Verein "mittelmäßig schwach"
56 Neue Leben "mittelmäßig schwach"
57 Debeka "mittelmäßig schwach"
58 Bayern-Versicherung "mittelmäßig schwach"
59 Aspecta "schwach"
60 BV Sparkasse Vers. Leben Hessen-Thue. "schwach"
61 Sparkassen Vers. L Sachsen "schwach"
62 Privinzial Nord "schwach"
63 Hannoversche "schwach"
64 UniVersa "schwach"
65 Deutsche Ärzteversicherung "schwach"
66 Inter "schwach"
67 Saarland "schwach"
68 Quelle "schwach"
69 DEVK Allgemeine "schwach"
70 Vereinigte Post "schwach"
71 HUK Coburg "schwach"
72 Nürnberger Beamten "schwach"
73 Öffentliche L Braunschweig "schwach"
74 Familienfürsorge "schwach"
75 Mannheimer "schwach"
Quelle: FitchRatings, Stand 31.12.2001 (aus Spiegel online)
Kundengeld aufs Spiel gesetzt
Viele Lebensversicherer haben sich an der Börse verzockt, ein Drittel der Branche gilt als angeschlagen. Welche Assekuranzen haben solide gewirtschaftet, welche gingen hohe Risiken ein? Ein Überblick über die Sicheren und die Wackelkandidaten.
Kunden der Hannoverschen Lebensversicherung erhielten am 25. Oktober einen Brief des Vorstandsvorsitzenden Eckart Freiherr von Uckermann. Der pries darin vollmundig Produkte wie die Rentenversicherung "PrivatPlus" an, die "in einmaliger Weise Sicherheit, Flexibilität und Renditechance miteinander verbindet".
Der Mann hat Chuzpe. Zehn Tage vor dem Werbebrief hatte der Lebensversicherer mitgeteilt, dass der Freiherr und sein Finanzvorstand zum 31. Oktober zurücktreten würden. Wegen groben Missmanagements hatte die staatliche Finanzaufsicht die Absetzung der beiden Vorstände verlangt.
Uckermann und Co. haben mit teilweise hanebüchenen Investitionsentscheidungen das Geld von 600 000 Kunden aufs Spiel gesetzt, die mit ihren Lebensversicherungen für das Alter vorsorgen wollten. Erst verzockten sie sich an der Börse. Dann stopften sie die Löcher in der Bilanz, indem sie Reserven auflösten und die gesamten Immobilien auf einen Schlag verkauften.
Zuletzt konterkarierten die beiden Vorstände in Hannover die harten Auflagen des Aufsichtsamts, die Aktienquote zurückzufahren, indem sie mit hoch spekulativen Finanzprodukten auf steigende Kurse setzten. Nun versucht ein neuer Vorstand zu retten, was zu retten ist.
Ein Vorstand, der sich verzockt, ein Unternehmen, das in Bedrängnis gerät - so was kommt in den seriösesten Branchen vor und wäre kaum der Rede wert, wäre der Fall nicht symptomatisch für die Schieflage einer ganzen Branche: Die deutschen Lebensversicherer stecken in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Nicht alle werden sie überleben.
Ab Ende November werden nahezu alle knapp 120 deutschen Versicherer deutlich sinkende Überschussbeteiligungen für nächstes Jahr bekannt geben. Im Jahr 2001 wurden den Kunden im Durchschnitt noch rund sieben Prozent gutgeschrieben, für 2003 erwartet die Investmentbank Goldman Sachs nur noch durchschnittlich fünf Prozent.
Schlimmer noch: "Rund 30 Lebensversicherer haben aktuell Schwierigkeiten, die Solvenzkriterien zu erfüllen", sagt Dirk Popielas, der Frankfurter Versicherungsexperte der amerikanischen Investmentbank. Viele dieser Versicherer müssen frische Gelder auftreiben, sonst können sie nicht mehr den gesetzlich garantierten Zins von mindestens 3,25 Prozent auf den Sparanteil der Prämie zahlen.
Der Börsencrash hat die Bewertungsreserven bei den Aktienbeständen vernichtet, auf die die Versicherer immer so stolz waren. Schon in den Bilanzen des Jahres 2001 verbargen sich statt stiller Reserven bei vielen Versicherern stille Lasten. Die meisten Versicherer schrieben ihren Kunden mehr Gewinnanteile gut, als sie selbst mit ihren Kapitalanlagen erwirtschaftet hatten.
Als in diesem Jahr die Aktienkurse weiter fielen, wurde die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) nervös. Im Spätsommer verdonnerte sie die Versicherer zu so genannten Stresstests. Die Unternehmen müssen beispielsweise ermitteln, wie hoch ihre Reserven sind, wenn die Aktien um 35 Prozent fallen und gleichzeitig die festverzinslichen Wertpapiere 10 Prozent weniger wert sind, weil die Zinsen um 2 Prozent steigen.
Wer außer der Hannoverschen Leben beim Stresstest durchfiel, will das BAFin nicht verraten. Doch eine bisher unveröffentlichte Studie der Rating-Agentur FitchRatings, die eine ähnliche Analyse anhand der Bilanzzahlen für 2001 bei 75 Lebensversicherern durchgeführt hat, gibt gute Hinweise auf die Problemkandidaten.
Bei 18 Versicherern, so das Urteil des Londoner Analysten Marco Metzler, waren schon Ende 2001 die Reserven so stark abgeschmolzen, dass sie einen weiteren Crash an den Kapitalmärkten ohne Zufuhr frischen Kapitals von außen kaum bestehen können. Das Rating-Urteil "schwach" wurde vergeben, wenn die Sicherungsmittel nur mehr ausreichen, die aktuelle Gewinnbeteiligung maximal 18 Monate lang an die Kunden zu zahlen. Zusätzliche Annahme: Die Nettoverzinsung der Anlagen liegt seit Anfang dieses Jahres bei null. Mittlerweile haben sich die Annahmen des Krisenszenarios zumindest auf dem Aktienmarkt erfüllt. Seit Jahresanfang ist der Deutsche Aktienindex um fast 40 Prozent gefallen. Da gleichzeitig auch die Durchschnittsverzinsung festverzinslicher Wertpapiere im Bestand der Versicherer weiter sinkt, wird eine Nettoverzinsung der Kapitalanlagen von null für dieses Jahr bei manchen Versicherern bittere Realität.
Bei der Mannheimer Lebensversicherung, dem schwächsten Anbieter in der Rating-Tabelle, reichten die Sicherungsmittel, so errechnete FitchRatings, Anfang des Jahres nur mehr für vier Monate Mindestverzinsung. Hans Schreiber, der Vorstandsvorsitzende der Mannheimer Versicherungsholding, musste seinen Lebensversicherer retten, indem er mit Hilfe von zwei Kapitalerhöhungen frische Gelder zuführte. Die Versicherten der Mannheimer werden wahrscheinlich vom kommenden Jahr an nur noch den Mindestzins bekommen. Aus dem Neugeschäft mit Kapitallebensversicherungen muss sich die Gesellschaft wohl zurückziehen, weil sie die Vertriebskosten nicht mehr aufbringen kann.
Der zweitschwächste Versicherer, die Familienfürsorge, wurde von der BAFin unter Kuratel gestellt. Das Unternehmen, das vor allem Kirchenleute versichert, hatte sich an der Börse verspekuliert. Mittlerweile übernahm die HUK-Coburg das Unternehmen. Die Kunden können davon ausgehen, dass ihnen wenigstens der gesetzliche Mindestzins auf ihre Einlagen gezahlt wird.
Auch die Öffentliche Versicherung Braunschweig braucht dringend Geld, noch im Jahr 2001 hatte sie mit einer Gewinnbeteiligung von sieben Prozent neue Kunden gelockt. Hier wird wohl der öffentlich-rechtliche Haupteigentümer zur Kasse gebeten.
Unter den Gesellschaften, die bei FitchRatings als "schwach" bezeichnet werden, befinden sich auch etliche Anbieter, die bei Vergleichen in Wirtschaftsmagazinen glänzend abschnitten. Wieder fällt die Hannoversche Leben auf, die dank hoher Ausschüttungen in der Vergangenheit in der Ende Oktober publizierten Analyse der "Wirtschaftswoche" noch auf Platz sechs und bei "Focus Money" auf Platz neun unter den Versicherern lag.
Die Unternehmensberater von McKinsey, die solche Ratings analysierten, stießen auf "große Lücken im Bereich der Sicherheitskennzahlen". Die darauf basierenden Hit-Listen in den Medien hätten ein deutlich aggressiveres Anlageverhalten der Lebensversicherer gefördert.
Manche, so die Autoren, seien der Verlockung erlegen, "um günstigerer Beurteilungen willen Renditemaximierung nach dem Motto 'Komme, was wolle' zu betreiben - ohne ausreichende Berücksichtigung von Risiken".
Für die Zukunft sagt der für die Assekuranz zuständige McKinsey-Partner Oliver Bäte "eine Flucht in die Qualität" voraus. Die Versicherer müssten sich wieder auf ihre traditionellen Wettbewerbsvorteile besinnen, eine möglichst sichere Anlage anzubieten.
Solide Anbieter wie die Hamburg-Mannheimer gehen neuerdings mit guten Einordnungen von sicherheitsorientierten Rating-Agenturen auf Kundenfang. Marktführer Allianz hat in den ersten acht Monaten 30 Prozent mehr Policen verkauft, obwohl auch hier die stillen Reserven auf den Aktienbesitz weggeschmolzen sind, aber immer noch hohe Reserven bei den anderen Kapitalanlagen existieren.
Weniger solvente Anbieter müssen dagegen schleunigst neue Finanzquellen erschließen - oder sie landen beim Protector. So heißt der Sicherungspool, den die Versicherungskonzerne auf Druck des Aufsichtsamts gegründet haben, um Krisenfälle in der Branche aufzufangen. Rating-Spezialist Metzler rechnet damit, dass demnächst der erste Kandidat aufgefangen werden muss.
Rund fünf Milliarden Euro Kapital wollen die Versicherer in den Protector einzahlen. Die Versicherungspolicen der Pleitefirmen werden auf den Pool übertragen, deren Kunden soll mindestens die gesetzlich garantierte Verzinsung ihrer Kapitalanlagen gezahlt werden.
Die Milliarden können im Ernstfall schnell zusammenschmelzen. Völlig ungeklärt ist beispielsweise, ob der Pool auch Schadensersatz zahlt, wenn enttäuschte Anleger ihre Altgesellschaft verklagen.
Über Jahre haben manche Versicherer ihre Kunden mit unrealistischen Beispielrechnungen über die Renditen der Zukunft geködert. Regelmäßig stiegen in den Werbeprospekten die Überschüsse mit über sieben Prozent im Jahr. Die Versprechen können sich nun als teure Altlast erweisen.
Bereits zweimal hatten Kunden vor Oberlandesgerichten Erfolg, die sich gegen Kürzungen bei den Überschussbeteiligungen ihrer Rentenversicherung wehrten. Ihre Gesellschaften hatten Mitte der neunziger Jahre mit hohen Überschüssen geworben, obwohl feststand, dass die mathematischen Grundlagen ihrer Kalkulation nicht mehr aktuell waren.
Viele Versicherer müssen wegen falscher Versprechungen mit einer Klagewelle rechnen.
Das BAFin weist die Lebensversicherer unterdessen darauf hin, dass sie ihre zahlreichen Immobilienkunden schleunigst über sinkende Überschussbeteiligungen informieren müssen. Hunderttausende Deutsche haben eine Lebensversicherung abgeschlossen, um damit später die Hypothek für ihr Haus abzulösen. Versicherungsvertreter verkauften das Kombi-Produkt besonders gern, weil sie Provisionen für den Kreditvertrag wie für die Police erhielten.
Wenn die Überschussbeteiligungen sinken, gerät das Finanzierungsmodell ins Wanken: Bei vielen Kunden sind die Kredite nicht mehr hinlänglich gedeckt. Die Versicherer sollten "Handlungsalternativen wie beispielsweise Summenerhöhungen, Sondertilgungen oder Vertragsverlängerungen" aufzeigen, rät die Aufsicht.
Rating-Spezialist Metzler rechnet mit einer Klagewelle, die das Versicherungsgewerbe noch stärker in die Bredouille bringen würde. Auch Vermittler könnten Haftungsprobleme bekommen, wenn nachweisbar ist, dass sie mit falschen Versprechen hausieren gingen.
Einige Versicherer sind schon dabei, die letzten Reserven zu mobilisieren. Sie wollen ihren gesamten Immobilienbestand verkaufen. Auch die eigenen Versicherungszentralen sind dabei kein Tabu mehr.
CHRISTOPH PAULY
Quelle: Spiegel
Der Mann hat Chuzpe. Zehn Tage vor dem Werbebrief hatte der Lebensversicherer mitgeteilt, dass der Freiherr und sein Finanzvorstand zum 31. Oktober zurücktreten würden. Wegen groben Missmanagements hatte die staatliche Finanzaufsicht die Absetzung der beiden Vorstände verlangt.
Uckermann und Co. haben mit teilweise hanebüchenen Investitionsentscheidungen das Geld von 600 000 Kunden aufs Spiel gesetzt, die mit ihren Lebensversicherungen für das Alter vorsorgen wollten. Erst verzockten sie sich an der Börse. Dann stopften sie die Löcher in der Bilanz, indem sie Reserven auflösten und die gesamten Immobilien auf einen Schlag verkauften.
Zuletzt konterkarierten die beiden Vorstände in Hannover die harten Auflagen des Aufsichtsamts, die Aktienquote zurückzufahren, indem sie mit hoch spekulativen Finanzprodukten auf steigende Kurse setzten. Nun versucht ein neuer Vorstand zu retten, was zu retten ist.
Ein Vorstand, der sich verzockt, ein Unternehmen, das in Bedrängnis gerät - so was kommt in den seriösesten Branchen vor und wäre kaum der Rede wert, wäre der Fall nicht symptomatisch für die Schieflage einer ganzen Branche: Die deutschen Lebensversicherer stecken in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Nicht alle werden sie überleben.
Ab Ende November werden nahezu alle knapp 120 deutschen Versicherer deutlich sinkende Überschussbeteiligungen für nächstes Jahr bekannt geben. Im Jahr 2001 wurden den Kunden im Durchschnitt noch rund sieben Prozent gutgeschrieben, für 2003 erwartet die Investmentbank Goldman Sachs nur noch durchschnittlich fünf Prozent.
Schlimmer noch: "Rund 30 Lebensversicherer haben aktuell Schwierigkeiten, die Solvenzkriterien zu erfüllen", sagt Dirk Popielas, der Frankfurter Versicherungsexperte der amerikanischen Investmentbank. Viele dieser Versicherer müssen frische Gelder auftreiben, sonst können sie nicht mehr den gesetzlich garantierten Zins von mindestens 3,25 Prozent auf den Sparanteil der Prämie zahlen.
Der Börsencrash hat die Bewertungsreserven bei den Aktienbeständen vernichtet, auf die die Versicherer immer so stolz waren. Schon in den Bilanzen des Jahres 2001 verbargen sich statt stiller Reserven bei vielen Versicherern stille Lasten. Die meisten Versicherer schrieben ihren Kunden mehr Gewinnanteile gut, als sie selbst mit ihren Kapitalanlagen erwirtschaftet hatten.
Als in diesem Jahr die Aktienkurse weiter fielen, wurde die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) nervös. Im Spätsommer verdonnerte sie die Versicherer zu so genannten Stresstests. Die Unternehmen müssen beispielsweise ermitteln, wie hoch ihre Reserven sind, wenn die Aktien um 35 Prozent fallen und gleichzeitig die festverzinslichen Wertpapiere 10 Prozent weniger wert sind, weil die Zinsen um 2 Prozent steigen.
Wer außer der Hannoverschen Leben beim Stresstest durchfiel, will das BAFin nicht verraten. Doch eine bisher unveröffentlichte Studie der Rating-Agentur FitchRatings, die eine ähnliche Analyse anhand der Bilanzzahlen für 2001 bei 75 Lebensversicherern durchgeführt hat, gibt gute Hinweise auf die Problemkandidaten.
Bei 18 Versicherern, so das Urteil des Londoner Analysten Marco Metzler, waren schon Ende 2001 die Reserven so stark abgeschmolzen, dass sie einen weiteren Crash an den Kapitalmärkten ohne Zufuhr frischen Kapitals von außen kaum bestehen können. Das Rating-Urteil "schwach" wurde vergeben, wenn die Sicherungsmittel nur mehr ausreichen, die aktuelle Gewinnbeteiligung maximal 18 Monate lang an die Kunden zu zahlen. Zusätzliche Annahme: Die Nettoverzinsung der Anlagen liegt seit Anfang dieses Jahres bei null. Mittlerweile haben sich die Annahmen des Krisenszenarios zumindest auf dem Aktienmarkt erfüllt. Seit Jahresanfang ist der Deutsche Aktienindex um fast 40 Prozent gefallen. Da gleichzeitig auch die Durchschnittsverzinsung festverzinslicher Wertpapiere im Bestand der Versicherer weiter sinkt, wird eine Nettoverzinsung der Kapitalanlagen von null für dieses Jahr bei manchen Versicherern bittere Realität.
Bei der Mannheimer Lebensversicherung, dem schwächsten Anbieter in der Rating-Tabelle, reichten die Sicherungsmittel, so errechnete FitchRatings, Anfang des Jahres nur mehr für vier Monate Mindestverzinsung. Hans Schreiber, der Vorstandsvorsitzende der Mannheimer Versicherungsholding, musste seinen Lebensversicherer retten, indem er mit Hilfe von zwei Kapitalerhöhungen frische Gelder zuführte. Die Versicherten der Mannheimer werden wahrscheinlich vom kommenden Jahr an nur noch den Mindestzins bekommen. Aus dem Neugeschäft mit Kapitallebensversicherungen muss sich die Gesellschaft wohl zurückziehen, weil sie die Vertriebskosten nicht mehr aufbringen kann.
Der zweitschwächste Versicherer, die Familienfürsorge, wurde von der BAFin unter Kuratel gestellt. Das Unternehmen, das vor allem Kirchenleute versichert, hatte sich an der Börse verspekuliert. Mittlerweile übernahm die HUK-Coburg das Unternehmen. Die Kunden können davon ausgehen, dass ihnen wenigstens der gesetzliche Mindestzins auf ihre Einlagen gezahlt wird.
Auch die Öffentliche Versicherung Braunschweig braucht dringend Geld, noch im Jahr 2001 hatte sie mit einer Gewinnbeteiligung von sieben Prozent neue Kunden gelockt. Hier wird wohl der öffentlich-rechtliche Haupteigentümer zur Kasse gebeten.
Unter den Gesellschaften, die bei FitchRatings als "schwach" bezeichnet werden, befinden sich auch etliche Anbieter, die bei Vergleichen in Wirtschaftsmagazinen glänzend abschnitten. Wieder fällt die Hannoversche Leben auf, die dank hoher Ausschüttungen in der Vergangenheit in der Ende Oktober publizierten Analyse der "Wirtschaftswoche" noch auf Platz sechs und bei "Focus Money" auf Platz neun unter den Versicherern lag.
Die Unternehmensberater von McKinsey, die solche Ratings analysierten, stießen auf "große Lücken im Bereich der Sicherheitskennzahlen". Die darauf basierenden Hit-Listen in den Medien hätten ein deutlich aggressiveres Anlageverhalten der Lebensversicherer gefördert.
Manche, so die Autoren, seien der Verlockung erlegen, "um günstigerer Beurteilungen willen Renditemaximierung nach dem Motto 'Komme, was wolle' zu betreiben - ohne ausreichende Berücksichtigung von Risiken".
Für die Zukunft sagt der für die Assekuranz zuständige McKinsey-Partner Oliver Bäte "eine Flucht in die Qualität" voraus. Die Versicherer müssten sich wieder auf ihre traditionellen Wettbewerbsvorteile besinnen, eine möglichst sichere Anlage anzubieten.
Solide Anbieter wie die Hamburg-Mannheimer gehen neuerdings mit guten Einordnungen von sicherheitsorientierten Rating-Agenturen auf Kundenfang. Marktführer Allianz hat in den ersten acht Monaten 30 Prozent mehr Policen verkauft, obwohl auch hier die stillen Reserven auf den Aktienbesitz weggeschmolzen sind, aber immer noch hohe Reserven bei den anderen Kapitalanlagen existieren.
Weniger solvente Anbieter müssen dagegen schleunigst neue Finanzquellen erschließen - oder sie landen beim Protector. So heißt der Sicherungspool, den die Versicherungskonzerne auf Druck des Aufsichtsamts gegründet haben, um Krisenfälle in der Branche aufzufangen. Rating-Spezialist Metzler rechnet damit, dass demnächst der erste Kandidat aufgefangen werden muss.
Rund fünf Milliarden Euro Kapital wollen die Versicherer in den Protector einzahlen. Die Versicherungspolicen der Pleitefirmen werden auf den Pool übertragen, deren Kunden soll mindestens die gesetzlich garantierte Verzinsung ihrer Kapitalanlagen gezahlt werden.
Die Milliarden können im Ernstfall schnell zusammenschmelzen. Völlig ungeklärt ist beispielsweise, ob der Pool auch Schadensersatz zahlt, wenn enttäuschte Anleger ihre Altgesellschaft verklagen.
Über Jahre haben manche Versicherer ihre Kunden mit unrealistischen Beispielrechnungen über die Renditen der Zukunft geködert. Regelmäßig stiegen in den Werbeprospekten die Überschüsse mit über sieben Prozent im Jahr. Die Versprechen können sich nun als teure Altlast erweisen.
Bereits zweimal hatten Kunden vor Oberlandesgerichten Erfolg, die sich gegen Kürzungen bei den Überschussbeteiligungen ihrer Rentenversicherung wehrten. Ihre Gesellschaften hatten Mitte der neunziger Jahre mit hohen Überschüssen geworben, obwohl feststand, dass die mathematischen Grundlagen ihrer Kalkulation nicht mehr aktuell waren.
Viele Versicherer müssen wegen falscher Versprechungen mit einer Klagewelle rechnen.
Das BAFin weist die Lebensversicherer unterdessen darauf hin, dass sie ihre zahlreichen Immobilienkunden schleunigst über sinkende Überschussbeteiligungen informieren müssen. Hunderttausende Deutsche haben eine Lebensversicherung abgeschlossen, um damit später die Hypothek für ihr Haus abzulösen. Versicherungsvertreter verkauften das Kombi-Produkt besonders gern, weil sie Provisionen für den Kreditvertrag wie für die Police erhielten.
Wenn die Überschussbeteiligungen sinken, gerät das Finanzierungsmodell ins Wanken: Bei vielen Kunden sind die Kredite nicht mehr hinlänglich gedeckt. Die Versicherer sollten "Handlungsalternativen wie beispielsweise Summenerhöhungen, Sondertilgungen oder Vertragsverlängerungen" aufzeigen, rät die Aufsicht.
Rating-Spezialist Metzler rechnet mit einer Klagewelle, die das Versicherungsgewerbe noch stärker in die Bredouille bringen würde. Auch Vermittler könnten Haftungsprobleme bekommen, wenn nachweisbar ist, dass sie mit falschen Versprechen hausieren gingen.
Einige Versicherer sind schon dabei, die letzten Reserven zu mobilisieren. Sie wollen ihren gesamten Immobilienbestand verkaufen. Auch die eigenen Versicherungszentralen sind dabei kein Tabu mehr.
CHRISTOPH PAULY
Quelle: Der Spiegel www.spiegel.de/spiegel/0,1518,222229,00.html
Kapitalstärke deutscher Lebensversicherer
Platz Name der Versicherung Urteil
1 Asstel "außerordentlich stark"
2 Lebensversicherung v. 1871 "außerordentlich stark"
3 BHW "außerordentlich stark"
4 WWK "außerordentlich stark"
5 Hamburg-Mannheimer "außerordentlich stark"
6 Europa "außerordentlich stark"
7 Allianz "sehr stark"
8 Basler "sehr stark"
9 DEVK Eisenbahn "sehr stark"
10 Vereinte "sehr stark"
11 Volksfürsorge Deutsche "sehr stark"
12 Volkswohl-Bund "sehr stark"
13 Provinzial Rheinland "stark"
14 Victoria "stark"
15 HanseMerkur "stark"
16 Karlsruher "stark"
17 Gerneral Lloyd "stark"
18 Ideal "stark"
19 R+V Leben AG "stark"
20 Württembergische "stark"
21 Altei Leipziger "stark"
22 Cosmos "stark"
23 Condor "stark"
24 Gerling Konzern L "stark"
25 Rheinland "gut"
26 Axa "gut"
27 Zürich Agrippina "gut"
28 Mecklenburgische "gut"
29 CIV "gut"
30 Iduna "gut"
31 Aachener u. Münchener "gut"
32 Gerling E&L "gut"
33 Bayerische Beamten "gut"
34 LVM "gut"
35 Continentale "gut"
36 Westfälische Provinzial "gut"
37 Stuttgarter "gut"
38 Provinzial Leben Hannover "mittelmäßig schwach"
39 Concordia "mittelmäßig schwach"
40 Öffentliche L Berlin-Brandenburg "mittelmäßig schwach"
41 SV Lebensversicherung B-W "mittelmäßig schwach"
42 Berlinische "mittelmäßig schwach"
43 DBV Winterthur "mittelmäßig schwach"
44 Schweizerische "mittelmäßig schwach"
45 VPV Loben "mittelmäßig schwach"
46 Deutscher Ring "mittelmäßig schwach"
47 Dialog "mittelmäßig schwach"
48 Barmenia "mittelmäßig schwach"
49 Arag "mittelmäßig schwach"
50 Securitas G "mittelmäßig schwach"
51 Deutscher Herold "mittelmäßig schwach"
52 HDI "mittelmäßig schwach"
53 Gothaer "mittelmäßig schwach"
54 Nürnberger "mittelmäßig schwach"
55 Münchener Verein "mittelmäßig schwach"
56 Neue Leben "mittelmäßig schwach"
57 Debeka "mittelmäßig schwach"
58 Bayern-Versicherung "mittelmäßig schwach"
59 Aspecta "schwach"
60 BV Sparkasse Vers. Leben Hessen-Thue. "schwach"
61 Sparkassen Vers. L Sachsen "schwach"
62 Privinzial Nord "schwach"
63 Hannoversche "schwach"
64 UniVersa "schwach"
65 Deutsche Ärzteversicherung "schwach"
66 Inter "schwach"
67 Saarland "schwach"
68 Quelle "schwach"
69 DEVK Allgemeine "schwach"
70 Vereinigte Post "schwach"
71 HUK Coburg "schwach"
72 Nürnberger Beamten "schwach"
73 Öffentliche L Braunschweig "schwach"
74 Familienfürsorge "schwach"
75 Mannheimer "schwach"
Quelle: FitchRatings, Stand 31.12.2001 (aus Spiegel online)