Informativ: Thema Marktintegrität

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Informativ: Thema Marktintegrität

 
31.03.01 22:01
Von Michael Zollweg *)


"Marktintegrität" ist zunächst ein plakativer Ausdruck aus dem kapitalmarktbezogenen Aufsichtsrecht. Er beschreibt eine Reihe von Regularien und Prinzipien als Voraussetzung für einen fairen und ordnungsgemäßen Handel. Insoweit ist Marktintegrität ein Entscheidungsmerkmal neben dem Anlegerschutz für die Frage, wo der Investor seine Anlageentscheidung umsetzt. Gleichzeitig stellt das Vorhandensein eines integren Marktes ein Qualitätsmerkmal dar, das gerne von den im Wettbewerb stehenden Finanzplätzen selbst zur Abgrenzung zwischen einem "proper and orderly market" von einem "Feld-Wald-und-Wiesen-Markt" herangezogen wird.

Zentrale Elemente sind Transparenz und die Verhinderung von Marktmissbrauch. Hinzu kommen Fragen zur Systemqualität und zur Systemsicherheit.


Liquidität ist Bedingung

Vor der Klammer steht jedoch ein Merkmal, dessen Bezug zum Thema Marktintegrität erst auf den zweiten Blick offensichtlich wird: Liquidität bzw. Liquiditätsbündelung. In einem liquiden Markt ist ein faires, effizientes und sicheres Umfeld viel einfacher sicherzustellen als in einem illiquiden und segmentierten Markt. Mögliche Beeinflussungen sind hier ungleich schwieriger durchzuführen. Es müsste daher im Bestreben aller liegen, Liquidität zu bündeln, zumindest zu vernetzen.

Detailfragen zu den einzelnen, die Integrität des Marktes ausmachende Komponenten sind bislang jedoch noch ungeklärt. Im Verborgenen schlummert noch die kritische öffentliche Auseinandersetzung um die zunehmenden Bestrebungen, Kundenaufträge zu "internalisieren", d. h. Kauf- und Verkaufsaufträge innerhalb eines Finanzdienstleisters zu saldieren und nur die Spitzen dem eigentlichen, öffentlich zugänglichen Markt zuzuführen. Das ist aufsichtsrechtlich ein Rückschritt und kein Beitrag zur Transparenz oder Liquiditätsbündelung.


"Best Execution" ist Farce

Das bereits heute arg strapazierte Prinzip der "Best Execution"- übrigens nicht zu verwechseln mit dem Marketing-Schlagwort des "besten Preises" - verkommt damit zur Farce. Wie soll dem Investor glaubhaft vermittelt werden, seine Order sei zum Zeitpunkt der Erteilung, unter Berücksichtigung der Marktlage und unter Zugrundelegung eines überwachten Preisfindungsprozesses für ihn am günstigsten ausgeführt worden, wenn vielleicht nur ein Bruchteil der Liquidität zu dem "fairen" Preis beiträgt? Ähnlich negative Auswirkungen dürfte die Debatte um die Aufteilung des Marktes in ein reines Wholesale- und ein Retailsegment nach sich ziehen.

Unter Transparenzgesichtspunkten ist auch der bisher tabuisierte Schulenstreit um die zeitnahe Veröffentlichung von außerbörslichen Geschäften zu beleuchten. Eine Wechselwirkung zwischen börslicher Preisbildung und außerbörslichen Geschäften ist nicht mehr zu leugnen. Warum dem Markt nicht die zur Beurteilung des Preisbildungsprozesses notwendigen Details in Gänze zur Verfügung stellen?

Eine Definition, was unter "Marktmanipulation" zu verstehen ist, steht bislang aus. Insbesondere bedarf es der Eingrenzung, wer oder was durch entsprechende Regeln geschützt werden soll. Ist das geschützte Gut allein die Funktionsfähigkeit des Marktes und die Wahrheit der Preisbildung, muss dem Anleger klar gemacht werden, dass ihm aus einem Verstoß gegen entsprechende strafrechtliche Regeln nicht automatisch ein Schadenersatzanspruch gegen den Manipulator erwächst. Will man auch den Anleger oder besser dessen Vermögen schützen, bedarf es einer Klarstellung durch den Gesetzgeber.


Strafrecht nicht unterhöhlen

Auch eine Verlagerung der Verfolgung und Ahndung von Manipulationssachverhalten in Rechtsbereiche unterhalb des Strafrechts, also etwa durch die Definition von Ordnungswidrigkeitstatbeständen für minder schwere Fälle oder durch rein zivilrechtliche Ansätze, ist aus rechtsgrundsätzlichen Überlegungen kritisch zu hinterfragen. Für das Strafrecht gelten strenge, verfassungsmäßig zementierte Verfahrens- und Ermittlungsgrundsätze. Allein der Anschein, dass diese durch außerstrafrechtliche Regelungen aufgeweicht werden könnten , muss ausgeschlossen sein. Das Strafrecht bietet für weniger gravierende Fälle angemessene Lösungen wie die Einstellung eines Verfahrens nach Erfüllung von Auflagen. Nachholbedarf besteht jedoch bei den Strafverfolgungsbehörden, relevante Sachverhalte zu erkennen und zu beurteilen. Hier bedarf es der Schulung.

Im Zeichen der technologischen Entwicklung rücken nach und nach Integritätsmerkmale in den Vordergrund, die bisher nicht im Blickpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung standen. Hier lassen sich etwa unter der Überschrift "Systemsicherheit" einige interessante Aspekte ansprechen, die angesichts des kräftigen Anstiegs der Zahl von Systemanbietern und Internet-Plattformen bedeutsam werden könnten.


Gleichbehandlung gefordert

Unter diesem Stichpunkt ist zu hinterfragen, ob elektronische Handelsplattformen oder Routing-Systeme jeglicher Coleur überhaupt technisch in der Lage sind, die anstehende Orderflut zeitgerecht zu verarbeiten. Ein Markt ist nur dann fair, wenn dessen Nutzer und insbesondere die Schwächsten unter ihnen gleich behandelt werden. Gehen Aufträge aufgrund systemtechnischer Unzulänglichkeiten verspätet dem Markt zu, kann von einer Ausführung entsprechend der Marktlage nicht mehr gesprochen werden. Den Betreibern solcher Systeme ist die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Mindeststandards vorzugeben, ohne deren Erfüllung gar nicht erst am Markt agiert werden darf. Eine regelmäßige Kontrolle, einschließlich des jeweiligen Preisbildungsprozesses, ist dabei zu gewährleisten.

Es bleiben aber auch noch grundsätzliche Gesichtspunkte insbesondere auf lokaler Ebene offen. Gelten die Elemente zur Marktintegrität für den Marktplatz in toto oder nur für Teile davon, wie etwa für Börsen - was immer hierunter in Zukunft auch zu verstehen sein wird? Sind Teilnehmer eines Marktplatzes in der Lage, sich aus dem Wirkungsbereich des aufsichtsrechtlichen Schutzschildes zu entfernen, indem sie in eine weniger regulierte Umgebung flüchten? Ist das vielleicht gewünscht oder gar hinzunehmen? Fragen über Fragen, deren Beantwortung schnell und sachgerecht angegangen werden muss.

Wo aber entwickeln sich die Stellen hin, die über die Einhaltung der Grundsätze zur Marktintegrität zu wachen haben? Dazu nur zwei Feststellungen: Die Strukturdebatte ist im vollen Gange. Die Aufsicht, egal ob zentralistisch oder föderalistisch strukturiert, wird sich wandeln.


Regulierer, nicht Kontrolleur

Die klassische Aufseherrolle des bloßen Kontrolleurs wird dabei mehr und mehr ersetzt durch die Rolle eines Regulierers; eines "regulator". Regulieren bedeutet bildlich gesprochen: Schrauben drehen, Ventile öffnen und schließen; nicht reglementieren, sondern Rahmenbedingungen schaffen, damit sich ein Gesamtmarkt in geordneten Bahnen entwickeln kann. Erstes Gebot ist die Schaffung einheitlicher Voraussetzungen, um am Markt oder im Markt agieren zu können. Ansonsten kommt es zu einem Phänomen, das Händler sehr mögen, aber im Kontext aufsichtsrechtlicher Fragestellungen unerwünscht sein muss: Arbitrage. Aufsichtsrechtliche Ungleichgewichtungen sind meistens verbunden mit einem erheblichen Reputationsverlust für den Gesamtmarkt. Sachgerechte Lösungen sind in solchen Situationen nur noch schwer umzusetzen. Deshalb muss versucht werden, Entwicklungen zu erkennen und im Vorfeld regulatorisch einzugreifen.

Die Debatte über die "beste aller Aufsichtsstrukturen" ist nur sinnvoll, wenn sie zügig zu einem Ergebnis führt. Die fallbezogene Beibehaltung bestehender Zustände kann auch das Ergebnis einer rational geführten Diskussion sein. Bei der Entscheidungsfindung müssen jedoch die anstehenden Sachfragen im Vordergrund stehen. Zeichnet sich eine Auseinandersetzung über Zuständigkeiten ohne Bezug zum Ergebnis ab, wird der Investor zu Recht nach dem Sinn der Übung fragen.


*) Der Autor ist Chef der Handelsüberwachungsstelle der FWB und der Eurex.

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