Hoffen, bangen, warten....

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börse1:

Hoffen, bangen, warten....

 
22.03.01 12:39
"Die größte Geldvernichtung in der modernen Finanzgeschichte",

Hoffen, bangen, warten....

Nach dem Börsensturz glauben die Anleger, sie könnten die Krise einfach
aussitzen - doch sie könnten sich täuschen !!



In der Krise stirbt die Hoffnung zuletzt. Sie haben an der Börse 50 000 Mark verzockt? Macht doch nichts....

Ihre Telekom-Aktien sind nur noch ein Viertel wert?
Das wird schon wieder....

Der Neue Markt ist seit dem letzten Frühjahr um 80 Prozent eingebrochen? Keine Bange, alles wird gut....

Miesepeter haben am Aktienmarkt nichts verloren. Da haben mehr als zwölf Millionen deutsche Aktionäre und Fondsbesitzer gerade gelernt, was ein Crash ist - sie erlebten

"die größte Geldvernichtung in der modernen Finanzgeschichte",

wie es Gottfried Heller nennt, der Chef der Fiduka Vermögensverwaltung und langjähriger Partner des verstorbenen Börsengurus André Kostolany. Mehr als acht Billionen Mark wurden allein an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq verbrannt, das ist mehr als das gesamte deutsche Geldvermögen. Und die Anlegermagazine? Sie raten schon wieder zum Aktienkauf. "Comeback der Börsen-Stars" titeln sie in großen Lettern, oder: "Nutzen Sie die Krise".

Dahinter steckt eine einfache Regel: Auf lange Sicht, glauben viele Börsianer, ist die Aktie die lukrativste Form der Geldanlage - einen Crash sitzt man einfach aus. Mit Aktien, heißt es, kann jeder ein kleines Vermögen machen - wenn er sie nur lang genug hält. Die schlichte Börsenweisheit ist für die verunsicherten Anleger in der Krise der letzte Strohhalm.

Bloß: Langsam wachsen Zweifel, ob dieser Strohhalm auch hält.

Die Optimisten unter den Börsianern sehen das natürlich anders. Sie verweisen auf das Wachstum des Deutschen Aktienindex in den vergangenen Jahrzehnten. Ihr Kronzeuge ist Richard Stehle: Der renommierte Kapitalmarktforscher der Berliner Humboldt-Universität hat den Dax, der die Wertentwicklung der 30 größten deutschen Aktiengesellschaften
widerspiegelt, bis 1954 zurückberechnet - offizielle Daten gibt es erst seit 1980. Sein Ergebnis: Wer Mitte der fünfziger Jahre deutsche Aktien kaufte und sie heute noch hat, erzielte jährlich eine reale Rendite von mehr als 8 Prozent. Wer 1980 kaufte und die Aktien 20 Jahre hielt, kassierte jedes Jahr rund 13 Prozent - deutlich mehr als mit festverzinslichen Bundesanleihen.

Nur: Was ist mit jenen, die kurz vor einer Krise zugriffen, zu überhöhten Preisen - und die ihre Aktien nicht 40 Jahre hielten, sondern nur 10 Jahre? Oder den anderen, die in der Krise verkaufen mussten, weil sie Geld für ein neues Autos brauchten? Den Pessimisten fallen schnell Horrorbeispiele ein: Etwa der Crash von 1987. Wer kurz zuvor Aktien kaufte und sie zwölf Monate später losschlug, verlor mehr als ein Drittel des angelegten Geldes.
Wer die Papiere ein halbes Jahrzehnt hielt und dann verkaufte, machte unter dem Strich jedes Jahr noch mehr als ein Prozent Verlust. Dramatisch auch die Ölkrise in den siebziger Jahren: Wer 1970 einstieg und seine Aktien fünf Jahre später verkaufte, verlor fast zehn Prozent - jährlich.

Optimistische Börsianer halten dem entgegen, als Aktionär müsse man eben etwas mehr Stehvermögen zeigen. Langfristig investieren heißt demnach, die Aktien nicht fünf Jahre zu halten, sondern 10, 20 oder gar 30 Jahre. Und: An der Börse darf man nur Geld einsetzen, dass man selbst im Notfall nicht braucht. "Es gibt keinen falschen Einstiegszeitpunkt", spotten erfahrene Anleger. "Nur den falschen Zeitpunkt zum Aussteigen."

Doch so einfach ist es nicht. Selbst wenn man nur in Zeitabschnitten von 20 und 30 Jahren denkt - ist es sicher, dass die Börse dann immer im Plus liegt? Kann man von der Vergangenheit wirklich auf kommende Kurse schließen? Ja, sagen Experten wie Richard Stehle. Weil die Börse schon in den letzten Jahrzehnten allerhand Krisen erlebte und Aktien dennoch langfristig besser abschnitten als zum Beispiel Anleihen. Nein, behauptet der US-Ökonom Robert Shiller. Sein Argument: Betrachtet man sehr lange Zeitabschnitte,
so gibt es in der kurzen Geschichte der Börsen nur wenige voneinander unabhängige Perioden. Nimmt man 30-Jahres-Abschnitte, so kann man die Überlegenheit der Aktie gerade mal an fünf sich nicht überlappenden Zeiträumen prüfen - aber mag man auf fünf Fälle seine Zukunft bauen? Nimmt man kürzere Perioden, etwa von zehn Jahren, dann finden sich auch mehrere Zeiträume, in denen Renten bessere Renditen abwarfen als die
Dividendenpapiere. So zum Beispiel am amerikanischen Aktienmarkt in den zehn Jahren nach 1929 oder nach 1966. Selbst wenn man eine historische Überlegenheit der Aktie sicher belegen könnte, "sollten wir wahrhaben, dass die Zukunft nicht wie die Vergangenheit sein muss", warnt Shiller.

Eines spricht zwar für langfristig steigende Kurse: der Umbau des Rentensystems.
Experten rechnen mit riesigen Summen, die, staatlich gefördert, in die private Altersvorsorge fließen. Bis zum Jahr 2008 könnten das in Deutschland rund 250 Milliarden Mark sein, schätzt Tammo Greetfeld, Aktienstratege der HypoVereinsbank. Weil auch die anderen großen Euro-Volkswirtschaften Frankreich und Italien ihr Rentensystem umbauen müssen, dürfte der europäische Aktienmarkt insgesamt profitieren.

Dennoch mehren sich die Zweifel. Welche Folgen hat es für die Kurse, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit in Rente gehen? Die geballte Aktiennachfrage der heute 40- bis 59-Jährigen hat den Börsenboom der vergangenen Jahre kräftig angeheizt. Sinken die Kurse, wenn die Zahl der Rentner weiter steigt? Kracht die Börse, wenn künftige Senioren massenweise Aktien auf den Markt werfen und ihr Erspartes verprassen, weil die staatliche Rente nicht reicht?

Jim Poterba sieht das anders. In einer Studie des Massachusetts Institute of Technology behauptet der US-Ökonom, dass die Nachfrage nach Aktien nicht zwangsläufig sinken muss: Die Rentner von morgen würden auch im Alter noch in Aktien investieren, weil sie nicht wissen, wie lange sie noch leben und wie viel Geld sie brauchen.

Andere Experten bezweifeln diese These - zum Beispiel Andrew Abel, Professor an der University of Philadelphia. Sein Argument: Verkaufen die auf hohen Aktienbeständen sitzenden Baby-Boomer auch nur einen Teil ihrer Papiere, steigt das Angebot an Aktien am Markt. Gleichzeitig aber fehlt die Nachfrage, weil nun die geburtenschwächeren Jahrgänge folgen. Ergebnis: sinkende Kurse. Schon nach dem Jahr 2010 könnte sich die Lage an den Aktienmärkten verdüstern, analysiert Goldman Sachs. "Jeder Einzelne muss damit rechnen, dass er in 10 bis 15 Jahren für seine Aktien weniger erhält", sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Investmentbank. "Wir können das demografische Problem nur vermeiden, wenn wir einen Weltkapitalmarkt schaffen." Die Anleger müssen also auch dort Aktien kaufen, wo es mehr junge Leute gibt - in den heutigen Schwellenländern. Die Frage ist nur, wie sicher die Geldanlage in den emerging markets künftig sein wird.

Doch ob die Kurse langfristig steigen oder nicht - das größte Risiko ist der Anleger selbst.
Er macht jede langfristige Prognose unberechenbar. Denn wer auf die ferne Zukunft vertrauen will, muss viele emotionale Fallen umgehen. Das schaffen aber nur rational handelnde Anleger, und die sind sehr selten, sagt die Psychologin Monika Müller. Ein Beispiel: Um einen Verlust von 50 Prozent wieder auszugleichen, muss eine Aktie um 100 Prozent steigen - einmal halbiert, muss sich der Kurs erst mal verdoppeln. Schon dies sei für viele schwer zu begreifen.

Fallende Kurse verändern die Wahrnehmung. "Anleger registrieren dann nur noch gute Nachrichten, weil sie die Hoffnung nähren, dass die Kurse wieder steigen", sagt Monika Müller. Kritische und schlechte Nachrichten zu einzelnen Aktien würden hingegen ignoriert.
"Sie zu akzeptieren bedeutet, eigene Fehler einzugestehen." Dazu käme es regelmäßig erst, nachdem die Aktienkurse um weit mehr als die Hälfte gefallen sind. Die Folge wären Panikverkäufe. Das heißt aber auch: Selbst wenn die Kurse später wieder steigen - die Anleger profitieren davon nicht. Sie haben ja verkauft.

Dass sich Menschen in kritischen Situationen keineswegs vernünftig verhalten, meint auch der britische Börsenpsychologe David Cohen. "Selbst erfahrene Investoren können das wahre Risiko, das sie eingehen, glatt übersehen", beschreibt er die menschliche Einstellung zum Risiko.

Egal, was die Profis sagen: Garantierte Gewinne sind für Kleinanleger eine Illusion.
Unternehmen wie Versicherungen oder Kapitalanlagegesellschaften könnten auch
Dekaden schlechter Kurse aussitzen, sagt Finanzpsychologe Ekkehard Stephan von der Universität Kassel. Privatanleger dagegen könnten kaum noch zehn Jahre warten, wenn ihr Depot zu Rentenbeginn in der Verlustzone ist. Andererseits können nur die wenigsten heute 30Jährigen überblicken, ob sie ihr Aktienkapital nicht doch schon in fünf oder sieben Jahren dringend benötigen - für das eigene Haus, Kinder oder die Scheidung.

(c) DIE ZEIT 13/2001
                   
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