Freiheit und Kultur
Zu den Anfängen des Frauentages
Von Siegfried Scholze
In allen Ländern hatten sich Anfang des 20. Jahrhunderts die sozialen Gegensätze zugespitzt. Auch in den USA. Damit einher ging verstärkt das Ringen um die soziale Befreiung der Frau und die Erkämpfung des Frauenwahlrechts. So demonstrierten z.B. 1908 in Manhattan Tabak- und Textilarbeiterinnen für das Wahlrecht, für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit. Ein Jahr später erregte am gleichen Ort der Kampf von 20000 Handnäherinnen internationales Aufsehen. Nach zweimonatigem Streik konnten sie ihn zum Erfolg führen – obwohl mehrere tausend Arbeiterinnen verhaftet wurden und die Streikenden Repressalien ausgesetzt waren.
Im Mai 1908 war unmittelbar vor dem Kongress der Sozialistischen Partei Amerikas (SPA) in Chicago von Sozialistinnen das Nationale Frauenkomitee gegründet worden. Von ihnen ging zum ersten Mal der Gedanke eines besonderen nationalen Kampftages der Frauen aus. Auf seinen Vorschlag hin beschloss das Exekutivkomitee der SPA am 19. Dezember 1908, »in den Ortsorganisationen den letzten Februarsonntag des Jahres 1909 zu einem Tag zu machen, an dem mit der Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen demonstriert wird«. An diesem ersten nationalen Frauentag in den USA, am 28. Februar 1909, fanden vom Stillen bis zum Atlantischen Ozean Kundgebungen und Demonstrationen statt. Von den amerikanischen Sozialistinnen wurde betont, dass sie »die Erringung des Wahlrechts für die Frauen nicht als letztes Ziel ansehen, sondern daß es nur als Weg betrachtet wird, der auf Erreichung höherer Ziele gerichtet ist«. Es demonstrierten auch »bürgerliche Frauenrechtlerinnen mit ihren bunten Fahnen neben den roten der Sozialistinnen«. Der Erfolg des Tages führte zu dem Beschluss, auch künftig am letzten Februarsonntag einen Frauentag durchzuführen.
Für den internationalen Widerhall, den die Aktivitäten der amerikanischen Frauen fand, spricht eine Grußadresse, die ihnen August Bebel am 3. Februar 1910 sandte und die am folgenden nationalen Frauentag, dem 27. Februar 1910, in der Zeitung »New York Call« veröffentlicht wurde. In ihr bekräftigte August Bebel die Ziele der sozialistischen Bewegung und stellte fest: »Eine Frauenbewegung, die von diesen Gesichtspunkten geleitet, alle Kräfte einsetzt, fördert die höchsten Kulturbestrebungen, die Menschen verwirklichen können. Ohne die volle Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter ist höchste menschliche Freiheit und Kultur unmöglich.« Zugleich betrachtete er den amerikanischen Frauentag als Beispiel auch für andere Länder: »Ich wünsche«, schrieb er den amerikanischen Sozialistinnen, »daß Ihr nationaler Frauen-Tag eine internationale Bedeutung erlange, was sicher geschieht, wenn seine Bestrebungen auf der Höhe der Zeit stehen und von Erfolg begleitet sind.« Dieser Wunsch sollte in Erfüllung gehen.
Nachdem in den USA der Frauentag 1910 einen noch größeren Erfolg als im Vorjahr gebracht hatte, sprach sich auf dem amerikanischen Nationalen Kongress der Sozialisten im Mai des Jahres May Wood-Simons als Vertreterin des Nationalen Frauenkomitees dafür aus, dass die Abgeordneten des Komitees, die zur internationalen Konferenz nach Kopenhagen fahren, »dort den Vorschlag unterbreiten, den letzten Februarsonntag zum Internationalen Frauentag zu proklamieren«. Dass es auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zu einer Beschlussfassung über die Einführung des Internationalen Frauentags kam, ist zweifellos nicht zuletzt ein Verdienst Clara Zetkins, die sich mit all ihrer Autorität dafür einsetzte und zusammen mit der deutschen Delegierten Käte Duncker und anderen Frauen den entsprechenden Antrag einbrachte. Die Durchführung dieses Tages sollte ein Anliegen der gesamten Arbeiterbewegung sein – als »einheitliche internationale Aktion« in »Anknüpfung an aktuelle Forderungen der Proletarierinnen«, wie Clara Zetkin später schrieb. Allerdings wurde noch kein verbindliches Datum für den Internationalen Frauentag beschlossen.
1911 fand der Erste Internationale Frauentag in Dänemark, Deutschland, Österreich, Schweiz und USA am 19. März statt – in Deutschland zugleich in Erinnerung an die Gefallenen des 18. März der Revolution von 1848. Ein Textilarbeiterinnen-Streik in St. Petersburg am 8. März 1917 war es, der schließlich die 2. Kommunistische Frauenkonferenz 1921 bewog, diesen Tag als festes Datum für den Internationalen Frauentag zu bestimmen.