Heißer Herbst
Die Aktienbörsen sind aufgewacht: Nach schlechten Konjunkturdaten befürchten Beobachter nun fallende Kurse. Anderen Märkten liegt solcher Realismus noch fern. Von Conrad Mattern
© Katharina Langer für ZEIT online
So schnell kann es gehen: Kaum werden neue Informationen öffentlich, schon stellt sich die Welt den Märkten ganz anders dar als noch kurze Zeit zuvor. Wobei "kurz" hier sehr flexibel zu interpretieren ist. Eine "kurze Zeit" können die 30 Sekunden sein, die man benötigt, um eine Meldung zu lesen. Es können aber auch die 30 Tage sein, in denen sich ein Umdenkungsprozess immer klarer abzeichnet. Zeit ist eben relativ, auch an den Finanzmärkten.
In der vergangenen Woche gab es einige solcher neuer Entwicklungen, und sie werden ihre Wirkung in der nächsten Zeit unerbittlich entfalten.
Ein kleines, aber wichtiges Beispiel: Wie ein 30-Sekunden- und eine 30-Tage-Prozess zusammenspielen, konnte man am vergangenen Donnerstag sehr schön beobachten, als der so genannte Phili-Fed-Index veröffentlicht wurde. Der Phili-Fed-Index basiert auf einer Umfrage bei Unternehmen, die im Zuständigkeitsbereich der Federal Reserve Bank of Philadelphia angesiedelt sind. Nachdem der Index ähnlich wie in Deutschland der ZEW-Index bereits seit einiger Zeit am Sinken war, stürzte er nun plötzlich drastisch von 18,5 auf -0,4 Indexpunkte ab. Ein dramatischer Einbruch, denn Indexstände auf diesem Niveau gehen in der Regel einher mit einer stagnierenden US-Volkswirtschaft oder gar einer Rezession!
Noch bis vor kurzem freuten sich die Märkte über solch schwache Konjunkturindikatoren. Der Grund: Sie signalisierten, dass weitere Zinserhöhungen durch die Federal Reserve Bank immer unwahrscheinlicher wurden. Die Vorfreude auf das Ende des Zinserhöhungszyklus war groß - die Enttäuschung aber ist nun umso größer, wie so oft im Leben.
In der vergangenen Woche hob die Fed zum zweiten Mal in Folge ihre Zinsen nicht an. Dies war in den vergangenen Jahren stets das Zeichen für das Ende der Zinserhöhungen. Die Folge: Konjunkturindizes werden von den Marktteilnehmern nun völlig anders interpretiert als noch vor wenigen Tagen, und eine dynamisch wachsende Wirtschaft wird für sie wieder wichtiger. Doch leider sieht es für die US-Wirtschaft derzeit gar nicht rosig aus. Erste Indikatoren, die eine Rezession andeuten, ein Immobilienmarkt, der immer weiter zusammenzubrechen scheint und ein Anstieg der Gewinnwarnungen bei sich gleichzeitig eintrübendem Gewinnausblick – das alles belastet auch die Aktienkurse. Die Rentenmärkte freut es dagegen.
Das Thema "Konjunkturabkühlung" hat sich in den vergangenen Wochen also langsam in den Köpfen der Marktteilnehmer etabliert. Nun scheint es die Diskussion zu dominieren. Die Aktienmärkte tun sich derzeit sehr schwer, immer weiter zu steigen, in Deutschland wie in den USA. Mit einem zusätzlichen Klotz am Bein wird die Gefahr eines Kursabbruchs noch größer. Die Anleger an den Rentenmärkten scheinen da intelligenter gewesen zu sein: Der Zinsrückgang und die flache Zinsstrukturkurve zeichnen am Bondmarkt schon seit einiger Zeit das Bild, das die Aktienmärkte erst jetzt zu entdecken scheinen.
Ins Bild passt, dass in der vergangenen Woche ein Hedge-Fonds innerhalb weniger Tage Verluste von 6 Milliarden US-Dollar anhäufte. Ursache war eine falsche Einschätzung der Entwicklung an den Rohstoffmärkten bei einer gleichzeitig aggressiven Spekulationsstrategie, nachdem die Kurse bereits stark zurückgegangen sind.
Die Anlegermagazine hingegen scheinen die Entwicklung immer noch nicht registriert zu haben. Nur so sind die vielen Berichte über das Thema "Reich werden mit Rohstoffen" oder die Vielzahl an Anlegermessen zum Thema Rohstoff zu erklären. Rohstoffe sind auf lange Sicht ein profitables Investment. Aktien auch. Aber ähnlich wie an den Aktienmärkten im Frühjahr 2000, kurz bevor die Blase platzte, sieht es derzeit auch an den Rohstoffmärkten aus. Ein hohes Medieninteresse, spekulative Exzesse und eine starke Zunahme an neuen Anlageprodukten für diese Assetklasse lassen nichts Gutes erahnen.
An den Aktienmärkten scheint sich der Erkenntnisprozess nun schon weiterentwickelt zu haben. An den Rohstoffmärkten herrscht dagegen noch das Prinzip Hoffnung vor. Das stirbt ja bekanntlich zuletzt. Solange es aber noch keine Kapitulationsbemühungen gibt, werden immer mehr Anleger aus Gier in die Rohstoffe getrieben werden und entsprechend hohe Verluste einfahren. Nicht schön für die Investoren, aber auch nicht für die Aktienmärkte: Aufgrund der in der jüngsten Zeit festzustellenden Korrelation zwischen Rohstoff- und Aktienmärkten wären fallende Rohstoffe ein zusätzliches, klares Warnsignal für die Aktien.
Am Samstag fing der Herbst an, er kann noch heiß werden.
Conrad Mattern ist Vorstand der Conquest Investment Advisory AG und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität, München