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Harsche Urteile über die USA
Berlin. Helmut Schmidt ist schon zu seiner Zeit als Bundeskanzler respektvoll als Weltökonom bezeichnet worden. Den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter brachte er gelegentlich zur Weißglut, weil der Regierungschef des kleinen Verbündeten glaubte, den politisch weniger erfahrenen, aber mächtigen Führer der Supermacht belehren zu müssen. Heutzutage besucht der Altkanzler gelegentlich die SPD-Bundestagsfraktion, um sie an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Das geschah auch am 4. Juli des vergangenen Jahres im Berliner Reichstag. Ein SPD-Abgeordneter hat sich jetzt dieser Rede erinnert und den Text hervorgekramt. Verblüfft stellt er fest, dass Schmidt weit vor den Terroranschlägen in den USA bemerkenswerte Vorhersagen gemacht hat. „Ich möchte nicht missverstanden werden“, sagte der Altkanzler damals, „ich bin seit einem halben Jahrhundert einFreund der amerikanischen Nation.“ Nach 90 oder 100 Besuchen in den USA habe er dort viele persönliche Freunde. „Ich bewundere Amerikas Vitalität.“ Das Verteidigungsbündnis mit den USA müsse bewahrt werden. Aber: „Nicht alle unsere Interessen sind deckungsgleich mit den ihrigen.“ Dann schrieb Schmidt den USA einige harsche Meinungen ins Stammbuch: Für Außenpolitik und die Frage, was die USA mit ihrer Macht tun, interessiere sich dort kaum ein Politiker. „Aber unter der außenpolitisch interessierten Minderheit in den USA haben einige einen ausgeprägten Hang zur Dominanz über andere Staaten. Die im Frühjahr 1999 beschlossene neue Nato ist unter amerikanischer Führung auf der Suche nach einem neuen Feind den alten Feind gibt es jedenfalls nicht mehr. Mehrere Staaten wurden zu Schurkenstaaten ernannt und dienen als Feindersatz. Einige wollen am liebsten den ganzen eurasischen Kontinent unter Kontrolle bringen. Handelspolitik und Menschenrechtspolitik werden dabei zu Instrumenten der Dominanz-Strategie. Viele fallen auf diese Menschenrechtspolitik herein und durchschauen nicht, was an anderen Motiven dahinter steht.“ Starker Tobak vom Altkanzler. Doch es ging noch weiter: „Im Hinblick auf die globale amerikanische Finanz- und Währungspolitik ist gleichfalls Zurückhaltung geboten. Die amerikanische Aktienhysterie, die Fusionitis und der Raubtierkapitalismus insgesamt, die rücksichtslose Instrumentalisierung des Weltwährungsfonds zur Rettung leichtfertiger westlicher privater Geldhäuser: Alles dies verlangt nach einer eigenständigen europäischen Politik. Wir brauchen globale Regeln für die globalisierten Finanzmärkte und den internationalen Kapitalverkehr.“ Es werde in jedem Jahr „gleichzeitig 24 oder 36 Kriege geben“, sagte Schmidt voraus: „Lokale, regionale, innerstaatliche und internationale Kriege, nämlich in Asien, Afrika und vielleicht Lateinamerika.“ In manchen Fällen müssten „gefährliche Dominoeffekte“ befürchtet werden. So lange, fügte der Altkanzler hinzu, die Europäische Union keine wirksame gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickele, so lange würden die Vereinigten Staaten versuchen, unter ihrer Führung die Nato zum Werkzeug ihrer Entscheidungen zu machen.
Bernd Knebel
29.10.2001
Harsche Urteile über die USA
Berlin. Helmut Schmidt ist schon zu seiner Zeit als Bundeskanzler respektvoll als Weltökonom bezeichnet worden. Den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter brachte er gelegentlich zur Weißglut, weil der Regierungschef des kleinen Verbündeten glaubte, den politisch weniger erfahrenen, aber mächtigen Führer der Supermacht belehren zu müssen. Heutzutage besucht der Altkanzler gelegentlich die SPD-Bundestagsfraktion, um sie an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Das geschah auch am 4. Juli des vergangenen Jahres im Berliner Reichstag. Ein SPD-Abgeordneter hat sich jetzt dieser Rede erinnert und den Text hervorgekramt. Verblüfft stellt er fest, dass Schmidt weit vor den Terroranschlägen in den USA bemerkenswerte Vorhersagen gemacht hat. „Ich möchte nicht missverstanden werden“, sagte der Altkanzler damals, „ich bin seit einem halben Jahrhundert einFreund der amerikanischen Nation.“ Nach 90 oder 100 Besuchen in den USA habe er dort viele persönliche Freunde. „Ich bewundere Amerikas Vitalität.“ Das Verteidigungsbündnis mit den USA müsse bewahrt werden. Aber: „Nicht alle unsere Interessen sind deckungsgleich mit den ihrigen.“ Dann schrieb Schmidt den USA einige harsche Meinungen ins Stammbuch: Für Außenpolitik und die Frage, was die USA mit ihrer Macht tun, interessiere sich dort kaum ein Politiker. „Aber unter der außenpolitisch interessierten Minderheit in den USA haben einige einen ausgeprägten Hang zur Dominanz über andere Staaten. Die im Frühjahr 1999 beschlossene neue Nato ist unter amerikanischer Führung auf der Suche nach einem neuen Feind den alten Feind gibt es jedenfalls nicht mehr. Mehrere Staaten wurden zu Schurkenstaaten ernannt und dienen als Feindersatz. Einige wollen am liebsten den ganzen eurasischen Kontinent unter Kontrolle bringen. Handelspolitik und Menschenrechtspolitik werden dabei zu Instrumenten der Dominanz-Strategie. Viele fallen auf diese Menschenrechtspolitik herein und durchschauen nicht, was an anderen Motiven dahinter steht.“ Starker Tobak vom Altkanzler. Doch es ging noch weiter: „Im Hinblick auf die globale amerikanische Finanz- und Währungspolitik ist gleichfalls Zurückhaltung geboten. Die amerikanische Aktienhysterie, die Fusionitis und der Raubtierkapitalismus insgesamt, die rücksichtslose Instrumentalisierung des Weltwährungsfonds zur Rettung leichtfertiger westlicher privater Geldhäuser: Alles dies verlangt nach einer eigenständigen europäischen Politik. Wir brauchen globale Regeln für die globalisierten Finanzmärkte und den internationalen Kapitalverkehr.“ Es werde in jedem Jahr „gleichzeitig 24 oder 36 Kriege geben“, sagte Schmidt voraus: „Lokale, regionale, innerstaatliche und internationale Kriege, nämlich in Asien, Afrika und vielleicht Lateinamerika.“ In manchen Fällen müssten „gefährliche Dominoeffekte“ befürchtet werden. So lange, fügte der Altkanzler hinzu, die Europäische Union keine wirksame gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickele, so lange würden die Vereinigten Staaten versuchen, unter ihrer Führung die Nato zum Werkzeug ihrer Entscheidungen zu machen.
Bernd Knebel
29.10.2001