Greenspan gibt seine letzte Vorstellung
Alle lieben Alan
Von Torsten Riecke, Handelsblatt
Wenn Notenbanker und Ökonomen aus aller Welt dieses Mal zu ihrem jährlichen Treffen in Jackson Hole zusammenkommen, geht es nicht um die letzten Trends in der Geldpolitik. Vielmehr steht ein Mann im Mittelpunkt: Alan Greenspan.
US-Notenbank-Chef Alan Greenspan gibt sein Amt ab. Foto: dpa
NEW YORK. Der 79-jährige Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) gibt in dem kleinen Ferienort in den Rocky Mountains seine Abschiedsvorstellung. Ende Januar nächsten Jahres wird Greenspan seinen Posten als mächtigster Notenbanker der Welt nach mehr als 18 Jahren aufgeben. Folglich haben die Organisatoren in Jackson Hole ihr Treffen ganz unter das Motto: „Die Ära Greenspan – Lehren für die Zukunft“ gestellt.
Der schmale Mann mit den übergroßen Brillengläsern und den hellwachen Augen wird erhobenen Hauptes von der Bühne der internationalen Finanzpolitik abtreten. Die US-Wirtschaft scheint in guter Verfassung. Das Wachstum ist mit zuletzt 3,4 Prozent kräftig, die Kerninflation liegt unter zwei Prozent. Die Arbeitslosenquote ist mit fünf Prozent beneidenswert niedrig.
„Seine größte Leistung ist, dass er die geldpolitische Feinsteuerung wieder salonfähig gemacht hat“, sagt Jan Hatzius, Ökonom bei der New Yorker Investmentbank Goldman Sachs. Nachdem ein aktives Eingreifen der Notenbanker in den Konjunkturzyklus während der 70er- und 80er-Jahren verpönt gewesen sei, habe Greenspan der Welt die Vorzüge einer flexiblen und aktiven Geldpolitik vor Augen geführt. Beispiele dafür gibt es viele. Sei es sein beherztes Eingreifen nach dem „Schwarzen Montag“ an den Weltbörsen im Oktober 1987 oder während der Finanzkrisen in Asien und Russland zehn Jahre später. Auch nach dem Platzen der Internetblase und den Terroranschlägen 2001 hat der Fed-Chef jegliche Panik mit kräftigen Liquiditätsspritzen für die Wirtschaft im Keim erstickt.
Bis heute glauben deshalb viele Investoren, Greenspan werde ihnen im Notfall schon aus der Patsche helfen. Eine Sorglosigkeit, die nach Ansicht von Ökonomen immer wieder neue Ungleichgewichte in der US-Wirtschaft heraufbeschwört. So zieht Goldman-Ökonom Hatzius aus der Greenspan-Ära auch die Lehre, dass die Notenbanker Schieflagen auf den Finanzmärkten heute größere Aufmerksamkeit beimessen als früher. „Es ist immer noch eine offene Frage, ob Greenspan die riesige Spekulationsblase an den Aktienmärkten während des Internetbooms nicht frühzeitig hätte stoppen können“, sagt Hatzius. Die Antwort auf diese Frage ist höchst aktuell, weil auf dem Immobilienmarkt in den USA bereits die nächste Spekulationsblase zu platzen droht. Auch hier hat sich die Fed bislang an Greenspans Rat gehalten, abzuwarten und notfalls den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen.
„Die Notenbank ist in einem Dilemma“, sagt Martin Baily, Ökonom am renommierten Institute for International Economics in Washington. Hätte die Fed frühzeitig die Zinsen angehoben, wäre nicht nur der Boom bei den Immobilien, sondern auch das Wirtschaftswachstum gedämpft worden. „Greenspan musste viele solcher schwierigen Entscheidungen treffen und hat dabei fast immer richtig gelegen“, sagt Baily. Zu diesem Ergebnis kommt auch Alan Blinder, Wirtschaftsprofessor an der Universität Princeton (siehe Nachgefragt). Er wird in Jackson Hole eine Bilanz der Greenspan-Ära ziehen.
Bleibt die Frage nach dem inneren Kompass, mit dem Greenspan die größte Volkswirtschaft der Erde steuert. Was von außen oft als intuitive Bauchentscheidung aussieht, hat er selbst als bewusstes „Risikomanagement“ bezeichnet. Bevor der Notenbanker eine Entscheidung trifft, wägt er die Eintrittswahrscheinlichkeiten und Kosten wirtschaftlicher Entwicklungen ab. Als die USA vor zwei Jahren von Deflationsängsten geplagt wurden, hat der Fed-Chef massiv die Zinsen gesenkt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering war, dass es wirklich zu einem allgemeinen Preisverfall kommen würde – der mögliche wirtschaftliche Schaden wäre enorm gewesen. Ob diese Entscheidungslogik Greenspans Nachfolger hilft, ist zweifelhaft. Ist doch das „Risikomanagement“ nur so gut wie das Urteilsvermögen des Notenbankers. Für seine Zunft bleibt Greenspan deshalb ein „Magier des Geldes“.
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Brain-Storming in 2000 Meter Höhe
Jackson Hole ist ein beliebter Skiort in Wyoming, mitten in der Gebirgskette Rocky Mountains gelegen. Wo sich im Winter Skifahrer tummeln, trifft sich meist Ende August die Elite der internationalen Finanzwelt mit den Notenbankern an der Spitze. Organisiert wird das Treffen von der Federal Reserve in Kansas City. Da die Räumlichkeiten in dem kleinen Tagungshotel am Fuße der Teton Mountains begrenzt sind, ist das Gedränge um einen Platz riesengroß. Was für die Footballfans eine Karte für den Super-Bowl ist, ist für Zentralbanker und Ökonomen eine Einladung nach Jackson Hole.
Das liegt vor allem daran, dass man die Koryphäen der Finanzelite dort hautnah erleben kann. Der Morgen beginnt meist mit mehreren Vorträgen zu ausgewählten Themen. Fed-Chef Alan Greenspan wird seine letzte große Rede am Freitagmorgen halten. Nachmittags diskutieren die Teilnehmer dann die vorgetragenen Thesen bei Wanderungen oder Bootsfahrten. Wann hat man sonst schon die Gelegenheit, mit Greenspan in Wanderschuhen über das Produktivitätswunder in Amerika zu debattieren? Abends treffen sich die Währungshüter der Welt zu einem Drink auf der Terrasse. Inkleinen Zirkeln wird dann offen über die Geheimnisse der Finanzwelt geplaudert. Nach zwei Tagen ist das Gipfeltreffen vorbei, die Notenbanker sprechen wieder in Rätseln und sind sounnahbar wie eh und je.
Alle lieben Alan
Von Torsten Riecke, Handelsblatt
Wenn Notenbanker und Ökonomen aus aller Welt dieses Mal zu ihrem jährlichen Treffen in Jackson Hole zusammenkommen, geht es nicht um die letzten Trends in der Geldpolitik. Vielmehr steht ein Mann im Mittelpunkt: Alan Greenspan.
US-Notenbank-Chef Alan Greenspan gibt sein Amt ab. Foto: dpa
NEW YORK. Der 79-jährige Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) gibt in dem kleinen Ferienort in den Rocky Mountains seine Abschiedsvorstellung. Ende Januar nächsten Jahres wird Greenspan seinen Posten als mächtigster Notenbanker der Welt nach mehr als 18 Jahren aufgeben. Folglich haben die Organisatoren in Jackson Hole ihr Treffen ganz unter das Motto: „Die Ära Greenspan – Lehren für die Zukunft“ gestellt.
Der schmale Mann mit den übergroßen Brillengläsern und den hellwachen Augen wird erhobenen Hauptes von der Bühne der internationalen Finanzpolitik abtreten. Die US-Wirtschaft scheint in guter Verfassung. Das Wachstum ist mit zuletzt 3,4 Prozent kräftig, die Kerninflation liegt unter zwei Prozent. Die Arbeitslosenquote ist mit fünf Prozent beneidenswert niedrig.
„Seine größte Leistung ist, dass er die geldpolitische Feinsteuerung wieder salonfähig gemacht hat“, sagt Jan Hatzius, Ökonom bei der New Yorker Investmentbank Goldman Sachs. Nachdem ein aktives Eingreifen der Notenbanker in den Konjunkturzyklus während der 70er- und 80er-Jahren verpönt gewesen sei, habe Greenspan der Welt die Vorzüge einer flexiblen und aktiven Geldpolitik vor Augen geführt. Beispiele dafür gibt es viele. Sei es sein beherztes Eingreifen nach dem „Schwarzen Montag“ an den Weltbörsen im Oktober 1987 oder während der Finanzkrisen in Asien und Russland zehn Jahre später. Auch nach dem Platzen der Internetblase und den Terroranschlägen 2001 hat der Fed-Chef jegliche Panik mit kräftigen Liquiditätsspritzen für die Wirtschaft im Keim erstickt.
Bis heute glauben deshalb viele Investoren, Greenspan werde ihnen im Notfall schon aus der Patsche helfen. Eine Sorglosigkeit, die nach Ansicht von Ökonomen immer wieder neue Ungleichgewichte in der US-Wirtschaft heraufbeschwört. So zieht Goldman-Ökonom Hatzius aus der Greenspan-Ära auch die Lehre, dass die Notenbanker Schieflagen auf den Finanzmärkten heute größere Aufmerksamkeit beimessen als früher. „Es ist immer noch eine offene Frage, ob Greenspan die riesige Spekulationsblase an den Aktienmärkten während des Internetbooms nicht frühzeitig hätte stoppen können“, sagt Hatzius. Die Antwort auf diese Frage ist höchst aktuell, weil auf dem Immobilienmarkt in den USA bereits die nächste Spekulationsblase zu platzen droht. Auch hier hat sich die Fed bislang an Greenspans Rat gehalten, abzuwarten und notfalls den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen.
„Die Notenbank ist in einem Dilemma“, sagt Martin Baily, Ökonom am renommierten Institute for International Economics in Washington. Hätte die Fed frühzeitig die Zinsen angehoben, wäre nicht nur der Boom bei den Immobilien, sondern auch das Wirtschaftswachstum gedämpft worden. „Greenspan musste viele solcher schwierigen Entscheidungen treffen und hat dabei fast immer richtig gelegen“, sagt Baily. Zu diesem Ergebnis kommt auch Alan Blinder, Wirtschaftsprofessor an der Universität Princeton (siehe Nachgefragt). Er wird in Jackson Hole eine Bilanz der Greenspan-Ära ziehen.
Bleibt die Frage nach dem inneren Kompass, mit dem Greenspan die größte Volkswirtschaft der Erde steuert. Was von außen oft als intuitive Bauchentscheidung aussieht, hat er selbst als bewusstes „Risikomanagement“ bezeichnet. Bevor der Notenbanker eine Entscheidung trifft, wägt er die Eintrittswahrscheinlichkeiten und Kosten wirtschaftlicher Entwicklungen ab. Als die USA vor zwei Jahren von Deflationsängsten geplagt wurden, hat der Fed-Chef massiv die Zinsen gesenkt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering war, dass es wirklich zu einem allgemeinen Preisverfall kommen würde – der mögliche wirtschaftliche Schaden wäre enorm gewesen. Ob diese Entscheidungslogik Greenspans Nachfolger hilft, ist zweifelhaft. Ist doch das „Risikomanagement“ nur so gut wie das Urteilsvermögen des Notenbankers. Für seine Zunft bleibt Greenspan deshalb ein „Magier des Geldes“.
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Brain-Storming in 2000 Meter Höhe
Jackson Hole ist ein beliebter Skiort in Wyoming, mitten in der Gebirgskette Rocky Mountains gelegen. Wo sich im Winter Skifahrer tummeln, trifft sich meist Ende August die Elite der internationalen Finanzwelt mit den Notenbankern an der Spitze. Organisiert wird das Treffen von der Federal Reserve in Kansas City. Da die Räumlichkeiten in dem kleinen Tagungshotel am Fuße der Teton Mountains begrenzt sind, ist das Gedränge um einen Platz riesengroß. Was für die Footballfans eine Karte für den Super-Bowl ist, ist für Zentralbanker und Ökonomen eine Einladung nach Jackson Hole.
Das liegt vor allem daran, dass man die Koryphäen der Finanzelite dort hautnah erleben kann. Der Morgen beginnt meist mit mehreren Vorträgen zu ausgewählten Themen. Fed-Chef Alan Greenspan wird seine letzte große Rede am Freitagmorgen halten. Nachmittags diskutieren die Teilnehmer dann die vorgetragenen Thesen bei Wanderungen oder Bootsfahrten. Wann hat man sonst schon die Gelegenheit, mit Greenspan in Wanderschuhen über das Produktivitätswunder in Amerika zu debattieren? Abends treffen sich die Währungshüter der Welt zu einem Drink auf der Terrasse. Inkleinen Zirkeln wird dann offen über die Geheimnisse der Finanzwelt geplaudert. Nach zwei Tagen ist das Gipfeltreffen vorbei, die Notenbanker sprechen wieder in Rätseln und sind sounnahbar wie eh und je.