04.11.2014 19:53
Was wird aus der Ostukraine?
"Eine Rückeroberung ist völlig unrealistisch"
Kiew mag die Abspaltung der Ostukraine nicht akzeptieren. Man werde sich die abtrünnigen Regionen zurückholen, sagt Außenminister Klimkin. Aus Sicht von Kyryl Savin, dem Büroleiter der Böll-Stiftung in Kiew, ist dies jedoch reines Wunschdenken.
n-tv.de: Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin hat erklärt, man wolle die Ostukraine zurückerobern. Steht nach dem Rückzug und dem Friedensplan eine erneute Invasion der ukrainischen Streitkräfte bevor?
Kyryl Savin.
Kyryl Savin: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist militärisch kaum möglich, dass ukrainische Streitkräfte jetzt erfolgreich in die Offensive gehen. Nur mit Mühe konnte man die Front halten, die wir jetzt haben. Daher ist eine solche Erklärung eher Populismus und Wunschdenken.
Also alles nur leere Drohungen?
Aus meiner Sicht ist eine Rückeroberung völlig unrealistisch. Die Regierung würde das gerne tun, aber sie kann es nicht. Diese kriegerische Rhetorik ist lediglich eine emotionale Reaktion auf die Wahlen in der Ostukraine und den Bruch der Minsker Vereinbarung. Darin hatte man sich geeinigt, dass die Gebiete unter ukrainischer Souveränität bleiben und kommunale und lokale Wahlen stattfinden. Aber die Separatisten haben eine andere Logik, sie haben eigene Wahlen durchgeführt. Dadurch ist die Minsker Vereinbarung nichts mehr wert.
Wieso kann Kiew gegen die Abspaltung des Ostens nichts ausrichten?
Die Waffen, die ukrainische Streitkräfte zur Verfügung haben, sind veraltet. Sie stammen noch aus Zeiten der Sowjetunion. Auf der Seite der Separatisten gibt es dagegen moderne russische Waffen, inklusive Raketenwerfern und Panzern. Bei der Bewaffnung ist die Ukraine unterlegen. Daher scheiterte Kiew beim letzten Mal und zog sich aus dem Osten zurück.
POLITIK§03.11.2014 08:58
Umstrittene Wahl in Ostukraine
Separatisten erklären sich zum Sieger
Könnte die Regierung in Kiew die Abspaltung nicht einfach akzeptieren?
Jedem Land auf der Welt würde es schwerfallen, wenn ein Teil des Territoriums abgespalten wird und die Regierung dies nicht mehr kontrolliert. Dahinter stecken viele Schicksale von Menschen, die in diesen Gebieten leben und teilweise geflüchtet sind. Bei ihnen stirbt allmählich die Hoffnung, zurückzukehren. Es wird immer offensichtlicher, dass wir so ein Szenario erleben wie in Transnistrien Anfang der 90er Jahre. Diese Gebiete werden unter russischem Protektorat quasi unabhängig.
Dass die ukrainische Regierung das jemals anerkennt, ist also ausgeschlossen?
Die Unabhängigkeit dieser Volksrepubliken und auch von der Krim wird von der Ukraine nicht anerkannt. Ich glaube, es wird lange dauern, bis die Ukrainer diese Abspaltung zumindest halbwegs faktisch anerkennen. Offiziell wahrscheinlich nie.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat deutliche Zweifel an der Wirkung der Sanktionen geäußert. Russland scheint sich davon nicht sonderlich beeindrucken zu lassen.
Ich würde auf keinen Fall raten, die Sanktionen zu mildern. Aus meiner Sicht wirken sie sehr wohl, erst recht seit der dritten und bisher letzten Stufe der Sanktionen. Man sieht zum Beispiel an den erfolgreichen Gas-Verhandlungen, dass Putin nicht auf Konfrontation aus ist und sich bewegt.
Macht eine Verschärfung der Sanktionen Sinn, wie das in einigen EU-Staaten diskutiert wird?
Mit ihren Wahlen haben die Separatisten die Minsker Vereinbarung gebrochen. Jetzt muss man abwarten, wie sich Russland positionieren wird. Wird es sich davon distanzieren oder die Wahl und damit auch die Republiken offiziell anerkennen?
Russland will die Wahl ja offenbar anerkennen. Aber selbst wenn die Sanktionen verschärft werden sollten: An der Abspaltung der Ostukraine würde das wohl auch nichts mehr ändern. Oder?
Nein, aber wir wissen: Die Republiken sind nicht selbständig, sie werden massiv von Russland unterstützt. Alles, was sie machen, ist mit Moskau abgestimmt. Wenn Moskau unter noch größerem wirtschaftlichen Druck stehen würde, könnten die Voraussetzungen für Verhandlungen mit der Ukraine wieder besser sein.
Sie haben also noch Hoffnung, dass beide Seiten, Kiew und die Separatisten, vielleicht doch noch einen Weg finden?
Ich glaube, das wird immer unwahrscheinlicher, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber auch wenn sich die Abspaltung vollzieht und es auf eine Zwei-Staaten-Lösung hinausläuft, müssen beide Seiten reden. Man muss klären, was aus den getrennten Familien wird, man bräuchte Grenzübergänge und in Luhansk muss die Stromversorgung sichergestellt werden. Das Stromkraftwerk befindet sich auf dem Territorium, das ukrainische Streitkräfte kontrollieren.