Europas bescheidene Aussichten

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Europas bescheidene Aussichten

 
04.01.02 05:27

Europas bescheidene Aussichten


Von Martin Wolf

Das Gemeinschaftsgeld bringt gemäßigtes Wachstum - ein durchschlagender Erfolg wird es nicht.

Seit Neujahr ist der Euro Wirklichkeit. Nun haben etwa 300 Millionen Menschen in zwölf europäischen Ländern eine Währung, gut 50 Jahre nach Beginn des europäischen Einigungsprozesses und drei Jahrzehnte, nachdem der damalige luxemburgische Ministerpräsident Pierre Werner die Wirtschafts- und Währungsunion vorgeschlagen hat.

Banknoten und Münzen sind nicht entscheidend für die Volkswirtschaft. Sie machen gerade mal sechs Prozent des breiten Geldmengenaggregats M 3 aus. Doch die Währungsunion ist nicht nur ein Wirtschaftsprojekt: Wer Geld drucken und prägen lässt, stellt nationale Identität und Staatsgewalt dar.


Wenn der Euro die Entstehung einer gemeinsamen Identität fördern soll, muss die Öffentlichkeit das neue Geld mit Wohlstand verbinden. Momentan leidet die Euro-Zone jedoch unter der lahmenden Weltwirtschaft und folgte den USA in die Talfahrt.


Wie konnte das geschehen? Ein Teil der Antwort ist, dass die US-Rezession globale Ursachen hat. Der wichtigste Faktor war der Anstieg des Ölpreises. Der wirkte sich auf die Euro-Zone wegen des schwachen Außenwerts der neuen Währung stärker aus als auf die USA.


Eine zweite Ursache war das Platzen der Spekulationsblase bei den Informationstechnologie-Aktien im Frühjahr 2000. Die EU-Kommission merkt dazu in ihrem Wirtschaftsbericht für das Jahr 2001 an, dass "die Entwicklungen an den Aktienmärkten traditionell als weniger wichtig für die wirtschaftliche Aktivität im Euro-Gebiet betrachtet wurden", dass aber die Bedeutung Kursentwicklung für die Konjunktur im Verlauf der vergangenen Jahre zugenommen hat.





Zentralbanker zu Unrecht in der Kritik


Der dritte Faktor war das geringere Wachstum des Welthandels. Die EU-Kommission schätzte es in 2001 wegen der Rezession in den USA auf gerade mal 0,9 Prozent. Die Frage bleibt jedoch, warum Europa nicht besser gegen die sich abkühlende Wirtschaft gerüstet war. In die Schusslinie gerät die Europäische Zentralbank (EZB). Kritiker werfen ihr vor, sich zu stark auf die Begrenzung der Inflation zu konzentrieren. Das ist falsch. Das Versprechen einer stabilen Währung ist nicht nur rechtlich, sondern auch politisch notwendig. Zudem lässt sich aus einer Analyse der EZB-Entscheidungen ersehen, dass die Notenbank ihr Mandat sehr pragmatisch wahrnimmt. Normalerweise hält sie sich an die "Taylor-Regel", nach der die Geldpolitik auf Abweichungen vom Inflationsziel und auf Divergenzen des Wachstums vom Trend reagiert.


Wie erwartet hat eine einheitliche Geldpolitik für den ganzen Euro-Bereich Probleme bereitet. Besonders betroffen waren die schnell wachsenden Volkswirtschaften am Rande der Zone. Der Taylor-Regel zufolge hätten die Zinsen in Portugal, Finnland, der Republik Irland und in den Niederlanden in den vergangenen zwei Jahren mindestens einen Prozentpunkt höher liegen sollen. Die daraus folgende Tendenz zu hoher Inflation in diesen Ländern war der unvermeidliche Preis für die Währungsunion. Dagegen steht das Ende des Wechselkursrisikos innerhalb der Euro-Zone.


Es wäre falsch, nur die Schwächen der Währungsunion zu bemerken. Es gibt auch wichtige Vorteile, besonders die geringere Inflation und die Konsolidierung der Staatshaushalte. Ein überzeugendes Anzeichen für die Veränderungen ist die Tatsache, dass Deutschlands Haushaltsdefizit von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wohl das höchste Defizit innerhalb der EU, auf jeden Fall aber innerhalb der Euro-Zone, sein wird.





USA werden Euroland hinter sich lassen


Und es gab nicht nur makroökonomische Veränderungen. Strukturell ist eine deutliche Verbesserung des Verhältnisses von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen zu bemerken. Verglichen mit der Zeit von 1974 bis 1989 ist die Beschäftigungsintensität des Wachstums gestiegen: Wachstum schafft heute mehr Arbeitsplätze. Zwischen 1996 und 2000 wurden in der Euro-Zone rund 7,6 Millionen neue Jobs geschaffen. Die Arbeitslosenquote sank in dieser Zeit von 11,5 Prozent auf 8,3 Prozent - das ist immer noch zu hoch, aber doch eine Verbesserung.


Welche Bilanz lässt sich also nach einem Jahrzehnt der Konvergenz und drei Jahren der Gemeinschaftswährung ziehen? Die Antwort: Die Währungsunion ist weder ein Riesenerfolg noch ein deutlicher Fehlschlag. Die Einführung des Euros ist zweifellos eine außerordentliche Leistung. Sie hat die europäische Wirtschaft aber nicht transformiert und nicht zu einem eigenständigen Wachstumspol gemacht. Der Euro bringt jedoch einige makroökonomische und strukturelle Verbesserungen mit sich. Man kann nicht generell sagen, dass es der Euro-Zone ohne den Euro besser ginge, auch wenn das für einige Mitgliedsländer zutreffen könnte.


Für welche weiteren Veränderungen könnte der Euro in Zukunft ein Katalysator sein? Man kann nur raten. Hier ein Versuch:


Auch wenn Skeptiker es erhoffen, wird die Euro-Zone nicht zusammenbrechen. Auch wenn Enthusiasten es sich wünschen, wird der Euro kein durchschlagender Erfolg. Wahrscheinlich ist ein gemäßigtes Wachstum und eine überhöhte Arbeitslosigkeit. Die jugendlicheren und innovativeren USA werden die Euro-Zone langfristig überholen. Die Ausgabe der Noten und Münzen wird die Schritte zu einem föderalen Europa dennoch beschleunigen - für Großbritannien stehen damit schwierige Entscheidungen an.

FTD
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