"Es ist nicht gerade die Bilanz eines Siegers"

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9745400lopi:

"Es ist nicht gerade die Bilanz eines Siegers"

 
06.01.02 12:38
"Es ist nicht gerade die Bilanz eines Siegers"

Kolumne zur Situation der deutschen Wirtschaft

Von Otto Graf Lambsdorff

Jedes ordentliche Unternehmen legt eine Jahresabschluss- und Eröffnungsbilanz vor. Ob der Kanzler sie für seine Regierung erstellt hat? Sicherlich ein Dokument, das er lieber in der verschlossenen Schreibtischschublade lässt:

Deutschland schrammt knapp an einer Rezession vorbei. Im letzten Jahr fiel das Wachstum auf 0,5 Prozent, im laufenden Jahr sind die Aussichten genauso bescheiden. Zur Erinnerung: 1998 wuchs die Wirtschaft um zwei Prozent. Innerhalb der EU ist Deutschland längst das schwächste Glied.

Grottenschlecht ist auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Im Jahresdurchschnitt 2002 dürften etwa sechs Millionen Menschen offen oder verdeckt arbeitslos sein. Die Beschäftigtenzahl wird voraussichtlich bei 38,7 Millionen Personen stagnieren. 1998 lag sie bei 37,5 Millionen Beschäftigten, allerdings waren 1,8 Millionen Arbeitnehmer, die geringfügig beschäftigt sind, noch nicht in der Statistik enthalten. Die Unternehmensinsolvenzen sind um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen und haben damit einen neuen Höchststand erreicht.

Die Lage des Haushalts ist trüb. Betrug das tatsächliche Staatsdefizit 1998 noch 2,2 Prozent, so werden für 2002 mindestens 2,3 Prozent, wenn nicht mehr, erwartet. Geplant war ein Defizit von 1,0 Prozent. Verzweifelt versucht die Bundesregierung, einen blauen Brief aus Brüssel abzuwenden. Nur 0,1 Prozentpunkt des Finanzierungssaldos erklären sich durch die Konjunktur, der überwiegende Teil ist verursacht durch die Verweigerung einer substanziellen Konsolidierung. Die Staatsquote, die die Bundesregierung senken wollte, steigt, und mit ihr die Abgabenquote.

Die Richtung der Politik stimmt nicht. Sie verschärft rezessive Tendenzen, statt sie zu mildern:

Die investiven Ausgaben des Bundes werden 2002 auf einen historischen Tiefstand von circa 25 Milliarden Euro fallen, 1998 lagen sie bei rund 30 Milliarden Euro.

Noch "eindrucksvoller" sind die Mehrbelastungen durch Steuern und Abgaben in diesem Jahr:

die Erhöhung der Ökosteuer einschließlich der damit verbundenen Mehrwertsteuer: rund 3,7 Milliarden Euro,
die Erhöhung der Tabaksteuer einschließlich der damit verbundenen Mehrwertsteuer: 0,6 Milliarden Euro,
die Erhöhung der Versicherungssteuer: 0,26 Milliarden Euro,
durch die "kalte Progression" bei der Einkommensteuer, das heißt das Hereinwachsen in höhere Progressionsstufen durch Lohnerhöhungen: 6,7 Milliarden Euro,
durch sonstige steuerliche Maßnahmen: rund 2,4 Milliarden Euro,
durch das Ergebnis des Vermittlungsausschusses vom 11.12.2001 zur Unternehmenssteuerreform für die Unternehmen: 0,6 Milliarden Euro.

Die steuerlichen Mehrbelastungen belaufen sich so auf rund 14 Milliarden Euro.

Die gesetzliche Krankenversicherung erhöht den Beitragssatz auf mindestens 14 Prozent, eine Mehrbelastung von circa 4,8 Milliarden Euro.

Die Rente wird bereits teilweise durch die Ökosteuer finanziert. Eine Erhöhung der Beiträge konnte nur durch die Reduzierung der Schwankungsreserve vermieden werden. Sonst hätten die Beitragszahler bei der Rentenversicherung noch einmal circa 2,6 Milliarden Euro lassen können.

Es gibt 2002 auch Entlastungen, so durch die Erhöhung des Kindergeldes und Steuerreformregelungen, die sich auf rund 4,1 Milliarden Euro belaufen.

Summa summarum belastet die Bundesregierung aber Bürger und Unternehmen im laufenden Jahr mit 14-15 Milliarden Euro (27-28 Milliarden Mark) zusätzlich - gerade, als ob wir in der kräftigsten Boomphase ständen, die Wirtschaft vor Kraft strotzte und die Unternehmen nicht tausende von Arbeitsplätzen abbauten.

Und die Reformen der Bundesregierung? Keine Aktiva?

Die Reform der Rentenversicherung wird keinen dauerhaften Bestand haben. Die Riester-Rente führt zu einem bürokratischen Moloch. Ihre Rendite wird die einer normalen Lebensversicherung nicht erreichen.

Die Lage der gesetzlichen Krankenversicherung ist desolat. Aus einem Überschuss zum Zeitpunkt des Regierungswechsels ist mittlerweile ein Defizit von rund 2,5 Milliarden Euro geworden. An eine grundlegende Strukturreform, die Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung stärken müsste, traut sich die Bundesregierung nicht.

Das Bündnis für Arbeit war und ist angesichts der Sieben- Prozent-Lohnforderung der IG-Metall eine Nullnummer. Ein weiteres Treffen vergeudet nur die Zeit der Teilnehmer.

Die Bundesregierung stranguliert den Arbeitsmarkt, zum Beispiel mit der Abschaffung des 630-Mark-Gesetzes über die geringfügige Beschäftigung (über dessen Wiedereinführung nun plötzlich einige Vernünftige aus Regierung und Koalition sprechen), dem Recht auf Teilzeit, der Bauabzugsteuer, der Verschärfung der Mitbestimmung und dem Tariftreuegesetz. Es wird ostdeutsche Betriebe zwingen, im Westen zu Westlöhnen anzubieten und nimmt ihnen daher jede Chance.

Die "moderne Wirtschaftspolitik" der Regierung Schröder hat keine ordnungspolitische Leitlinie. Sie ist unsystematisch, widersprüchlich, konzeptionslos, punktuell: Die Holzmann- Bürgschaft, die Green Card, der fehlende Wettbewerb im Ortsnetz beim Telefon, die Ökosteuer, die gerade die Energie-intensiven Branchen ausnimmt. Die weitere Liberalisierung des Welthandels ist offenbar für die Regierung der Exportnation Deutschland so unwichtig, dass noch nicht einmal der zuständige Wirtschaftsminister zur Eröffnung einer neuen Welthandelsrunde nach Doha reist. Die Liberalisierungsgewinne, die mit der Öffnung der Energiemärkte seit 1998 entstanden sind, wurden in nur drei Jahren verspielt.

Alles in allem wahrlich nicht die Bilanz eines strahlenden Siegers. Insbesondere im Wahljahr darf das Publikum - der Bürger - gespannt darauf warten, wo sie geschönt und wo sie frisiert wird.
hjw2:

Lambsi soll mal die Klappe halten, unter den

 
06.01.02 13:48
begnadeten FDP-Wirtschaftsministern war es auch nicht anders....
Nicht desto trotz..Schröder baut Scheisse...setzt erfolgreich die Stümperpolitik
Kohls fort..

Es lebe der Reformstau...
DarkKnight:

Die FDP hat die Zeitmaschine erfunden

 
06.01.02 14:24
Warum kommt mir das alles so bekannt vor? War das nicht schon mal alles da ... seit Mitte der 70er? Ein Hoch auf die FDP, die nach beinahe ununterbrochener Regierungsbeteiligung jetzt Mißstände feststellt. Unglaublich, diese Welle ...


Sonntag 6. Januar 2002, 14:14 Uhr

Westerwelle nennt Bedingungen für Regierungsbeteiligung

Stuttgart (Reuters) - FDP-Chef Guido Westerwelle hat auf dem Dreikönigstreffen seiner Partei Bedingungen für einen Eintritt der Liberalen in ein Regierungsbündnis nach der Bundestagswahl im Herbst gestellt. Westerwelle sagte am Sonntag in Stuttgart, er werde nur dann einen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn darin Steuersenkungen festgeschrieben würden. Außerdem machte er deutlich, dass seine Partei im Falle einer Regierungsbeteiligung das Bildungsressort beansprucht. Der FDP-Chef bekräftigte, dass er ohne Koalitionsaussage zu Gunsten einer der großen Parteien ins Wahljahr starten will. Angesichts der lahmenden Konjunktur warf Westerwelle der rot-grünen Bundesregierung völliges Versagen in der Wirtschaftspolitik vor.


Nötig sei nun, die Wirtschaft zu entlasten, um die Konjunktur anzukurbeln. Steuersenkungspolitik sei Voraussetzung für die FDP, in ein Regierungsbündnis einzutreten, sagte Westerwelle. "Regierungsbeteiligung ist kein Selbstzweck." Der FDP-Vorsitzende äußerte die Vermutung, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach der Bundestagswahl im Herbst eine Zusammenarbeit mit der PDS anstrebe, weil es für ein rot-grünes Bündnis keine Mehrheit mehr geben werde. Um eine rot-rote Koalition zu verhindern, sei eine starke FDP notwendig. Er verteidigte in diesem Zusammenhang das Ziel, bei den Wahlen ein Ergebnis von 18 Prozent der Stimmen zu erreichen. Nur mit einer starken FDP könne eine stabile Regierung gebildet werden. Als zentrale Wahlkampfthemen nannte Westerwelle Wirtschaft, Bildung und Mobilität.
NoTax:

...natürlich ist die Situation "Grottenschlecht",

 
06.01.02 14:38
die Grundlagen dafür wurden in den 16 Jahren davor geschaffen und das -gerade im Wirtschaftsbereich- unter maßgeblicher Beteiligung der FDP.
Trotzdem ist es richtig auch der derzeitigen Regierung ihr Versagen + Peinlichkeiten um die Ohren zuhauen. Vielleicht animiert sie das ja doch noch die bisherigen Versäumnisse in Wirtschaft , Bildung + Gesundheit zu Thematisieren + das im Wahlk(r)ampf glaubwürdig rüber zubringen.  
hjw2:

Historiker und Juristen taugen nicht fürs

 
06.01.02 14:39
Kanzleramt...*g*
flexo:

Ein Lahmer schlägt

 
06.01.02 14:41
auf Blinde, einer unserer (allerwertesten) Gestalter unserer Öffentlich Rechtlichen Republik
hjw2:

@flexo

 
06.01.02 14:45
deine Wortschöpfung "Reformstauindikator" für Arbeitslosenzahl
findet in meinem Umfeld allgemeinen Beifall...hahaha
flexo:

:-)

 
06.01.02 14:50
Das freut mich, vielleicht ist das Wort auch "SPIEGEL"-fähig, werde mal einen Mail hinsenden... ;-)
cap blaubär:

Allheilmittel IT hat leider letztesjahr gelitten

 
06.01.02 16:08
als Mittel gegen Personalabbau in der Oldeconomie,soweitsoschlecht anzukreiden hätt ich den Berlingewaltigen nur die UMTS/Telekom-Abzocke + die Versäumnisse im Aktienrechtsreform alles andere vom Lampengrafen iss verzäll wäre bei ihm mit nichten besser abgelaufen(Sachzwänge EU etc)
Ne Dienstrechtsreform etwa (Beamtentum eindämmen scheitert an der größten Bundestagsgruppe usw usw)das geht dann immer weiter und übrig bleibt was z.Z.läuft man mags beklagen aber ändern.....
blaubärgrüsse  
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