"Es ist nicht gerade die Bilanz eines Siegers"
Kolumne zur Situation der deutschen Wirtschaft
Von Otto Graf Lambsdorff
Jedes ordentliche Unternehmen legt eine Jahresabschluss- und Eröffnungsbilanz vor. Ob der Kanzler sie für seine Regierung erstellt hat? Sicherlich ein Dokument, das er lieber in der verschlossenen Schreibtischschublade lässt:
Deutschland schrammt knapp an einer Rezession vorbei. Im letzten Jahr fiel das Wachstum auf 0,5 Prozent, im laufenden Jahr sind die Aussichten genauso bescheiden. Zur Erinnerung: 1998 wuchs die Wirtschaft um zwei Prozent. Innerhalb der EU ist Deutschland längst das schwächste Glied.
Grottenschlecht ist auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Im Jahresdurchschnitt 2002 dürften etwa sechs Millionen Menschen offen oder verdeckt arbeitslos sein. Die Beschäftigtenzahl wird voraussichtlich bei 38,7 Millionen Personen stagnieren. 1998 lag sie bei 37,5 Millionen Beschäftigten, allerdings waren 1,8 Millionen Arbeitnehmer, die geringfügig beschäftigt sind, noch nicht in der Statistik enthalten. Die Unternehmensinsolvenzen sind um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen und haben damit einen neuen Höchststand erreicht.
Die Lage des Haushalts ist trüb. Betrug das tatsächliche Staatsdefizit 1998 noch 2,2 Prozent, so werden für 2002 mindestens 2,3 Prozent, wenn nicht mehr, erwartet. Geplant war ein Defizit von 1,0 Prozent. Verzweifelt versucht die Bundesregierung, einen blauen Brief aus Brüssel abzuwenden. Nur 0,1 Prozentpunkt des Finanzierungssaldos erklären sich durch die Konjunktur, der überwiegende Teil ist verursacht durch die Verweigerung einer substanziellen Konsolidierung. Die Staatsquote, die die Bundesregierung senken wollte, steigt, und mit ihr die Abgabenquote.
Die Richtung der Politik stimmt nicht. Sie verschärft rezessive Tendenzen, statt sie zu mildern:
Die investiven Ausgaben des Bundes werden 2002 auf einen historischen Tiefstand von circa 25 Milliarden Euro fallen, 1998 lagen sie bei rund 30 Milliarden Euro.
Noch "eindrucksvoller" sind die Mehrbelastungen durch Steuern und Abgaben in diesem Jahr:
die Erhöhung der Ökosteuer einschließlich der damit verbundenen Mehrwertsteuer: rund 3,7 Milliarden Euro,
die Erhöhung der Tabaksteuer einschließlich der damit verbundenen Mehrwertsteuer: 0,6 Milliarden Euro,
die Erhöhung der Versicherungssteuer: 0,26 Milliarden Euro,
durch die "kalte Progression" bei der Einkommensteuer, das heißt das Hereinwachsen in höhere Progressionsstufen durch Lohnerhöhungen: 6,7 Milliarden Euro,
durch sonstige steuerliche Maßnahmen: rund 2,4 Milliarden Euro,
durch das Ergebnis des Vermittlungsausschusses vom 11.12.2001 zur Unternehmenssteuerreform für die Unternehmen: 0,6 Milliarden Euro.
Die steuerlichen Mehrbelastungen belaufen sich so auf rund 14 Milliarden Euro.
Die gesetzliche Krankenversicherung erhöht den Beitragssatz auf mindestens 14 Prozent, eine Mehrbelastung von circa 4,8 Milliarden Euro.
Die Rente wird bereits teilweise durch die Ökosteuer finanziert. Eine Erhöhung der Beiträge konnte nur durch die Reduzierung der Schwankungsreserve vermieden werden. Sonst hätten die Beitragszahler bei der Rentenversicherung noch einmal circa 2,6 Milliarden Euro lassen können.
Es gibt 2002 auch Entlastungen, so durch die Erhöhung des Kindergeldes und Steuerreformregelungen, die sich auf rund 4,1 Milliarden Euro belaufen.
Summa summarum belastet die Bundesregierung aber Bürger und Unternehmen im laufenden Jahr mit 14-15 Milliarden Euro (27-28 Milliarden Mark) zusätzlich - gerade, als ob wir in der kräftigsten Boomphase ständen, die Wirtschaft vor Kraft strotzte und die Unternehmen nicht tausende von Arbeitsplätzen abbauten.
Und die Reformen der Bundesregierung? Keine Aktiva?
Die Reform der Rentenversicherung wird keinen dauerhaften Bestand haben. Die Riester-Rente führt zu einem bürokratischen Moloch. Ihre Rendite wird die einer normalen Lebensversicherung nicht erreichen.
Die Lage der gesetzlichen Krankenversicherung ist desolat. Aus einem Überschuss zum Zeitpunkt des Regierungswechsels ist mittlerweile ein Defizit von rund 2,5 Milliarden Euro geworden. An eine grundlegende Strukturreform, die Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung stärken müsste, traut sich die Bundesregierung nicht.
Das Bündnis für Arbeit war und ist angesichts der Sieben- Prozent-Lohnforderung der IG-Metall eine Nullnummer. Ein weiteres Treffen vergeudet nur die Zeit der Teilnehmer.
Die Bundesregierung stranguliert den Arbeitsmarkt, zum Beispiel mit der Abschaffung des 630-Mark-Gesetzes über die geringfügige Beschäftigung (über dessen Wiedereinführung nun plötzlich einige Vernünftige aus Regierung und Koalition sprechen), dem Recht auf Teilzeit, der Bauabzugsteuer, der Verschärfung der Mitbestimmung und dem Tariftreuegesetz. Es wird ostdeutsche Betriebe zwingen, im Westen zu Westlöhnen anzubieten und nimmt ihnen daher jede Chance.
Die "moderne Wirtschaftspolitik" der Regierung Schröder hat keine ordnungspolitische Leitlinie. Sie ist unsystematisch, widersprüchlich, konzeptionslos, punktuell: Die Holzmann- Bürgschaft, die Green Card, der fehlende Wettbewerb im Ortsnetz beim Telefon, die Ökosteuer, die gerade die Energie-intensiven Branchen ausnimmt. Die weitere Liberalisierung des Welthandels ist offenbar für die Regierung der Exportnation Deutschland so unwichtig, dass noch nicht einmal der zuständige Wirtschaftsminister zur Eröffnung einer neuen Welthandelsrunde nach Doha reist. Die Liberalisierungsgewinne, die mit der Öffnung der Energiemärkte seit 1998 entstanden sind, wurden in nur drei Jahren verspielt.
Alles in allem wahrlich nicht die Bilanz eines strahlenden Siegers. Insbesondere im Wahljahr darf das Publikum - der Bürger - gespannt darauf warten, wo sie geschönt und wo sie frisiert wird.
Kolumne zur Situation der deutschen Wirtschaft
Von Otto Graf Lambsdorff
Jedes ordentliche Unternehmen legt eine Jahresabschluss- und Eröffnungsbilanz vor. Ob der Kanzler sie für seine Regierung erstellt hat? Sicherlich ein Dokument, das er lieber in der verschlossenen Schreibtischschublade lässt:
Deutschland schrammt knapp an einer Rezession vorbei. Im letzten Jahr fiel das Wachstum auf 0,5 Prozent, im laufenden Jahr sind die Aussichten genauso bescheiden. Zur Erinnerung: 1998 wuchs die Wirtschaft um zwei Prozent. Innerhalb der EU ist Deutschland längst das schwächste Glied.
Grottenschlecht ist auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Im Jahresdurchschnitt 2002 dürften etwa sechs Millionen Menschen offen oder verdeckt arbeitslos sein. Die Beschäftigtenzahl wird voraussichtlich bei 38,7 Millionen Personen stagnieren. 1998 lag sie bei 37,5 Millionen Beschäftigten, allerdings waren 1,8 Millionen Arbeitnehmer, die geringfügig beschäftigt sind, noch nicht in der Statistik enthalten. Die Unternehmensinsolvenzen sind um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen und haben damit einen neuen Höchststand erreicht.
Die Lage des Haushalts ist trüb. Betrug das tatsächliche Staatsdefizit 1998 noch 2,2 Prozent, so werden für 2002 mindestens 2,3 Prozent, wenn nicht mehr, erwartet. Geplant war ein Defizit von 1,0 Prozent. Verzweifelt versucht die Bundesregierung, einen blauen Brief aus Brüssel abzuwenden. Nur 0,1 Prozentpunkt des Finanzierungssaldos erklären sich durch die Konjunktur, der überwiegende Teil ist verursacht durch die Verweigerung einer substanziellen Konsolidierung. Die Staatsquote, die die Bundesregierung senken wollte, steigt, und mit ihr die Abgabenquote.
Die Richtung der Politik stimmt nicht. Sie verschärft rezessive Tendenzen, statt sie zu mildern:
Die investiven Ausgaben des Bundes werden 2002 auf einen historischen Tiefstand von circa 25 Milliarden Euro fallen, 1998 lagen sie bei rund 30 Milliarden Euro.
Noch "eindrucksvoller" sind die Mehrbelastungen durch Steuern und Abgaben in diesem Jahr:
die Erhöhung der Ökosteuer einschließlich der damit verbundenen Mehrwertsteuer: rund 3,7 Milliarden Euro,
die Erhöhung der Tabaksteuer einschließlich der damit verbundenen Mehrwertsteuer: 0,6 Milliarden Euro,
die Erhöhung der Versicherungssteuer: 0,26 Milliarden Euro,
durch die "kalte Progression" bei der Einkommensteuer, das heißt das Hereinwachsen in höhere Progressionsstufen durch Lohnerhöhungen: 6,7 Milliarden Euro,
durch sonstige steuerliche Maßnahmen: rund 2,4 Milliarden Euro,
durch das Ergebnis des Vermittlungsausschusses vom 11.12.2001 zur Unternehmenssteuerreform für die Unternehmen: 0,6 Milliarden Euro.
Die steuerlichen Mehrbelastungen belaufen sich so auf rund 14 Milliarden Euro.
Die gesetzliche Krankenversicherung erhöht den Beitragssatz auf mindestens 14 Prozent, eine Mehrbelastung von circa 4,8 Milliarden Euro.
Die Rente wird bereits teilweise durch die Ökosteuer finanziert. Eine Erhöhung der Beiträge konnte nur durch die Reduzierung der Schwankungsreserve vermieden werden. Sonst hätten die Beitragszahler bei der Rentenversicherung noch einmal circa 2,6 Milliarden Euro lassen können.
Es gibt 2002 auch Entlastungen, so durch die Erhöhung des Kindergeldes und Steuerreformregelungen, die sich auf rund 4,1 Milliarden Euro belaufen.
Summa summarum belastet die Bundesregierung aber Bürger und Unternehmen im laufenden Jahr mit 14-15 Milliarden Euro (27-28 Milliarden Mark) zusätzlich - gerade, als ob wir in der kräftigsten Boomphase ständen, die Wirtschaft vor Kraft strotzte und die Unternehmen nicht tausende von Arbeitsplätzen abbauten.
Und die Reformen der Bundesregierung? Keine Aktiva?
Die Reform der Rentenversicherung wird keinen dauerhaften Bestand haben. Die Riester-Rente führt zu einem bürokratischen Moloch. Ihre Rendite wird die einer normalen Lebensversicherung nicht erreichen.
Die Lage der gesetzlichen Krankenversicherung ist desolat. Aus einem Überschuss zum Zeitpunkt des Regierungswechsels ist mittlerweile ein Defizit von rund 2,5 Milliarden Euro geworden. An eine grundlegende Strukturreform, die Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung stärken müsste, traut sich die Bundesregierung nicht.
Das Bündnis für Arbeit war und ist angesichts der Sieben- Prozent-Lohnforderung der IG-Metall eine Nullnummer. Ein weiteres Treffen vergeudet nur die Zeit der Teilnehmer.
Die Bundesregierung stranguliert den Arbeitsmarkt, zum Beispiel mit der Abschaffung des 630-Mark-Gesetzes über die geringfügige Beschäftigung (über dessen Wiedereinführung nun plötzlich einige Vernünftige aus Regierung und Koalition sprechen), dem Recht auf Teilzeit, der Bauabzugsteuer, der Verschärfung der Mitbestimmung und dem Tariftreuegesetz. Es wird ostdeutsche Betriebe zwingen, im Westen zu Westlöhnen anzubieten und nimmt ihnen daher jede Chance.
Die "moderne Wirtschaftspolitik" der Regierung Schröder hat keine ordnungspolitische Leitlinie. Sie ist unsystematisch, widersprüchlich, konzeptionslos, punktuell: Die Holzmann- Bürgschaft, die Green Card, der fehlende Wettbewerb im Ortsnetz beim Telefon, die Ökosteuer, die gerade die Energie-intensiven Branchen ausnimmt. Die weitere Liberalisierung des Welthandels ist offenbar für die Regierung der Exportnation Deutschland so unwichtig, dass noch nicht einmal der zuständige Wirtschaftsminister zur Eröffnung einer neuen Welthandelsrunde nach Doha reist. Die Liberalisierungsgewinne, die mit der Öffnung der Energiemärkte seit 1998 entstanden sind, wurden in nur drei Jahren verspielt.
Alles in allem wahrlich nicht die Bilanz eines strahlenden Siegers. Insbesondere im Wahljahr darf das Publikum - der Bürger - gespannt darauf warten, wo sie geschönt und wo sie frisiert wird.