E R M I S C H T E S
„Vielleicht bringe ich mich um“
Kollegen nennen ihn einen Lügner, ein mieses Schwein. Lehrer Heise, der „Held von Erfurt“, gibt sich verzweifelt. FOCUS zufolge hat auch die Polizei „größte Skepsis“ gegenüber Reiner Heises Version der Geschehnisse. Die Widersprüche zwischen dem tatsächlichen Geschehen und den Aussagen des Lehrers seien bis jetzt nicht geklärt. Ein Fahnder sagte FOCUS, die Abläufe „sind uns völlig unklar“.
Heise sagte FOCUS, er wolle auf keinen Fall das von Innenminister Otto Schily (SPD) ins Gespräch gebrachte Bundesverdienstkreuz annehmen. Heise: „Das wäre ein Totenorden.“ Heise berichtete, er werde von Kollegen inzwischen als „Lügner“ und „mieses Schwein“ beschimpft, das sich im Blut seiner Kollegen suhle. „Vielleicht hole ich als nächstes eine Knarre und bringe mich um. Das meine ich nicht pathetisch“, sagte Heise.
Wie FOCUS weiter berichtet, war Steinhäuser offenbar gezielt auf der Suche nach der Direktorin Christiane Alt. Noch bevor sich der Attentäter in der Schultoilette maskierte, habe er den Hausmeister der Schule, Uwe Pfotenhauer, gefragt: „Herr Pfotenhauer, wissen Sie, ob Frau Alt im Haus ist?“ Der Hausmeister habe die Frage bejaht, jedoch eingeschränkt: „Aber für dich wird die Direktorin heute nicht zu sprechen sein.“ Steinhäuser sagte daraufhin: „Das werden wir sehen“ und ging in die Toilette, Von dort wandte er sich in Richtung Direktorat.
Ein Lehrer und viele Fragen
Heise hatte sich nach eigenen Angaben dem 19-jährigen Täter in den Weg gestellt, ihn eingesperrt und soll so das Massaker, dem 16 Menschen zum Opfer fielen, beendet haben. Doch nun bestätigte auch Erfurts Oberbürgermeister Manfred Ruge am Sonntag: „Er wird angefeindet.“
„Manchmal denke ich, er hätte auch ein leiserer Held sein können“, sagte die Rektorin des Gymnasiums vor einigen Tagen der „Süddeutschen Zeitung“.
„Bei der Rekonstruktion des Tatverlaufs würden Widersprüche deutlich“, sagte der Erfurter Polizeichef Rainer Grube der „Welt am Sonntag“. Nach Angaben eines Erfurter Polizeisprechers steht jedoch fest, der tote Täter wurde in einem verschlossen Zimmer gefunden. Den Schlüssel hatte Heise.
„Drück ab!“
Der Kunst- und Geschichtslehrer hatte berichtet, er habe sich dem bewaffneten Robert Steinhäuser in den Weg gestellt und zu ihm gesagt: „Drück ab! Wenn Du mich jetzt erschießt, dann guck mir in die Augen.“ Da habe der ehemalige Schüler die Pistole heruntergenommen und geantwortet: „Für heute reicht es, Herr Heise!“ Danach habe er den jungen Mann in einem Zimmer eingesperrt, wo er sich erschoss. Elternvertreter Harald Dörig beschrieb den Lehrer am Sonntag als beherzten und sehr engagierten Pädagogen. „Ich glaube ihm.“ Er und alle andere Lehrer hätten sich „heldenhaft verhalten“.
Die „Welt am Sonntag“ warf unter anderem die Frage auf, warum sich Heise nicht sofort eingeschlossen habe, als er den Maskierten durch den Türspalt sah, und warum er nicht die von dem Täter abgelegte Pistole an sich genommen habe. Er habe eine „Aversion gegen Waffen“, wehrte sich Heise, außerdem hätten die Polizisten ihn für den Attentäter halten können. Er wisse nicht, warum er Steinhäuser aufgefordert habe, die Waffe wieder an sich zu nehmen. „Fragen Sie mich das noch mal, wenn ich im Jenseits bin und und das zweite Gesicht habe.“
„Weiß nicht, wie ich weiter leben soll“
Oberbürgermeister Ruge erklärte sich die Anfeindungen mit der sehr nach außen gekehrten Art des Lehrers. „Er ist halt so, wie er ist.“
Heise berichtete, nach dem Massaker vom 26. April sei für ihn der Alltag zur Hölle geworden. „Wie ich weiterleben soll, weiß ich nicht. Mir wird zu übel mitgespielt“, sagte Heise der Zeitung. Zeige er sich in der Öffentlichkeit, werde er bespuckt. Beim Gang zum Bäcker beschimpfe man ihn. Telefonisch sei ihm dreimal mit dem Tod gedroht worden. „Ich bin auf der Flucht“, sagte Heise.
04.05.02, 16:30 Uhr
Quelle:
www.focus.de/G/GN/gn.htm?snr=105169&streamsnr=9&q=1