Die Börsenstimmung ist besser als die Lage

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Die Börsenstimmung ist besser als die Lage

 
22.10.01 21:21
Der schwache ifo-Index setzt den Euro unter Druck – Deutscher Aktienmarkt reagiert relativ gelassen auf die schlechten Konjunkturdaten

Die Börsenstimmung ist besser als die Lage

Verstärkte Konjunktursorgen in Europa und die Entwicklung in Afghanistan werden in dieser Woche den Takt an den Finanzmärkten vorgeben. Für die Aktienbörsen erwarten Experten eine weitere Konsolidierung. Zugleich wachsen die Hoffnungen auf eine Zinssenkung der EZB noch in dieser Woche.

CHRISTIAN POTTHOFF
HANDELSBLATT, 22.10.2001

FRANKFURT/M. Der ausgesprochen schlechte Ifo-Geschäftsklima-Index verleiht der Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag Brisanz. Eigentlich hatten viele Volkswirte eine Lockerung der Geldpolitik erst im November erwartet. Doch nach den schwachen Ifo-Zahlen vom Freitag könnte sich die EZB nach Ansicht von Beobachtern genötigt sehen, auf der nächsten Ratssitzung am kommenden Donnerstag mit einer Zinssenkung einer drohenden Rezession frühzeitig entgegenzuwirken.

Immerhin ist der Ifo-Geschäftsklima-Index, eines der wichtigsten Konjunkturbarometer der Eurozone, auf den tiefsten Stand seit acht Jahren gefallen. „Das ist das erste Anzeichen, dass eine Rezession in Europa nicht mehr ausgeschlossen ist“, warnt Richard Zellmann, Aktienstratege bei Helaba-Trust. Die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung am Donnerstag sei nunmehr auf rund 50 % gestiegen, urteilt Elga Bartsch von Morgan Stanley. Dagegen weist Goldman Sachs darauf hin, dass die EZB-Sitzung diesmal als Telefonkonferenz abgehalten werde, was die Chancen eines sofortigen Zinsschritts mindere. Generell sind aber fast alle Volkswirte überzeugt, dass die EZB spätestens im November zur Tat schreiten werde. Die pessimistischen Prognosen des Herbstgutachtens der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute, die am Wochenende durchsickerten, dürften den Druck auf die EZB weiter erhöhen. Der Euro musste den verstärkten Konjunktursorgen bereits Tribut zollen. In New York rutschte die Gemeinschaftswährung am Freitag Abend unter die Marke von 0,90 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit dem 11. September.

Relativ gelassen steckte dagegen der deutsche Aktienmarkt die Ifo-Zahlen weg. Der Dax verlor am Freitag lediglich 1,3 %. Diese robuste Reaktion bestärkt Optimisten in ihrer Hoffnung, dass das Schlimmste am Aktienmarkt vorbei ist. „Viele schlechte Nachrichten sind schon in den Kursen eingepreist, sonst wäre der Dax viel weiter runter gekommen“, meint etwa Jörg Bungeroth, Analyst der DZ-Bank. Auch eine zweite Hiobsbotschaft der vergangenen Woche, die Gewinnwarnung der Softwareschmiede SAP, konnte die deutsche Börse nicht mehr schocken. Zwar stürzte die SAP-Aktie selbst um rund 12 % ab, aber die Auswirkungen auf den Gesamtmarkt hielten sich in Grenzen. Von Angstverkäufen auf breiter Front, wie man sie nach der Gewinnwarnung eines deutschen Vorzeige-Unternehmens noch vor einigen Wochen hätte erwarten können, war jedenfalls nichts zu spüren.

Trotz dieser ermutigenden Signale und des etwas festeren Wochenausklangs an der Wall Street rechnen Fachleute in den nächsten Tagen mit einer Fortsetzung der Konsolidierung am Aktienmarkt. Zwar hat der Dax in der vergangenen Woche bereits ein wenig nachgegeben, nachdem er zuvor die Verluste in Folge der Terroranschläge in Windeseile aufgeholt hatte. Aber nach Ansicht der DZ-Bank ist die Stimmung derzeit besser als die Lage. Überzeugende fundamentale Gründe für die überraschend starke Kurserholung seien jedenfalls schwer zu erkennen. Dadurch werde möglicherweise „Enttäuschungspotenzial“ aufgebaut, dass sich in einer erneuten Korrektur entladen könnte. Auch Carsten Klude von M.M. Warburg weist darauf hin, dass die Erholung vor allem technisch bedingt gewesen sei. Übersehen werde, dass die Attentate die realwirtschaftliche Lage verschlechtert hätten. Nach Ansicht von Helaba-Stratege Zellmann spricht auch die Markttechnik für eine Fortsetzung der Konsolidierung. Große Börsenbarometer seien zuletzt bei ihren Versuchen gescheitert, wichtige charttechnischen Marke zu überwinden So habe beispielsweise der Euro-Stoxx-50 die Widerstandsmarke von 3 600 Zählern nicht durchbrechen können.

Neben der EZB-Sitzung stehen in dieser Woche vor allem Firmenzahlen auf den Radarschirmen der Analysten. In Deutschland legen mit Daimler Chrysler (Dienstag) und der Hypo-Vereinsbank (Donnerstag) Quartalsberichte vor. Die Technologiewerte könnten von den Zahlen von Ericsson (Freitag) beeinflusst werden. Die jüngsten Firmenberichte in Europa fielen durchwachsen aus. Nach dem Schock bei SAP konnte Nokia am Freitag immerhin seine zuvor gesenkte Prognose erfüllen.

In der Berichtssaison in den USA überwiegen bisher eher die positiven Überraschungen. Nach Berechnungen von Helaba Trust wurden die Konsensschätzungen um rund 7 % übertroffen. In den vergangenen fünf Quartalen hätten die Zahlen dagegen jeweils nur die Erwartungen erfüllt oder sogar verfehlt. Ob die freundliche Tendenz anhält, wird sich in dieser Woche zeigen, wenn 160 Firmen aus dem S& P 500-Index ihre Quartalszahlen veröffentlichen.

An den Anleihenmärkte klettern die Kurse derzeit wegen der wachsenden Rezessionsängste und den neuen Milzbrandinfektionen. Die Renditen der als „sichere Häfen“ empfundenen Staatsanleihen nähern sich damit wieder ihren Jahrestiefs. An der Terminbörse Eurex tastete sich der Markt beherrschende Bund-Future am Freitag bis auf vier Ticks an sein Jahreshoch aus dem März (110,39 %), bevor er im späten Handel etwas nachgab. Nach Einschätzung von HSBC Trinkaus & Burkhardt dürfte der Bund seine Aufwärtsbewegung in dieser Woche allerdings fortsetzen.
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