Die Diskussion darüber, was den klassischen VoWis fehlt, hatten wir ja schon kürzlich hier: #48231
Wirklich ermutigend zu sehen, wie sich in einem Ausnahmetalent wie Shiller ein neuer Typus zeigt. Leute wie er dürften aber noch eine Zeitlang ziemlich exklusiv bleiben, weil die alten VoWis das nicht mehr lernen können, sondern erst mal aussterben müssen. So funktioniert Evolution nun mal... ;-)
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Und Sie haben eine sehr feindliche Sicht auf Ihre Kollegen.
Na ja, ich spekuliere nur. Vielleicht fühlen sich einige jetzt angegriffen. Aber trotzdem: Ich vermute, dass die Entscheidungen vieler Ökonomen verzerrt waren durch Wunschdenken.
Das kann doch nicht alles sein!
Nein. Ein Teil ist auch Physikneid. Menschen, die Ökonomen werden, neigen dazu, sich zu wünschen, sie wären Naturwissenschaftler. Sie wollen keine Psychologen sein oder Soziologen. Diese Wissenschaften finden sie weichlich. Hingegen bewundern sie die Physiker und versuchen, die Welt auf diese Art neu zu gestalten. Deshalb gibt es so viel Mathematik in der Ökonomie. Außerdem mögen Ökonomen keine Menschen. Deshalb mögen sie es auch nicht, wenn man sagt, dass die Wirtschaft von Menschen angetrieben wird. Es sind Informationen, die die Welt bewegen, behaupten sie – und es gibt diese riesige Verarbeitungsmaschine, den Markt, der die Informationen zusammenbringt.
Was hat das mit der Krise zu tun?
Diese Krise war ein menschliches Ereignis. Viele Menschen waren aufgeregt, es waren Gefühle im Spiel – und Gefühle gibt es in der Ökonomie so gut wie nicht. Wir waren aus dem Häuschen wegen des Aktienmarkts, des Immobilienmarkts, wegen neuer Chancen. Das änderte unser Denken. Man konnte sehen, dass das passiert, aber man konnte es nicht in Zahlen messen. Das war das Problem.
Warum ist das ein Problem?
Man kann nicht einfach ins Ökonomieseminar gehen und sagen: Ich glaube, wir haben eine große Blase auf dem Aktienmarkt, weil die Menschen verrückt nach Aktien sind. Das ist zu unpräzise. Die Experten haben statistische Modelle und Computer – und die Modelle zeigten eben, dass nichts falsch lief.
Kann man Blasen vielleicht gar nicht messen?
Doch, es gibt etwa Leute, die das Vertrauen im Markt zu messen versuchen, indem sie die Menschen befragen. Aber viele Ökonomen schauen herab auf solche Methoden. Es sind ja nur Umfragen, keine harten Fakten wie etwa Preise.
Harte Fakten erklären die Krise nicht?
Nicht allein, man braucht zusätzlich die Psychologie. Ein deutscher Psychologe hat vor vielen Jahren den Begriff der Einfühlung erfunden. Er bedeutet, dass mehrere Menschen das Gleiche fühlen. Das ist das, was in einer Blase passiert. Ein paar Menschen sind euphorisch, und auf einmal werden es ganz viele. Sie fühlen das Gleiche und handeln gleich – und diese Gefühle können sich über die ganze Welt verteilen. Das erklärt Teile der Makroökonomie.
Sind die Ökonomen nach dieser Krise bereit, solche Überlegungen in ihre Modelle zu integrieren?
Der Beruf des Ökonomen ist dabei, sich zu verändern. Verhaltensökonomie wird immer wichtiger …
… das Feld, das auch Ihr Spezialgebiet ist.
Ja, es ist immer noch eine Minderheit, die sich mit dem tatsächlichen Verhalten der Menschen beschäftigt, aber diese Minderheit wird bedeutender.
Die meisten Verhaltensökonomen haben diese Krise aber auch nicht vorhergesehen.
Das ist richtig. Das liegt daran, dass es kaum Verhaltensökonomen gibt, die sich mit der ganzen Volkswirtschaft beschäftigen, mit der Makroökonomie. Seit 15 Jahren gebe ich Workshops über Verhaltensökonomie für Makroökonomen, aber es kommen dorthin nur Leute, die höchstens mal ein einzelnes Paper darüber geschrieben haben. Sie begeistern sich nicht wirklich für das Thema.
Warum ist das so?
Das Problem mit der Makroökonomie ist, dass es nicht genug Daten gibt, um irgendetwas zu beweisen. Also haben diese Leute Modelle entwickelt, die für sie richtig aussehen, die aber keine psychologischen Elemente enthalten. Sie denken, sie haben das richtige Modell. Und man kann nicht beweisen, dass sie falsch liegen, zumindest nicht mittels statistischer Methoden. Denn sie haben ihre Modelle so weit angepasst, dass sie zu den Daten passen.
Blasen kommen darin nicht vor?
Nein, das Thema Aktienmarktblase in einem Ökonomiekurs anzusprechen ist ähnlich verrückt, wie in einem Astronomiekurs mit Astrologie anzufangen. Die anderen werden Sie erstaunt ansehen und denken: Wie ist die hier reingekommen!
Na und?
Dieser Gruppendruck wirkt. Menschen in Expertengruppen sorgen sich ständig um ihre persönliche Bedeutung und ihren Einfluss. Sie haben den Eindruck, wenn sie zu weit vom Konsens abrücken, werden sie in keine ernsthafte Position gelangen. Das gilt auch für Ökonomen.
Und für Sie nicht?
Ich habe immer eine zynische Sicht auf die Welt gehabt. Schon mein Sonntagsschullehrer beschwerte sich bei meinen Eltern, ich hätte ein schlechtes Benehmen. Ich dachte einfach, dass mein Sonntagsschullehrer keine Ahnung hätte. Das war meine Haltung, und so bin ich immer noch. Ich habe nie richtig dazugehört.