Wäre nett, Wissen ist ja bekanntlich Macht!
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Von Peter Richter
05. Oktober 2008 Washington hat nun also doch noch die Erlaubnis, die Welt zu retten, und vielleicht wird jetzt alles wieder gut. Aber trotzdem: die vom Wirtschaftsteil können mich allmählich mal. Der Stapel mit den Zeitungsausschnitten war bis zur Sofalehne hoch gewachsen: „Geld anlegen, aber hoppla!“, „Rendite, aber richtig!“ und: „Kampf dem deutschen Vorsorgemuffel!“ Immer mit Ausrufezeichen. Immer Alarm. Und wer keine Aktien im Depot hat, der hat auch nicht alle Tassen im Schrank.
Zuletzt hieß es dann aber, noch mehr Tassen fehlten denen, die jetzt immer noch Aktien haben - und auf das Geld innerhalb der nächsten fünfzig Jahre angewiesen sind. Das Geld, um das es geht, darf einem nicht wichtig sein, man muss sich leisten können, darauf zu verzichten. Da habe ich den ganzen Haufen dann endlich mal weggeschmissen. Das Resultat war ein Gefühl tiefer Erleichterung.
Das Geld will weg, von Anfang an
Den Inhalt kann ich inzwischen auch aus dem Stegreif zusammenfassen: Wer für sein Geld Sicherheit will, ist ein Trottel, denn er wird es, schon durch die Inflation, langsam, aber sicher verlieren. Wer sich auf Risiken einlässt und sein Geld verliert, hat Pech. Wer sich darüber beschwert, ist wiederum ein Trottel, denn er hat das System nicht verstanden. Wer sich über das System beschwert, muss sogar aufpassen, dass er - neueste Diskursmode: Links ist das neue Rechts! - nicht in eine Ecke gestellt wird, in die er nie wollte. Wer annimmt, dass das Geld, das er sich durch harte Arbeit redlich verdient zu haben glaubt, nun endlich und für immer ihm gehört, hängt gefährlichen Gedanken an und hat noch nicht begriffen, dass die Haupteigenschaft des Geldes nun einmal darin besteht, weg zu sein, und zwar von Anfang an.
Ich persönlich darf für mich sagen: Ich habe das begriffen. Ich gehörte nicht zu denen, die in den Sparkassen Nord- und Ostdeutschlands in Panik auf die Geldautomaten eingeschlagen haben, nur weil dort diesen Donnerstagmorgen ein paar Stunden lang mal nichts rauskam. Ich zähle auch nicht zu den Rentnern, die ihre Konten leer räumen und als Bargeld in den Strumpf stopfen, und ich fang' jetzt erst recht nicht an, Goldbarren mit mir herumzuschleppen (ich verachte Hip-Hop). Aber eins ist ganz klar: Die Finanzkrise hat Deutschland erreicht. Alle drehen komplett durch. Und mein Gefühl dabei ist Ohnmacht, also tiefe Ruhe. Selten war ich so froh, dass ich kein Vermögen habe: Dann kann ich es jetzt auch nicht verlieren. Am besten schützt man Geld nämlich vor der Inflation, indem man es vorher ausgibt - nicht wahr, liebe Wirtschaftsfachleute? Ich bin der Krise inzwischen richtig dankbar: Sie setzt einen ganzen Lebensstil ins Recht.
Vorsorge dich nicht, lebe!
Bis vor kurzem gab es Menschen, die mich dafür tadelten und zur Vorsorge ermahnten. Nun ist Vorsorge aber gerade unter Männern ein heikles Wort. Es verweist einen entweder an den Vermögensberater oder zum Urologen, und in dem einen wie dem anderen Fall beschreibt es den tastenden Erstkontakt mit dem Tode. Auf jeden Fall weiß man, dass man sich nicht mehr als jung zu betrachten braucht, sobald es zum ersten Mal fällt. Es war ein befremdender Moment, als mich einer, den ich für einen Ausbund von Jugend und Unvernunft gehalten hatte, bei einer Party beiseitenahm, um ein paar ernste Worte über „Alterssicherung“ zu reden: „Sagt nicht Heidegger, die Vorsorge ist ein Existential des Daseins?“, fragte er, denn er dachte: Der ist vom Feuilleton, dem muss man so kommen. Und ich antwortete: „Sagt hingegen nicht Dale Carnegie: ,Vorsorge dich nicht, lebe!'?“
Ich bin dann auch einmal zu einem Vermögensberater gegangen, war aber voller Zweifel: Schon dass ich hingehen musste, dass er es nicht nötig hatte, zu mir zu kommen: Gutes Zeichen? Oder schlechter Service? Kein Marmorbüro am Ku'damm, sondern Einliegerbüro im Vorstadteigenheim: Sprach das für oder gegen seine Seriosität? Und war Seriosität überhaupt das, was man in diesem Fall wollen sollte - oder einen SLK-Fahrer mit Falco-Frisur? Fragen über Fragen. Keine davon konnte Herr B. beantworten. Er trug ein derart stark gemustertes Hemd, dass ich ihn nicht anschauen mochte. Auf dem Schreibtisch standen Bilder der vielköpfigen Familie, für die er SORGTE. Die Mineralwassermarke zeigte an, dass er SPARTE. Ein Risikoprofil wurde erstellt. „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“ („Da, wo man Leute, die so etwas fragen, feuern kann.“) Er konnte nichts dafür, ich mochte ihn nicht - ihn und das, was er tat.
Geteilte Ratlosigkeit
„Investieren Sie in Wasser!“
„Sie meinen das, worum nicht nur Peter Scholl-Latour zufolge die Kriege der Zukunft geführt werden?“
„Kernkraft!“
„Zu gefährlich.“
„Windkraft?“
„Zu hässlich.“
„Immobilienfonds!“
„Dann lieber Abrissunternehmen!“
„Wenigstens aber Wohneigentum!“
„Zahlt man seine Miete nicht auch, um sich von so was freizukaufen?“
Ratlos saßen wir beieinander. Auf dem Tisch Finanzmarktbroschüren: Musterfamilien in Musterhäusern. Ich kenne wenig Deprimierenderes.
Der moralische Imperativ der Stunde
Als neulich ein Brief kam, dass der Herr B. für die Finanzberatungsgesellschaft leider nicht mehr tätig sei, fühlte ich mich ein bisschen schuldig. Aber das Geld, von dem ich dachte, dass ich es vielleicht zu unermesslichen Reichtümern mehren könnte, wollte dann ohnehin das Finanzamt haben, und wenn ich den Gang der Dinge richtig interpretiere, fließt es der privaten Wirtschaft nun von dort aus zu. Weg ist weg, mir doch egal, auf welche Weise. Bedauerlich war nur, dass ich es nicht rechtzeitig durchgebracht hatte. Was ich jetzt nämlich noch lieber hätte als kein Geld, wären ordentliche Schulden.
Moralisch scheint mir diese Haltung übrigens schon deswegen vollkommen gerechtfertigt, weil Moral ja auch als die Lehre definiert ist, die man aus einer Geschichte zu ziehen hat. Und die Moral der Geschichten, die mir die vom Wirtschaftsteil jetzt dauernd erzählen, und mit anderen Worten der moralische Imperativ der Stunde, lautet eindeutig: Verschwendung.
Alles ist so, wie es sein muss
Endlich fühle ich mich verstanden, denn hierin darf ich gewisse Vorleistungen für mich beanspruchen. George Best ist für mich nicht nur als Fußballspieler ein Idol. Das Erschaudern angesichts alter Kontoauszüge nenne ich Ruinromantik. Ich habe beeindruckende Summen durchgebracht. Verfahren und verfeiert. Und viel ärgerlicher als den Preisanstieg beim Benzin fand ich diesen Sommer den beim Champagner. Denn wer bei seinem Auto mehr Wert auf Sicherheit legt als auf die Felgen, dem sollte man, fand ich immer, ohnehin den Führerschein wegnehmen.
Lange hatte ich das selber für ein bisschen spätpubertär und krawallromantisch gehalten. Dieser Tage muss ich aber lernen: Das gute alte „I hope I die, before I get old“ ist gar nicht Rock 'n' Roll, sondern VWL. Es ist erbarmungslos vernünftig. Denn wenn bislang etwas aus der Bankenkrise zu lernen war, dann Folgendes: Niemand hat die Schuld. Das System hat keine Schuld. Die individuell Beteiligten haben keine Schuld. Es gibt keine Schuld. Alles ist so, wie es sein muss.
Was macht eigentlich eine Bank?
Und trotzdem spielt, wie gesagt, Moral eine wichtige Rolle. Meistens versteckt sie sich allerdings in dem Begriff des „Moral Hazard“, der jetzt wieder so häufig fällt: Gemeint ist, dass Versicherungsschutz das Verhalten ändert. Jeder weiß, dass Radfahrer mit Helm rechthaberischer und damit lebensmüder unterwegs sind als solche ohne. Krankenversicherte werden häufiger krank. Und Wirtschaftspolitiker befürchten eben, dass Banken, die sich darauf verlassen, dass am Ende der Staat einspringt, von vornherein mehr riskieren. Was der Begriff ausdrücklich nicht abdeckt, ist allerdings das, was die Leute im Allgemeinen als die Sauerei daran beklagen: dass die Banken jetzt überhaupt nach dem Staat rufen. Als ob es nicht die Aufgabe einer Bank wäre, sich nach Geld umzuschauen.
In dieser Empörung Richtung oben spiegelt sich aber auch nur das, was die beschimpften Banker und Wirtschaftspolitiker ihrerseits jahrelang den Hartz-IV-Empfängern vorgeworfen haben: dass sie unsolidarisch seien und Missbrauch trieben. Es hat die Gemüter erregt, wie viele Selbständige sich damals arm gerechnet haben, um Arbeitslosengeld II zu bekommen; und als Zumutung wurde empfunden, dass die Arbeitslosen dagegen aufbegehrten, zunächst einmal ihr Erspartes verzehren zu müssen. Aber wie kann man das bitte allen Ernstes verurteilen, wenn das System, für das diese Menschen wieder qualifiziert werden sollen, auch sonst komplett darauf ausgerichtet ist, das Erkennen und Ausbeuten von Lücken und Bereicherungsmöglichkeiten zu belohnen?
Siegfried Broß, Richter am Bundesverfassungsgericht, sah schon 2004 im Arbeitslosengeld II eine „Verletzung des Sozialstaatsprinzips“, zudem mache der Staat hier das kaputt, was er selber gefördert habe: „Er bestraft diejenigen, die ihren Pflichten nachgekommen sind, und belohnt diejenigen, die beispielsweise nichts für ihr Alter zurückgelegt haben.“
Ähnlich beleidigt maulen jetzt die, die es an den Börsen nicht krachen lassen haben, aber trotzdem mit in die Krise gerissen werden. Schön doof, wer da nicht wenigstens vorher seinen Spaß hatte.
Rausch der Krise
Solange die sogenannten Wirtschaftsexperten in der Sache auch nichts Verlässlicheres zu sagen wissen als ein Horoskop - nämlich: es kommt, wie es kommt, und was auch immer es dann ist: Es hat so kommen müssen -, so lange sehe ich mich berechtigt, meine eigenen Konsequenzen aus der Lage zu ziehen, und zwar: Raushauen, was noch da ist. Ausgeben. Verjubeln. Schon, um überhaupt mal wieder zu jubeln. Auch die Apokalyptiker mit ihren Katastrophenbeschwörungen nutzen die Gelegenheit letztlich nur für ihre Art von Party: Die Krise ist ein Rauschzustand.
Es sind dies ja die Tage, in denen man wieder Georges Bataille zur Hand nimmt, den alten Frauenversteher. Und kaum ein Buch passt ja wohl so dermaßen wie die Faust auf das Auge der Zeit wie „Die Aufhebung der Ökonomie“, welches die „missgünstige Sorge“ der Väter geißelt und „unproduktive Verausgabung“ fordert: „Luxus, Trauerzeremonien, Kriege, Kulte, die Errichtung von Prachtbauten, Spiele, Theater, Künste, die perverse (d. h. von der Genitalität losgelöste) Sexualität“ - also im Grunde genommen alles, wofür auch wir hier im Feuilleton uns zuständig fühlen.
Die Kunst bekommt von der Krise nichts mit
Natürlich ist das alles immer ein bisschen Hermann Hesse für Zweitsemester. Aber es macht wesentlich bessere Laune. Blumen schenkt man, weil sie viel kosten und schnell welken; künstliche Diamanten tun es nicht, die Klunker müssen echt sein und sinnlos teuer: Das ist das, was auch ein Mario Barth schon mitbekommen, wenn auch noch nicht verstanden hat. Poesie als „Schöpfung aus Vernichtung“, das feierliche Verschleudern von Werten, um das Gegenüber zu noch irrsinnigerem Irrsinn zu treiben, die Wertezerstörungsorgie, der Potlatsch: Damit landet man automatisch auf dem Gebiet der bildenden Kunst, und das ist im Moment vielleicht nicht ganz zufällig das Einzige, wo der Laden noch einigermaßen läuft.
Soeben trudeln wieder euphorische Erfolgsmeldungen von der Art Fair in Köln ein. Man muss jetzt mal abwarten, was in zwei Wochen die Frieze Art in London bringt. Manche Galeristen sagen, mittelständische Ware werde es wohl schwerer haben in der nächsten Zeit. Aber ganz oben, wo der Wahnsinn tobt, da werden wohl auch weiterhin so viele Millionen in ein paar Quadratmeter Leinwand oder Blech gestopft werden, dass Bataille einen Cancan tanzen müsste in seinem Grab.
Nie wieder sparen
Das Bild hier oben habe ich übrigens ausgesucht, weil da im Prinzip alles drinsteckt, worüber wir hier reden. Es heißt „Endstation Sehnsucht“ und stammt von Herbert Volkmann, der aus dem Obsthandel ein Vermögen hatte und es an den Rausch verlor, darüber entpuppte er sich als Maler, und zwar als einer der besten, die in Berlin einen Pinsel halten können. Die abgebildete Stimmung kennt man von Börsenkursen: Hier hätte man eindeutig früher einsteigen müssen, jetzt ist der Zug abgefahren. Es zeigt einen Künstler und einen Galeristen, deren Präsenz in den Medien für viele Kritiker den Tatbestand der Inflation gut illustriert. Es ist ungefähr zu der Zeit entstanden, als der abgebildete Künstler dieser Zeitung gegenüber angab, sein Lieblingslied sei „Verschwende deine Jugend“ von DAF, denn: „Man muss sich verschwenden, sonst kommt man zu nichts.“
Diese Haltung hat sich, wenn man es mal so ökonomistisch ausdrücken darf, bislang ausgezahlt. Fatal wäre jetzt eine Konsumflaute, steht in den Wirtschaftsteilen. Ich tue weiterhin gern, was ich kann. Nur wenn mir jemals wieder irgendwer mit dem Wort „Sparen“ kommt, dann wird mein Gesichtsausdruck dem des langhaarigeren der beiden Männer auf dem Bild nicht unähnlich sein.
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