Am Dienstagabend hatte Opec-Präsident Purnomo Yusgiantoro angekündigt, das Kartell werde seine noch freien Kapazitäten von rund 1,5 Millionen Barrel täglich antasten, um den Preisauftrieb auf den Terminmärkten zu stoppen (ein Barrel entspricht 159 Litern). Wenige Tage zuvor hatte Purnomo der Öffentlichkeit noch zu verstehen gegeben, dass die Opec gegen die momentane Preisrally beim Öl nichts unternehmen könnte.
"Saudi-Arabien versucht, im Kartell die Kontrolle zu behalten", sagte Oliver Franz, Energieexperte der ING BHF-Bank in Frankfurt. Vor dem Hintergrund des starken Einflusses der Saudis sei auch das Zurückrudern von Präsident Purnomo zu sehen. Zudem könnte das Eingeständnis des Kartells, dass es gegen die aktuelle Marktentwicklung nichts ausrichten kann, zu einer neuen Energiesparrunde in den großen Industrieländern führen. "Dann könnte es passieren, dass 2005 große Teile der Produktion ins Leere laufen", sagt Franz. "Das soll verhindert werden."
Auch für Fadel Gheit, Ölanalyst bei Oppenheimer & Co. in New York, steckt hinter der verwirrenden Kommunikationspolitik des Kartells eine klare Strategie. "Die Opec verhält sich wie ein Pokerspieler und blufft. Sie will nicht, dass jemand ihr in die Karten gucken kann. So kann sie den Markt nach Belieben manipulieren." Zugleich habe die Organisation Interesse an hohen Preisen, ohne von der ganzen Welt an den Pranger gestellt werden zu wollen. "Die Opec steht nicht gerne im Fokus der Kritik. Deshalb schiebt sie die Verantwortung anderen Spielern zu", sagt Gheit. Aktuell würden vor allem die Spekulanten für das hohe Preisniveau verantwortlich gemacht.
Politische Motive vermutet
Experten vermuten, dass auch politische Motive eine Rolle spielen: "Allen voran das größte Förderland Saudi-Arabien präsentiert sich gerne als die preisdämpfende Kraft, um die Aufmerksamkeit von der eigenen Ölpolitik auf die Energiepolitik der Vereinigten Staaten zu lenken. Denn die Opec sehnt einen Machtwechsel im Weißen Haus herbei", sagt Jean-Francois Seznec, Professor an der Columbia University in New York und Saudi-Arabien-Experte.
Auf Grund dieser Unwägbarkeiten empfiehlt Gheit den Händlern, nur auf die Zahlen zu achten: "Die Opec fördert beinahe 30 Millionen Barrel, so viel wie seit 26 Jahren nicht mehr. Das muss entscheidend sein und nicht einzelne Stellungnahmen, die noch nie verlässlich waren." Dennoch räumt ING-BHF-Experte Franz ein, dass jedes Wort der Opec seine Wirkung zeigt - und sei es auch nur eine kurzzeitige, psychologische.
"Die Opec redet viel, wenn der Tag lang ist", kritisiert Phil Flynn, Analyst bei Alaron Trading in Chicago. Dabei sei in der aktuellen Marktphase vieles wichtiger, beispielsweise die Yukos-Affäre, die "verdammt verwirrend" sei.
Nachfrageentwicklung falsch eingeschätzt
"Ihren größten Fehler hat die Opec im Frühjahr gemacht, als das Kartell die Nachfrageentwicklung für die kommenden Quartale falsch einschätzte" , sagte Oliver Franz. Alleine diese Fehlprognose und die darauf folgende Produktionskürzung sei für rund 5 $ des heutigen Ölpreises verantwortlich, schätzt der Experte. "Und jetzt ist die Opec machtlos, da ihre freien Reserven nicht mehr groß genug sind." Von einem Machtwechsel auf dem Ölmarkt möchte Franz jedoch nicht sprechen. Denn der schärfste Konkurrent der Opec, Russland, könne dem Kartell durch seine beschränkten Exportkapazitäten zumindest jetzt noch nicht richtig gefährlich werden.
Zudem zeichnet sich bei den freien Reserven der Opec eine Erholung ab. Der saudi-arabische Ölproduzent Saudi Aramco hat die Förderung in zwei neuen Ölfeldern begonnen. Die Felder werden die Tagesproduktion des Königreichs um 800.000 Barrel erhöhen.
Quelle: Financial Times Deutschland