Die Albträume des Ben Bernanke
[Von ftd.de, 21:07, 17.08.06] Für Ben Bernanke war es eine gute Woche. Noch vor kurzem warfen Kritiker dem US-Notenbankchef vor, mit riskanter Strategie die Glaubwürdigkeit der Federal Reserve (Fed) aufs Spiel zu setzen.
Bernanke habe die Fed eingeschworen, dass die Abkühlung der US-Wirtschaft die Inflation dämpft - obwohl es dafür bislang keinerlei Anzeichen gebe. Sollte sich seine "Story" nicht bewahrheiten, würde das den Ruf der Fed beschädigen, hieß es am Montag. Am Dienstag dann überraschten zunächst die US-Erzeugerpreise - in der Kernrate, also ohne Energie- und Lebensmittel, gaben sie im Juli gegenüber Juni sogar 0,3 Prozent nach. Tags darauf bestätigten die Konsumentenpreise den Eindruck, dass der Inflationsdruck nachlässt. In der Kernrate legten sie um 0,2 Prozent zu, so langsam wie seit Februar nicht - Nachrichten, wie sie Bernanke brauchte.
"Albtraumszenario" für die Fed
Doch tatsächlich steckt der Nachfolger des schon zu Lebzeiten legendären Alan Greenspan sechseinhalb Monate nach Amtsantritt in einer ebenso ungemütlichen wie ungewöhnlichen Lage. "Die Inflation steigt, aber das Wachstum flaut ab. Für die Fed ist das ein Albtraumszenario", sagt Dan Seto, Volkswirt bei Sumitomo Mitsui Asset Management. Mit Blick auf den Streit in der Fed über den Zinskurs sagt David Milleker, US-Experte der Allianz: "Es kommt sehr selten vor, dass es gleichzeitig für die Hardliner so viele so gute Argumente gibt wie für die, die vorsichtiger sind." Tatsächlich klettern einerseits die Preise in den USA schon länger stärker, als es der Fed lieb ist - was für weitere Zinserhöhungen über die aktuell 5,25 Prozent hinaus spricht. Zwar schwächte sich das Tempo des Anstiegs der Verbraucherpreise zuletzt ab. Im Jahresvergleich war das Plus von 2,7 Prozent in der Kernrate aber immer noch der stärkste Anstieg seit Dezember 2001. Ian Shepherdson, US-Chefvolkswirt bei High Frequency Economics, glaubt gar, dass der Kernindex in den kommenden Monaten noch bis auf 3,2 Prozent steigt.
Zudem wurde unlängst bekannt, dass die Lohnstückkosten in den vergangenen drei Quartalen viel stärker gestiegen sind als bislang angenommen. Mithin ist der Inflationsdruck deutlich höher, als es die Experten vermuteten.
US-Wirtschaft schwächelte zuletzt
Andererseits hat die US-Wirtschaft zuletzt geschwächelt - ein Argument gegen weitere Zinserhöhungen. Im zweiten Quartal wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf das Jahr gerechnet nur noch um 2,5 Prozent nach 5,6 Prozent im Vorquartal. Insbesondere der private Konsum, der 70 Prozent zum BIP beiträgt, gab deutlich nach - vor allem wegen des teuren Benzins und des abkühlenden Immobilienmarktes. Viele Amerikaner hatten in den vergangenen Jahren die teils zweistellig steigenden Hauspreise und die niedrigen Zinsen genutzt, um günstigere Hypotheken abzuschließen. Das derart freigewordene Geld steckten sie in neue Autos, Fernseher, Reisen. Der Boom ist jetzt zu Ende, das Geld fehlt. Zugleich verliert der Arbeitsmarkt an Dynamik. Die Arbeitslosigkeit stieg im Juli leicht von 4,6 auf 4,8 Prozent. Zudem gab es nur 113.000 neue Stellen. Im Februar waren es noch 200.000 gewesen. "Die Wirtschaft hat nie mehr als einen kleinen, kumulierten Anstieg der Arbeitslosigkeit toleriert, bevor sie in eine Rezession gefallen ist. Das weiß die Fed", sagt Ökonom Ed McKelvey von Goldman Sachs.
Kampf gegen Inflation ging möglicherweise zu weit
Einige Volkswirte glauben, dass die Fed im Kampf gegen die Inflation zu weit gegangen ist. "Die US-Wirtschaft wird 2007 in die Nähe einer Rezession kommen", sagt Shepherdson. US-Chefökonom David Rosenberg von Merrill Lynch sieht die Wahrscheinlichkeit dafür bei 42 Prozent. Doch es gibt auch Optimisten. "Das starke Wachstum der Weltwirtschaft wird erstmals nach 20 Jahren die US-Nettoexporte ankurbeln und zu verbesserten Job- und Einkommenszuwächsen beitragen", sagt Volkswirt Richard Berner von Morgan Stanley - das würde aber auch bedeuten, dass die Inflation nicht merklich sinkt.
Unklare Gemengelage
Stillstand 17-mal hat die Federal Reserve Bank seit Juni 2004 die Leitzinsen um jeweils 25 Basispunkte erhöht - bis zur letzten Sitzung am 8. August, als sie bei 5,25 Prozent verharrte. Gleichstand Für Zinsfalken wie -tauben gibt es reichlich Argumente, ihren geldpolitischen Ansatz zu rechtfertigen: Zwar steigt die Inflation, auch wenn sich das Tempo des Anstiegs der Verbraucherpreise abschwächt. Zugleich aber flaut auch das Wirtschaftswachstum ab. Widerstand Fed-Chef Ben Bernanke kämpft mit Gegenwind aus den eigenen Reihen. So votierte Jeffrey Lacker, der Präsident der Fed in Richmond, zuletzt gegen die Fed-Mehrheit - und für eine weitere Zinsanhebung.